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Full text of "Christian Church books"

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Giinter Spitzing 
Lexikon byzantinisch-christlicher Symbole 


Vorwort 


Fotos bilden Sichtbares ab, gelten meist als 
Beweis dafiir, da8 ihr Gegenstand in sichtba- 
rer Form existiert. 

Die byzantinische Ikone hingegen macht das 
sichtbar, was das innere Auge schaut. Sie ver- 
dankt ihr Dasein einem Vertrauen und sie 
strahlt selbst Vertrauen aus -- Vertrauen dar- 
auf, daB es die Welt des Géttlichen gibt und 
daB sich diese geistige Welt dem Menschen an- 
schaulich offenbart. 

Die Bilderwelt in den Kirchen des Ostens stellt 
die Wirklichkeit innerer Bilder dar — gerade 
das ist es wohl, was sie so faszinierend erschei- 
nen 148t, sowohl fiir den Glaubigen als auch 
fiir den AuBenstehenden. 

Nimmt der Glaubige sonntagvormittags an der 
»géttlichen Liturgie« teil, so sehen seine inne- 
ren Augen, da die Kirche angefiillt ist von 
Engeln, die den Altar umschweben. Und der 
hat sich verwandelt in einen Thron, der hin- 
aufragt tiber alle Himmel hinaus. Und auf ihm 
der Herrscher aller Welten, der Pantokrator. 
Der Sinn des orthodoxen Gottesdienstes liegt 
nicht so sehr darin, die Teilnehmer iiber Gott 
zu belehren; es gilt vielmehr ein Fest zu feiern 
zusammen mit Gott und allen Heiligen. Ver- 
gangenheit und Zukunft — Christi Heilsge- 
schichte und die verheiBene Gotteswelt — wer- 
den mit der Gegenwart des rituellen Gesche- 
hens in. einem Augenblick der Zeitlosigkeit 
vereinigt; sie werden zur erlebbaren und eben 
auch »anschaulichen« Wirklichkeit. Und die 
Glaubigen sind auch bereit, dies alles als inne- 
te Bildschau mitzuerleben. Diese Vorstel- 
lungskraft ist es, die nach auf8en tritt und sich 
verkérpert in den Fresken und Mosaiken, in 
den Tafelbildern und in der Architektur. 
Sicherlich erlebt der AuBenstehende etwas an- 
deres als der Glaubige, wenn er eine griechi- 
sche, serbische oder russische Kirche betritt 
oder in einen ihm fremden Gottesdienst hin- 
eingerat. Da ist er nun konfrontiert mit der 
ungewohnten Formensprache der Bilder, mit 
der Rhythmik und Tonalitéat unbekannter Ge- 
singe, mit dem Duft von verbranntem Weih- 


rauch und Olivendl — nicht zuletzt mit einer 
Folge lebhafter, ihn ratselhaft anmutender ri- 
tueller Aufziige und Ereignisse. Das hat alles 
etwas sehr Anziehendes, andererseits mag die 
Fremdartigkeit der Erscheinungen auch hilflos 
machen, ja auch Einsamkeit auslésen. 


Was mich betrifft, so ist seit jeher die Faszina- 
tion der byzantinischen Bilderwelt um vieles 
stérker gewesen als das Gefiihl des Fremd- 
und Befremdetseins. Zudem hat die Begeg- 
nung mit Griechen dazu geftihrt, daB mich de- 
ren ausgepragte Neugier und Fremdenfreund- 
lichkeit angesteckt und veranlaft hat, mich mit 
Sympathie und Empathie Erscheinungen zu- 
zuwenden, die mir zundchst fremd vorkamen. 
Aber abgesehen davon — 35 Jahre lang habe 
ich auf zahlreichen Reisen in Griechenland, 
einschlieBlich der Ménchsrepublik Athos, in 
Kleinasien (Konstantinopel und Kappado- 
kien), in Serbien und Nordmakedonien, nach 
Venedig, Ravenna und Moskau altchristliche, 
byzantinische und postbyzantinische Bilder 
und Symbole studiert und fotografiert. 

Dabei, und auch beim Studium der Quellen zu 
den Bildern stie8 ich auf drei Tatbestinde, die 
mein ohnehin grofes Interesse ganz erheblich 
steigerten: 


vr Die byzantinische Bilderwelt ist alles ande- 
re als museal. Sie ist nicht nur eng verbunden 
mit den orthodoxen Riten, sondern auch ver- 
kntipft mit dem volkstiimlichen Brauchtum 
von heute. Byzantinische Kulturtraditionen 
pragen den neugriechischen Staat und seine 
Politik, und sie haben sich ausgewirkt auf das, 
was wir im Charakter der Menschen als das 
»typisch Griechische« empfinden. Das Grie- 
chenland von heute verdankt seine liebenswer- 
ten Eigenheiten der griechischen Kirche mit 
ihrer byzantinischen Tradition. 
So sah ich mich geradezu aufgefordert, auch 
das Volksbrauchtum Griechenlands — soweit 
es in Zusammenhang mit den einzelnen Bild- 
motiven steht — in diesem Buch: zu beriicksich- 
tigen. 


Vorwort 


vr Die byzantinische Bilderwelt bietet dem 
Menschen etwas Lebenswichtiges — namlich 
Orientierung. Sie stellt sogar selbst eine Art 
von Orientierungssystem dar. Die Bilderwelt 
schafft eine enge Verbindung zwischen dem 
Einzelnen und der Gesamtheit des Univer- 
sums, dem — sagen wir es griechisch — Kosmos. 
Der Gldubige wei so um seinen Standort in 
der Welt, deren Bestimmung es ist, vergdétt- 
licht zu werden — zusammen mit ihm selbst. 

Ich meine, da die Beschaftigung mit solchen 
Orientierungssystemen fiir Menschen aus dem 
Umkreis abendlandischer Tradition besonders 
reizvoll sein mtiBte, weil diese nichts mehr zu 
bieten hat, was dem vergleichbar ware. 


yx Die byzantinische Bilderwelt betont die 
Abbildbarkéit Christi als des Abbildes Gottes 
und die Abbildbarkeit des Menschen als des 
géttlichen Ebenbildes. Bild und Abbildbarkeit 
sind wesentlicher Bestandteil des Bildes, das 
sich der Mensch vom sich verkérperlichenden 
Gott und von sich selbst macht — mit anderen 
Worten: es ist ein wesentliches, wenn nicht das 
_wesentliche Element seiner Theologie und sei- 
ner Anthropologie. 


Fiir jemanden wie mich, der sich zeitlebens mit 
dem Bild und dessen Bedeutung fiir den Men- 
schen beschiftigt hat, ist gerade dieser Aspekt 
der byzantinischen Kultur ebenso reizvoll wie 
gedanklich anregend. 


Abgesehen von dem allem erscheint es mir 
niitzlich, daB die Beschaftigung mit der byzan- 
tinischen Kunst und Kultur einen doppelten 
Briickenschlag ermdglicht — einen hin zur Kul- 
tur des Westens und einen zu der des Ostens. 
Die christlich-abendlandische und die byzanti- 
nische Kunst haben eine gemeinsame Jugend- 
. geschichte, wobei die wesentlichen Impulse 
von Byzanz ausgingen. Von dorther ist die 
abendlandische Kunst von der Karolingerzeit 
bis zur Hochgotik in erheblichem AusmaBe 
gepragt — so sehr, daB die Beschaftigung mit 
jenen abendlandischen Kunstepochen ziumin- 
destens eine gewisse Kenntnis byzantinischer 
Bildmotive voraussetzt. 

Nur aus dieser Kenntnis heraus sind dann auch 
die eigenstindigen Entwicklungen in der 


abendlandischen Kunst zu wiirdigen und zu 
beurteilen. 

Die Verbindungen in anderer Richtung waren 
aber noch wesentlich enger. Auf byzantini- 
schem Territorium — vor allem in Kleinasien — 
miindeten jene kontinentetibergreifenden Han- 
delswege ein, die wir heute unter dem Oberbe- 
griff »SeidenstraBe« zusammenfassen. Fertige 
und halbfertige Waren, aber auch fertige und 
halbfertige Anschauungen fluteten auf diesen 
Wegen zwischen dem 6stlichen Mittelmeer 
und dem fernen Osten hin und her. Der Aus- 
tausch von Produkten und Gedanken wurde 
erst unterbrochen, als sich der Sperriegel der 
islamisierten Lander zwischen das byzantini- 
sche Reich und die Staaten Asiens schob. Zu- 
vor jedoch war gentigend Zeit dafiir geblieben, 
daB sich im gesamten Raum zwischen Grie- 
chenland, Indien, Indonesien und China tiber- 
raschend viele ahnliche Grundkonzeptionen 
liber das, was der Kosmos, was Gott und was 
der Mensch ist, herausbilden konnten. 

Eine weitgehend — sagen wir einmal ktihn — 
verwandte Geistigkeit, ausgedriickt auch in 
der Formensprache der Bilder, verbindet das 
christliche Griechenland mit den Hochkultu- 
ren des Ostens. Aber eine weitgehend ver- 
wandte Glaubensiiberzeugung, dargestellt in 
den Motiven der christlichen Glaubenswelt, 
verbindet es mit dem Abendland. 

So gesehen ist es das einfachere Verfahren, 
sich auf dem Umweg tiber die Beschaftigung 
mit der byzantinischen Kultur einen beque- 
men Zugang zu den Kulturen Siid- und Ost- 
asiens zu verschaffen, als geradewegs tiber 
Stock und-Stein auf sein Ziel loszugehen -- um 
dann letztlich vor verrammelten Toren zu 
stehen. ; 

Fiir mich kann die byzantinische Kunst mitun- 
ter schon Mittel zum Zweck sein, aber sie ist es 
nicht ausschlieBlich. Ich fiihle mich von ihrer, 
wie ich meine, attraktiven Formensprache 
stark angezogen. Doch war es auch von der 
ersten Begegnung an mit ihr fiir mich eine 
Selbstverstindlichkeit, da ich — wie es fiir je- © 
den, der verliebt ist, selbstverstandlich ist — 
mich nicht nur darauf beschraénken wollte sie 
zu bewundern, sondern daf es mir auch darauf 
ankam, sie intensiver kennenzulernen. 


1 Geburt Maria. Das erste der zw6lf Hochfeste des griechischen Kirchenjahres (Dodekaorthon) wird wie im 
Westen am 8. September begangen. Die gesamte Kindheitsgeschichte Marias wird in der Vorhalle der 
Chorakirche in Konstantinopel (Istanbul) dargestellt. Das Geburtsmosaik selbst befindet sich an einer der 
éstlichen Schildbogenwande (ganz links im Bild). Die spaétbyzantinischen Mosaiken entstanden zwischen 


1315 und 1320. 


2 Kreuzerhdéhung. Das zweite Hochfest im Kirchenjahr, gefeiert am 14. September. Fresko aus ei-nem der 
nordgriechischen Meteora-Felsenkléster, geschaffen im 15.Jh. ᾿ ᾿ 


3 Tempelgang Maria. Das dritte Hochfest, gefeiert am 21. November. Die »Téchter der Ἠθυγᾶθγα (oben 
kopfstehend) geleiten das Marienkind mit den Eltern Joachim und Anna zum Tempel. Gewélbemosaik aus 
der Vorhalle der Chorakirche in Konstantinopel (Istanbul), 1315-1320 ἷ 


τὰ SNPS: 


4 Geburt Christi. Im Unterschied zum »Heiligen Abend« des abendlandisch-christlichen Kirchenjahres 
jeweils am 25. Dezember begangen. Mosaik in der Siidost-Trompe der Klosterkirche von Daphni bei Athen, 
entstanden Ende des 11. Jh. 


5 Taufe Christi im Jordan. Das Fest der groBen »Wasserweihe« fallt auf den 6. Januar, an dem im Osten wie 
im Westen der »Weisen aus dem Morgenlande« bzw. der »Heiligen Drei Kénige« gedacht wird. Mosaik in 
der Stidosttrompe der Klosterkirche von Osios Lukas in der Landschaft Phokis, Anfang 11.Jh. 


6 Darstellung im Tempel. Das sechste byzantinisch-christliche Hochfest entspricht »Marid LichtrneB« und 
wird wie diese am 2. Februar begangen. 


7 Verkiindigung Maria, wird wie im westchristlichen Kirchenjahr am 25. Marz gefeiert. Fresko in der 
Kirche zum Taubenschlag, Cavusin bei Géreme (Kappadokien), entstanden zwischen 963 und 969. 


8 Einzug in Jerusalem. Das Fest der »Palmwedel« entspricht dem Palmsonntag und wird ebenfalls am 
Sonntag vor Ostern gefeiert. [kone in der Festbildreihe einer Bilderwand in einer Kirche in Chios. 
Postbyzantinisch, 18.Jh. 


ert. 
lich 


fingsten gefei 
vermut, 


(Kappadokien), 


oreme 


i 


ten am Donnerstag vor P: 


i 


Bre 


rd wie »Christi Himmelfahrt« in unseren 


Fresko in der Kuppel der zerstérten Héhlenkirche von El Nazar be 


Ende 10. Jh. 


i 


W: 


9 Himmelfahrt 


10 Pfingsten, sieben Wochen nach Ostern. Die Ikone des Pfingstsonntags zeigt die Trinitat in der Gestalt 
der »drei Manner zu Besuch bei Abraham im Hain Mamre«. Fresko aus der Hohlenkirche Carikli Kilise bei 
Goreme (Kappadokien), vermutlich 13. Jh. 


11 Verklarung Christi. Die »Metamorphosis« (griech.) oder »Transfiguratio« (lat.) wird im Osten (als elftes 
Hochfest) und im Westen am 6. August gefeiert. Goldmosaikdarstellung aus der Nordwesttrompe der 
Klosterkirche von Daphni bei Athen, Ende 11. Jh. 


: Ἵν 


12 Heimholung Maria. Entspricht dem westchristlichen Fest »Mariaé Himmelfahrt« und wird wie dieses am 
15. August begangen. Mosaik an der Westwand des Kirchenschiffes der Chorakirche in Konstantinopel 
(Istanbul), entstanden 1315-1320. 


Der Bildkosmos 
der byzantinischen Kirche 


Der Bildkosmos der byzantinischen Kirche 


Vom Ergriffensein 
zum Begreifen 


Dies Buch habe ich fiir alle diejenigen ge- 
schrieben, die fortschreiten wollen vom ergrif- 
fenen Schauen zum Begreifen. Die byzanti- 
nisch-christliche Geistigkeit selbst legt es ei- 
nem nahe, diesen Schritt zu vollziehen, weil 
sie sich selbst anschaulich begreifbar ausdriickt 
~ in der Form ihrer Bilderwelt. Vor dem Gold- 
grund der Ikonen und Mosaiken und vor dem 
dunkelblauen Untergrund der Freskomalerei 
spiegelt sich ins Sichtbare verdichtet die In- 
nenwelt der Menschen des christlichen Ostens. 
Dies Buch soll nun die Voraussetzungen dafiir 
bieten, da8 man diese Bildwirklichkeit verste- 
hen kann, sich ihr zu nahern vermag in einem 
zumindest dreistufigen AnnaherungsprozeB: 


1. Der Inhalt eines Bildmotivs wird in seiner Ge- 
samtheit und in seinen Details exakt bestimmt. Die 
Grundlagen hierfiir liefern vor allem die schrift- 
lichen Quellen (— »Die schriftlichen Quellen fiir die 
Symbole und Motives). 

_2. Die Rolle des jeweiligen Einzelbildes im gesam- 
ten Bildprogramm eines Kirchenraumes oder der 
Bilderwand wird ermittelt (-» »Die Bildprogramme 
orthodoxer Innenraume«). 

3. Die Bedeutung des jeweiligen Bildmotivs ftir das 
kirchliche wie fiir das alltagliche Leben — fiir das 
Kirchenjahr wie fiir den bauerlichen Jahreszyklus — 
wird aufgezeigt; denn das orthodoxe Kultbild ist bis 
zum heutigen Tag der Kristallisationskern eines 
lebendigen, sich daran anlagernden Brauchtums. 
Dartiber hinaus sind auch noch andere Gegebenhei- 
ten von Interesse — wie etwa die Wandlungen, de- 
nen ein bestimmtes Motiv im Laufe der historischen 
Entwicklung ausgesetzt ist. 


Auffinden und Bestimmen 
der Bildmotive 


Der Hauptteil des Buches ist alphabetisch ge- 
ordnet nach Motivbenennungen. Dies ist ftir 
ein Lexikon tiber Bilder ebenso unvermeidlich 
wie letztlich unbefriedigend. Dem Benutzer, 
der gerade vor einem Bild steht, ist dessen Be- 
nennung oftmals nicht bekannt. Sie ist es ja 
gerade, die er zundchst sucht. Und weil das so 
ist, bietet mein Buch zusatzliche Hilfen ftirs 
Suchen und Finden an: 


10 


vx Fast jedem Stichwort ist zumindest eine Abbil- 
dung beigefiigt. Einer Vielzahl von Motiven kommt 
man bereits durch den ikonographischen Vergleich 
auf die Spur. 

τὰ Zu allen byzantinischen Darstellungen gehéren 
grundsatzlich Beischriften, die das Motiv kennzeich- 
nen, und oft auch dariiber hinausgehende Texter- 
lauterungen. Mit Hilfe des griechischen Alphabets 
(ABC) sowie des Verzeichnisses griechischer 
Bildmotivtitel und deren Ubersetzung (im Anhang) 
ist das deutsche Stichwort zu ermitteln, unter dem 
das Motiv behandelt wird. Die ostkirchlichen Heili- 
gen (— Heilige, — Méartyrer, — Kirchenvater, 
— Patriarchen) lassen sich vielfach nur iiber die 
Schriftzusatze identifizieren. Die in der westlichen 
mittelalterlichen Kunst tiblichen kennzeichnenden 
Attribute kommen im byzantinischen Raum nur in 
Ausnahmefallen vor. 

vv In den verschiedenen Raumteilen innerhalb ei- 
ner byzantinischen Kirchenarchitektur — Apsis, 
Kuppel, Schiff, Vorhalle -- kann jeweils nur eine 
begrenzte Auswahl an Motiven erscheinen. Die vier 
Plane von Bildprogrammen in Kirchen aus unter- 
schiedlichen Epochen, die den Einfiihrungsteil die- 
ses Buches abschlieBen, geben einen Uberblick tiber 
beispielhafte Zuordnungen bestimmter Motive zu 
bestimmten Orten der Innenarchitektur. 

Dartiber hinaus informiert das Kapitel »Entwick- 
lungsziige der griechischen Kunst« fiber die Ent- 
wicklung der kirchlich-religidsen Ikonographie im 
Verlauf der Geschichte des byzantinischen Reiches 
und der anschlie8enden Epochen. 

xv Im Hauptschiff (Naos) gréBerer orthodoxer Kir- 
chen sind bestimmte Bildzyklen dargestellt. Altere 
Zyklen (vor 1000) geben in erzihlender Form aus- 
gewihlte Berichte des Neuen Testaments sowie ver- 
wandter Schriften wieder. Es handelt sich vor allem 
um den — Marienzyklus (der spater in der Vorhalle 
dargestellt wird), um Zyklen von Wandertaten 
(— Wunderheilungen, —> Wunderspeisungen), so- 
wie vor allem auch um den --Ὁ Passions- und Oster- 
zyklus. Die Bildfolgen der Zyklen sind unter den 
genannten Stichworten im Zusammenhang be- 
schrieben. Somit kann anhand eines einzelnen, be- 
reits erkannten Bildes der gesamte Zyklus aufgerollt 
und entziffert werden. (Beispiele: Die Kreuzigung 
Christi gehért zum -- Passions- und Nachoster- 
zyklus, die Speisung der 5000 zum Zyklus der —> 
Wunderspeisungen.) Spater (etwa ab 1000) breitet 
sich der Festtagszyklus (Dodekaorthon) im Naos 
aus. Er wird unter dem Stichwort — Festtagskalen- 
der ebenfalls zusammenhangend erlautert. 


Der Bildkosmos der byzantinischen Kirche 


Das sinnbildliche Denken 


Die Bedeutung eines GroBteils byzantinischer 
Bilder, nicht zuletzt der alttestamentlichen 
Zyklen, erschlie&t sich nur dem, der sich mit 
byzantinischer Denkweise auseinandersetzt. 
Ihr stand das mittelalterlich-abendlandische 
Denken durchaus noch nahe, wahrend sich un- 
ser eigenes heutiges Denksystem erheblich da- 
von entfernt hat. Der zeitgendssische abend- 
landische Mensch sucht Ereignisse und Objek- 
te (tiber Zeit und Raum hinweg) durch Ursa- 
che-Wirkungs-Abhangigkeiten miteinander zu 
verketten. (Man glaubt, etwas bisher Unbe- 
kanntes dann verstanden zu haben, wenn man 
es durch das Beantworten der Fragen »Wo? 
Wann? Wie? Warum?« an bereits vorher Ver- 
trautes angegliedert hat.) 

Demgegeniiber verkntipft byzantinisches Den- 
ken Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, 
aber auch Ferne und Nahe dadurch, daB es 
ahnliche Dinge und ahnliche Ereignisse einan- 
der zuordnet, beziehungsweise sie einander 
unterordnet. Es geht darum, mdglichst viele 
Dinge und Ereignisse mit den zentralen Glau- 
bensinhalten in Beziehung zu bringen. Letzt- 
lich wird die Gesamtheit aller Erscheinungen 
als im Einzelfall jeweils starkerer (damit tiber- 
geordneter) oder schwacherer (damit unterge- 
ordneter) Abglanz des Einen, des géttlichen 
Lichtes gesehen (+ Himmlische und kirchli- 
che Hierarchie). Dieses Licht ist wirksam in 
Zeit und Raum. 


vy Wirksamkeit in der Zeit: Die Schépfung der 
Welt und ihre heilsgeschichtliche Neuschépfung 
kommt durch die von oben her sich entfaltende 
Ausstrahlung des géttlichen Lichtes zustande. Im 
liturgischen Ritus werden der Schépfungsakt und 
der historische Neuschépfungsakt (—> Ostern) ritu- 
ell vergegenwartigt. Alles, was innerhalb der gétt- 
lichen Heilsordnung besteht, ist in diese Lichtkas- 
kade eingebunden. 

vw Wirksamkeit im Raum: Die > Eucharistie (das 
Heilige Abendmahl) ist nichts anderes als die immer 
wieder neu vollzogene Vergdttlichung des gesamten 
Kosmos. Die Heilsgeschichte ist darin insofern ein- 
gebunden, als sie auf die Eucharistie hinzielt. ᾿ 
Ein gutes Beispiel dafiir ist die alttestamentliche 
Szene der Opferung Isaaks. Sie gewinnt ihre Bedeu- 
tung dadurch, daB sie einen versteckten Hinweis (> 
Schatten) auf den Opfertod Christi und damit 
gleichzeitig auf die Eucharistie bildet. 


Der dem byzantinischen Denken verhaftete 
Mensch versucht alles Seiende, und damit 
auch sich selbst, in ein in sich geschlossenes 
Gewirke aufeinander hinweisender und mit- 
einander verwobener Details einzubeziehen. 
Es gibt so gut wie nichts, was nicht auf etwas 
anderes, tiber ihm Stehendes, deutet. Die Tat- 
sache, daB das byzantinische - Ornament alle 
Einzelelemente miteinander verflicht, aber 
auch die Bedeutung der Textilgewebe fiir den 
byzantinischen Ritus, ist sichtbar gewordener 
Ausdruck dieser inneren Einstellung. 


Die schriftlichen Quellen fiir die 
Symbole und Motive 


Die meisten Bildmotive basieren auf einer 
mehrstufigen Quellentradition. So sind eine 
ganze Reihe von Motiven abhangig entweder 
sie stehen in Zusammenhang mit Angaben 
in der Ermenia (Malerhandbuch vom Berge 
Athos). Beide Quellen basiérén ihrerséits wie- 
dér auf biblischen oder apokryphen Texten. 
Die byzantinische Liturgie in ihrer Gesamtheit 
148t sich als die poetische Gestaltung eines aus 
der Heiligen Schrift herausgefilterten Konzen- 
trates auffassen. 

Fiir die Quellenhinweise aus der Bibel, die das 
Alte (AT) und das Neue Testament (NT) um- 
faBt, werden die tiblichen Abktirzungen be- 
nutzt (z.B. Luk. fiir Lukas). Die sogenannten 
Apokryphen sind Schriften aus dem Umfeld 
des AT (AT-A) und des NT (NT-A: ab Mitte 
2.Jh., die kanonischen Schriften des NT ent- 
standen im ersten Jh.). Zwar werden die Apo- 
kryphen von den Kirchen nicht voll anerkannt, 


~ jedoch sind deren Inhalte sowohl in liturgische 


Texte als auch in bildliche Darstellungen ein- 
geflossen. Die Biicher, die in der altesten grie- 
chischen Ubersetzung des AT, der Septuagin- 
ta (> Darstellung Christi), enthalten sind, je- 
doch nicht in den hebrdischen Textiberliefe- 
rungen, werden von Orthodoxen und Katholi- 
ken als kanonische Texte angesehen, von den 
Evangelischen jedoch nur als AT-A (in der 
Vollbibel Luthers: »... Biicher, so der Heili- 
gen Schrift nicht gleichzuhalten, und doch 
niitzlich und gut zu lesen sind«). 


11 


Der Bildkosmos der byzantinischen Kirche 


Raumliche und historische 
Unmrisse 


Byzantinische Monumente sind weithin tiber 
den Mittelmeerraum verstreut. Zur Erleichte- 
rung einer Studienreiseplanung wurde in den 
Anhang eine Karte sowie eine Ubersicht tiber 
alle im Text erwahnten Denkmaler aufgenom- 
men (»Die wichtigsten byzantinischen Kunst- 
denkmiler«). 

Tabellarische Zusammenfassungen tiber die 
Entwicklung des byzantinischen Reiches in 
Raum und Zeit einerseits, und iiber die wich- 
tigsten Epochen der byzantinischen Kunstge- 
schichte andererseits, finden sich ebenfalls im 
Anhang. 


Entwicklungsziige der 
griechischen Kunst 


Zusiatzlich zur realen Welt des Menschen hat- 
-ten -- so Herder — die alten Hellenen eine zwei- 
te ideale Welt der Statuen geschaffen. Von der 
archaischen Zeit um 700 v.Chr. an, vor allem 
aber in der klassischen und hellenistischen 
Epoche, entstanden ganze Heere von Gdtter- 
bildern, von Grabbildern (Darstellungen der 
Verstorbenen) und Weihebildern (den Gét- 


tern zugeeignet und in heiligen Bezirken oder _ 


in Schatzhdusern aufgestellt). 


Die antike griechische Kunst 


1. war eine gdttliche Kunst in zweifachem Sinne. Sie 
war den Géttern geweiht und vorbehalten. (Was im 
nichtsakralen Bereich erhalten blieb — FuBbodende- 
kor, winzige Lehmfigiirchen — ist unbedeutend.) Sie 
8: sich aber auch als Darstellung der edlen gottli- 
chen Eigenschaften des Menschen auffassen. Und 
die Gétter selbst sind als nichts anderes als ideale 
Verkérperungen dieser Eigenschaften zu verstehen. 

2. hat sich von der formstrengen geometrischen Zei- 
chenhaftigkeit mehr und mehr hinentwickelt zur 
Darstellung menschenhafter Figuren. In hellenisti- 
scher Zeit tastete sich die griechische Kunst vor bis 
in die Randzonen der Charakterisierung des Indivi- 
duellen. Dennoch war sie kaum interessiert an der 
Wiedergabe der AuSenweltwirklichkeit. Sie lieB 
vielmehr die wertvollsten Vorstellungen der idealen 
Innenwelt daraus heraustreten und sich in den har- 


12 


ten Materialien der Auenwelt -- in Marmor und 
Bronze — verkérpern. So sollten die Ideen der In- 
nenwelt in der AuRenwelt wirksam werden. 

3. hat Bildungen hervorgebracht, denen ein hoher 
Wirklichkeitswert zugesprochen wurde. Das vorge- 
stellte Darstellungen Hervorbringende verschmolz 
mit dem Dargestellten selbst. So wurden die Bilder 
der Gétter mit Speisen versorgt, an ihren Festtagen 
gebadet und bekleidet. Die Gesichter von Géttern 
und Géttinnen, deren Anblick hatte gefahrlich wer- 
den kénnen, wurden verhiillt. Die Statuen wurden 
aus dem Willen heraus geboren, Ideen in der 4uBe- 
ren Kérperwelt wirksam werden zu lassen, entspre- 
chend der Absicht, die A4uBere Welt mit Ideen bele- 
bend zu durchtranken, ja, durch die Ideen die reale 
Welt neu umzuerschaffen. 


Bilderfeindlichkeit kannte das antike Grie- 
chenland nicht, abgesehen von einer begrenz- 
ten Kritik einiger ntichterner Denker, die 
dann doch eines iibersahen: Dem Denken 
selbst stehen zwei durchaus unterschiedliche 
Méglichkeiten offen sich zu artikulieren — ei- 
nerseits in Worten, andererseits in Bildern. 
Und dann: Der Gewinn neuer Erkenntnisse in 
Bildform muB als unerlaBliche Vorstufe allem 
Gedanklichen, das in Worten gefabt ist, vor- 
ausgehen. So hat die verkérperlichende Ver- 
menschlichung der Gétter es erst mdglich ge- 
macht, ideale menschliche Eigenschaften und 
Verhaltensweisen als géttlich inspiriert zu 
empfinden — was wiederum die Voraussetzung 
war zur Entwicklung ethischer Entscheidungs- 
fahigkeit. 

Die Christen der Verfolgungszeit konnten ei- 
nerseits sehr schlichte Formen der Malerei, so- 
wie einfache Ritzsymbole (Katakombenmale- 
rei) und andererseits eine Sarkophag-Relief- 
kunst, die sich von der zeitgendssischen nicht- 
christlichen Kunst formal, aber auch inhaltlich 
nur wenig abhob. Christliche Themen werden 
zunachst eher angedeutet und vieldeutig um- 
schrieben als dargestellt (+ Christus, - Da- 
vid). Wichtig sind Vorbildereignisse, die ein 
heilvolles Durchschreiten durch den Tod und 
Hinitibergehen in die Welt der Seligen verhei- 
Ben. Dargestellt werden — mdglicherweise auf 
Christus anspielende — Seelengeleiter, die den 
Toten bei seiner Jenseitsreise vor allen Ge- 
fahrdungen bewahren sollen. 

Von der Friedenszeit an beginnt ganz generell 
die Plastik allmahlich in die Flache zurtickzu- 
sinken. Zeichnung und Farbe gewinnt an Be- 


deutung. Zweidimensionale Darstellungen 
werden aus edlem Material, besonders mit 
Mosaiksteinchen, technisch sorgfaltig ausgear- 
beitet (+ Farben). Bilder wie auch Stoffe wer- 
den — nicht zuletzt unter persischem EinfluB — 
einerseits farbiger, andererseits ornamentaler. 
Plastische Ké6rperlichkeit mu8 farbigem 
Leuchten weichen. Die Wande verlieren ihre 
Festigkeit, wirken mit ornamentalem Dekor 
iibersdt wie Vorhinge — und tatsachlich wer- 
den die Kirchenréume auch extensiv mit deko- 
rativen Stoffen geschmiickt. Unsere Vorstel- 
lungen von der Dekoration byzantinischer Kir- 
cheninnenraume ist unvollkommen, weil wir 
ihre Ausschmiickung mit Stoffen nicht ken- 
nen. Nur musivische und gemalte Stoffmuster, 
und Darstellungen von Vorhangen (in der un- 
tersten Zone kappadokischer Hoéhlenkirchen) 
lassen ahnen, wie wichtig Stoffe in der damali- 
gen Zeit genommen wurden: Seide war das 
beliebteste Geschenk, gleichrangig mit Gold 
und Edelgestein. (+ Gewdander). 

Die Bildinhalte waren symbolisch repradsenta- 
tiv, bezogen sich vor allem auf den Kult. Nach 
und nach kamen auch erzéhlende Einzelbilder 
und Bildfolgen auf. 

Die theologischen Sprecher der ersten christli- 
chen Jahrhunderte hatten Bilder scharf abge- 
lehnt (Origines, Tertullian, Eusebios, als Zeit- 
genosse Konstantins sogar noch Epiphanius). 
Ma8gebend dafiir war einerseits das Verbot, 
Gott darzustellen (im Alten Testament), ande- 
rerseits ihre Gegenposition zu der antiken 
Gétterbild-Anbetung (Idolatrie), dariiber hin- 
aus auch ein Hang zu einer »reinen entsinn- 
lichten Geistigkeit«. Die einfachen Glaubigen 
hatten sich demgegeniiber immer an Bilder ge- 
halten. Ende des 4.Jh‘s erhielten sie Unter- 
stiitzung von den groBen Kappadokiern (> 
Kirchenvater, —> bilderfeindliche Ornamen- 
te), die in ihrer menschenfreundlichen Tole- 
ranz griechische Bildung als durchaus verein- 
bar mit christlicher Gesinnung betrachteten. 


Da8 sich auch bei den Bilderfreunden das vollplasti- 
sche religidse Bildwerk niemals durchgesetzt hat, ist 
jedoch nicht nur als Reaktion auf die vollplastische 
griechische Bilderwelt, deren Zeugnisse damals 
noch tiberall zu sehen waren, anzusehen: Wahrend 
die Griechen der klassischen und hellenistischen 
Zeit die AuRenwelt mit Hilfe ihrer steingewordenen 
Ideen auf ideale Weise verbesserten, ihre Innenwelt 


Der Bildkosmos der byzantinischen Kirche 


kampferisch der AuBenwelt gegeniiberstellten, ga- 
ben die friihchristlichen und byzantinischen Grie- 
chen ihrer Innenwelt zwar auch eine 4uBere Gestalt, 
setzten sie aber zugleich radikal von der AuBenwelt 
ab. Ihre gesamte Vorstellung von Gott und der Welt 
bildeten sie modellhaft im bildgeschmiickten [ir- 
chenraum ab. Es ging den Byzantinern darum, die 
Innenwelt im Innenraum als tiberhéhte und »wirk- 
lichere« Wirklichkeit der AuRenwelt gegentiberzu- 
stellen. Im kirchlichen Innenraum beginnt schon 
jetzt die Vergéttlichung der Welt (genau wie in der 
kultischen Handlung, --Ὁ Eucharistie), die am Ende 
der Tage auf die gesamte Welt tibergreifen wird. 


Doch zunachst konnte sich auch das flachige 
Bild nicht vdllig durchsetzen. Der bilder- 
freundlichen volkstiimlichen Tradition stand 
eine bilderfeindliche héfische Tradition gegen- 
tiber. 726 erhob Leon III., ein aus Kleinasien 
stammender Kaiser, die Bekampfung der Bil- 
der und ihrer Freunde zum Programm. Erst 
842 gelang es den Bilderfreunden, die Ober- 
hand zu gewinnen; vereinzelt hielten sich iko- 
noklastische Str6mungen noch bis gegen 900 
(> Bild, — bilderfeindliche Ornamente). 

Die Theologie der Ostkirche hat sich heraus- 
gebildet in der Auseinandersetzung mit abwei- 
chenden Meinungen (Haresien). So waren es 
letztlich die Ikonoklasten, die die Orthodoxie 
zur Ausbildung ihrer ausformulierten Bild- 
theologie (— Bild) veranlaBten: Weil Gott als 
Jesus Christus sichtbarer Mensch wurde, darf 
er, ja mu er abgebildet werden. Wie das Evan- 
gelium, verkiindet auch das Bild die Mensch- 
werdung Christi. 

Im 9. und 10. Jh. werden vor allem Ereignisse 
aus den Evangelien in erzahlender Folge in 
Bildzeilen dargestellt. Um 1000 erreicht der 
Kreuzkuppelkirchenbau seine héchste Voll- 
kommenheit als Architektur mit abbildendem 
Charakter: Jetzt ist sie ein perfektes Modell- 
bild des Kosmos. Gleichzeitig entwickeln sich 
neuartige Bildzyklen, die jetzt den Ablauf des 
Kirchenjahres illustrieren (Dodekaorthon, --ὸ 
Festkalender). Der Jahreskreis wird als Bild- 
kalender in das Kosmosmodell eingebunden. 
Der Kirchenraum reprisentiert so géttlich 
durchwirkten Allraum und gleichzeitig géttlich 
durchwirkte Zeit. 

Die Teilnehmer des sogenannten 4. Kreuzzu- 
ges eroberten 1204 Konstantinopel, mordeten 
und brandschatzten, pliinderten und zerstér- 


13 


Der Bildkosmos der byzantinischen Kirche 


ten mutwillig Ikonen. Sie zerstiickelten das by- 
zantinische Reich und betrachteten die einzel- 
nen Teile als ihre Beute. 1261 gelang es dem 
Geschlecht der Paldologen, die Stadt zurtick- 
zugewinnen. In spatbyzantinischer Zeit war 
das byzantinische Reich zwar nur ein politisch 
geschwichtes Restreich, gab aber erstaunli- 
cherweise dennoch fruchtbaren Boden fiir die 
Bliite der religidsen Kunst her. Man experi- 
mentierte mit lebhaft bewegten Figuren- und 
Farbkombinationen. Neue Bildmotive ent- 
standen, die die geistige Seite des liturgischen 
Geschehens darstellten (himmlische — Litur- 
gie, > Eucharistie). Die verstérkte Hinwen- 
dung zur idealen Welt des Gottlichen, Innen- 
welt und Uberwelt zugleich, in dieser Zeit, 
war es wohl, die es der Kunst ermédglichte, 
weitgehend unbeeintrachtigt von den duBeren 
miBlichen Gegebenheiten zu bleiben. 

Nach dem Fall der Hauptstadt 1453 und dem 
Untergang der letzten Bastion, dem Despotat 
von Mistra auf der Peloponnes, lebte die nach- 
byzantinische Kunst als Wandmalerei weiter in 
der Ausgestaltung der Kléster (Athos, Meteo- 
.ra) sowie in der Ikonenmalerei (Kreta 16. Jh., 
RuBland, naive rumanische Ikonen und Hin- 
terglasbilder des 17. bis 19.Jh.s, naive griechi- 
sche Ikonen des 18., 19. und 20. Jh.s). 


Ftir die Griechen, fiir die die kaiserliche Hierarchie 
eine Art von Spiegelung der himmlischen Hierar- 
chie gewesen war, war es eine neue Erfahrung, ohne 
einen christlichen Herrscher und im wesentlichen 
auch ohne eine christliche Fiihrungsschicht auskom- 
men zu miissen. Religion und Kultur der ttirkischen 
Herrenschicht waren und blieben fremd. Unter der 
abschirmenden Glasglocke der Tourkokratia waren 
die orthodoxe Kirche — jetzt abgeschnitten von jeder 
Verbindung mit der héfischen Kultur — und die 
landliche Bevélkerung auf sich gestellt und aufein- 
ander angewiesen. Dies fiihrte schlieBlich zu einer 
innigen Verbindung von Volksbrauchtum und or- 
thodoxem kirchlichem Leben. Heutzutage ist es 
nicht immer so leicht zu unterschéiden, wo der 
kirchliche Kultus aufhért und das volksttimliche 
Brauchtum beginnt. 


»Leuchte kleiner Mond, Du heller, 
leucht mir, da8 ich eile schneller, 
da8 ich rasch zur Schule komm, 
um zu lernen brav und fromm, 

daB ich lern das ABC, 

und Gottes Willen so versteh.« 


Kinderlied aus der Zeit der Tourkokratia 


14 


Griechentum und Christentum lebten weiter 
in der griechischen Sprache. DaB die Kinder 
lesen und schreiben lernten, wurde von den 
Tiirken nicht gerne gesehen, oft auch streng- 
stens untersagt. In kleinen Hauskapellen, die 
man in die Gehdéfte einbaute, brachten Prie- 
ster und Ménche den Kleinen heimlich das 
griechische ABC bei. 

Heute noch werden von Privatleuten schlichte 
Kirchlein mit naiven Ikonen — aus Dankbar- 
keit oder in Erfiillung eines Geltibdes -- ge- 
stiftet. 

Der entscheidende kulturelle Gegensatz zwi- 
schen Griechen und Osmanen besteht darin, 
da fiir die Orthodoxen das religidse Bild 
Grundlage ihres Glaubens und Basis der 
christlichen Verkiindigung ist, wahrend die 
Muslims Bilder — ganz besonders religiése Bil- 
der zumindestens in der Theorie scharf ab- 
lehnen. 

Und dennoch hat die byzantinische Kunst un- 
tibersehbare Auswirkungen auf die Kultur de- 
rer gehabt, die das byzantinische Reich zer- 
st6rten. 

In Istanbul und im nahen Edirne (Adrianopoulis) 
entstanden im 14., 15. und 16.Jh. die gewaltigen 
kuppeliiberwélbten Moscheen, die als eine Ausein- 
andersetzung mit dem Vorbild Ajia Sophia zu be- 
greifen sind. Es ist schon interessant, da8 dieser ge- 
waltige justinianische Bau des 6.Jh.s in byzantini- 
scher Zeit keine direkten Nachfolgebauten ausge- 
lést hat, wahrend er fiir die Tiirken ein standiger 
Ansporn wurde, seine Grundkonzeption in Formen 
umzugieBen, die sich fiir den islamischen Kult eig- 
neten. Wichtig war es fiir sie, das byzantinische 
Langsbaukonzept mit der geosteten Apsisnische 
durch ein Breitbaukonzept mit einer nach Mekka 
ausgerichteten Gebetsnische an der siidéstlichen 
Breitseite zu ersetzen. 

Mehmed 11. Fatih (der Eroberer, 1451-81) hat 
noch am Tag der Einnahme Konstantinopels 
die erhabenste Kirche der Christenheit zur 
Moschee umgewandelt. Er und die ihm folgen- 
den Sultane haben alles getan, um das Bau- 
werk zu erhalten und es im islamischen Sinne 
weiter auszubauen. Am Schicksal der Kirche © 
wird einerseits der historische Bruch, anderer- 
seits aber auch die Kontinuitét an der Naht- 
stelle zwischen spatbyzantinischem Reich und 
dem osmanischen GrofBreich deutlich: Meh- 


ΜΝ 


med_hatte alle, transportablen Ikonen und 


Bildwerke sofort entfernen lasseri:7Er-sorgté~ 


Der Bildkosmos der byzantinischen Kirche 


fiir die Errichtung eines Minaretts, damit der 
Muezzin seine Gebetsrufe fiinfmal am Tag 
iiber die Stadt erschallen lassen konnte. Die 
iibrigen drei Minarette fiigten andere Sultane 
hinzu. 


Orientierung nach dem Osten 


‘ ,Weil nun Gott das geistige Licht ist-und Chri- 
‘stus in der heiligen Hymne Licht und Osten 
genannt wird, so sollte man sich zur Anbetung 
nach Osten wenden.« Johannes Damaszenus, 
- Glaubenslehre 


Die Kirchen des Ostens sind — seit dem 6. Jh. 
im Regelfalle -- nach Osten hin ausgerichtet. 
Die Anbetenden wenden ihr Gesicht gen Son- 
nenaufgang. (Das deutsche Wort »Ost« ent- 
stammt der gleichen Wurzel wie das griechi- 
sche »Eos« = Morgenrote.) Diese Ostung in 
Verbindung mit der Vorstellung, dafi alles, 
was Licht ist, aus dem Osten stammt, ist das 
Symbol des christlichen Ostens schlechthin, 
gleichzeitig auch eines der eindringlichsten 
Beispiele fiir symbolisches Denken. 


Ein Symbol, ein Bild, ein Bildzeichen, ein sinnbild- 
lich gedeuteter Gegenstand, eine bildhafte Formu- 
lierung oder ein Ritus, weist iiber seinen blofen 
Darstellungsinhalt hinaus auf etwas hin, was we- 
sentlich bedeutsamer ist als es selbst. Gleichgiltig, 
ob der Zusammenhang zwischen dem Symbol und 
dem Symbolisierten direkt erfaBt werden oder aber 
nur tiber einen Lernproze8 einsichtig werden kann — 
in jedem Fall wird er bewu8t oder auch unbewuBt 
als sinnfallig erfahren. Das Symbol ist sozusagen der 
unscheinbare, aber sichtbare Henkel eines pracht- 
vollen aber unsichtbaren, mit bedeutsamem ideel- 
lem Inhalt gefiillten GefaBes, der die Mauer des Un- 
wahrnehmbaren durchst6Bt. Im antiken Griechen- 
land war das Symbolon (= das Zusammengeworfe- 
ne, das Kennzeichen, das abgebrochene Stiick) ein 
abgebrochenes Teil — etwa der Henkel eines Kruges 
oder das Stiickchen eines Ringes. Der Besitzer 
konnte seine Identitét dadurch beweisen, daB er 
dies Teil paBgenau ins Ganze einfiigte. Fiir uns ist 
das Symbol eine Handhabe aus dem Bereich des 
Bilddenkens, mit deren Hilfe das Symbolisierte, das 
der Welt des Begriffsdenkens angehért, erfaSbar 
und begreifbar wird. 


Die Ostung der Kirchen, das Beten in Rich- 
tung Osten, die Anordnung der Hausikonen in 
der Ostecke oder an der Ostwand -- das sind 


einfache 4uRere Anzeichen fiir ein komplizier- 
tes Gefiige von Vorstellungen: 


wy Das Paradies liegt im Osten. 

ἦγ Das endzeitliche himmlische Jerusalem, als das 
wiederkehrende Paradies, wird im Osten erstehen. 
vy Der Christusglaube hat sich von Osten her in 
Richtung Griechenland verbreitet. 

tr Die géttliche Ausstrahlung Christi ist so gewal- 
tig, daB man sie nur mit der Sonne, besonders der 
aufgehenden Sonne, vergleichen kann. 

wr Die Auferstehung Christi (~ Ostern) ist wie ein 
Sonnenaufgang nach dunkler Nacht. Wahrend der 
Nacht durchquert nach antiker Vorstellung die Son- 
ne die Unterwelt — den Hades --, in die Christus 
sonnengleich nach seiner Grablegung hinabgestie- 
gen ist. 

ve Sonnenhaft ist Christus im Innenraum der Kir- 
che anwesend, als Lichtkreuz in der friihchristlichen 
Periode (in der Apsis, an der Decke oder Kuppel), 
als zugleich zum Himmel auffahrender und von dort 
Wiederkehrender, in den Gewélben oder Kuppeln 
der friihbyzantinischen Zeit (> Himmelfahrt), als 
sonnenhaft Strahlender (— Pantokrator) von der 
mittelbyzantinischen Epoche an. 


Auf griechisch heift »Sonnenaufgang« und zu- 
gleich auch Osten »Anatoli« (lat. »Oriens« — 
davon ist »Orientierung« abgeleitet). Von 
Griechenland und Konstantinopel aus war 
Anatolien das Ostland. Tatsdchlich war das bis 
ins 11.Jh. hinein byzantinisch beherrschte 
Hochland Kleinasiens das Kerngebiet ost- 
kirchlicher Fro6mmigkeit. Von dorther kamen 
und dort wirkten im 4.Jh. bereits kurz nach 
dem Tode Konstantins die groBen — Kirchen- 
vater Gregor der Theologe und Gregor von 
Nyssa, insbesondere aber — Basilios, der Be- 
griinder des griechischen Ménchtumes. So ent- 
wickelte sich in Anatolien, insbesondere in 
Kappadokien, eine eigensténdige m6nchische 
Kunstprovinz. Mit ihrer volkstiimlichen 
Schlichtheit und Naivitét bildet die Malerei 
der kappadokischen Hohlenkirchen einen in- 
teressanten Gegensatz zur Prunkentfaltung 
der kaiserlichen Kunst Konstantinopels. 


Glaubens- und Kunsttendenzen 
der Ostkirche 


Eine evangelische Theologiestudentin fragte 
einen griechischen Geistlichen: »Wieso sind 
die Gewander und Bilder in der orthodoxen 


15 


Der Bildkosmos der byzantinischen Kirche 


Kirche so prunkvoll? Wo bleibt da die christli- 
che Armut und Schlichtheit?« 

Eine Griechin zu Besuch in Hamburg verlieB 
vollig entsetzt eine protestantische Kirche: 
»Das ist da drinnen so kahl, so traurig. Da 
kann man doch gar keine Freude empfinden!« 
Doch auch die pralle Leiblichkeit siiddeut- 
scher spatbarocker Figuren hat sie erschreckt: 
»Das sind doch keine Heiligen! Das sind doch 
Puppen!« 

1054 hatten papstliche Legaten eine Bannbulle 
gegen den Patriarchen von Konstantinopel auf 
den Altar der Ajia Sophia gelegt und damit 
den bereits viel frither entstandenen Rif zwi- 
schen Ost und West zum Bruch vergréfert. 
Ganz zweifellos bestehen in Glaubenstiberzeu- 
gung und Ritus gewichtige Unterschiede zwi- 
schen der orthodoxen und der rémisch-katho- 
lischen Kirche. Meist sind sie bedingt durch 
die besonders sorgfaltig durchdachten Vorstel- 
lungen, die sich in der Kirche des Ostens vom 
Wirken des Heiligen Geistes entwickelt ha- 
ben. 


Die orthodoxe Kirche 


vv lehnt den Primat des Papstes ab. Ihr Oberhaupt 
ist Christus selbst. Die > Patriarchen, die den selb- 
standigen Kirchen in den verschiedenen Landern 
vorstehen, sind alle gleichberechtigt. Vor der Tren- 
nung galt der rémische Stuhl als ein Patriarchat, wie 
alle anderen auch — lediglich ausgestattet mit einem 
gewissen zeremoniellen Ehrenvorrecht. 

vr lehnt den Anspruch des Papstes auf Unfehlbar- 
keit ab. Die kann nur Christus selbst zukommen. 
Der Heilige Geist wirkt in den 6kumenischen Kon- 
zilien als den Véersammlungen der Gesamtheit der 
Kirche, so wie er an—> Pfingsten in der Apostelver- 
sammilung in Jerusalem wirkte. Kein Patriarch oder 
sonstiger Kirchenoberer kann alleine fiir sich ein 
neues Dogma einfiihren. So lange kein neues 6ku- 
menisches Konzil zustande kommt — das letzte fand 
vor dem Bruch 787 in Nizda statt —, ist es daher auch 
nicht méglich, in der Dogmatik irgend etwas zu ver- 
andern oder zu erganzen. 

ve empfindet eine im Abendland vollzogene eigen- 
miachtige Einfiigung ins Glaubensbekenntnis, der 
zufolge der Heilige Geist nicht nur vom Vater, son- 
dern auch vom Sohne ausginge (sog. Filioque- 
Streit!), als eine Gefaéhrdung der Gleichrangigkeit 
der drei in der Trinitét vereinigten géttlichen Per- 
sonen. 

yr lehnt die Lehre, daB die Mutter Marias ihr Kind 
»unbefleckt« empfangen habe, ab und folgerichti- 
gerweise auch das Dogma der leiblichen Aufnahme 


16 


Marias in den Himmel. Das hat Folgen fiir die Dar- 
stellungen der Geschehnisse um die Gottesmutter 
gehabt (-» Heimholung Maria). Nach orthodoxer 
Vorstellung wurde Maria von aller Siindhaftigkeit 
dadurch gereinigt, daB sie wahrend der —> Verktin- 
digung von der Kraft des Heiligen Geistes beschirmt 
wurde. 

z# kennt kein Fegefeuer. 

ye lehnt die Lehre von den iiberschiissigen guten 
Werken der Heiligen, die den Siindern zugute kom- 
men, ab. 

wy spendet das Abendmahl in beiderlei Gestalt. 
Wie im Abendland bis zum 9.Jh. wird gesduertes 
Brot verwendet, keine Oblate. Die Verwandlung in 
Leib und Blut Christi wird dabei als Gnadenwunder 
des Heiligen Geistes erfleht und nicht kraft einer 
dem Priester verlichenen Wandlungsvollmacht voll- 
zogen. 

x besteht bei der Taufe auf dem dreimaligen Un- 
tertauchen, einem urspriinglich auch im Westen ver- 
breiteten Brauch, der die drei Tage, die Christus im 
Grab lag, symbolisiert. 

vy legt Wert darauf, da8 die Myronsalbung még- 
lichst unmittelbar nach der Taufe vollzogen wird. 

vx berechnet den Ostertermin (> Ostern) anders 
als die Westkirchen. 

x lehnt die Zwangsehelosigkeit der Priester ab. 


Doch viel bedeutsamer als dies alles sind die 
Besonderheiten der orthodoxen Geistigkeit 
und Frémmigkeit, die sich sowohl im Drama 
der Liturgie als auch in der Ideen-Wirklichkeit 
der Bilder spiegeln. 


Die ostkirchliche Kunst akzentuiert 


xy das eucharistische Element. 

Weil das Abendmahl das absolute Zentrum der Li- 
turgie ist, durchdringt ganz folgerichtig das Thema 
— Eucharistie vom 5.Jh. an in sich standig verstar- 
kendem Ausmafe die Ausgestaltung des kirchlichen 
Innenraumes. 

Gelegentlich wird tibersehen, daB die Eucharistic 
die Antwort anbietet auf folgende existentielle 
Grundfrage: 

Wie ist das Verhaltnis von mir, als einzelnem, zur 
Gemeinschaft, die mich umgibt, und dariiber hinaus 
zu meiner gesamten Umwelt? Inwieweit kann ich 
mich von ihr abgrenzen, inwieweit vermag ich mit 
ihr zu verschmelzen? Die verschiedenen Kulturen 
bieten fiir die Beantwortung dieser Frage unter- 
schiedlichste Lésungen an. Die westliche Zivilisa- 
tion umspielt das Problem mit Hilfe der »Kommuni- 
kation«, wobei sie sich vorzugsweise — wie nicht an- 
ders zu erwarten — apparativer Mittel bedient. 

Das ostkirchliche Angebot, eine innige Verbunden- 
heit des Einzelnen einerseits mit Gott und anderer- 


seits mit der Gesamtheit des Kosmos, mit allen Le- 
benden und allen Verstorbenen, zu gewiahrleisten, 
ist die Feier der »heiligen Teilnahmee (i ajia metalip- 
sis), die auch bezeichnet wird als »die géttliche Ge- 
meinschaft« (i kinonia), was im Lateinischen dem 
Wort »Kommunion« entspricht. Die Grenzen zwi- 
schen dem »Ich« des Menschen und der von Gétt- 
lichkeit durchstrahlten Welt lésen sich in der Eucha- 
ristie auf. Die eucharistisch rituell erfillte Sehn- 
sucht nach Eingebundensein des einen in die Ge- 
samtheit alles anderen driickt sich auch in der die 
Details zusammenfiigenden und verbindenden 
Grundstruktur der meisten byzantinischen — Orna- 
mente aus. 

yr das kosmologische Element. 

Westliche Geistigkeit ist vor allem an der Zeit (Be- 
ginn und Ende der Geschichte), dstliche hingegen 
am Raum (Kosmos) interessiert. Das wird bereits in 
der Architektur des Kirchenraumes anschaulich 
sichtbar. Im Westen wird die Langserstreckung der 
Kathedrale gegliedert durch eine Pfeiler- oder Sau- 
lenallee, so wie die Zeit gegliedert wird durch Tage 
und Stunden. So etwas entspricht dem Lauf der Ge- 
schichte, die einmal — wie es der ChorabschluB ver- 
sinnbildlicht — ihr Ende erfahren wird. Im Osten 
finden wir hingegen vorzugsweise Zentralbauten, 
die als »Kosmogramme« zu verstehen sind (> Kir- 
chengebaude). 

Natiirlich versinnbildlicht auch die westliche Archi- 
tektur zusatzlich noch den Raum, wie auch die Kir- 
che des Ostens den Zeitablauf kennt — insbesondere 
im Drama der Liturgie. Aber dieser Zeitablauf stellt 
sich innerhalb der Orthodoxie letztlich dar als eine 
Vergegenwartigung von friiherer Heilsgeschichte 
und zukiinftiger Heilserwartung zugleich. Mit ande- 
ren Worten: Die Westkirchen stellen die Eschatolo- 
gie (Aufhebung der Zeit durch Gottes Ewigkeit), 
die Ostkirche die Kosmologie (Vergéttlichung der 
Welt) in den Vordergrund. 

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang: In der 
abendlandischen Kunst werden die Zeitstile beson- 
ders wichtig — die Verinderungen, die die Kunst von 
Zeitepoche zu Zeitepoche erfaéhrt. Demgegentiber 
treten innerhalb des byzantinischen Reiches die Un- 
terschiede in den Stilen der einzelnen Regionen be- 
sonders deutlich hervor. 

w das Element der Sonnenhaften und die Licht- 
symbolik,’ 

Der Goldgrund symbolisiert das Licht schlechthin. 
(Naheres —> »Orientierung nach dem Osten«, sowie 
Stichworte —-> Ostern, — Pantokrator.) 

Ww die Schau des Géttlichen (Theoria). 

Der Betonung des Lichtes, das schlieBlich die Vor- 
aussetzung fiir das Sehen bildet, entspricht die Be- 
deutung, die dem Gesichtssinn zugesprochen wird. 
Wahrend sich insbesondere die protestantische Kir- 


Der Bildkosmos der byzantinischen Kirche 


che, als Folge der unscharfen Ubersetzung von »Lo- 
gos« mit »Wort« zur Kirche des Redens und Hérens 
entwickelt hat, leitet die byzantinische Kirche dar- 
aus, daB& (nach Joh. 1, 14) dieser Logos »Fleisch 
wurde«, sich also anschaubar und anschaulich ver- 
k6rperlichte, und daB er, der Logos, als Licht in der 
Finsternis schien, wichtige Folgerungen ab: 

Die Menschen diirfen Gott schauen -- die der altte- 
stamentlichen Zeit zwar nur als Symbol (—> Schat- 
ten), die der neutestamentlichen Zeit als Bild, denn 
Christus ist das Bild Gottes, und schlieBlich die erlé- 
sten Menschen dereinst direkt von Angesicht zu An- 
gesicht. Die Mystiker bereiten sich in diesem Leben 
bereits auf die Schau Gottes vor, die vielen von ih- 
nen als ekstatisches Erlebnis gewahrt wird (> Ver- 
kldrung). 

Weil der Logos einerseits dem Lichte gleicht und 
andererseits sichtbar geworden ist, sind die Ikonen 
und die abbildhaften Riten der Liturgie Verkiindi- 
gung, die durchs Auge ins Innere des Menschen ge- 
langen, durchaus gleichwertig den Evangelienlesun- 
gen und Psalmodien, die durchs Ohr eindringen. 
Letztlich werden in die Anbetung und die Verkiin- 
digung der byzantinischen Kirche alle Sinne einbe- 
zogen — die Nase durch Weihrauch-, durch Kerzen- 
und Blitenduft, die Zunge durch die -> Eucharistie 
und nicht zuletzt auch durch die Eulogia-Gaben -- 
sprich Ewlojia —- (—> Brot), der Tastsinn durch den 
— Κυβ, der den Ikonen oder den Reliquien oder 
auch den Mitmenschen gilt. 

yw der »Vor-Bild-Charakter« der biblischen Gestal- 
ten. 

Insbesondere fiir die evangelische Kirche ist das 
Wichtige an den biblischen Gestalten, das was sie 
sagen. Die Worte innerhalb des Wortes Gottes sind 
entscheidend und werden in Form von Worten im 
Wortgottesdienst weitergegeben. Fiir den Orthodo- 
xen hingegen ist das Tun und Wirken der biblischen 
Gestalten als Vorbild fiir sein eigenes Verhalten von 
gr6Rter Bedeutung. Das gilt etwa fiir das Damas- 
kus-Erlebnis des Apostels Paulus — oder auch fiir 
sein Verziicktwerden bis in den dritten Himmel. 
Und es ist eben auch das Vor-Bild-hafte der Bibel, 
das nachgebildet wird in der orthodoxen Bilderwelt 
und nachgestaltet im bildhaften Ritus, der allerdings 
auch das Wort mit umfaBt. 


“Die Bildprogramme 
orthodoxer Innenraume 
Die Bilder werden alle zunichst hinsichtlich 
ibres Darstellungsinhaltes — also ikonogra- 


phisch — beschrieben. Wo immer médglich, 
wird dartiber hinaus der eigentliche symboli- 


17 


Der Bildkosmos der byzantinischen Kirche 


sche Bedeutungsinhalt untersucht — im Sinne 
einer umfassenden ikonologischen Interpreta- 
tion. Gerade bei den Wandbildern reicht je- 
doch alles deshalb nicht aus, weil diese im Zu- 


An den Apsiswinden 


sammenhang mit ihrer Position im gesamten Apostel 

Bildprogramm der Kirche gesehen werden eer 
miissen. Den Programmen selbst liegen mehr patriots 
oder weniger unterschiedliche theologische ἕο ΕΝ 
Konzeptionen zugrunde. medaillons 


Auf den folgenden Seiten werden vier ver- 
schiedene Bildprogramme aus zu unterschied- 
lichen Zeiten entstandenen Kirchen vorge- 
stellt. Alle sind durchaus charakteristisch fir 
die byzantinische Kunst, erméglichen auch in- 
soweit eine Orientierung tiber Bildmotive, als 
sie dartiber informieren, welches Motiv etwa 
an welcher Stelle im Kirchenraum zu erwarten 
ist. Allerdings: Byzantinische Kirchen sind In- 
dividuen. Das gilt auch fiir ihre Programme. 
Man wird kaum jemals zwei finden, die haar- 
genau iibereinstimmen. 


Die Plane: Sie sind ausgebildet als perspektivi- 
‘ sche Einblicke von oben -her in den Kirchen- 
raum. Die Gewélbezonen tiberkuppelter oder 
eingewolbter Kirchen erscheinen als Projek- 
tionen auf den Boden (in besonders diinner 
Strichstarke). 


Plan A 


Eustathios Kirche (auch Eustachius-Kirche), G6re- 
me. Kleine, aus dem Felsen herausgehohlte Kirche, 
tonnentiberwélbt, mit Fresken (um 970 und um 
1149). Schwerpunkt des Bildprogramms, gemaB 4l- 
teren Traditionen, ist eine erzahlende Szenenfolge, 
in diesem Fall die Kindheitsgeschichte nach dem 
Protevangelium (— Marienzyklus) einschlieBlich ei- 
ner breit ausgemalten Darstellung der Geburt Chri- 
sti. In der Scheitellinie des Gewélbes Medaillons 
mit Propheten, die Christus weissagten. Die von 
links nach rechts in Leserichtung spiralig von oben 
nach unten ablaufende Szenenfolge beginnt neben 
der Apsis im Osten der Stidwand, oberer Streifen, 
setzt sich in der Westliinette und dann im Westen 
der Nordwand oben fort, greift im Osten in den 
unteren Streifen der Siidwand tiber, setzt sich dann 
unten in der Nordwand fort, findet dort im Osten 
neben der Apsis ihren AbschluB. 

In der Apsis unten sind neben Johannes dem Taufer 
noch Apostel erkennbar, weitere Apostel und Heili- 
ge besetzen die Nordwand. 


18 


5 ᾿ 
ὦ ΞΕ ΕἾ 
ὦ τῷ ἕ 
(X) So ὦ 
Bd νυ ὦ 
= a te υ 
ἕξ ΕἸ ᾧ ἐΐ ἐξ 
Ω δ΄ - 
ΞΞ “πὶ @ ΕΞ gE 
7 &) 
ao 
pk oo 8 fe as 
eee ΞΕ £8 88Ε 
Ξε Ba 63 55 se 


Plan A 


Plan B 


Klosterkirche Panajia tis Kimesis tou Theotokou in 
Daphni bei Athen (vor 1100 -- oder Anfang 
12, Jh.?). Kreuzkuppelkirche nach dem Acht-Stit- 
zen-System, Gewdlbezone und Hochwande in 
Goldmosaik, tiefergelegene Wandteile mit Marmor- 
inkrustation, sowie Fresken aus dem 17.Jh. Straffes 
Bildprogramm mit zwei Blickachsen. Im Haupt- 
raum, einschlieBlich Kreuzarme und Innennarthex, 
sind die 13 Feste des Dodekaorthon (— Festtagska- 
lender) dargestellt. (Abweichungen vom Normalzy-' 
klus: Kreuzeserhdhung und Himmelfahrt fehlen, 
Unglaubiger Thomas und Lazarus sind hinzuge- 
fiigt.) Die Szenenabfolge, entsprechend dem Kir- 
chenjahr (und gleichzeitig der irdischen Lebensge- 
schichte Christi) beginnt oben an der Ostwand im 
nordlichen Kreuzarm, zieht sich iiber die beiden dst- 
lichen Trompen zur oberen Bildleiste erst der Ost-, 


Der Bildkosmos der byzantinischen Kirche 


Mutter- 
gottes 


Verkiindi- 
gung 
Maria 


16 Propheten 


Pantokrator 


3 


Abendmahl ΓΑ. Maria im Tempel 


FuB- 
waschung 


Joachim und Anna 


19 


Der Bildkosmos der byzantinischen Kirche 


dann der Westwand im siidlichen Kreuzarm, weiter 
fiber die beiden westlichen Trompen zum oberen 
Streifen der Westwand des nérdlichen Kreuzarmes. 
Von da springt die Abfolge zum unteren Bildstrei- 
fen, weiter zur Ostwand des Nordkreuzarms, zur 
Ostwand des Siidkreuzarms, zur Westwand des Stid- 
kreuzarms und schlieBlich zur Westwand der inne- 
ren Vorhalle (Heimholung). 


ἦς Die erste Blickachse (Christusachse) verladuft 
senkrecht von oben nach unten. Oberste Zone: Zo- 
ne der géttlichen Natur Christi. Kuppel mit Christus 
Pantokrator als dem wahren Licht der Welt, um- 
ringt im Tambour von 16 Propheten zwischen 16 
Fenstern (noch erkennbar Moses, David, Jesaia, Sa- 
lomon, Elias, Elisas, Jonas, Habakuk, Zephania, 
Maleachi, Joel, Zacharia, Ezechiel, Jeremias). 
Mittlere Zone: Zone der Erscheinung des géttlichen 
Lichtes in der Welt. Trompengewélbe als Ubergang 
vom Rund der Kuppel (Symbol des Himmels) zum 
Quadrat bzw. Kreuz des Naos (Symbol der Erde). 
Dargestellt sind vier Ereignisse aus dem Leben 
Christi, bei dem seine Géttlichkeit offenbar wird 
(Darstellungen von Epiphanien, Einstrahlungen des 
gottlichen Lichts bis in die Welt). 

Darunterliegende Zone: Zone der menschlichen 
Natur Christi. Hochwande der seitlichen Kreuzarme 
mit Festtagsszenen, die sich alle auf den Erdenwan- 
del Jesu beziehen. Wichtige ergdénzende Passions- 
szenen, die keinen Platz mehr zwischen den Fest- 
tagsbildern fanden, wurden ausgelagert in den lin- 
ken Teil der 4u8eren Vorhalle. 


vv Die zweite Blickachse (Marienachse) verlauft 
von Osten nach Westen. In der Halbkuppel der Ap- 
sis die Mutter Gottes. Sie wird flankiert von Michael 
und Gabriel (> Maria zwischen Engeln). Die apsis- 
nahen Osttrompen sowie die oberen Streifen der 
6stlichen Querschiffswande sind mit Szenen besetzt, 
die gleichzeitig christologischen und mariologischen 
Charakter haben. Die Szene der Darstellung Christi 
im Tempel oben an der Westwand des stidlichen 
Kreuzarmes leitet iiber zu den drei dem Protevange- 
lium entnommenen Marienszenen im Stiden der au- 
Reren Vorhalle. Die der Apsiswélbung gegentiber- 
liegende Westwand des inneren Narthex ist der 
Heimholung Maria vorbehalten. 


In den Gurtbogen der Gewdlbe und den kleinen 
Wandflachen sind folgende, im Plan nicht beriick- 
sichtigte Heilige dargestellt: Prowos, Tarachos, An- 
dronikos, Samonas, Gurias, Sergios, Bakchos, 
Akynthinos, Auxentios, Ewgenios, Mardarios, Ore- 
stios. In der Prothesis ist Johannes der Taufer, um- 
geben von den alttestamentlichen Priestern Aron 
und Zacharias, von den Bischéfen sind Silvester und 
Anthimos, von den Diakonen Stephanos und Rufi- 
nos, dargestellt. Im Diakonikon gesellen sich zu Ni- 


20 


kolaos Gregor der Wundertater, Gregor von Agri- 
gent, Elephterios, Aberkus, sowie die Diakone 
Lawrentius und Ewplos. (Mittelbyz. Goldmosaik- 
darstellungen auch in Osios Lukas, Anfang des 
11. Jh.s; Nea Moni Chios, Mitte des 11. Jh.s.) 


Plan C 


Elmali Kilise (Apfelkirche), Géreme, Kappadokien 
(vermutlich um 1200). Der aus dem Felsen heraus- 
gemei®elte Raum in Kreuzkuppelform ist mit Fres- 
ken ausgestattet. Dem Bildprogramm nach zu urtei- 
len diirfte der urspriingliche Name 

»Kirche zu den Erzengeln« (Archangeli) 

gewesen sein. 

Der Programmaufbau ist dreizonig, wobei an man- 
chen Stellen eine thematische Verbindung zwischen 
der Mittelzone (obere Wandzone) und der Gewél- 
bezone besteht. 

Oberste Gewélbezone: 9 Flachkuppeln tiber Pen- 
dantifs (Eckzwickel) durch Gurtbogen voneinander 
getrennt. In der groBen Mittelkuppel der Pantokra- 
tor. Das Kreuzmotiv seines Nimbus wird von 
Schmuckfeldern, die ihn umgeben, nochmals aufge- 
griffen und setzt sich auch in der Architektur, die 
die Kreuzform betont, fort. (Die vier Eckkuppeln 
liegen niedriger als die Mittelkuppel und die vier die 
Kreuzarme betonenden Kuppeln.) In den Pendan- 
tifs um den Pantokrator herum die vier Evangeli- 
sten. Auf den vier die Hauptkuppel tragenden, sau- 
lengestiitzten Gurtbogen acht Propheten (demge- 
gentiber werden auf den restlichen Gurtbogen meist 
weniger bekannte Heilige dargestellt). Von den ver- 
bleibenden 8 Kuppeln sind 6 mit den Brustbildern 
von Erzengeln besetzt, eine iiber der Mitte der 
Westwand mit dem von Engeln gen Himmel getra- 
gene Christus (iiber den zurtickbleibenden Apo- 
steln), und eine von Engeln, die die aus der Mittel- 
zone heraufragende Kreuzigung umschweben. Es 
geht hier um Christus als den Herrn der himmli- 
schen Heerscharen. Mittelzone: Sie besteht aus den 
oberen Feldern der Wandabschnitte und aus den die 
Kreuzstruktur der Gewélbezone hervorhebenden 
Schildbogen, die die Kreuzarmseiten flankieren. In 
dieser Zone herrschen Festtagsbilder vor, deren 
Anordnung allerdings weder dem Ablauf des Kir- 
chenjahres noch dem der Heilsgeschichte folgt. 

Die Verteilung der Bilder im Raum steht meines 
Erachtens im Dienste der Kreuzsymbolik: Der senk- 
rechte Arm des Grundrifkreuzes wird dadurch als: 
die Himmelslinie der géttlichen Natur Christi ausge- 
wiesen: an der Westwand die Himmelfahrt, in der 
Hauptapsis im Osten die — Deisis (Anbetung des 
erhéhten Christus). Diese Symbolik wiirde auch er- 
klaren, da® die Mutter Gottes von ihrem tiblichen 
Platz in der Hauptapsis in die Prothesis Apsidiole 
versetzt wurde (s.a. ihre Bedeutung fiir die > Pros- 


Der Bildkosmos der byzantinischen Kirche 


AO MraAPYD 
AOFPMOAHZ 


Deisis: 
Christus 
mit 
Mariaund ἢ 
Johannes Letztes , 
dem Taufer ; 7 Abendmahl J , Theodoros 


Aufer- 
ἤ stehung 
am Grab i i | (zerstért) 


" Heiliger 
Anikitos so 


Mehrere 
Heili 

ee Geburt 
Christi 


(mit Ver- ἢ Christus Ι Michael 


kiindigung i mit 
an die Fantokrater ; ἢ Schwert 


Hirten) 
Jesaias Daniel Lauros p laos 


Verklarung 
Christi 
Martyrer [fF *JG0 ψ *’ Maria inmitten SQ l- ) Konstan- 
) ͵ der Jiinger \ § τὰς S®* tin und 
(Himmelfahrt) Christi : Helena 


kung des 
Lazarus 


Drei Manner 
im Feuerofen 


1 Ewjenios 

2 Lawrentios 

3 Orestis 
Plan C 4 Ewsthatios 


21 


Der Bildkosmos der byzantinischen Kirche 


komedie). Der Erzengel Michael in der Diakoni- 
konapsis weist einerseits darauf hin, daB Diakone 
im Gottesdienst die Rolle der Engel tibernehmen 
und betont andererseits, da8 die Elmali Kilise den 
Erzengeln geweiht ist. 
Der waagrechte Kreuzesarm entspricht der mensch- 
lichen Natur Christi: Jesu irdisches Leben als 
Mensch ist ausgespannt zwischen seiner Geburt 
(links) und seinem Kreuzestode (rechter Kreuz- 
arm). Beide Festtagsthemen sind durch erganzende 
Szenen in den Schildbogen angereichert und akzen- 
tuiert. 
Die iibrigen Festtagsbilder sind dem verfiigbaren 
Platz entsprechend im Raum verteilt. Zwei Motive — 
die dem eigentlichen Festtagskalender nicht ange- 
héren — haben eucharistischen Charakter und sind 
den Schildbogen tiber den Nebenapsiden zugeord- 
net; die Grablegung der Prothesis und das »histori- 
sche« Abendmahl dem Diakonikon. 
Unterste Raumzone: An den Wanden sind es vor- 
wiegend Heilige, die die in der Kirche anbetenden 
Gliubigen umstehen, sie in ihre Gemeinschaft mit 
einbeziehen. 
In dieser Kirche tritt das Kreuz mit seinem Schnitt- 
punkt dem kreuznimbierten Christus. Pantokrator 
als Mittelpunkt in mehrfacher Hinsicht in den Vor- 
dergrund. Es wird im Dekor ebenso herausgehoben 
wie in der Architektur und nicht zuletzt in der Pro- 
grammsymbolik. 
Die Betonung des Kreuzes und der Engel erinnert 
an die Ausstattung von Kirchen, wie sie nach Ab- 
schlu8 des Bilderstreites (843) in Konstantinopel 
entstanden sind: 


ve Kreuzkuppelkirchen haben sich vom 7.Jh. an 
herausgebildet, ihre klassische mittelbyzantinische 
Auspragung forinte sich nach dem Bilderstreit her- 
aus. Die mehrfache Einbindung des Pantokrators 
der Elmalikirche in die Kreuzsymbolik erinnert dar- 
an, da Christus und die Heiligen Gestalten in der 
Ikonoklastenzeit ausschlieBlich in der Form des 
Kreuzsymbols dargestellt werden durften. 

+ In der Gewélbezone der friihen nachikonoklasti- 
schen Kirchen Konstantinopels erschien der Panto- 
krator zwischen den Engeln. Dargestellt wurden 
auch Heilige, Apostel und Propheten, jedoch keine 
biblischen Szenen (dies ist zu folgern aus der Be- 
schreibung einer untergegangenen Kirche anlaBlich 
einer Einweihungsfestrede des Patriarchen Photios 
von 881). Im Sinne des Dyonys Areopagita bilden 
die — Engel die obersten Schichten, die das von 
Christus-Gott ausstrahlende Licht widerstrahlen. 
Die Apostel und Heiligen jedoch werden in Byzanz 
als eine Art niederer Ordnung von Engeln angese- 
hen. SchlieBlich trifft sogar noch ein abgeschwach- 
ter Abglanz des Lichtes die Anbetenden unten im 
Kirchenraum — und wenn es sich dabei, wie das wohl 


22 


in der Elmali Kilise der Fall war, um Ménche han- 
delt, dann stellen diese als Trager des sogenannten 
»Engelskleides« gewisserma8en die allerunterste 
Engelordnung dar. Die Elmali Kilise versucht das 
Programm der Engel- und Heiligenordnungen der 
Kirchen des spaten 9.Jh.s mit dem neuen Festtags- 
zyklus zu kombinieren. Die Datierungen der Fres- 
ken streuen zwischen dem 11. und 13.Jh. Das Pro- 
gramm scheint fiir eine méglichst frihe Datierung 
zu sprechen. Weitere Kirchen in Géreme (Karanlik, 
Carikli) kntipfen in Stil und Programm an die Elmali 
Kilise an. 


Plan D 


O Jeros Naos tou Nikolaou Orphanou, Thessaloniki 
mit spatbyzantinischen Fresken (Anfang 14.Jh.). 
Uberdachter Lingsbau (offener Dachstuhl). Die 
niedrigen, seitenschiffahnlichen Anbauten im Nor- 
den und Siiden sowie die Vorhalle im Westen sind 
im Plan nicht beriicksichtigt. 

Das Programm weist einerseits die hochgelegenen 
Wandteile und andererseits die Ostwand als beson- 
ders bedeutungsvoll aus. 

Von unten nach oben: 

Unterste Zone (Sdéulenzone): An den Wanden ver- 
schiedene Heilige, die -- ehemals selbst sterbliche 
Menschen — zwischen der Welt der Menschen und 
der Welt des Gdttlichen vermitteln. Mittelzone: 
Hier wird hauptsichlich das Leiden Christi in erzah- 
lender Reihenfolge dargestellt. Die Szenenfolge be- 
ginnt mit dem historischen Abendmahl im Osten 
der Nordwand, wird dann unterbrochen durch die 
Apostelkommunion an der Ostwand, Vorbild fiir 
das Abendmahl der Glaubigen. Auch die Mutter- 
gottes in der Apsiswélbung, die in diese Zone einge- 
bunden ist, betont die Inkarnation Gottes, die 
menschliche und leidende Seite Christi. Uber Geth- 
semane und den Judasku& im Osten der Siidwand 
lauft die Bildfolge weiter bis in die Mitte der Nord- 
wand, nur unterbrochen von der. Kimesis-Darstel- 
lung (Heimholung Maria) im Westen genau gegen- 
tiber der Apsisw6lbung. (Fiir Passionsszenen bevor- 
zugt die byzantinische Kunst méglichst tiefgelegene 
Stellen im Kircheninneren, in Osios Lukas z.B. die 
Krypta.) 

Oberzone: Von der Mittelzone in der Mitte der 
Nordwand (Kreuzgestaltung) springt die Bildfolge 
nach oben in die Nordecke der Bildwand (Kreuzi- 
gung!). Die gesamte Oberzone ist von Festtagsdar-. 
stellungen besetzt, wobei allerdings gewichtige Ab- 
weichungen vom heutigen Festtagskalender beste- 
hen. So wird heute anstelle der Kreuzigung die 
Kreuzerhéhung bevorzugt. AuSerdem sind hier die 
Szenen zur »groBen Woche« (Leiden, Kreuzigung 
und Auferstehung) sehr stark ausgebaut. Einerseits 
wird dadurch der eucharistische Akzent des Pro- 


Der Bildkosmos der byzantinischen Kirche 


so Der aufer- Christus 
standene Christus erscheint 
(nach rechts schreitend) zwei Frauen 


Anbetung des 
Christuskindes 
durch die Magier 


Verkiindigung 
Maria 


Darstel- 


(David 
lung 


; u. Salomon) 


Christi 


Auffahrt τ 
aus dem c B 
Ci ae 
δ π Yy s§ 
i ΝΟ δ I 
WN L 
1 Hades \ ‘ Ξ A 
ἢ (Anastasis AY Os 
H Auferste- οΜ 
hung) 9 Ὁ 


Zwei 
Engel mit 
liturgischen 
Fachern 
(Bogen- 
laibung) 


Kaiphas Aufer- 
Grable- i weckung 
t » di 
oe ns Kleider avaris 


fangen 


Christi} Heiliger 
Verspottung | Pilatus 
durch 1 Heiliger Heiliger wascht 
TTanzende undf seine 
Hande 


ἢ Musikanten 


Heimholung 
Maria 


Kreuz- 
abnahme 


Verklarung 
(Metamorphosis) 


Kreuzigung 


Himmelfahrt 


(Apostel) (Mutter- (Apostel) 
gottes) 


Vorhalle mit Nikolaos-Legende 


Plan D 23 


Der Bildkosmos der byzantinischen Kirche 


grammes verstarkt und andererseits hat man so den 
Ablauf des Kirchenjahres (--» Festtagskalender) mit 
der zeitlichen Abfolge der wichtigsten Stationen der 
Heilsgeschichte (des Erdenwandels Christi) harmo- 
nisiert. 

Ein Festtagsbild (Kimesis > Heimholung Maria) ist 
wegen seiner Beziehung zum Sterben in die mittlere 
Zone herabgerutscht, ein weiteres (Himmelfahrt 
Christi) wurde nach oben in die Giebelzone ver- 
setzt. 


Giebelzone: Der Leben-Jesu-Zyklus, der zugleich 
Festtagszyklus ist, wird in den beiden Giebeln fort- 
gesetzt. Unmittelbar auf die Auferstehung (— 
Ostern) im Osten der Nordwand folgt im Ostgiebel 
die Erscheinung des Auferstandenen, gegentiber im 
Westgiebel die Himmelfahrt. Durch ihre Stellung 
im Kirchenraum ausgezeichnet sind also die Szenen, 
in denen der bereits Auferstandene vom Leiden be- 
freit seiner Vergéttlichung entgegensieht. Die bei- 
den Giebeldarstellungen enthalten inhaltliche H6- 
hepunkte, die vergleichbar den Pantokratordarstel- 
lungen in Kuppelkirchen sind. 


Ostwand: 

Das groBe Thema der Ostwand ist die Eucharistie. 
In der untersten Zone umstehen in der Apsis die 
groBen Kirchenlehrer und Liturgen den Altar 
(v.L.n.r.: Athanasios, Chrysostomos, Basilios, Gre- 
gor der Theologe). 

In der Mittelzone kniipft die Apostelkommunion 
(links die Austeilung von Brot, rechts die von Wein) 
als Vorbild fiir die Eucharistie, die sich um den Al- 
tar herum vollzieht, einerseits an den Passionszyklus 


an, insbesondere an das historische Abendmahl, ; 


gleich links daneben. Andererseits flankiert die 
zweiteilige Darstellung die der > Maria zwischen 
Engeln in der Apsiswélbung. Der Gottesmutter ist 
die zweite Prosphore in der > Proskomidie geweiht 
(s.a. > Brot). Auf ihre eucharistische Bedeutung 
weist auch die Darstellung des aus einem eucharisti- 
schen Tuch hervorgegangenen —> Mandylions tiber 
dem Apsisbogen hin. Die Prosphorenpatene des 
Abendmahls bedeutet gleichzeitig das Grab Christi 
wie auch seine Wiege, und so ist tiber der Mandy- 
liondarstellung in der Oberzone die Weihnachtsge- 
schichte dargestellt, flankiert von zwei weiteren Sze- 
nen, die beide ebenfalls zugleich christologische und 
mariologische Bedeutung haben. 

Die Zyklen in der Passions- und in der dartiberlie- 
genden Kirchenfestzone setzen deshalb an verschie- 
denen Stellen ein, damit die eucharistischen und 
mariologischen Szenen in der Ostwand folgerichtig 
in die szenischen Ablaufe eingegliedert werden 
kénnen. 


Aufere Vorhalle: An der Ostwand Szenen aus dem 
Leben des heiligen — Nikolaus. 


24 


Siidliches Seitenschiff: Szenen mit dem heiligen Ge- 
rasimos und seinem Léwen. 

Thematisch wie stilistisch sind die Darstellungen 
recht typisch fiir die spatbyzantinische Freskomale- 
rei im Norden Griechenlands und im Siiden des sla- 
vischen Balkans. : 


Bei allen Unterschieden in den Programmen 
zeichnen sich doch einige Haupttendenzen ab: 


vx Darstellungen des Géttlichen werden 
hochbewertet und stehen demzufolge auch 
hoch oben im Kirchenraum. Darstellungen 
menschlichen Seins und Leidens werden dem- 
entsprechend tiefer angeordnet. Die Bildin- 
halte werden also in eine hierarchische Ord- 
nung eingebunden. 

% Darstellungen der Eucharistie und Anspie- 
lungen darauf finden sich auf der Seite des auf- 
gehenden Lichtes im Osten. SchlieBlich ver- 
kérpert sich in Brot und Wein das Licht der 
Welt. Die Eucharistie findet im Allerheiligsten 
statt. 

ἧς Sterbe- oder Endgerichtsdarstellungen fin- 
den sich im Westen, der Sonnenuntergangs- 
seite. 


Die Programme fallen schon deshalb recht un- 
terschiedlich aus, weil auf unterschiedliche 
Weise versucht wird, die verschiedenen in den 
Bildreihen enthaltenen Tendenzen miteinan- 
der zu einem logischen Gesamtgeftige zu ver- 
knitipfen. 


Wiedergabe der griechischen 
und tiirkischen Begriffe, 
Eigen- und Ortsnamen 


Griechisch: 

In byzantinischen Bildbeischriften wird der S- 
Laut vorzugsweise mit C (weniger haufig mit 
=) wiedergegeben. In diesem Buch wird fiir 
die griechischen Ausdrucke die mittelbyzanti- 
nische Schreibweise verwendet. 

Der Umschrift der griechischen Worte liegt 
die nachweisbar bereits um 1000 verwendete 
neugriechische Aussprache zugrunde. Die 
Kenntnis dieser Aussprache versetzt die Leser 
in die Lage, sich mit Griechen tiber die Bei- 
schriften zu den byzantinischen Bildern zu ver- 
standigen. 


Der Bildkosmos der byzantinischen Kirche 


ὅν Thita -- abnlich klingend wie das englische 
th -- wurde mit th umschrieben. 

yz Zita — ein ausgepragt stimmhaftes 8 — wird 
zur Unterscheidung vom stimmlosen s-Laut als 
z wiedergegeben. 

vx Ypsilon wird dann, wenn es als i (ohne Far- 
bung in Richtung ii) gesprochen wird, als y 
wiedergegeben. Fiir Omikron-Ypsilon mit 
dem Lautwert u wurde ou gewahlt. Nach Epsi- 
lon und Jota wird es ahnlich wie w gesprochen 
und dementsprechend wiedergegeben. 

τς Gamma wird als g umschrieben — obwohl 
in der Regel wesentlich »hauchiger« ausge- 
sprochen. Vor Epsilon und allen I-Lauten wird 
es ZU]. 


Bei einigen Namen, die den Lesern in mittel- 
europaischer Schulaussprache sehr vertraut 
sind, wurde des leichteren Auffindens wegen 
fiir die Stichworte die von Erasmus von Rot- 
terdam konstruierte Aussprache der Um- 
schrift zugrunde gelegt. Erasmische Schreib- 


Konstantinopel, 1315-1321. 


weisen im Text — in seltenen Fallen bevorzugt, 
um die Benutzung von Literatur, die die schul- 
sprachliche Umschrift benutzt, zu erleichtern — 
wurden in Anfiihrungszeichen gesetzt. 
Tiirkisch: 

In der heute in lateinischen Buchstaben ge- 
schriebenen Sprache werden einige Buchsta- 
ben anders gesprochen als im Deutschen, dar- 
tiber hinaus kommen vier zusatzliche Buchsta- 
ben vor. 

x ὁ ahnlich klingend wie dsch wird nicht um- 
schrieben. Z. B. Cami (Dschami) 

vr ς entspricht tsch, wird ebenfalls mit c wie- 
dergegeben 

vr 8. entspricht sch und wird auch sh um- 
schrieben 

ve & oft kaum hérbar, wird durch * ersetzt. 
Z.B.: So’anli statt Soganli 

yy 1ein sehr geschlossenes hervorgestoBenes i, 
wird ununterschieden durch i ersetzt 

x ventspricht w, bleibt v. 


Anastasis — Osterdarstellung in der Apsis der Nebenkirche (Parekklision) der Chorakirche (Kariye Cami), 


25 


Der Bildkosmos der byzantinischen Kirche 


Panajia (Allheilige) mit dem Christuskind. Fresko (Ausschnitt) auf einer maniotischen Stein-Bilderwand. 
Georgskirche bei Dirou, Innere Mani, Peloponnes, postbyzantinisch. 


26 


Byzantinisch-christliche 
Symbole und Bildmotive 
von ABC bis Zahl 


ABC 


ABC 


ABI/to AA®ABHTON* 
awg/to alfawiton 


»Aber Jesus sagte zu ihm: Wenn du wirklich ein 
Lehrer bist und die Buchstaben gut kennst, dann 
nenne mir die Bedeutung des A, und ich will Dir 
dann die des B sagen.« Kindheitserzahlung des Tho- 
mas 14 (NT-A) 

»Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und 
der Letzte.« Offbg. Joh. 22, 13 


Der erste und der letzte Buchstabe — im Grie- 
chischen Alpha und Omega - vertreten als 
Kurzform das gesamte Alphabet. Dies wieder- 
um reprasentiert die gesamte Zeit vom Urbe- 
ginn bis zum Weltenende und zugleich den ge- 
samten Kosmos. Wer lesen und schreiben 
kann, beherrscht auf magisch-symbolische 
Weise das Universum. Wenn das frtihchristl. 
Monogramm Christi (> Kreuz) von Alpha und 
Omega flankiert wird, weist dies den in seinem 
Namenskiirzel vergegenwartigten Christus als 
Beherrscher des Alls aus. 


Griechische Grofbuchstaben 

Das folgende griechische Majuskel-Alphabet 
(mittelbyz. Typus) wird wegen seiner kosmi- 
schen Bedeutung in Kirchen dargestellt und im 
Ritus benutzt. Nahezu alle heiligen Gestalten 
und Szenen sind mit kennzeichnenden Bei- 
schriften — ausgeschrieben oder abgektirzt — 
versehen (siehe Bildbeischriften im Anhang). 


Beischriften und Abbreviaturen machen das Bild 
zur Ikone. Die Orthodoxie erkennt kein Bild mit 
christl. Motiven als Kultbild an, wenn die Beischrif- 
ten fehlen. Die Buchstaben sind es, die die Darstel- 
lungen mit Heilskraft anreichern. Allerdings sind 
die kennzeichnenden Beischriften nicht immer ein- 
fach zu entziffern: 


x Die Formen der Buchstaben weisen — je nach 
Epoche und Gegend -- starke Unterschiede auf. 

x Die einzelnen Wérter werden meist ohne Zwi- 
schenraum aneinandergereiht, haufig jedoch aus 
Griinden der Bildkomposition mittendrin auseinan- 
dergeschnitten. Der Artikel, aber auch abgekiirzte 
Zusaitze zum Namen, wie »der Heilige«, »der Pro- 
phet«, »der Erzengel« werden gerne in das folgende 
Wort mit eingebunden. Im Griechischen ist es bis 
heute iiblich, in Verbindung mit Namen den be- 
stimmten Artikel zu benutzen. Man sagt »der Chri- 
stus«, »der Gott«. 


28 


Ubersicht I: Griechische GroBbuchstaben 


Buch- Bezeich- Lautwert abend- 
stabe nung landische 
Lautwie- 
dergabe | 
AA Alphas a a 
B Wita Ψ 
Gamma _ gh, νοῦ I- und g 
E-Lauten J 
A Delta dh (sehr weiches_ ἃ 
englisches th) 
866 Epsilon 6 - 
Ζ Zita 5 (stimmhaft Ζ 
etwa wie in 
»Dunst«) 
Hi Ita i ἃ oder e 
(lang) 
04 Thita th (englisch) t 
ik Jota i, vor Vokalen j i 
KK Kappa k k 
AA Lambda 1 l 
HM My m m 
NH Ny n n 
Z= Xi x x 
0 Omikron o ο 
NH Pi Ρ Ρ 
P Rho r r 
Ge \ Sigma s (stimmlos) 8 
letzter Buchstabe, 
nur als SchluB-s 
ΝΥ Taw t t 
YY Ipsilon i tioderi 
$ Phi f f 
Xx Chi ch (weiter vorne ch 
gesprochen) 
Ψ Psi ps ps 
w Omega ὁ o (lang) 


Die Buchstaben beider Ubersichten sind heraus- 
fotografiert aus Beischriften zu Goldmosaik- 
Darstellungen in Osios Lukas (kurz nach 1000). 
Lediglich Xi und Psi wurden rekonstruiert. | 


* Im byzantinischen Griechisch ist in der Regel der 
altgriechische Buchstabe 2 durch C ersetzt. 


ABC 


ye Neben den Standardabkiirzungen fiir die ge- 
briuchlichen heiligen Namen, die aus dem ersten 
und letzten Buchstaben des Wortes bestehen, kom- 
men auch Buchstabenkombinationen vor, deren 
Abkiirzungsregeln schwer durchschaubar sind. Mit- 
unter weist eine zirkumflexartige Linie hinter den 
Abkiirzungen darauf hin, da8 Buchstaben ausgefal- 
len sind. 

vr Zwei bis drei Buchstaben werden haufig zu ei- 
nem einzigen Zeichen zusammengefaBt (s.u. »No- 
mina Sacra«!). 

# Die Orthographie wird verhaltnismaBig freiztigig 
gehandhabt. Insbesondere in den kappadokischen 
H6hlenkirchen finden sich recht kitihne Schreibwei- 
sen, Aus diesen ist allerdings zu erschlieBen, daB um 
die Jahrtausendwende die Aussprache des Griechi- 
schen ahnlichen Regeln folgte wie das heutige Neu- 
griechische. Die deutsche Umschrift griech. Aus- 
driicke in diesem Buch folgt so weitgehend wie még- 
lich der byzantinisch-neugriechischen Aussprache. 
Sie weicht in wesentlichen Punkten von der in deut- 
schen Schulen fiir das Altgriechische tiblichen Aus- 
sprache ~ einer Konstruktion von Erasmus von Rot- 
terdam — ab. 


a Nomina Sacra 


Ubersicht II: Nomina Sacra 


Einige Beispiele fiir Abkiirzungen heiliger 

Namen und Namenszusatze: 

ie Χὸ  ISCHS Jesus Christos 

ὃ MRTHY Miter Theou 
(Gottesmutter) 

LX 

OAP O ARCH | O Archanggelos 
(Der Erzengel) 

® OA O Ajios 

ay (Der Heilige) 

0) 

iw OAIO O Ajios Joannis 

: (Der heilige Johannes) 

0 

2 ΟΟΗΚΜΟΘ OChrysostomos 


(Der Chrysostomos) 


Buchstaben mit christlich-mystischer 
Bedeutung ᾿ 

Im Gegensatz zu den δι] πίββθη in der An- 
tike besitzen in christl. Zeit auffallig wenige 
Buchstaben eine spezielle symbolische Bedeu- 
tung: 


Alpha: Erster Buchstabe des Alphabets, Hin- 
weis auf den Anfang (i archi). Seine Zusam- 
mensetzung aus drei Strichen weist auf die 
gottliche Trinitét hin. Daher werden gelegent- 
lich Zierleisten aus dekorativ aneinanderge- 
reihten A-Formen zusammengesetzt. 

Taw: Bedeutet Zeichen, Siegel und Kreuz (-Ὁ 
Kreuz, — Zahl). 

Ypsilon: Abbild des Scheidewegs, Entschei- 
dung zwischen Gut und Bése, auch Gabel- 
kreuz (— Kreuz). 


Das Alphabet, Symbol alles Seienden, 

Symbol Gottes 

In manchen byz. Kirchen hat man das Alpha- 
bet an die Wand gemalt — so beispielsweise in 
der Form einer Zierleiste an die linke Wand 
der Medaillonkirche in Géreme. Das Alpha- 
bet als die Gesamtheit der Buchstaben -- ma- 
gisch zwingender allumfassender Zeichen — 
steht, weil mit ihnen alles zu beschreiben ist, 


fir die Gesamtheit all dessen, was ist. Die: 


Buchstaben gelten als die Bausteine des durch 


den Logos (Iégo"=-zihlen;-beschreibéii, lesen) 


geschaffenen Kosmos. Wie in der Antike hielt 
man im Friihchristentum die Buchstaben, die 
beschreiben, fiir austauschbar mit dem, was 
beschrieben wird. Wer die Buchstaben be- 
herrscht, beherrscht die Dinge. 

Fiir Christen bedeutete das Alphabet eine Re- 
prdsentation der gesamten Schépfung ein- 
schlieBlich des Schépfers. So kam in friih- 
christl. Zeit der Brauch auf, da8 der Bischof 
bei der Einweihung einer Kirche ein Aschen- 
kreuz auf dem FuB8boden auslegte und darin 
senkrecht und waagerecht ein griech. Alpha- 
bet einzeichnete. Kirchengebaiude wurde und 


und Omega wird schon im NT (Offb. Joh. 21.6 
und 22, 13) als Selbstbezeichnung Christi ver- 
wendet. Erstmals tauchen die beiden Buchsta- 
ben -- spater haufig Kreuzeszeichen und Chri- 
stogrammen beigefiigt — auf einer ins 3. Jh. da- 
tierten Grabplatte auf (Rom, Kallistus Kata- 
kombe). In friihchr. Zeit wurden Alpha und 
Omega haufig in den — Nimbus der Christus- 
gestalt eingefiigt. 

Doch schon im Hebraischen bedeutet »Aleph 
Teth« die Gesamtheit schlechthin. Der letzte 


29 


Abendmahl 


Buchstabe des hebradischen Alphabets »Teth« 
wurde »Zeichen« oder — seiner Form wegen — 
»Kreuz« genannt und von Analphabeten an- 
statt einer Unterschrift benutzt (sog. »Siegel«, 
vergl. deutsch: »Mach Dein Kreuzchen drun- 
ter«). Uberdies hat Teth als Zahlzeichen den 
Wert 400. Das ist eine Zahl kosmischer Voll- 
kommenheit. Im Hebriischen wie im Griechi- 
schen sind alle Buchstaben gleichzeitig Zahl- 
zeichen, was magischen Praktiken und Ver- 
schliisselungen Tir und Tor 6ffnet. 
Dichtungen, deren Vers-Anfangsbuchstaben 
sich in alphabetischer Ordnung aneinanderrei- 
hen, werden auf diese Weise aufgeladen mit 
der allumfassenden kosmischen Kraft des Al- 
phabets. Deshalb hat man magischen religié- 
sen Formeln, Zauberspriichen aber auch ritu- 
ellen religissen Gesangen die Form eines sol- 
chen »alphabetischen Akrostichon« verlichen. 
AT: Klagelieder Jeremia, Psalmen 9, 10, 25, 
34, 37, 111, 112, 119, 145. Frithes Christen- 
tum: Dichtungen von — Ephrém dem Syrer, 
Gregor von Nazianz, --- Johannes Damasze- 
nus. Der bekannteste akrostichische Hymnus 
byz. Zeit ist der 24versige — Akathistos- 
hymnus. 


Abendmahl 


— Eucharistie, -- Liturgie, > Proskomidie 


Abraham 


O ABPAAM 
O Avraam 


»Und wahrlich wir entsandten Abraham und gaben 
seiner Nachkommenschaft das Prophetentum und 
die Schrift.« Koran, 57. Sure 26 


Juden, Christen und Muslims betrachten Abra- 
ham als ihren geistigen, Juden und Muslims 
auch als ihren leiblichen Stammvater. Fiir die 
Juden ist ihr Gott der Gott Abrahams, Isaaks 
und Jakobs, die Christen glauben, da8 Abra- 
ham auf sie im Paradiese wartet und fiir die 
Muslims sind Abraham selbst und seine Nach- 


folger lange vor dem Erscheinen des Prophe- * 


ten Mohammed ebenfalls schon echte Mus- 
lims. 


30 


Abraham im Paradies mit dem armen Lazarus 
in seinem Schofe. Kloster Dochiariou, Athos, 
2. Hilfte 16. Sh. 


Erzvater der Juden, Christen und Muslims 
Der bedeutendste Erzvater aus dem AT (1. 
Mose 11, 25ff.) wurde vermutlich Anfang des 
2. Jahrtausends vor Christus in Siidbabylonien 
geboren. Auf GeheifS} Gottes wanderte er mit 
seinen Hirten und Herden nach Kanaan aus, 
lebte und starb bei Mamre (Hebron). 

Die Juden fiihren ihre Abstammung auf Abra- 
ham, auf seinen mit Sara gezeugten Sohn 
Isaak und seinen Enkel Jakob zuriick. 

Fiir die Christen ist Abraham der Stammvater 
Christi, und ein Vorbild unerschiitterlichen 
Glaubens. In seinem Wirken und seinen Be- 
gegnungen mit Gott sind die Ereignisse der 
Heilsgeschichte wie auch sakramentale Gna- 
dengaben des christl. Kultes — schattenhaft 
vorgebildet. Fiir die Muslims ist »Ibrahim« 
tiber seinen mit der Magd Hagar gezeugten 
Sohn Ismael der Stammvater der Araber. 
Ibrahim sagt den Auftritt eines Propheten fiir 
die Araber voraus, gilt als Hiiter des Heilig- 
tums in Mekka und hat eine géttliche Offenba- 
rung erhalten, die Mohammed als inhaltlich 
tibereinstimmend mit dem Koran ansah. 


Abraham 


Einzeldarstellungen 


¥e Abraham der Prophet: Abraham wird auf 
Medaillons, in Ganzfigur oder als Biiste, gele- 
gentlich unter die Propheten eingereiht, haufi- 
ger unter die Vorvater Christi. 

τς Abrahams Schof: Ikonographisch interes- 
santer ist die Darstellung von Abrahams 
Scho8, die haufig in Verbindung mit Endzeit- 
darstellungen auftritt: Der Erzvater mit lan- 
gem weifem Haar und Bart — haufig sogar die 
Dreiergruppe Abraham, Isaak und Jakob -- 
sitzt im Paradies, im Scho8e lauter winzig klei- 
ne Menschlein. Die spatjiidische Vorstellung, 
da sich der »Same Abrahams« am Ende der 
Zeiten wieder in seinem Scho versammle — 
der Zustand des Menschen nach seinem Tod 
entspricht dem vor seiner Geburt (~ Geburt 
Christi) -- wird im NT aufgegriffen im Gleich- 
nis vom reichen Mann und armen Lazarus. 
Auf manchen Darstellungen des > Endgerich- 
tes ist es die kleine Figur des Lazarus, die ge- 
borgen in Abrahams SchoB sitzt, wahrend der 
ungerechte Reiche im Feuerstrom Qualen er- 
leidet (Chora-Kirche, Konstantinopel, 1315-20, 
Athoskirchen). Abraham wird bis heute in der 
griech. Totenliturgie erwahnt: sein SchoB ge- 
hért ebenso wie das Land Kanaan zu den Para- 
diesvorstellungen. 


Szenische Darstellungen 


1. Gastfreundschaft 
2. Melchisedek 
3, Opferung Isaaks. 


Die Ermenia — das Malerhandbuch vom Berge 
Athos, das die Bildprogramme orthodoxer 
Kirchen inhaltlich beschreibt — nennt neun 
Szenen mit Abraham, von denen drei haufiger 
vorkommen: 


1. »Die Gastfreundschaft Abrahams«. Hinweis 
auf die Trinitat und das Abendmahl (—> Pfing- 
sten). 

2. »Das Opfer Melchisedeks«, Abraham hat ei- 
ne Schlacht gewonnen, Melchisedek zieht ihm 
entgegen, um ihn zu segnen: 

»Aber Melchisedek, der K6nig von Salem, trug 
Brot und Wein hervor. Er war ein Priester Gottes, 
des Héchsten.« 1. Mose 14, 18 


Sein »unblutiges Opfer« ist eine Anspielung auf 
das Abendmahl, in dem Christus gleichzeitig 


das Opfer und der opfernde Priester ist (+ Eu- 
charistie). Christus selbst wird in den liturgi- 
schen Texten (nach Hebr. 7, 11) als »Priester 
nach der Ordnung Melchisedeks« bezeichnet. 
In einem Mosaik anfangs 5.Jh. (Santa Maria 
Maggiore, Rom) erscheint iiber Brot und 
Wein in den Wolken Christus, dessen Rechte 
auf Melchisedek weist, der die »eucharisti- 
schen Gaben« Abraham und seinem Gefolge 
darbringt. Auf einem Mosaik im Allerheilig- 
sten von San Vitale, Ravenna, 6.Jh., opfert 
Melchisedek auf einem Abendmahlsaltar 
Brot, wahrend ihm gegentiber in der gleichen 
Darstellung Abel ein Lamm darbringt. An der 
Wand gegeniiber »Die Gastfreundschaft Abra- 
hams« und »Opferung Isaaks«. Eine Kopie des 
Meichisedek-Abel-Motivs findet sich in Sant’ 
Apollinare in Classe b. Ravenna, 7.Jh. In 
Darstellungen als Einzelfigur tragt Melchise- 
dek eine Bischofskrone, halt eine Schtissel mit 
drei Broten, bisweilen ein Spruchband: 


»Der Name des Herrn soll gepriesen werden von. 
nun an bis in Ewigkeit.« Hiob 1, 21 


3. »Isaaks Opferung« (s.1. Mose 22). Auf Got- 
tes Gehei8 soll Abraham seinen spatgeborenen 
Sohn — Sara war bereits 100jahrig — auf einem 
Berg als Brandopfer darbringen. Er greift 
zum Messer, doch erhebt der Engel des Herrn 
Einspruch: 

»Lege deine Hand nicht an das Kind und tu ihm 
nichts an, denn nun wei8 ich: Du fiirchtest Gott und 
verschonest nicht deinen einzigen Sohn um meinet- 
willen.« J. Mose 22, 12. 


Als Ersatzopfer nimmt Abraham einen Bock, 
der sich im Gebiisch verfangen hat. Die Erzah- 
lung spiegelt Entwicklungsgeschichtliches, die 
Ablésung des Menschenopfers durch das Tier- 
opfer. 

Frithe Darstellungen in spatjtidischen Synago- 
gen (Dura-Europos, Syrien, ca.245 n.Chr.), 
besonders haufig als Katakombenmalereien 
und als Sarkophagreliefs. Im Friihchristentum 
wird die Szene als bildhafte Vorwegnahme 
(und gewissermaBen Garantie) der Errettung 
der Seele des Toten verstanden. Von konstan- 
tinischer Zeit an wird Isaaks Opferung zum 
Hinweis (Prafiguration) auf die Passion Christi 
und spatestens vom 6.Jh. an (San Vitale, Ra- 
venna) auf das Abendmahl. Die Gleichsetzung 
von Jesus und Isaak wird dadurch begtinstigt, 


31° 


Adam und Eva 


daB im Griechischen beider Namen mit dem 
gleichen Buchstaben beginnen. 


Adam und Eva 


O AAAM KAI H EVA 
O Adam kai Ewa 


»Durch einen Menschen wurde der Tod bewirkt, 
und durch einen Menschen die Auferstehung von 
den Toten. Wie in Adam alle dahinscheiden, so 
werden in Christus alle zum Leben erweckt.« 1. Kor. 
15, 21-22 : 


»Mit der Hand bildetest Du Adam aus Erde, fiir ihn 
wurdest Du der Natur nach Mensch und wolltest 
gekreuzigt werden zu seiner Rettung. ... Durch- 
bohrt wurde Dir die Seite, mein Schépfer, aus ihr 
bewirktest Du die Neuerschaffung der Eva, dadurch 
da& Du Adam wirst, wundersam schlafend den le- 
bensspendenden Schlaf und das Leben herausneh- 
mend aus Schlaf und Verderben.« Aus der Liturgie 
vom grofen Freitag 


Adam und Eva anbetend vor dem leeren Thron 
in einer Darstellung der Wiederkunft Christi. 
Kloster Esphigmenu, Athos, Anfang 16. Sh. 


Das Urelternpaar der Menschheit (1.Mose 1 
und 2) — Adam, der aus Erde gemachte, und 
Eva, die vom Manne gemachte, hat durch den 
Stindenfall Tod in die Welt gebracht. Sie ste- 
hen im Gegensatz zu Christus und Maria, 
durch die die Welt neu geschaffen und das 
(ewige) Leben gebracht wird. 


Verhaltnis Adam — Christus und Eva — Maria 
Nach orthodoxer Auffassung ist Adam von 
Gott geschaffen als ein Wesen, das durch 


32 


seinen »Erd-Leib« am Materiellen, durch 
seine Seele an der geistigen Welt teil hat. Die 
Folgen seines Stindenfalles wurden nicht auf 
die Nachkommen vererbt: Vielmehr ist die 
Menschheit von ihrem Uranfang an mit dem 
Urelternpaar verbunden und hat so Teil an sei- 
ner Siindhaftigkeit. Fir die bildliche Darstel- 
lung sind Adam und Eva insofern interessant, 
als sie einerseits die erlésungsbediirftige 
Menschheit personifizieren und andererseits, 
als sie den Lebensbringern Christus (neuer 
Adam) und Maria (neue Eva) entgegengesetzt 
werden. 

In postbyz. Zeit wird dem Schépfungs- und 
Siindenfallzyklus ein Zyklus mit der Passion 
Christi und seiner Auferstehung (~ Ostern) 
gegeniibergestellt. 


Darstellungen der erlésten Ureltern 

Die Kreuzigung des »neuen« rettet den alten 
Adam, dessen Totenschddel auf Darstellungen 
der -» Kreuzigung von Christi erlésendem 
Blut benetzt wird. Wie aus der gedffneten Sei- 
te Adams Eva geschaffen wurde, so kommt 
das Heil der Neuschépfung der Menschheit -- 
so die Liturgie — in Gestalt des eucharistischen 
Blutes aus der offenen Seitenwunde Christi. 
Bei seiner Auferstehung (> Ostern) zieht 
Christus das Urelternpaar aus dem Sarkophag. 
Auf spat- und postbyz. Darstellungen seiner 
Wiederkunft sind Adam und Eva, sich aus den 
Sargen erhebend — wie im Auferstehungsbilde 
zu sehen —, als Vertreter der Menschheit ge- 
genwartig (Chora-Kirche, Konstantinopel; 
Meteora und Athos-Kléster). 


Zyklen um Adam und Eva 

Schépfung, Siindenfall, Vertreibung, 

Kain und Abel 

»Schdpfung«: Das Verbot der éstlichen Kir- 
chen, Gottvater bildlich darzustellen, schrank- 
te die Méglichkeiten, die Schépfungsakte auf 
Mosaiken und in Wandmalereien wiederzuge- 
ben, ein. In den seltenen Schépfungsszenen | 
mittelbyz. Zeit hat man Gottvater durch Chri- 
stus ersetzt (Basilika in Monreale,, Ende 
12.yh.). 

In den spatbyz. Gesamtzyklen, denen die Pas- 
sion und Auferstehung Christi gegentiberge- 
stellt werden, tragt die géttliche Schépferge- 
stalt einerseits den Kreuznimbus Christi, ande- 


Adler/Kreuzadler 


rerseits -- entsprechend westlicher Tradition — 
den Bart Gott Vaters (Rhodos Panajia Lindos 
und Kattawia, 18.Jh.). Adam steht bei seiner 
Erschaffung nackt vor Gott, Eva tritt aus dem 
schlafenden Adam heraus und erhebt anbe- 
tend die Hande. 


»Adam gibt den Tieren Namen«: Gott selbst 
schafft die Dinge, in dem er sie anruft. Er 
macht nach 1.Mose 2, 19 Adam zu einer Art 
von Mitschépfer indem er ihn beauftragt, den 
Tieren Namen zu verleihen. Das Motiv wird in 
spatbyz. Zeit auch unabhangig vom Zyklus 
dargestellt; Adam nackt unter einem Baume 
sitzend, eine Hand auf dem Knie, mit der an- 
deren auf Tiere weisend, u.a. auf Schlange, 
Elefant, Lamm, Tiger sowie auf mehrere dra- 
chenahnliche Fabelwesen. Boden und Hin- 
tergrund des Paradieses als Ort der Helle 
(> Endgericht) sind weiB (Meteora Kloster 
Nikolaos Anapawsas, Anfang 16. Jh.). 


»Die Ubertretung«: Siindenfall: Adam und 
Eva stehen nackt unter einem groBen Feigen- 
baum. Die sich darumwindende Schlange halt 
ihren Kopf an Evas Ohr, dringt gleichsam in 
sie ein. (Die neue Eva, Maria, empfangt den 
Christus-Logos ebenfalls durchs Ohr). Mit ei- 
ner Hand fiihrt Eva die Frucht zum Munde, 
mit der anderen reicht sie Adam ein Sttick. 
Das Motiv kommt in verkiirzter Form schon in 
der friihchristl. Sarkophagkunst vor. In der 
Buchmalerei des 11. bis 13.Jh.s kann die 
Schlange ersetzt sein durch einen saurierahn- 
lichen Vierbeiner. Jiidischer Uberlieferung 
nach glich sie vor dem Stindenfall einem Ka- 
mel, das der Satan ritt. Danach hatte sie zur 
Strafe ihre FiiRe verloren J. Mose 3, 14. 


»Vertreibung« und »Wehklage«: Die Ureltern 
fliehen, mit einem Feigenblatt bekleidet, aus 
dem Paradies. Ein sechsfliigeliger Cherub be- 
wacht das Tor. Oft wird auch dargestellt, wie 
die beiden das verlorene Paradies beweinen, 
und wie sie arbeiten. Adam bearbeitet die 
Erde mit einer Hacke, Eva sitzt bei ihm mit 
dem Spinnrocken in der Hand — dem Attribut 
der Eva wie auch Marias als der neuen Eva 
(= Verkiindigung Maria). 


»Die Séhne der Ureltern — Kain und Abele. 
»Geburt des Kain« und »Geburt des Abel«: In 
einer Grotte liegt Eva auf ihrem Kleid. Adam 


hat den kleinen Kain auf dem Arm. Ahnlich 
ist die Szene mit der Geburt Abels aufgebaut. 
Das Kind wird von Adam und dem jugend- 
lichen Kain gebadet -- in Anspielung auf die > 
Geburt Christi. Abel gilt als Christi Typos. 
»Abel hiitet Schafe« und »Kain bearbeitet die 
Erde«! Die Gestalt des Abel, der mit einem 
Stab Schafe hiitet, weist auf Christus als den 
guten Hirten hin. Kain hat zwei Kiihe vor den 
Pflug gespannt. 

»Opfer Kains und Abels«, »Brudermord«, 
»Adam und Eva beweinen Abel«: Abel opfert 
in den Flammen auf einem Altar ein Lamm — 
auch dies ein vorbildhafter Typos ftir Christus 
als das in der —> Eucharistie dargebrachte 
Lamm Gottes. Der Rauch des Gott wohlgefal- 
ligen Opfers steigt nach oben. Kains Opfer da- 
gegen, eine Korngarbe, wird von Gott nicht 
angenommen — ihm schlagen die Flammen des 
Opferfeuers ins Gesicht. 

Eiferstichtig auf seinen Bruder und auf die 
Liebe Gottes, schlachtet Kain den Jiingeren 
auf einer Bergkuppe ab. Der Ermordete wird 
von Adam — 150 Jahre alt, daher grauhaarig 
dargestellt - und Eva beweint. Oft erscheint 
noch ein Engel mit dem Schriftband: »Weine 
nicht, er wird auferweckt werden am jiingsten 
Tag.« 

Weitere Darstellungen von Adam und Eva > 
Endgericht, — Ostern, — alttestamentliche 
Szenen. 


Adler /Kreuzadler 


O AETOC/O CTAVPOAETOC 
o Aetés/o Stawroaetés 


Der Adler spielt seit altersher im Mythos eine 
groBe Rolle, desgleichen in der religidsen 
Symbolik. Zwei seiner Grundbedeutungen ha- 
ben sich in der byz. Kunst durchgesetzt. Einer- 
seits die Zuordnung zur Staatsmacht — dem τὸ- 
mischen Kaiser und, in Form des Doppelad- 
lers, dem byz. Herrscher, andererseits die 
Zuordnung zur Region des Himmels, des 
Lichts und der Géottlichkeit. Besonders deut- 
lich wird das am Motiv Adler und Schlange, 
das auch in indianischen Kulturen und in 
Asien verbreitet ist. (In Indien und Indonesien 
ist der Himmelsadler Garuda der Schlangenté- 
ter.) Die beiden Tiere versinnbildlichen den 


33 


Adler/Kreuzadler 


Kampf des Lichtes mit der Finsternis, des 
wohltatigen Wassers mit dem zerstérerischen 
Feuer — im christl. Verstandnis der Kampf des 
Adlers — Christus — Lichtes mit der Schlange — 
Satan — Finsternis. Nach Basilios ist der Adler, 
der seine Jungen im Nest gegen die Schlangen 
verteidigt, ein Bild Christi, der die Menschen 
in der Welt vor dem Bésen beschiitzt. 


Seelenvogel des rémischen Kaisers 

Ein Adler mit Blitzbiindel zwischen den Kral- 
len schmiickte als Symbol Jupiters die Feldzei- 
chen der Rémer. Die Seelen der auf dem 
Scheiterhaufen verbrannten rémischen Kaiser 
flogen in der Gestalt eines Adlers gen Him- 
mel. Man stellte derartige --9 Himmelfahrten 
nicht nur bildlich z.B. auf Mtinzen dar, son- 
dern lie am Verbrennungsplatz tatsachlich ei- 
nen gefangenen Adler frei. Diese Idee von der 
Adlerseele des Kaisers (bzw. vom —> Pfau der 
Kaiserin) stellt nur eine Ausformung der allge- 
mein verbreiteten Vorstellung dar, daB die 
Seelen in Vogelgestalt in die jenseitige Welt 
fliegen. 


es By ΒΩ a Dikpranntics 
Adler und Schlange. Flachrelief auf einer Basis, 
Umgebung von Mistra, spdtbyzantinisch. 


Symbol Christi 

Vom 4. Jh. an werden Elemente des rémischen 
Kaiserkults auf den Weltenherrscher Christus 
iibertragen; kaiserliche Apotheosebilder ha- 
ben die Darstellungen von Christi > Himmel- 


34 


fahrt und deren Symbolik stark beeinfluSt. In 
der altchristl. Sarkophagkunst wandelt sich 
der kaiserliche Seelenvogel zum Symbol des 
auferstehenden und auffahrenden Christus. 
Gelegentlich erscheint der Adler tiber den Re- 
lief-Triumphkranzen mit dem sonnenhaften 
Christusmonogramm (auf Sarkophagen!): Im 
alten Orient wie in Rom war der Adler auch 
Symbol der Sonne und des Lichtes. 


Adler und Taufe 

Der Physiologus vergleicht in bezug auf Psalm 
102 (103), 5: »Du wirst wieder jung wie ein 
Adler« den Adler, der sich durch ein drei- 
faches Bad in der Quelle verjiingt, mit dem 
Katechumenen (Taufanwarter), der durch die 
Taufe zum neuen Menschen wird. 

In Indien und Indonesien wird dem Adler das 
Wasser, seinem Widerpart Schlange das Feuer 
zugeordnet. Der Gétteradler Garuda hat fiir 
seine Auftraggeber das heilige Wasser der Un- 
sterblichkeit gestohlen. Auch der griech. 
Zeus, dessen Wahrzeichen der Adler ist, war 
als Wettergott Herr tiber den Regen. 


Byzanitinischer Doppeladler. Relief aus Andros, 1805. 


Byzantinischer Doppeladler 

Der Doppeladler als Reprasentation des byz. 
Reiches ist eine Weiterentwicklung des rémi- 
schen Adler-Feldzeichens. Die beiden Adler- 
képfe weisen angeblich auf die beiden Teile 


Altar /Altargeriit 


des christlich r6mischen Reiches nach Theodo- 
sius (nach 395), auf den Osten und den Westen 
hin. 

Es spricht einiges dafiir, daB der Adler seinen 
zweiten Kopf byz. Webtechnik verdankt. Mu- 
ster mit axialsymmetrischen Figuren lassen 
sich webtechnisch besonders rationell anferti- 
gen. Dementsprechend haufig sind byzantini- 
sche Gewebe mit Doppeladlern bzw. mit am 
Kopf zusammengewachsenen Adlerpaaren or- 
namentiert. 


Symbol des Christenvolkes im Freiheitskampf 
In den Klephtenliedern der griech. Freiheits- 
kdmpfer erfahrt das Symbol des aufsteigenden 
Adlers, insbesondere des wegen seines Flug- 
bildes in der Form eines Kreuzes als Kreuz- 
adier bezeichneten K6nigsadlers, eine Um- 
deutung: Aus dem Symbol Christi wird ein 
Symbol des sich gegen die Osmanenherrschaft 
erhebenden christl. Volkes. 

Unter den vier Evangelistensymbolen verkér- 
pert der Adler Johannes (> Evangelisten). 


Akathistos-Hymnos 


O AKAOICTOC YMNOC 
O Akathistos Ymnos 


Marienhymnus mit 24 Versen, wird im Stehen 
-- wortlich iibersetzt: »ohne da man sich hin- 
setzt« — gesungen (— Maria, > Marienzyklus, 
— Ikonenwunder). 


Akklamation 
H HWPOC®WNHCIC 


i Prosfénisis 

Zuruf mit der erhobenen Rechten zur Bestati- 
gung einer Wahl oder zum Lobpreis im Rah- 
men des rémischen, spater des byz. Kaiser- 
kults. 

Von dort wurden die Akklamationen in die 
Liturgie tibertragen — als Lobpreisung fiir den 
Weltenherrscher (Pantokrator) Christus, ins- 
besondere in seiner Gestalt als > eucharisti- 
sche Gabe. 


w Axios (wiirdig) im Altertum Bestiatigung 
bei einer Abstimmung, wurde spater zur Bi- 
schofswahl per Zuruf benutzt. Bei den Kopten 


und christ]. Athiopiern wird der Neugetaufte 
als »wiirdig« akklamiert. Mit »axidn estin« be- 
ginnt das wichtigste Marienlied (Theotokion) 
der Chrysostomosliturgie (— Maria). Der 
Dichter und Nobelpreistrager Elytis setzt sich 
in seinem von Mikis Theodorakis vertonten 
naturlyrischen Zyklus »Axion estin« ganz be- 
wuBt damit auseinander. 


GriiBender Engel, Verktindigung Maria. 
Klosterkirche von Daphni bei Athen, Ende 11.Jh. 


ἈΞ Chdare (altgr. chaire -- freue Dich), einlei- 
tender Zuruf im »Englischen Gru8« an Maria 
(Ave!) ist eine giangige alt- wie neugriech. 
GruBformel. 

vw Zurufe mit halberhobener rechten Hand 
driicken als wegwerfende Bewegungen Ableh- 
nung aus — insbesondere auch auf Passionsdar- 
stellungen. Mit der Geste und dem Ausruf 
»Anathema« (verflucht sei!) wurden Irrlehren 
verurteilt. 


Alphabet 
— ABC 


Altar /Altargerat 


H ATTA TPAMEZA 

i ajia traépeza 

Ein Altar ist Anbetungs- und vor allem Opfer- 
statte fiir eine Gottheit, auch fiir Ahnen- oder 
Totengeister (Begrabniskult). ; 

Der Altar der orthodoxen Kirche hat rituelle 
Funktionen -- er steht im Zentrum des kulti- 
schen Geschehens. Geichzeitig ist er einge- 
hilt in ein vieldeutiges Bedeutungsgeflecht: 


35 


Altar ΑΙ αγρεγᾶϊ 


Er ist 


ἧς Opferstatte, an der Christus als Erzprie- 
ster selbst, vertreten durch den handelnden 
Priester, das Opfer darbringt (Thysiastirion). 
τς Opferstitte, auf der Christus als das Lamm 
in der Gestalt von Brot und Wein geopfert 
wird. 

tr Uberhimmlischer Thron Gottes, zugleich 
-» Jeerer Thron Christi, bereitet fiir dessen 
Wiederkunft. 

+ FuBpunkt der Himmelsleiter zu Gott. 

ye Grab Christi. 

ἐγ Krippe Christi. 

ty Grab einer Reliquie. 


In die umfassende Symbolik sind auch alle Ge- 
ratschaften einbezogen — acht, die sich sténdig 
auf dem Altar befinden, weitere sieben, die 
fiir den Abendmahlsgottesdienst und seine 
Vorbereitung (—> Proskomidie) dienen. 


Der Altar als Zentrum von Kirchenbau 

und Kult ; 

In einer griech. Kirche gibt es nur einen Altar 
im Allerheiligsten hinter der »schénen Pforte« 
(oréa pyli). Der Tisch links in der Prothesis 
(nérdliche Nebenapside) ist ein Riisttisch fir 
die Vorbereitung des Abendmahls. Er wird in 
Kirchen mit nur einer Apsis durch eine Wand- 
nische ersetzt. In groBen Kirchen gibt es aller- 
dings Nebenkapellen mit je einem zusatzlichen 
Altar. 

Da pro Altar und Tag nur ein eucharistischer 
Gottesdienst gefeiert werden darf, ermdg- 
lichen es die zusdtzlichen Altére, mehrere 
Abendmahlsfeiern in einer Kirche abzuhalten. 
Heiligenaltare wie in der r6misch-katholischen 
Kirche sind in der orthodoxen nicht tiblich. 
Heute werden Altaére aus Stein errichtet und 
mit einer allseitig vorkragenden Platte tiber- 
deckt, daritber kommt ein Tuch, auf das die 
Altargeriite gestellt werden. 

Nach alter Sitte werden griech. Altaére noch 
heute von einem — Ciborium -- es stellt den 
Himmel dar — iiberw6lbt. 

Einem Altar direkt den Riicken zuzuwenden 
zeugt von Mangel an Respekt. Den Altarraum 
diirfen durch die Schéne Pforte hindurch nur 
Geistliche betreten. 

(Sinnbildliche Bedeutungen des Altars — Kir- 
chengebiude.) 


36 


Ciborientiberwélbter Altar des Tempels in Jerusalem 
aus der —> Darstellung Christi. 
Goldmosaik in Osios Lukas bei Stiri, Anfang 11. Jh. 


Die historische Entwicklung des Altars 

zum Reliquiengrab 

Die einfachen Tische des friihchristl. Liebes- 
mahles — eines bereits im NT erwahnten ge- 
meinsamen Mahles der Gemeinde -- wurden 
ab Ende des 2.Jh.s, als die ersten Kirchen ent- 
standen, nach und nach durch feste Altare er- 
setzt. Die Sitte, an Martyrergrabern Abend- 
mahlsgottesdienste zu begehen, fiihrte dazu, 
Gedenkbauten (Memorien) und  gréfere 
Grabbauten fiir bedeutende Martyrer zu er- 
richten, unmittelbar tiber den Grabern auch 
Altare. 

Mit dem Ende der Christenverfolgungen in 
konstantinischer Zeit wurde der Reliquienkult 
mehr und mehr zum Zentrum volkstiimlicher 
Frémmigkeit. Man teilte die Martyrergebeine 
auf, verbrachte sie an Orte, die bis dahin noch 
nicht mit Reliquien geheiligt waren und setzte 
sie unter oder im Altar selbst bei; er nahm 
damit endgiiltig den Charakter eines Grabmals 
an. 

Der begrenzte Vorrat an Gebeinen lieB einen 
Bedarf an Reliquien zweiter Ordnung entste- 
hen, an Dingen, die mit den Gebeinen in 
Beriihrung gekommen waren. So wurden die 
Altarvorderseiten mit einem fensterartigen’ 
Durchbruch zur Reliquie hin — die sogenannte 
Confessio — versehen. 

Da hindurch haben die Glaubigen Giirtel, 
Bander, Stolen zur Reliquie hinabgelassen (> 
Gewander) oder aber — Ol auf die Gebeine 
aufgegossen, das man hernach wieder auffing. 


Altar/Altargerdt 


Die Weihnachtskrippe des Christuskindes ausgebildet als Grabaltar. Ausschnitt aus der Geburt Christi in der 


Klosterkirche von Daphni bei Athen. Ende 11.Jh. 


Besondere Bedeutung gewann die Confessio 
itiber dem Heiligen Grab in Jerusalem, haufig 
dargestellt mit der Ollampe tiber dem Altar, 
vor allem auf Pilgerflaschchen. Gier nach Reli- 
quien fiihrte dazu, da sich vor dem Altar hau- 
fig Szenen abspielten, die mit der Heiligkeit 
des Ortes schlecht zu vereinbaren waren -- ei- 
ner der Griinde fiir die vom 5.Jh. an aufkom- 
mende Tendenz, den Altarraum durch Schran- 
ken und Vorhange von den Glaubigen abzu- 
sondern. 


Die Gerate auf dem Altar 

Alle Gerite auf dem Altar haben ihre Bedeu- 
tung fiir den Gottesdienst. Im Notfall kann der 
Priester auf sie verzichten — allerdings auf ei- 
nes nicht, auf das Antiminsion. 


1. Antiminsion: Leinentuch mit Futter (wortl.: 
»anstelle des Tisches«), in das der Bischof bei 
der Weihe eine Kapsel mit Reliquienteilen 
einlegt. Es liegt zusammengefaltet auf dem Al- 
tar und wird wahrend der »Liturgie der Glau- 
bigen« vor dem grofen Einzug feierlich aus- 


Ubersicht tiber die Geraite auf einem Altar. 


einandergefaltet. Mit der Grablegung Christi 
und den vier Symbolen der Evangelisten be- 
stickt, reprisentiert es das Grablinnen Christi. 
Es dient als Unterlage fiir die Abendmahlsga- 
ben; ohne das eingendhte Reliquienstiick kann 
der Priester keine Liturgie feiern; dies erst 
macht den Altar zum heiligen Tisch und zu- 
gleich zum heiligen Grab Christi. (In der ré- 
misch-katholischen Kirche ist die Reliquie in 
den Altar selbst eingelassen.) 


37 


Altar /Altargeréit 


(+) Lt 


Symbolornament (2 Fassungen) auf Altardecken 
der mittelbyzantinischen Zeit (und auf priesterlichen 
—» Gewdndern); eine zeichenhaft vereinfachte 
Darstellung der Confessio des Heiligen Grabes in 
Jerusalem. 


Vorldufer des Antiminsion sind Altardecken, 
auf die ein- oder mehrfach ein von vier Win- 
keln umgebenes Feld appliziert war. Mitten- 
drin findet sich ein achtstrahliger Stern (Opfer 
Abels und Melchisedeks, San Vitale, Raven- 
na, 538-544, Sant’Apollinare in Classe, 7. Jh.) 
oder ein Kreuz (Osios Lukas, Anfang 11.Jh., 
Ochrid in Makedonien, Periwleptos 1295), 
letzteres oft erginzt durch vier Punkte, die die 
Abendmahlsbrote darstellen (—> Brot, -- 
Proskomidie). 
Die Bedeutung dieses auf Abbildungen von 
Altdren des 6.-14.Jh.s tiblichen und zundchst 
ratselhaften Vier-Winkel-Symbols wird durch 
eine Darstellung »Engel und Frauen vor dem 
leeren Grab« auf einem byz. Kastchen (Kast- 
chen Sancta Sanctorum, Vatikan, 6.Jh.) er- 
hellt: Anstelle des leeren Grabes findet sich im 
Hintergrund die konstantinische Grabeskir- 
che, in Form einer Aedicula (—~ Ciborium mit 
zugebauten Seiten). Durch die gedffnete Tir 
sind die vier Winkelflachen mit dem Kreuz zu 
sehen: Bildkiirzel fiir das Grab Christi. 
Von der Altardecke mit dem Zeichen »heiliges 
Grab« bis zum Antiminsion in der Bedeutung 
‘»Christi Grablinnen« ist nur ein kleiner 
Schritt. Zwei Fresken von antiminsionahnli- 
chen Tiichern mit eucharistischen Symbolen 
sind gegen 1070 entstanden (Shakli Kilise, Gé- 
reme, — Kreuz, —-> Mandylion, - Proskomi- 
die). Vom 13.Jh. an wurden die Antiminsion- 
tiicher mit Darstellungen der Grablegung be- 
stickt. 


2. Ewangelion: ein kostbares Buch mit den 
Evangelientexten liegt auf dem Altar. Wird in 
der »Liturgie der Katechumenen« in einer fei- 
erlichen Prozession (kleiner Einzug) ins Kir- 
chenschiff und durch die Schéne Pforte wieder 


38 


IN μὰ κῃ arr 

gi eee eee me eat ellen 
Evangelienbuch in der Hand des zwischen dem 
Kaiserpaar Konstantin LX. und Zoi thronenden 
Christus. Empore Ajia Sophia, Konstantinopel, 
1. Halfte 11. dh. 


hin zum Altar gebracht (+ Eucharistie, > Li- 
turgie, > Geburt Christi). 

3. Altarkreuz: groBes Standkreuz, verbleibt 
auf dem Altar. 

4, Segenskreuz: 20-30 cm hoch mit Griff, ge- 
schmiickt mit dem Bild des Gekreuzigten, oft 
auch mit anderen Szenen aus dem NT, steht 
rechts neben dem Evangelienbuch. Der Prie- 
ster erteilt mit dem Kreuz den Segen. Byzant. 
Kreuze waren zur Ehre Gottes aus Edelmetall; 
in der Zeit der Tiirkenherrschaft muBte sich 
die verarmte Kirche auf etwa 20 cm hohe, in 
unedles Metall gefaBte Holzkreuze beschran- 
ken, deren reiches Schnitzwerk den Verlust im 
Materialwert ausglich. Heute werden Segens- 
kreuze aus Bronze gegossen. Die dlteste Dar- 
stellung (San Vitale, Ravenna, 526-547) ist 
das geschweifte Gemmenkreuz in der Hand 
des Bischofs Maximianos. Die ornamentalen 
Stielkreuze, vor allem in bildlos ornamentier-' 
ten Kirchen zu sehen, lassen sich ebenfalls als 
Segens- oder Ritualkreuze auffassen. 

5. Zwei Rhipidien: Ehrenfacher aus Metall 
(Durchmesser ca. 30 cm) sind etwas hinter 
dem Standkreuz aufgestellt, das sie flankieren 
(— Pfau). 


Altar!/Altargerét 


6. Artophorion: (wértl. Brottrage), Behdlter 
zur Aufbewahrung von geweihtem Brot ftir die 
Krankenkommunion sowie fiir die Abend- 
mahlsfeier der »vorgeweihten Gaben« an den 
Wochentagen der Fastenzeit. Das Artopho- 
rion steht oft als kleines Kirchenmodell, in 
mittelbyz. Zeit als das der Grabeskirche‘in Je- 
rusalem ausgebildet, links neben dem Ewan- 
gelion. Artophorien in der Form der Taube 
des heiligen Geistes hangen an einer Kette 
vom Scheitel des — Ciboriums herab. In friih- 
christl. Zeit verwahrte man vorgeweihtes Brot 
in reich beschnitzten Elfenbeinbtichsen. 
Mitunter:steht rechts neben dem Artophorion 
oder auf dem Riisttisch ein Gabentrager aus 
Metall; er ist fiir den Transport der Gaben ans 
Bett Schwerkranker bestimmt. 

7. Thymiastirion: ein im Diakonikon (stidliche 
Apsisnische) aufbewahrtes WeihrauchfaB, 
wird vom Bischof, vom Diakon und vom Prie- 
ster benutzt. Sein kelchahnliches Unterteil mit 
der Pfanne fiir den gliihenden Weihrauch ist 
an mehreren Ketten befestigt, der zwischenge- 
klemmte Deckel wird so eingestellt, da& Luft 
an die Glut kommt, jedoch keine Weihrauch- 
partikel herausfallen. Kraftige ruckweise 
Schwenks um etwa 90° nach oben entfachen 
die Glut und lassen den duftenden Rauch her- 
ausquellen — als sichtbaren Ausdruck fiir die 
zum Himmel aufsteigenden Gebete. 

Der Weihrauch, im AT wie im NT haufig er- 
wahnt, dringt nicht vor dem 4.Jh. in die 
christ]. Liturgie ein. (In der Verfolgungszeit 
wurden Christen genétigt, ihrem Glauben da- 
durch abzuschwéren, daB sie vor Kaiserbil- 
dern Weihrauchkérner opferten!) Friiheste 
christ]. Darstellungen in Ravenna (San Vitale, 
Mitte 6.Jh., Sant’Apollinare in Classe, 7. Jh.); 
weihrauchschwenkende Engel erscheinen ab 
mittelbyz. Zeit in Darstellungen der Liturgie, 
in postbyz. Zeit in den Zyklen der — Apoka- 
lypse. 

8. Dikiro-Trikira: zwei Kerzenleuchter, vom 
Bischof benutzt, um beidhdndig der Menge 
das Kreuzeszeichen zu spenden. 

Das Dikirion, ein Leuchter mit zwei einander 
kreuzenden Kerzen, versinnbildlicht die géttli- 
che und die menschliche Natur Christi. 
Trikiron, ein Leuchter mit drei einander kreu- 
zenden Kerzen, reprdsentiert die Dreieinig- 
keit. 


Alle fiinf Kerzen zusammen spielen auf die 
Kosmoszahl (—> Zahl 5) an. 


- Geriite fiir die Proskomidie: 1. Rhipidion (Ehren- 


ficher), 2. Kelch, 3. Diskos (Patene), 4. Prosphora 
(Abendmahlsbrot), 5. Asteriskos, 6. Lawis, 

7. Logchi, 8. Anordnung des in vier Teile gebro- 
chenen Lammes bei der Eucharistie. 

Aus: J. G. King »Die Gebrauche und Ceremonien 
der griechischen Kirche in RuBland ...« Riga 1773. 


Gerite fiir die Zuriistung (- Proskomidie) 
und fiir das Abendmahl 


1. Diskos: ein Edelmetallteller (20-25 cm 
breit) mit FuB, innen vergoldet, fiir die Vorbe- 
reitung und Darbringung des Abendmahl- 
brots. Die ftir diesen Zweck bestimmten Pro- 
sphorenschalen — zunachst ohne Fu — lassen 
sich bis Anfang des 6. Jh.s zurtickverfolgen. Im 
Zentrum von Schalen nach dem Jahr 1000 
steht haufig die Gottesmutter: der Diskos gilt 
als Krippe, in der symbolisch in der Form des 
Brotes der neugeborene Christus liegt. 

2. Asteriskos: gekreuzte Metallbiigel, deren 
Schnittpunkt mit einem Stern verziert ist. Dies 
Gerat wird auf den Diskos gesetzt und soll ver- 
hindern, daB das Tuch, mit dem der Diskos 
abgedeckt wird, die ausgelegten Brotstticke 
beriihrt und durcheinanderbringt; symbolisch 


39 


Alttestamentliche Szenen 


stellt er den Stern tiber der Krippe dar. Im 
Gebrauch seit dem 9. Jh. 

3. Logchi und Mousa: (Die heilige Lanze und 
der Schwamm) bestehen aus einem seit dem 
8.Jh. nachgewiesenen Lanzettmesser mit ei- 
nem Kreuz als Knauf, zum Zerteilen des Bro- 
tes, und einem kleinen Schwammstiick, mit 
dem die Brotstticke in der rituell erwtinschten 
Form geordnet werden. Das Zerteilen des 
Brotes wahrend der Proskomidie wird als 
Schlachten des Lammes Christi aufgefafBt, 
Lanze und Schwamm bedeuten die Marter- 
werkzeuge. Den Prototyp der Logchi, die hei- 
lige Lanze, mit der Christi Seite aufgestochen 
wurde, hat Helena in Jerusalem aufgefunden 
(— Konstantin und Helena). 

4. Lawis: vergoldeter eucharistischer Léffel 
zum Austéilen des in Wein getauchten Brotes. 
Lawis bedeutet wértl. Zange, sie spielt auf die 
des Propheten —> Jesaias an; ein Seraph hatte 
mit ihr ein Sttick glithender Kohle gebracht, 
um die Lippen des Propheten zu reinigen. Der 
Priester bezeichnet in seinen Gebeten um Rei- 
nigung die Abendmahlsgaben als die gliihende 
Kohle des Jesaia: »Siehe, dies hat meine. Lip- 
pen bertihrt und es wird hinwegnehmen meine 
Missetaten und mich reinigen von meinen Siin- 
den« (aus der Liturgie der Glaubigen nach Jes. 
6, 7). 

Der Léffel, der Christus als Abendmahlsgabe 
aufnimmt, symbolisiert auch die Gottesmut- 
ter, die das Christuskind in sich trug (> Bren- 
nender Dornbusch). 

5. Potirion: Abendmahlskelch mit Knauf. Das 
alteste erhaltene Fragment wurde nach 300 ge- 
schaffen. Nach dem 9.Jh. entstandene Kelche 
bestehen aus Edelmetallen und kostbaren 
Steinen. Bis zum 13.Jh. hat es auch zwei- 
henklige GefaéBe mit niedrigem Fu8 gegeben 
(Opfer Abels und Melchisedeks: San Vitale, 
Sant’Apollinare in Classe, Ravenna). Form- 
schéne WeingefiBe verschiedenen Typs finden 
sich in zahlreichen eucharistischen Darstellun- 
gen, auch in Bildern des historischen Abend- 
mahls. 

6. Kalymmata: zwei Decken. Wahrend der 
Proskomidie wird je eine tiber den Diskos und 
tiber den Kelch gelegt. 

7. Aér: ein etwa 50 Χ 50 cm groRes Tuch, des- 
sen Name »Lufthauch« bedeutet. Es wird tiber 
Kelch und Diskos, beide bereits mit den bei- 


40 


den Kalymmata abgedeckt, gebreitet. So ver- 
hiillt werden die Gaben vom Riisttisch in der 
Prothesis zum Altar verbracht. Wahrend des 
Glaubensbekenntnisses wird das Aér iiber den 
Gaben geschwenkt; wenn der Bischof zele- 
briert, wird es von Geistlichen wie ein Balda- 
chin iiber seinem Kopf gehalten. Beides ver- 
sinnbildlicht das Wehen des Heiligen Geistes. 
Aufgekommen ist das Aér wohl im 7. oder 
8.Jh; nach 1000 hat man es haufig mit »Grab- 
legung« oder »Beweinung« bestickt. Im 13. Jh. 
hat sich daraus das Epitaphiostuch (— Pas- 
sionszyklus) abgespalten. Dies wurde zundchst 
beim grofen Einzug von zwei Diakonen wie 
ein halbrunder Baldachin tiber dem Priester 
gehalten, der fast darunter verschwand (gottl. 
Liturgie um den Kuppelpantokrator im Me- 
teorakloster Nikolaos Anapawsas, 16. Jh.). 


Alttestamentliche Szenen 


CTOIXEIA ΑΠΟ THN ΠΑΛΑΙᾺ 
ATAOHKH 

Stichia ap6 tin palaa Diathiki 

Die Ereignisse des AT haben fiir die dstlichen 
Kirchen nur insoweit Bedeutung, als sie als 
Hinweise auf die Heilsereignisse des NT und 
das Heilsgeschehen in der Liturgie verstanden 
werden k6énnen. 


Wandmalerei und Liturgie 

Zwischen dem 11. und 13.Jh. wurden byz. 
Handschriften vor allem der ersten acht Bii- 
cher (Okatateuch) des AT reich illustriert. 
Von diesen AT-Motiven wurden nur diejeni- 
gen ftir die Wand- und Ikonenmalerei tiber- 
nommen, die 


vy typologisch auf Christus, besonders auf 
Leiden und Auferstehen sowie auf das Abend- 
mahl hinweisen, 

yx Gegenbilder (Antitypen) darstellen, also 
Unheilsereignisse schildern, die durch die 
Heilsereignisse des NT aufgehoben werden 
(Stindenfall, Brudermord, Turmbau zu Babel), 
yr die Heilsgestalten des NT legitimieren 
(Stammbaum Christi—> Wurzel Jesse, > David). 


Die meisten dieser Motive sind als Bildanspie- 
lungen auf die Antiphonen -- Gesange, die auf 
Psalmen und Prophetenworten beruhen — zu 


Anbetung Christi 


Ubersicht: Typologische Vorbilder 


Fiir die Taufe Fiir Christus als Priester 
Niéheres unter —» Ciborium. Typologische Vorbilder Abel als Opfernder (> Adam und Eva) 
fiir die Taufe werden gewohnlich in der Kuppel Melchisedek (— Abraham) 
i ialen) d tellt (—> Tauf 

aa μον δ δ, ΧΕἸΒΙΞΠ) dargestelle (Taal Fiir Christi Tod und Auferstehung 

Ermordung Abels (> Adam und Eva) 
Fiir das Abendmahl Opferung Isaaks (> Abraham) 
Opfer Abels und Kains (+ Adam und Eva) Erhéhung der ehernen Schlange 
Opfer — Noahs — Jonas vom Walfisch verschlungen 
Noah pflanzt Wein —> Simson ringt mit dem Lowen 
Gastfreundschaft Abrahams (-- Pfingsten) — Daniel in der Lowengrube 
Opferung Isaaks (> Abraham) Die drei Jiinger im Feuerofen (~ Daniel) ἡ 


Opfer Melchisedeks (> Abraham) 


Mose feiert das Passahfest Fiir die Gottesmutter 


Mannaspeisung in der Wiiste — Himmelsleiter 
Speisung — Elias durch den Engel — Brennender Dornbusch (+ Mose) 
. — David tanzt um die Bundeslade 
Fiir das Kreuz Bundeslade auf dem Berge Zion (> David) 
Niaheres > Kreuz —> Gideon und das betaute Fell 


Verkiindigung von — Simsons Geburt 


verstehen, die in der vorésterlichen Fastenzeit 
gesungen werden. 

Naheres zu AT-Motiven unter den Stich- 
worten: : 
Schatten, Adam und Eva, Noah, Turmbau zu 
Babel, Himmelsleiter, Joseph von Agypten, 
Moses, Brennender Dornbusch, Bileam, Jo- 
sua, Bundeslade, Gideon, Simson, David, Sa- 
lomon, Elias und Elisas, Jesaias, Daniel, Jo- 
nas, Propheten, Wurzel Jesse, Ciborium, He- 
sekielvision, Jerusalem. 


Anbetung Christi durch die Weisen 
aus dem Morgenland 


H MPOCKYNHCIC TON MATON 
I Proskynisis ton Magon 


Fremde Astrologen, Sterndeuter aus Persien, 
huldigen dem Christuskind und offenbaren da- 
durch, daB dieses Kind der — noch verborgene 
— Allherrscher ist: Herr nicht nur tiber das jii- 
dische Volk, sondern tiber alle Menschen, 
gleichgiiltig welcher Herkunft, Herr auch tiber 
Sonne, Mond und Gestirne. 


Festtag Puig eens 
Im Osten wie im Westen wird die »Anbetung« Die Magieraus dem Morgenland. Wandfresko, Ajiou 
am 6.Januar gefeiert. Allerdings wird in der Nikolaou Orphanou, Thessaloniki, 1. Halfte 14. Sh. 


41 


Anbetung Christi 


orthodoxen Kirche am gleichen Tag die — 
Taufe Christi mit der Wasserweihe begangen, 
hinter der das Motiv der Magier, aus denen im 
Abendland die Heiligen Drei Kénige aus dem 
Morgenland wurden, zuriicktritt. 


Die drei Magier (Weisen) im Bild 

»Deine Geburt, Christe, unser Gott, lie® erstrahlen 
der Welt der Erkenntnis Licht, denn dabei wurden 
die Anbeter der Gestirne belehrt Dich anzubeten, 
als die Sonne der Gerechtigkeit und Dich zu erken- 
nen, als den Aufgang aus der Héhe.« Aus der Weih- 
nachisliturgie 


Die niederknienden oder heranreitenden’ 


Astrologen werden entweder in die - Geburt 
Christi einbezogen oder separat in einem Ne- 
benbild dargestellt. Ihre Dreierzahl leitet sich 
von den drei bei Matth. 2.9-11 genannten, auf 
den Bildern meist mit verhiillten Handen dar- 
gebrachten Gaben ab: 


»Siehe, der Stern, den sie in ihrer 6stlichen Heimat 
gesehen hatten, ging (wieder) vor ihnen einher bis 
sie dorthin gelangten, da er dort dariiberstand, wo 
das Kind war. Und sie gingen hinein in die Behau- 
sung, fanden das Kind mit seiner Mutter, fielen nie- 
der und huldigten ihm ausgestreckt auf der Erde 
liegend (wie man es bei einem K6nig macht), und 
taten ihre Schatzkisten auf und brachten ihm Ge- 
schenke dar: Gold, Weihrauch und Myrrhe« Matth. 
2.9--11 


Myrrhe ist ein Weihrauchharz. Ephram der 
Syrer sagt dariiber: »Heidnischer Weihrauch 
von den Magiern geheiligt. « 

Der sechs- oder achtstrahlige — Stern schwebt 
tiber dem Kind oder fiihrt die Magier an, er 
wird gelegentlich von einem Engel vor ihnen 
hergetragen. Meist deutet der erste Magier mit 
der Rechten auf den Himmelskérper. Kennt- 


lich sind die Magier an ihren persischen Hosen . 


und vor allem an den phrygischen Miitzen — 
langen spitzen Zipfelkappen aus Stoff oder 
weichem Leder, wie sie u.a. die aus dem 
kleinasiatischen, zeitweise persisch beherrsch- 
ten Phrygierlande (westlich von Kappadokien) 
stammenden Amazonen getragen haben sol- 
len. 

Im Rahmen von Bildzyklen der Kindheitsgeschichte 
Marias und Christi (= Marienzyklus) wird oft der 
gesamte Erlebniskomplex — die Suche nach dem 
neugeborenen Kénig der Juden — aufgerollt: Die 
Weisen kommen bei Herodes an, werden bewirtet, 


42 


unterrichten ihn fiber das Kénigskind. Herodes, tief 
beunruhigt, berat sich mit Schriftgelehrten und Ho- 
henpriestern, die auf Bethlehem als prophezeite 
Geburtsstatte eines kiinftigen Herrschers hinwei- 
sen. Herodes sendet die Weisen dorthin und ver- 
langt, ihm auf dem Heimweg Bericht zu erstatten. 
Gott befiehlt ihnen jedoch im Traum, auf einem 
anderen Weg in ihre Heimat zuriickzukehren. He- 
rodes la8t in Bethlehem alle Kleinkinder ermorden. 


Entwicklung des Magier-Motivs 

von 300 bis heute 

Das Magiermotiv ist gleichzeitig mit dem Mo- 
tiv von der —> Geburt Christi um 325 aufge- 
kommen. Das erste 6kumenische Konzil in Ni- 
zéa hatte betont, Christus sei als wahrer Gott 
und auch als wahrer Mensch anzusehen — die- 
ses sollte bildhaft durch die beiden Motive ver- 
kiindigt werden. 

Auf friihen Sarkophagen wurden die drei Wei- 
sen gerne den drei Jiinglingen im Feuerofen 
(— Daniel) gegeniibergestellt: Die drei eben- 
falls aus der Fremde Stammenden haben 
standhaft dem falschen Herrscher die Anbe- 
tung verweigert — so wie die treu gebliebenen 
Christen der Verfolgungszeit sich weigerten, 
vor dem Kaiserbild zu opfern (—> Kranz). 

Auf rémischen Sarkophagreliefs und in Kata- 
kombenmalereien (4. Jh.) thront auf einer Ka- 
thedra die kénigliche Gottesmutter — hoch im 
Profil. Ehrfiirchtig nahen sich ibr von links die 
Magier. Bei einem Teil der Denkmialer fehit 
der Stern, bei anderen schwebt er tiber oder 
vor der Gottesmutter. Deutet der erste Magier 
darauf, beweist dies, daB das Gestirn bereits 
als Reprisentation Christi verstanden wird. 
Auf manchen Sarkophagen ist eine kreisférmi- 
ge Scheibe zu sehen: der Stern war aufgemalt 
und ist heruntergewaschen. Manchmal taucht 
ein bartiger Asket hinter dem Thron auf — der 
Prophet — Bileam. Gegen Ende des 4.Jh.s 
werden auch die Magier (immer links), der 
Stern, das Kind in der Krippe, die Muttergot- 
tes, oft auch ein Hirte, in einem Bilde verei- 
nigt. Vom 5.Jh. an fiihrt haufig ein Engel, der 
auch den Stern tragen kann, die Magiergruppe 
an. Vorbild sind rémische Kaiserhuldigungs- 
szenen: die gefliigelte Viktoria fiihrt den Zug 
derer, die zur Audienz erscheinen. Zur Zeit 
Justinians gerét die Magierszene in den Sog 
des aufblithenden christl. Kaiserkultes. In 
Santa Maria Maggiore (Rom, ab Mitte 5. Jh.) 


Apokalypse 


thront der fiinfjahrige Christusknabe auf einer 
bettartig breiten reichverzierten Kathedra. 
Uber ihm der achtstrahlige Stern, flankiert 
von vier stehenden Engeln; links von ihm 
thront Maria, rechts als allegorische Gestalt 
die heidenchristl. Kirche. An den auBersten 
Randern erscheinen links ein, rechts zwei Ma- 
gier in kéniglich prachtigem Aufzug. 

In Ravenna, Sant’ Apollinare Nuovo (ca. 650) 
stiirmen drei Magier mit Geschenken in den 
verhiillten Handen auf die frontal thronende 
Himmelsk6nigin zu, die einen winzigen, er- 
wachsen wirkenden Christusknaben auf dem 
Scho8 halt. Vier Engel mit Herrschaftsstaében 
flankieren sie. Auch auf Pilgerampullen aus 
dem heiligen Land (6. und 7.Jh., Monza) 
thront Maria frontal zwischen drei Magiern 
und drei Hirten. Schwebende Engel halten ei- 
ne Scheibe mit einem achtstrahligen Stern 
iiber sie. Ab 8.Jh. (Bilderstreit) erscheinen die 
anbetenden Magier innerhalb erzahlender 
Bildreihen — mit Namenbeischriften. Die 4lte- 
sten bekannten Beispiele sind 


vr eine armenische Fassung des Protevange- . 


lium des Jakobus (6.Jh. oder friiher): erstmals 
werden die Magier als kénigliche Briider be- 
zeichnet, Melquon beherrscht Persien, Baltha- 
sar Indien, Gaspar Arabien. 


vy eine alexandrinische Schrift (6. Jh.); nennt 
Melichior, Bithisarea, Gathaspa. 

Koptische Amulett-Texte (6.—7./8.Jh.) brin- 
gen die Magier zusammen mit dem beriihmten 
apotropdisch-magischen Quadrat der Sator- 
Arepo-Formel. Quadrat und Magiernamen 
dienen als Abwehrzauber gegen den Bésen 
Blick, gegen Damonen und anderes Unheil — 
wie heute noch in katholischen Gebieten die 
an Dreikénig mit Kreide auf den Tiirsturz der 
Hauptpforte geschrieben »19-K+M+B— 
88« (im Bereich der Ostkirche unbekannt!). 
Die altesten bekannten Namenbeischriften zu 
Wandbildern — Melcheon, Gaspar, Waltasar 
(ahnlich:in einer lateinischen Schrift von 845 
aus Ravenna) — finden sich in der kappadoki- 
schen Hohlenkirche Egri Tash Kilisesi, Ihlara, 
Ende 9.Jh. Aus der Zeit stammt auch eine 
Darstellung in der nahen Kokar Kilise mit fiinf 
anbetenden Hirten, die laut Beischriften Sa- 
tor, Arepo, Tenete, Opera, Rotas heiBen: es 
sind die fiinf Worte des magischen Quadrats. 


In mittelbyz. Zeit wird das Anbetungsmotiv ce 
teils ins Weihnachtsbild einbezogen, teils als | 
Bild danebengestellt. In spatbyz. Zeit ver- 
drangt humane Empfindsamkeit die urspriing- 
liche hieratische Strenge der Darstellung: Das 
Kind streckt seine Arme den Magiern entge- 
gen, die Mutter neigt ihm ihren Kopf zu. 
Sternsinger sind in Griechenland nicht be- 
kannt, wohl aber deren Vorform, die Sanger, 
die mit Kdélanta-Heischeliedern zwischen 
Weihnachten und Neujahr (— Basilios) und 
bei anderen Festen (— Lazarus) von Haus zu 
Haus ziehen. (Kdlanta: serb: coleda, ma. lat. 
currente). 


Antiminsion 
TO ANTIMHNCION 


to antiminsion 


Zusammenfaltbares Tuch, das als Unterlage 
fiir die Abendmahlsgaben auf den Altar gelegt 
wird. Es enthalt eine eingenahte Reliquie und 
ist fiir die Eucharistiefeier unverzichtbar. > 
Altar/Altargerat. 


Apokalypse 


H AMOKAAYYWIC 

i Apok4lipsis 

Als »Offenbarungen« werden jiidische und 
christl. Schriften (auch bestimmte Einschtibe 
ins AT) bezeichnet, die angeregt durch Visio- 
nen den Untergang der Welt und die darauf 
folgende Heilszeit beschreiben. 

Sie sind charakteristischer Ausdruck einer be- 
tont historischen Weltsicht, die die Weltge- 
schichte als ausgespannt empfindet zwischen Ὁ 
einem bestimmten festgelegten Anfangs- und 
einem unwiderruflichen Endpunkt. Diese 
Weltschau, die Abendland und Islam in unter- 
schiedlicher Weise vom Judentum geerbt, un- 
terscheidet sich von der eines zyklischen Ab- 
laufes (ewiges Vergehen und Neuerstehen) 
der anderen Kulturen. In der zu kosmologi- 
schen Kategorien neigenden orthodoxen Kir- 
che war die Apokalyptik zeitweise umstritten. 
Von den sechs Offenbarungen christl. Her- 
kunft hat allein die Apokalypse, die dem 
Evangelisten Johannes zugeschrieben wird, 


43 


Apokalypse 


Bedeutung erlangt; als letzte Schrift wurde sie 
ins NT aufgenommen. 


Einflu8 der Lutheriibersetzung des NT 

auf die nachbyzantinischen Apokalypsezyklen 
in den Athoskléstern 

Wahrend bereits im 2.Jh. westliche Kirchen- 
vater die johanndische Apokalypse zum NT 
gezihit haben, wurde sie von — Johannes 
Chrysostomos und anderen Kirchenvatern des 
Ostens scharf abgelehnt. Kanonisiert wurde — 
518 erst voi Konzil von 692, doch wird sie bis 
heute weder in liturgischen Gesangen noch in 
gottesdienstlichen Lesungen beriicksichtigt. 


Vorbild fiir Athos-Fresken: Holzschnitt von Lukas 
Cranach in der ersten Ausgabe des NT M. Luthers 
(Septembertestament). 


Die erste Ausgabe des von Luther verdeutsch- 


ten NT — Wittenberger Septembertestament ἱ 


von 1522 — war auBer mit Bildinitialen ledig- 
lich mit 21 Holzschnitten zur Apokalypse illu- 
striert. Lucas Cranach d.A. hatte dafiir Dii- 
rers Holzschnitte vereinfacht und die Bildin- 
halte zugleich im antirémischen Sinne poin- 


44 


ΠΣ ΞΡ ἘΦ eee az Σ Κ SSAC RESO RH Hl 
Die vier apokalyptischen r, Offbg. Joh. 6, 8-11, 
Fresko im Athoskloster Dionysiou (vor 1568). 
Linkes Bild: Das Lamm empfiingt das Buch mit den 


sieben Siegein. 


tiert. Nachschnitte fertigte Hans Holbein d.J. 
ftir den von Thomas Wolff besorgten verklei- 
nerten Nachdruck des Luther NT (Basel 1523) 
an. Beide Holzschnittserien dienten als Vorla- 
gen fiir postbyz. Freskenzyklen in den K1é6- 
stern des Athos. 

1568 Kloster Dionysiou, Portikus und Trape- 
za, friiheste Apokalypse-Darstellungen (21 Il- 
lustrationen nach Cranach und Holbein). 

Um 1850 Kloster Xenophontos, Exonarthex 
des Katholikon, Freskenzyklus (Vorbild Dio- 
nysiou). 1676 Kloster Dochiariou, Trapeza, 21 
Fresken (vorwiegend nach Holbein). 

Alle spateren Apokalypsefresken auf dem 
Athos -- Mega Lawra 1719 und 1814, Philo- 
theou 1765, Karakailou 17, Xeropotamou 
1783, Iwiron 1795, Zographou (1849) — sind 
freier gestaltet, ihre Ableitung von der Diirer- 
Apokalypse ist dennoch augenscheinlich. 


Die Themen der apokalyptischen Zyklen auf 
dem Athos: 


ἢ G. Offbg. Joh. 1, 12-20: Die sieben Leuchter (Sym- 


bole der sieben Gemeinden, an die Johannes sieben 
Sendschreiben richtet) und der Mann mit der 
Schwertzunge. 

Q. Offbg. Joh. 5 und 6, 1: Eréffnung des siebenfach 
versiegelten Buches. 

“3, Offbg. Joh. 6, 2~8: Die vier apokalyptischen Rei- 
er erscheinen bei der Offnung der ersten vier Siegel 
des Buches. 

4.0 ffbg. Joh. 6, 9-11: Die Verteilung weiBer Klei- 
der an die Martyrer, die unter dem Altar auf das 
neue Jerusalem warten (Offnung des fiinften Sie- 


gels). 


Apostel 


Das Softnenwelb und der Kampf Michaels mit den 
Drachen nach Offbg. Joh. 12, 1-9. Athoskloster 
Zographou, 1849. Barockisierender Stil. 


5. Offbg. Joh. 6, 12-17: Erdbeben, Sonnenfinster- 
nis, Sternenregen (sechstes Siegel). 

(6: Offbg. Joh. 7: Ein Engel kennzeichnet die Knech- 
‘te Gottes mit dem Siegel (Kreuzeszeichen mit Wein 
aus einem Abendmahliskelch als Blut des Lammes, 
2 pilus an das erste Passahfest beim Auszug aus 
Agypten, 2 . Mose 12). 

7, Offbg. Joh. 8: Die vier ersten von Engeln gebla- 
senen Posaunen (siebtes Siegel): Hagel, brennender 
Berg, Stern Wermuth, Verfinsterung der Gestirne, 
dreifaches Wehe. 

18. Offbg. Joh. 9, 1-12: Fiinfte Posaune, Brunnen 
des Abgrundes mit gepanzerten Heuschrecken. 

9. Offbg. Joh. 9, 13-21: Sechste Posaune, vier Wiir- 
geengel mit Lo6wenreitern. 

10. Offbg. Joh. 10: Engel mit Saulenbeinen und 
Sonnenkopf, gibt Johannes ein Buch, das er ver- 
schlingen soll (ahnlich Ez. 3, 1-3). 

11. Offbg. Joh. 11, 1-14: Vermessung des Tempels 
sowie Drache, der die Balken Vermessenden ver- 
schlingt. 

12. Offbg. Joh. 12, 1-6: Das Weib mit der Sonne 
bekleidet auf der Mondsichel und der Drache. 

13. Offbg. Joh. 13: Der siebenképfige Drache aus 
dem Meer und der zweik6pfige aus der Erde. 

14. Offbg. Joh. 14, 1-8: Das Lamm erscheint auf 
dem Berge Zion. Der Fall Babylons. 

15. Offog. Joh. 14, 9-20: Die Ernte und die Blut- 
kelter. 

16. Offbg. Joh. 16: Das AusgieBen der Schalen des 
Zornes Gottes durch die Engel. 

17, Offbg. Joh. 17: Die Babylonische Hure auf dem 
Untier reitend. 

18. Offbg. Joh. 18: Die Klage iiber den Untergang 
Babylons und der Engel, der den Miihlstein (Sym- 
bol Babylons) ins Meer wirft. 

19. Offbg. Joh. 19: Der Sturz des Tieres in den bren- 
nenden Abgrund und der Ritter »Treu und Wahr- 


haftig« mit dem blutbespritzten Kleid auf dem wei- 
Ben Pferd. 

20. Offbg. Joh. 20: Der Engel, der den Satan auf 
1000 Jahre bindet. 


' 21. Offbg. Joh. 21: Das neue Jerusalem. 


Die Situation der Apokalypse-Darstellung 
auBerhalb des Athos 

Die reformatorische Bewegung hatte fiir die 
Illustration des NT apokalyptische Themen 
bevorzugt, weil sie die eigenen Zeitlaufe als 
Abschnitt der Weltuntergangsepoche emp- 
fand. (Luthers Vorrede zur Apokalypse. Er 
deutet darin in polemischer Weise persénliche 
Gegner als apokalyptische Ungeheuer.) Die 
Athosm6nche sahen sich unter der Osmanen- 
herrschaft nach dem Zusammenbruch des byz. 
Reiches in ahnlicher Situation und griffen des- 
wegen die Thematik der Holzschnitte begierig 
auf. Apokalyptische Darstellungen waren im 
byz. Raum; Zuyor unbekannt; nicht einmal auf 
Patiiidg; wo Johannes nach Offbg. 1, 9 die apo- 
kalyptischen Visionen gehabt haben soll, fin- 
den sich Fresken mit solchen Motivén. Einzel- 
elemente apokalypti her “Thematik - »Zu- 
sammenrollen | 5. Himmels« und »Erdé und 
Meér geben ihre Toten frei« sind allerdings ab 
1000i in ‘Darstellungen des —> Endgerichtes ein-. 
gegangen. 

Vom Athos — und damit von den protestanti- 
schen Holzschnitten — unabhangige postbyz. 
Apokalypse-Zyklen finden sich nur auf Rho- 
dos: Kirchen der Heimholung Maria (Kimesis 
tis Theotdkou) in Asklipié (1646) und in Kat- 
tawid (17.Jh.). 


Apostel 


OI MAOHTAI 

i Mathita 

Die zw6lf engen Anhanger Christi werden im 
NT als seine Schiiler (matheta), nicht so haufig 
als Sendboten (apéstoli) bezeichnet (Matth. 
10, 2). Die Zwélf ist auch in Byzanz die Zahl, 
die die Gesamtheit aller K6nigreiche dieser 
Welt reprisentiert (— Zahl). Nach Luk. 10, 1 
und 17 wird ein weiterer Kreis von 70 Man- 
nern als Apostel bezeichnet. Das Malerhand- 
buch (Ermenia) gibt fiir sie Namen an; Dar- 
stellungen der 70 sind jedoch unbekannt. 


45 


Apostel 


Festtag der 12 Apostel 

Im Osten ist der 30. Juni, der Tag nach »Peter 
und Paul«, der Aposteltag; im Westen fallen 
beide Tage zusammen und werden am 29. Juni 
gefeiert. 


Ist der 30. ein Sonntag, dann feiern in den 
Kirchen, die den zwélf Aposteln geweiht sind, 
zwolf Priester gemeinsam die Liturgie. 

Sie représentieren die Zw6lf Schiiler (Jiinger) 
Jesu. 


Ubersicht: Liste der Apostel 


nach dem NT byzantinische Reihe 
Gruppe Name Attribut — nur in Gruppe Name Kennzeichen Tag 
. der westlichen Kunst 
iiblich 
Die vier Petrus Schltissel Gruppe Petrus grauhaarig,runder 18.Juli 
Erst- Andreas Andreaskreuz der acht Bart, Brief: 
berufenen Jakobus Muschel, Pilgerhut Apostel Petr 1,1. »Ich Petrus, 
Johannes Kelch mit Schlange Apostel Christi« 
ie Paulus dunkel, Stirnglatze, 18.Juli 
2.Gruppe Philippus Kreuz ἴῺ der Hand νὰ tae 
Bartholo- : 
πιᾶας Wickes 14 gerollten Briefe 
Matthaus Beil, MeBlatte, Andreas lockiger Greis, 30. Nov. 
WinkelmaB zweigespaltener Bart, 
- mit Kreuz und 
Thomas Lanze, WinkelmaB 
gerolltem Blatt 
3. Gruppe Jakobusd.A. Walkerstange Simon alt, kahlk6pfig, 3. Mai 
Thadddus  Keule, Beil runder Bart 
(mit Bei- Jakobus jung, mit Bartansatz 30. April 
namen Judas) Bartholo- jung, mit Bart- 11. Juni 
Simon maus ansatz ᾿ 
Zelotes Sage, Beil Thomas jung, bartlos 6. Okt. 
Judas Philippus jung, bartlos 14. Nov. 
Ischariot Miinzbeutel hae 
Gruppe Johannes kahiképfig, 26. Sept. 
-Nach seinem Verrat und Selbstmord wurde dervier Theologos langer weifer Bart, 
Judas Ischariot durch den nachgewahlten Evange- halt sein Evangelium 
Matthias (Beil, Lanze, Steine) ersetzt. listen Matthaus Greis mit langem 16. Nov. 
Die Apostelgeschichte nennt Barnabas als Bart, Evangelium 
12. Apostel. Dennoch gilt in der gesamten Lukas junger Krauskopf, 18. Okt. 
christlichen Kunst Paulus (Schwert) wegen (eigentlich ‘wenig Bart, 
seiner ekstatischen Christusvision bei kein Evangelium 
Damaskus als der 12. Apostel, der Apostel Apostel) 
der Heiden. Markus grauhaarig, 25. April 
(eigentlich mit rundem Bart, 
kein Evangelium 
Apostel) 


Anihren Attributen lassen sich die byz. Apostel nur 
sehr schwer unterscheiden. In altchristl. Zeit tragen 
sie einheitlich Kranze oder Biicher, nur Petrus 
(Schliissel) und Paulus (Schriftrolle) sind durch Attri- 
bute herausgehoben. Der Bruder des Herm, Jakobus, 
wird gelegentlich auch alt und mit einem Priesterge- 
wand angetan dargestellt. 


46 


Apostel 


Der Leedeplos Christus erscheint den es ae einem Berg in Galilda (Mat. 28, 16-17). 
Tokali Kilise I, Géreme, Kappadokien, Anfang 10. Sh. 


Aposteldarstellungen und deren Zuordnung 
zum Kirchenraum 

Einzelne oder simtliche Apostel erscheinen 
auf Darstellungen des Lebens Jesu: Apostel- 
berufung (Tokali I), ~ Wunderspeisungen, > 
Passions- und Nachosterzyklus, Apostelent- 
sendung (Tokali I, Géreme, Anfang 10. Jh.; 
Cavusin Kilise, 2. Halfte 10.Jh.), ~ Himmel- 
fahrt. Weitere Motive mit allen Zwolfen: — 
Pfingsten, Apostelkommunion (— Euchari- 
stie), --Ὁὁ Heimholung Marié. Physiognomisch 
herausgehoben werden Petrus, Paulus und Jo- 
hannes (—> Evangelisten). Auer ihnen erhal- 
ten nur diejenigen Apostel Namenszusatze, 
die auch in den Evangelien des 6fteren auffal- 
len: Jakobus (> Verklérung), ~ Thomas. 
Geht es darum, die Reihe der Zwé6lf als Ein- 
zelfiguren darzustellen, werden in der Regel 
acht Apostel (Gruppe 1 und 2) und vier Evan- 
gelisten ausgewahlt. In friihmittelbyz. Zeit be- 


setzen die vier Evangelisten die vier zum Kup- 
pelrund iiberleitenden Eckzwickel (Penden- 
tifs), die Acht umgeben im achtfenstrigen 
Kuppeltambour den Christus Pantokrator in 
der Kuppel. (Das erinnert einerseits daran, 
da8® sich die Darstellung des --Ὁ Pantokrator 
aus dem Bild der > Himmelfahrt herausent- 
wickelt hat, andererseits an die weiter unten 
erwahnte friihchristl. Gleichsetzung der Apo- 
stel mit Sternbildern.) 

Etwa ab 1000 werden die acht Tambourapostel 
durch 16 Propheten ersetzt. Die Jiinger er- 
scheinen jetzt auf Kleinstikonen, angebracht 
am Haupt-Kronleuchter, der von der Kirchen- 
kuppel herabhangt, oft auch um die — Deisis 
herum auf der Bilderwand (> Ikonostase). 
Die zwélf Apostel gelten als »die Saulen der 
Kirche«; in modernen Hallenkirchen mit zwei 
mal sechs Sdulen ist auf jeder ein Apostel ab- 
gebildet. 


47 


Apostel 


Die Apostel umgeben als Sternbilder und Monats- 

zeichen die »Taufe Christi im Jordan«, Darstellung 
des Neujahrsfestes. Baptisterium der Orthodoxen, 

San Giovanni in fonte, Ravenna, um 450. 


Die Apostel als Sternbilder und 
Monatszeichen 

Vom 2.Jh. an, besonders aber unter —> Kon- 
stantin, wird Christus mit der Sonne, zugleich 
Reprdsentation des Jahres, gleichgesetzt, die 
Apostel mit den Sternbildern bzw. den Mona- 
ten. (Clemens Alexandrinus: Christus ist »das 
willkommene Jahr ... die Apostel sind die 
Monate«.) Ein weiteres Beispiel fiir die 
Zuordnung von Heilsgestalten zu Gestirnen ist 
Maria, die mit dem Mond in Verbindung ge- 
bracht wird. 

In einer Parallelentwicklung haben sich das 
friihe Christentum wie das spate Judentum 
von Nationalkulten zu Religionen mit kosmi- 
schem Anspruch gewandelt: In Synagogen 
wurden vom 4.Jh. an um ein Kuppelscheitel- 
Medaillon mit der Sonne die mit den zwdlf 


Patriarchen gleichgesetzten zwélf Tierkreiszei-. 


chen gruppiert. 

Die vier Eckzwickel besetzen die sogenannten 
Angesichtsengel Gottes (z.B. in Beth Alpha 
nach 569). In der Synagoge von Beth Schean 
(6.Jh.) umgeben Allegorien fiir die zw6lf Mo- 
nate Sonne und Mond. Schon Konstantin, der 
die Sonnen- und die Christus-Symbolik mitein- 
ander verband, hatte eine Apostelkirche er- 


48 


richten lassen — und daneben sein Mausoleum. 
Er verstand sich als der 13. Apostel und erwar- 
tete zusammen mit ihnen, nach seinem Tode 
ebenfalls astral verk6rpert zu werden. 

In den Baptisterien Ravennas (Baptisterium d. 
Orthodoxen, Mitte 5., der Arianer, Ende 
5.Jh.) umkreisen die Apostel als Monatsstern- 
bilder die Szene der —> »Taufe Christi im Jor- 
dan«: eine Darstellung der Erscheinung des 
gottlichen Lichts, der Sonne der Gerechtig- 
keit. Petrus und Paulus fihren die Apostel, die 
goldene —> Kranze in Handen halten, an. 

In Ornamentaldarstellungen mit deutlich 
astralem Charakter aus der Zeit des Bilder- 
streites umgeben zwélf Apostel in der Form 
von Sternsymbolen das sonnenhafte Christus- 
kreuz (Giiltidere Nr.5, Uziimlii Kilise, Kizil 
Cukur, Kappadokien, 7. oder 8. Jh.). 


Zerstortes Scheitelfresko im Kuppelraum einer 
H6hlenkirche. Christus als Sonnenkreuz umgeben 
von zwélf Aposteln als Gestirne. Uztimlii Kilise, 
Giiliidere, Kappadokien, friihikonoklastisch, 

ca. 8. Sh. 


Uberall dort, wo auf Ornamenten die Zahl 
zwolf (oder acht und vier) auftaucht, sind ver- 
mutlich die Apostel gemeint. 

Im frithchristl. Italien wurden die Apostel hau- 
fig zusammen mit Christus oder dem Kreuz in 
der Apsiswélbung (Santa Pudenziana, Rom, 
Ende 4.Jh.) oder auf dem Triumphbogen vor 
der Apsis (Poreé in Istrien, 543) abgebildet, 
auch symbolisiert durch Lammer (Santa Maria 
Maggiore, 1. Halfte 5.Jh., San Cosmas und 
Damian, Rom; Sant’Apollinare in Classe, Ra- 
venna, Mitte 6.Jh.) oder Tauben. In San Gio- 
vanni in fonte, Albenga (5.Jh.), umflattern 


. ' 


Basilios der Grofe 


zwolf Tauben ein dreifaches Christusmono- 
gramm. 


Augen 


—> Boéser Blick 
—> Paraskewi (Heilung von Augenleiden) 
— Pfau (Sterne als Augen) 


Basilios der Grobe 


O ATIOC BACIAEIOC O METAC 
o Ajios Wassilios o Mégas 


Der bedeutende Kirchenvater aus Caesarea, 
Kappadokien (gest. 379), ist einerseits, seiner 
Gelehrsamkeit wegen, Schutzpatron der Schii- 
ler und Studenten, andererseits tritt er als Hii- 
ter der neuen Aussaat und Garant einer guten 
Ernte auf. Im Osten ist Basilios der popularste 
Heilige, zutiefst verbunden mit bauerlichem 
Brauchtum und volkstiimlichen Neujahrssit- 
ten. 


Der Heilige des Neujahrestages und des 
Neujahrsbrauchtums 

»Anfang des Monats, Anfang des Jahres, 

Anfang Januar 

Und Anfang der Zeit, wo Christus erschien, 

um tiber die Erde zu schreiten. 

Er erschien, und spendete SegensgriiBe allen denen, 
die die Felder pfltigen. 

Und sein erster GruB war der Wassilissegen: 
»Heiliger Wassili, Herr, gut pfltigst Du die Felder« 
»Mit Deinem Segen, Herr, guter und hochgepriese- 
ner«... 

»Ich will Dich fragen, Herr, wieviele Schalen mit 
Saatgut verstreust Du?« 

»Ich 588 aus 12 MaB Weizen und 15 MaB Gerste und 
auch das, was dartiber hinaus verstreut wird, den 
Rebhiihnern und Haschen ...« 

Aus einer alten Kalanta (Heischelied) zum Neuen 
Jahr 


Basilios verstarb an einem 1. Januar. So wurde 
der Neujahrstag sein Tag — im Westen der 
2. Januar. Da nach dem Volksglauben die Hei- 
ligen an ihrem Namenstag auf die Erde herab- 
steigen, wird fiir Wassilios tiberall in Grie- 
chenland ein kleiner Imbif8 vorbereitet — 
Fleisch, Fisch und Wein, auch SiBigkeiten, 
meist das erste Stiick der Wassilopita. Dies 
Kuchenbrot haben die Bauerinnen bereits am 


Vorabend gebacken, mit einem Kreuz aus Ro- 
sinen (auch mit einem Schafpferch-Zeichen) 
geschmiickt. Eingebacken ist eine Miinze — 
friiher ein Silber- oder Goldstiick! Noch vor 
dem Jahreswechsel schneidet der Hausherr 
das runde Geback sduberlich in Stiicke, legt 
das erste Stiick fiir den heiligen Wassilios zur 
Seite, das zweite mancherorts fiir die Mutter- 
gottes, anderswo fiir das eigene Haus. 

Die weiteren Stiicke erhalten der Hausherr, 
die Angehérigen, die Dienerschaft — immer ih- 
rer Rangfolge nach. 

Sogar das Vieh bekommt ein Stiickchen. Wer 
die Miinze findet, wird im neuen Jahr viel 
Gliick haben. Uber die Entstehung des Brau- 
ches erzaéhlt man sich: Ein habgieriger Herr- 
scher hat Caesarea erobert und von den Ein- 
wohnern alles vorhandene Gold erpreBt. Doch 
eine BuBpredigt des wortgewaltigen Wassilios 
brachte ihn zur Besinnung: Er gab alles an ihn, 
den Bischof der Stadt, zuriick. Wie sollte Was- 
silios aber das Gold auf gerechte Weise vertei- 
len? Er lie& Miinzen und Wertsachen in Brote 
einbacken und diese an die Einwohner ver- 
teilen. 

Tatsachlich war Basilios sozial engagiert, was 
die von ihm iiberlieferte Homilie (Predigt) ge- 
gen den Hunger bestatigt. 

Das Landvolk sieht ihn als den groBen SAmann 
und Hirten, der ausk6mmliche Nahrung si- 
chert. 

Die mit seinem Namen verbundenen Brauche 
sollen reichliche Ernte und Uberflu8 an Vieh 
garantieren. Noch vor Einbruch der Nacht des 
Jahreswechsels waschen und biirsten die 
griech. Bauern ihre Tiere, fiittern sie reichlich, 
denn Wassilios inspiziert bei seinem Rundgang 
auch Stalle und Pferche und fragt das Vieh, ob 
es ihm gut ergehe bei seinem Herrn. In Nord- 
griechenland und im orthodoxen Balkan wird 
an Neujahr oder auch schon zu Weihnachten 
ein Getreidesieb mit Korn, Niissen und Min- 


‘zen gefillt. Denn Sinn erklart ein Wunsch an 


den Hausherrn in der bereits zitierten Ka- 
landa: 


»Auf daB Du durchsiebst das Mehl, damit unten 
klingende Miinzen herausfallen.« 


Andernorts verstreut der Hausherr Korn im 
Hausgarten. Gruppen von Kindern und Ju- 
gendlichen ziehen mit Zweigen, auch Apfeln 


49 


Basilios der Grofe 


oder Papierschiffen in den Handen von Haus 
zu Haus, singen Wassilios-Kalanda und erhal- 
ten als Gegengabe SiiBigkeiten oder Miinzen. 
Alle wiinschen sich »Chronia polla«, was dem 
Sinne nach bedeutet »Médge dieser Jahrestag 
oft wiederkehren!« Was immer getan oder ver- 
mieden wird zu tun, alles hat an diesem Tag 
Bedeutung, nicht zuletzt auch wer es ist, der 
als erster am Neujahrsmorgen nach dem 
Kirchgang das Haus betritt. In Amorgos mu8 
es ein Familienmitglied sein. Mit einer Ikone 
in der Hand geht es erst zwei Schritte in das 
Haus hinein und spricht: »Komm herein, gutes 
Gltick!« Dann tritt es drei Schritte zuriick und 
ruft aus: »Komm heraus, Ungliick!« Dies ge- 
schieht dreimal, dann schleudert es einen — 
Granatapfel (Symbol der Fiille) kraftvoll auf 
den Boden, so daB die Kerne nach allen Seiten 
spritzen. Und damit das Jahr honigsii® werde, 
tunken alle Anwesenden einen Finger in Ho- 
nig und lecken ihn dann ab. Zum Schlu8 wird 
gekochter Weizen gegessen, »in Ajii Wassilios 
Namen« (— Kollywa, —- Totenbréuche > 
Brot). 


Das Leben des Kirchenlehrers und 

Begriinders des griechischen Ménchtums 
Basilios, 330 in Caesarea (heute Kayseri) ge- 
boren, zahlt mit seinem Bruder Gregor von 
Nyssa und mit Gregor von Nazianz zu den drei 
groBen Kappadokiern. Zusammen mit — Jo- 
hannes Chrisostomus werden sie als die der 
groken Kirchenvater bezeichnet. 

Basilios’ Klosterordensregeln sind bis heute 
fiir griech. M6nche — im Westen unter »Basi- 
lianer« bekannt — verbindlich. Benedikt hat 
sich bei der Abfassung seiner Ordensregeln 
auf Basilius gestiitzt, der das gemeinschaft- 
liche (kinowitische) Ménchstum dem Eremi- 
tenwesen vorzog. Gegen 364 wurde Basilios 
Priester, 370, neun Jahre vor seinem Tode, Bi- 
schof von Caesarea. Er griindete Klosterschu- 
len, schuf Versorgungseinrichtungen fiir die 
Mittellosen, kampfte in Wort und Schrift ge- 
gen die vom orthodoxen Glauben abgefalle- 
nen Arianer (Arius, gest. 336): Christus ist 
nicht Gottes Sohn und ihm nicht gleich, son- 
dern sein erstes Geschépf)! Seine Werke um- 
fassen Predigttexte (sog. Homilien), Briefe so- 
wie dogmatische Schriften, die — Johannes 
Damaszenus spater in seine eigene Schrift 


50 


tiber den Glauben einarbeitete. Dem Basilios 
wird eine der beiden orthodoxen —> Liturgien 
zugeschrieben. 


O Ajios Wassilios in einer Nische in der Ostecke 
der Nordwand der Klosterkirche von Osios Lukas 
bei Stiri, nach 1000. 


Basiliosdarstellungen im Allerheiligsten 

Die Basilius-Ikonen, derer am 1. Januar in be- 
sonderer Weise in der Liturgie gedacht wird, 
zeigen einen priesterlich gekleideten (— Ge- 
wander), hochgewachsenen Mann mit grauem, 
sehr langem und spitzem Vollbart, mit grauen 
Haaren und einer Stirnglatze. Seine Augen- 
brauen sind gewélbt, in der Linken tragt er ein 
Buch oder aber ein Schriftband mit dem Still- 
gebet: 


»oudis axios ... Keiner von denen ist wiirdig, die 
mit Banden des Fleisches und der Lust gebunden 
herauszutreten oder sich zu nahern oder Dir zu die- 
nen, K6nig der Ehren. Der Dienst fiir Dich ist nim- 
lich gro8 und schrecklich, selbst fiir die himmlischen 
Machte.« Basiliosliturgie 


Der Platz des Kirchenvaters ist entweder hoch 
oben in Gewdélbenahe in einer Nische inner- 
halb des Allerheiligsten oder unmittelbar da- 
neben (friihe mittelbyz. Zeit) oder in der unte- 
ren Zone des Apsisrunds. Dort umstehen zwei 
symmetrisch angeordnete, einander zuge- 
wandte Gruppen von Kirchenvatern den heili- 
gen Tisch. Basilius ist Anfiihrer der linken, 
nach rechts blickenden Gruppe; Johannes 
Chrysostomos steht der zweiten Gruppe vor. 


Berg 


Berg 
O OPOC/TO BOYNO 


o 6ros/to wund 


Berggipfel gelten in fast allen Religionen als 
Gottersitze, oder -- wie im AT und NT — als 
Orte der Begegnung zwischen dem emporge- 
stiegenen Mensch und dem Géttlichen. 


Altes Testament und alter Orient: 

Berg als Himmelsleiter 

In der gesamten altorientalischen Welt — auch 
imantiken Griechenland, in den asiatischen 
Hochkulturen, bei sibirischen und indiani- 
schen Volkern — sind hohe Berge Aufenthalts- 
orte der Gottheiten. Die Sumerer nannten ih- 
ren Hauptgott »groBer Berg«. Die Psalmen 
des AT verweisen auf Berge als Wohnstatt 
oder Erscheinungsort Jahwes. Psalm 121: 


» — Zu den Bergen hebe ich auf meine Augen: 
woher wird mir Hilfe kommen? 

Meine Hilfe ist von Ihm her, 

der Himmel und Erde gemacht hat!« 


Mose erhielt die Gesetzestafeln auf einem ein- 
zeln stehenden hohen Berg (Sinai oder Ho- 
reb), dem Propheten Hesekiel erschien Gottes 


Herrlichkeit auf dem Horeb. Auf dem Zion, 
der héchsten Erhebung Jerusalems, befand 
sich der Tempel mit der Bundeslade. Synago- 
gen wurden nach Méglichkeit an der héchstge- 
legenen Stelle eines Ortes errichtet. 

Wie der Baim (—-> Lebensbaum) ist auch der 
Berg eine Art von — Himmelsleiter. Im alten 
Israel sind Berge Aufstiegsméglichkeiten zu 
Gott (viele Psalmen, die Gott in der Hohe be- 
singen, heiBen »Aufstiegsgesinge«), wahrend 
Baume Herabstiegstreppen fiir Jahwe dar- 
stellen. 

Der Weltenberg ist Achse und Zentrum der 
Welt, Zugang zum Himmel. Bei den Prophe- 
ten wird der Gottesberg vergeistigt zum Sym- 
bol des fiir die nahe Zukunft erwarteten Got- 
tesreiches. Berge sind nach jtidischer und alt- 
orientalischer Kosmologie die vier Stiitzen, 
auf denen der Himmel ruht. 


Neues Testament: Berge als Offenbarungsorte 
des Géttlichen 

Auch im NT sind Berggipfel Erscheinungsorte 
des Géttlichen. Die — Versuchung Christi 
spielt sich auf einem Berg ab. Auf einem Berg 
wird Christus verklart. Von dort aus kénnen 


Christi Verklérung auf einem hohen Berg. Als Landschaftshintergrund die kappadokischen »Feenkaminec, 
Steinpyramiden, die man vom Eingang der Héhlenkirche aus in natura sieht. ᾿ 
Shakli Kilise, Géreme, Kappadokien, ausgehendes 11. Jh. 


51 


Berufung der Jiinger 


gem4® der Petrusapokalypse (— Endgericht) 
die Jiinger Himmel und Hdlle tiberschauen. 
Auf dem Berge Golgatha wird Christus ge- 
kreuzigt. Vom Olberg aus fahrt der Auferstan- 
dene auf zum Himmel. Von einem grofen 
Berg aus sieht der Apokalyptiker Johannes 
(21, 10) das himmlische Jerusalem hernieder- 
fahren. 


Frithchristliche und byzantinische 
Darstellungen 

Das Paradies liegt nach spatjtidischer Vorstel- 
lung, welche die Christen tibernahmen, auf ei- 
nem Berg im Osten. Dargestellt wird der Par- 
diesesberg, dem vier Stréme entquellen 
(1.Mose 2, 10-14), in der Symbolform eines 
kleinen Htigels oder Steines in Apsisw6lbun- 
gen und auf Sarkophagen (Santa Costanza, 
Rom, Mitte 4.Jh., Osios David, Thessaloniki, 
Anfang 6.Jh., Sarkophage Konstantius III. 
und Valentian III., Ravenna, 5. Jh.). 

In friihbyz. Zeit kommt die — Verklérung 
Christi auf dem Berg auf. Die Hohle der > 
Geburt Christi wird von einem Berg tiber- 
wélbt, auf dem die Engel erscheinen. 
Bergdarstellungen auf mittelbyz. Fresken in 
H6hlenkirchen Kappadokiens basieren auf 
dem Vorbild der bizarren pilzférmigen Erdpy- 
ramiden (Feenkamine) der Umgebung (Shakli 
Kilise, Ende 11.Jh., Carikli Kilise vermutl. 
2.Jh., Goreme). Davon wurden die bizarren 
Felszacken auf spatbyz., griech. und russi- 
schen Ikonen angeregt. 


Berufung der Jiinger 


KAAOYNTAI ΟἹ ΠΡΩ͂ΤΟΙ MAOHTAI 
kalotinte i préti mathita 


In Wandbildserien ist die Berufung der vier 
ersten Jiinger (— Apostel) zwischen der 
—> Versuchung Christi und der Hochzeit zu 
Kanaa (— Wunderspeisungen) zu finden. 
(Mark. 1, 16-20, Matth. 4, 18-22, Luk. 5, 
J-11). 

Zwei Fischerboote mit Rudern treiben auf 
dem »Galildischen Meer (> Wunder am 
Meer). Im vorderen ziehen Simon Petrus und 
Andreas, im hinteren (dargestellt tiber dem er- 
sten Boot) Jakobus und Johannes prall mit Fi- 
schen gefiillte Netze ein. Vor ihnen an Land 
steht Jesus mit erhobener Hand (Christus- 


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Berufung der ersten vier Jiinger. Tokali Kilise, 
Géreme, Kappadokien, Anfang 10. Sh. 

»Folget mir nach, ich will Euch zu Menschenfischern 
machen!« Mark. 1, 17 


geste) und fordert sie zur Nachfolge auf. Auf 
manchen Fassungen liegt Petrus bereits: an 
Land, zu Christi FiiRen. In einem Boot kann 
sich auch Zebedaus, der greise Vater der vier, 
befinden. Fischer werden als eine Art Prafigu- 
rationen derer verstanden, die das Evangelium 
verktinden (Menschenfischer). Der —> Fisch 
selbst ist ein Geheimzeichen fiir Christus. 


Eine vermutlich ikonoklastische Symbolisierung der 
Menschenfischer-Metapher findet sich in einer kap- 
padokischen Héhlenkirche: Zelve Kirche Nr. 4: Ein 
Kreuz mit SpieBgriff steckt in Wasserwogen. Von 
seinem Querbalken gehen Angelruten aus, an de- 
nen Fische hangen: Das Evangelium vom Kreuz 
fangt Menschen, um sie zu retten. 


Beschneidung Christi 
H ITEPITOMH TOY XPICTOY 


i peritomi tou Christou 


Jesus von Nazareth wurde wie alle mannlichen 
Nachkommen, die in die jiidische Kultgemein- 
schaft aufgenommen werden sollten, am ach- 
ten Tage nach der Geburt beschnitten. Im 
Rahmen eines Ritus wurde ein Stiick der Vor- 
haut seines Gliedes entfernt und die Eichel 
freigelegt. Die Beschneidung — im Judentum 
unumgangliches Kennzeichen eines miann- 
lichen Mitgliedes — ist in unterschiedlicher 
Auspragung bei den Religionsgemeinschaften 
des Vorderen Orients, Stidostasiens, Ozea- 
niens, Australiens und Amerikas verbreitet. 


Beschneidung Christi 


Neujahr — Tag der Beschneidung 

und Namensgebung 

Die Beschneidung, verbunden mit der Namen- 
gebung Christi wird — wie im Westen — am 
1. Januar gefeiert (— Basilios). 


»Der Herr des Weltalls duldet die Beschneidung, 
und als der Giitige schneidet er hinweg die Ubertre- 
tungen der Sterblichen; er gibt heute der Welt die 
Erlésung; er freut sich in der Hohe aber auch Wassi- 
lios, des Schépfers hoher Priester, des Lichtbringers 
und gottlichen Spenders, der Geheimnisse Christi.« 
Kontakion, Liturgie des 1. Januar. 


Von der Ostkirche wird die Tatsache, dai 
Christus der jiidischen Sitte der Beschneidung 
unterworfen wurde, als Ausdruck daftir ge- 
wertet, daB sich der Gottessohn wie ein richti- 
ger Mensch dem Gesetz Mose unterwarf. 


Die Beschneidungspraxis, 

ein iiber das Judentum und den alten Orient 
hinaus verbreiteter Brauch 

Die Aufnahme mannlicher Nachkommen in 
die jiidische Kultgemeinschaft erfolgt durch 
die Beschneidung. Entsprechende Gebote, so- 
wie Reinigungs- und Abléseriten finden sich in 
der Thora: 

»Wenn ein Weib ein Knablein bekommt ... so soll 
sie sieben Tage (kultisch) unrein sein, wie wenn sie 
unter ihrer Krankheit (der Menstruation) leidet ... 
Und am achten Tag soll man das Fleisch seiner Vor- 
haut beschneiden und dann soll sie noch 33 Tage zu 
Hause bleiben im Blut ihrer Reinigung.« 3. Mose 12 


Die Beschneidung war in Altagypten sowie bei 
einigen Stammen Kanaans tiblich; Muslims 
wurden, nach dem Vorbild Ismails, des 
Stammvaters der Araber, der nach dem AT 
dreizehnjahrig von — Abraham beschnitten 
wurde, etwa im gleichen Alter dieser Prozedur 
unterzogen. 

Die byz. Kirche sieht in Ismaels Beschneidung 
das typologische Vorbild fiir die Beschneidung 
Christi. 

Die judenchristl. Gemeinschaften des 1. und 
2. Jh.s betrachteten die Beschneidung als heils- 
notwendig fiir sich und auch fiir die Heiden- 
christen — wogegen Paulus heftig polemisierte. 
Religionsgeschichtliche Deutungen des Brau- 
ches: 

yx Ein magisch besonders gefahrdetes Haut- 
stiick wird den Damonen iiberlassen, als Ersatz 
fiir das Neugeborene. 


Beschneidung Christi. Aus der Festbildreihe der 
Bilderwand in der Kirche des Erzengels Michael 
Archangelos, Rhodos, 19. sh. 


vv Der kulturell geformte Mensch ist der 
kiinstlich verainderte, sein K6rper nicht na- 
turbelassen, wie das Wildtier: So weist der 
Beschneidungstermin am achten Tag nach 
der Geburt (— Zahl 8) auf den Tag hin; an 
dem etwas vollendet wird (nach friihchristl. 
Auffassung z.B. das Siebentagewerk der 
Schépfung). 


Byzantinische Darstellungen der 
Beschneidung 

Die Beschneidung Christi wird auf Bilderwan- 
den mit mehr als 13 Festtagsbildern haufiger, 
seltener an Kirchenwanden dargestellt. 

Das Motiv ist auch im Malerhandbuch (Erme- 
nia) nicht beschrieben und fehit in den meisten 
Fassungen des Marienzyklus wohl deshalb, 
weil es im Protevangelium des Jakobus nicht 
mehr erwahnt wird. Auf den meist spat- oder 
postbyz. Ikonen bzw. Ikonenbeibildern liegt 


53 


Bild 


das Jesuskind halb aufgedeckt auf dem Altar- 
tisch. Der Hohepriester Zacharias ziickt das 
Messer, nach altem jiidischem Brauch aus 
Stein geformt. 


Bild 
H EIKON 
Tikon 


Fiir die Orthodoxen ist nicht nur das Tafelbild, 
sondern jedes ostkirchliche kultische Bildmo- 
tiv eine Ikone, sofern es nur einen das Motiv 
kennzeichnenden Textzusatz in griech. oder 
kyrillischer, in Ausnahmefallen auch in lat. 
Schrift aufweist. Der Begriff schlieBt das ge- 
malte oder musivische Wandbildmotiv ebenso 
ein wie das gestickte oder applizierte Bild (et- 
wa auf einer Altardecke). 

Im Altgriechischen bedeutete Ikone (abge- 
leitet von »iko« = »ich gleiche, ich scheine«) 
einfach »Bild«, »Abbild« oder auch »Statue«. 
(— Ikonostase, > Ku8). 


Der Sonntag der Orthodoxie — 
Festtag der Bilder 


»Zum Urbilde tragt empor die Verehrung des Bil- 
des. Darum lat uns beharrlich verehren die Bilder 
Christi und der Heiligen.« Basilios-Liturgie am 
Sonntag der Orthodoxie 


Die Ikonen bilden zusammen mit der Heiligen 
Schrift und der kirchlichen Uberlieferung die 
drei Saulen, auf denen das Glaubensgebaude 
wie auch das kultische Leben der Orthodoxie 
beruht. Der groBe Feiertag fiir die heiligen 
Bilder — der erste Sonntag in der vorésterli- 
chen Fastenzeit — hei&t bezeichnenderweise 
»Sonntag der Orthodoxie«. So sagt die Fest- 
tagsliturgie: 

»Indem wir Deine géttliche Gestalt im Bilde darstel- 
len, verkiindigen wir klar, o Christus, Deine Ge- 
burt, Deine unaussprechlichen Wunder, Deine 
Kreuzigung.« 


An diesem Tag wird mit einer Ikonenprozes- 
sion der Beendigung der Wirren des Bilder- 
streites (726-843) gedacht. Ein hagiographi- 
scher Text tiber Kaiserin Theodora berichtet: 


»Kurz darauf (842) starb er (Kaiser Theophilos), 
und Kaiser wurde sein Sohn Michael, der 5% Jahre 
alt war, zusammen mit Theodora, seiner Mutter. 
Sofort erging ein kaiserlicher Befehl, und alle wur- 


54 


den zuriickgerufen, wer immer (von den Bilderan- 
hangern) verbannt oder in bitterer Haft war. Der 
gottlose Theophilos hatte sie in seiner gewalttatigen 
Art ihrer Habe beraubt, sie verstiimmelt und ver- 
bannt.« 


Der bei dieser Gelegenheit neu eingesetzte Pa- 
triarch Methodios lie8 am ersten Fastensonn- 
tag 843 nach einem einwéchigen strengen Fa- 
sten in der Ajia Sophia einen Gottesdienst zur 
Wiedereinftihrung der heiligen Ikonen ab- 
halten. 


Ppa VS ane ected | (OSU ΓΝ MEP 
Die Aufstellung der heiligen Bilder. 
Kloster Megisto Meteoron, 16. Jh. 


»AuBerhalb eines Gotteshauses der Heilige Metho- 
dios, der Patriarch, in bischdflichem Gewand. Er 
tragt den Bischofsstab. Andere Bischéfe (hinter 
ihm) halten Bilder. Davor sitzen zwei Diakone, die 
das Bild Christi und zwei andere, die das Bild der 
Allheiligen tragen, welche die Hodigitria genannt 
wird; ihre FuBbekleidung ist goldschimmernd. Hin- 
ter dem Patriarchen die Kaiserin Theodora und der 
Kaiser Michael, der Sohn, ein kleines Kind, welche 
ebenfalls Bilder halten. Hinter ihnen sind Priester 
mit Weihrauch und Lichtern, und die heiligen Ein- 
siedler Johannes Arsatius und Isaias und viele ande- 
re Moénche. Daneben die heilige Cassia, viele Non- 
nen und Laien, Manner, Frauen und Kinder, die 
Kreuze und Lichter tragen.« Aus dem Malerhand- 
buch (Ermenia) 


Bild 


Bilderverehrung und Bilderstreit 

Die Durchsetzung der Bilderverehrung war 
der Endpunkt eines langwierigen historischen 
Prozesses, der in engem Zusammenhang mit 
den Auseinandersetzungen um die Gdttlich- 
keit und Menschlichkeit Christi zu sehen ist. 
Wahrend der ersten 2 Jahrhunderte nach Chri- 
gentiber der bildlichen Wiedergabe des Heili- 
gen vor. Verantwortlich dafiir war einerseits 
das mosaische Bildverbot (2. Mose 20, 4-5: Du 
sollst Dir kein Gottesbild machen lassen, kein 
Abbild dessen, was oben im Himmel, noch des- 
Sen, was unten auf der Erde, noch dessen, was 
in den Wassern unter der Erde ist. Du sollst sie 
nicht anbeten und ihnen nicht dienen ...«) und 
andererseits eine versténdliche Abwehrhal- 
tung gegentiber der antiken Umwelt mit ihren 


- Legionen von Gétterbildern. 


In den apokryphen Johannesakten (2. Halfte 
2.Jh.) sagt Johannes zu einem Maler, der ihn 
portritiert hatte (26-29): »Was du jetzt ge- 
macht hast, ist kindisch und unvollkommen: 
Du hast einem Toten ein totes Bild malen las- 
sen!« Andererseits haben schon im 2.Jh. Ori- 
gines und Clemens Alexandrinus den Gedan- 
ken, daB Christus selbst die [kone Gottes sei, 
»ein Bild, das nach dem Abbild des Schépfers 
gestaltet«, und damit die Begriindung fiir die 
spatere byz. Bildtheologie geliefert: Weil sich 
im NT Gott im Bilde des Logos (Christus) of- 
fenbart hat, darf er, ja mu er sogar auch bild- 
lich — als Christus — dargestellt werden. 


(Im Gegensatz dazu hat sich Gott im AT noch 
nicht als Bild, sondern nur als — Schatten of- 
fenbart.) Bereits der Hebrderbrief bezeichnet 
(1,3) Christus als den »Glanz seiner (Goittes) 
Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens«. 


Die christl. darstellende Kunst aus dem 3. und 
dem Anfang des 4.Jh.s (vor allem Sepulkral- 
darstellungen) kennt kaum_ eigenstandige 
christl. Motive, wohl aber christl. gedeutete 
heidnische Sujets bukolischer Art -- der gute 
Hirte, Weinranken mit Kelter — spaiter auch 
Motive aus dem AT (— Jonas, —> Noah). Fiir 
die Verfolgungszeit und die anschlieBenden 
Jahrzehnte ist Mehrdeutigkeit der Motive cha- 
rakteristisch. Sie bezeugt eine gewisse Scheu, 
eindeutig christl. Motive darzustellen — abge- 
sehen davon, da dafiir noch kein Vorrat an 


Vorlagen erarbeitet worden war. Der Um- 
schwung setzte mit der »Konstantinischen 
Wende« im 2. Viertel des 4.Jh.s ein: NT-Fi- 
guren und christl. Symbole setzen sich durch; 
nicht zuletzt-in den vom Kaiserpaar reich aus- 
gestatteten Gedenkstatten Palastinas (~ Kon- 
stantin). Spater betonen die groBen Kappado- 
kier — Basilios, Gregor von Nazianz und Gre- 
gor von Nissa die Vorbildhaftigkeit der Bilder 
fiir das Christenleben. Als dann im 5. und 
6.Jh. sog. monophysitische Strémungen -- 
Lehren, die die géttliche Natur Christi hervor- 
heben — aufkommen, wird die bildliche Dar- 
stellung zu einer theologisch dogmatischen 
Frage. Christus ist abbildbar, weil ihm neben 
seiner gOttlichen, vom Vater stammenden Na- 
tur eine gleichwertige menschliche, von seiner 
Mutter Maria herriihrende, Natur eigen ist. 
Eine wesentliche Klaérung der Bildtheologie 
bringt bereits das Trullanum (Konzil 691-692, 
unmittelbar vor dem Bilderstreit). Es ttberwin- 
det theologisch die symbolischen Darstellun- 
gen (-» Lamm), wie sie in den ersten Jh.en 
tiblich waren. 


Bildhafter Ausdruck der Theologie vom Bild als Be- 
stétigung der menschlichen Natur Christi ist der 
wahrend des Bilderstreites aufgekommene Glaube, 
daB das Bild der Muttergottes mit dem Kinde vom 
Typ Odigitria (+ Maria, — Ikonenwunder, — 
Evangelisten) auf ein vom Evangelisten Lukas ge- 
maltes Portrat zuriickgehe (dltestes, dem Evangeli- 
sten zugeschriebenes Bild, Capella Sancta Sancto- 
rum, Rom, vermutl. 6.Jh.; ein Fresko in Matejic, 
makedonisches Jugoslawien, 14. Jh., wird als Kopie 
des Lukas-Urbildes angesehen). Darstellungen des 
Evangelisten mit einem Bild im Bild (Maria auf ei- 
ner Staffelei) werden in spat- und mittelbyz. Zeit 
liblich, vgl. die Eckzwickel in Kirchen der Meteora- 
kléster, Rhodos, Kattawia). 


Die ikonoklastischen, d.h. bilderstiirmenden 
Kaiser (726-780, 802-842) mit ihrer Neigung, 
den menschlichen Charakter Christi zu leug- 
nen, wandten sich gleicherweise gegen die Bil- 
der- wie gegen die Marienverehrung. Darge- 
stellt werden durften lediglich Ornamente, in 
die Kreuze eingewoben waren. 


Abstrakte Symbole ersetzten die Ikonen. 
Mafgebenden Einflu8 darauf hatten die er- 
wahnten-‘monophysitischen Lehren, besonders 
aber der im 7.Jh. aufgekommene, aggressiv 
bilderfeindliche Islam: 


55 


Bild 


Ubersicht: IHusionistisches Bild und Kultbild 


Das westliche zentralperspektivische Bild 
(seit der Renaissance) 


Das byzantinische bedeutungsperspektivische 
Kultbild 


1. INHALT 

Objekt 

Im Gegensatz zur Ikone, die auf ein Urbild hin- 
weist, das von héherem Rang ist als sie selbst, stellt 
das westliche Bild in der Regel ein Objekt in der 
sichtbaren Welt dar. Selbst wenn ein unsichtbares 
Wesen oder Ereignis wiedergegeben wird, dann so, 
als ob es sichtbar ware. 


2. LEGITIMATION 

Ahnliche Darstellung 

Das Bild ist seinem Objekt ahnlich. Es zeigt etwas, 
das in einem bestimmten Augenblick von einem 
bestimmten Blickpunkt aus entweder so gesehen 
worden ist oder zumindest so gesehen hatte werden 
kénnen. Dargestellt wird die Erscheinung eines 
Objektes; das, was von ihm sichtbar ist (Illusionis- 
mus). 


3. PERSPEKTIVE 

Zentralperspektive 

Der MaBstab des Dargestellten hangt vom Betrach- 
ter ab. Je ferner gelegen von ihm dies gedacht wird, 
desto kleiner und unscheinbarer erscheint es; je 
naher, desto gr6Ber und bedeutungsvoller. Das Dar- 
gestellte erhalt seine Bedeutung vom Betrachter. 
Ohne ihn, der Blickpunkt und Zeitpunkt der Be- 
trachtung festlegt, kann es nicht existieren. Im Bild- 
raum verlaufen die Fluchtlinien vom winzig darge- 
stellten Entferntesten zum gro dargestellten Nahe- 
sten auseinander. In unserer Vorstellung weiten sie 
sich, wenn sie tiber den Bildraum hinaus auf den 
Betrachter zukommen, markieren gleichzeitig im- 
mer GréReres. Damit ist der Betrachter selbst das 
Gré8te und Wichtigste im Verhiltnis zum betrachte- 
ten Bild. 


4, BETRACHTUNGSSITUATION 
Neutraler Beobachter 


Der Beobachtende bleibt der Fremde, der mit dem 
Geschehen an sich nichts zu tun hat, es lediglich von 


auBen, wie durch ein Fenster (oder den Sucher einer 


Kamera!) beobachtet. Sein Verhaltnis zum Gesche- 


hen ist distanziert. Zu einer Beteiligung am Gesehe- 


nen kann es nur kommen durch die dargestellten 
Emotionen, in die sich der Betrachter einfiihlt. 
(Eben weil die Identifizierung mit den heiligen Per- 
sonen nicht mehr méglich war, steigerte sich der 
Ausdruck der dargestellten Personen von der Spat- 
gotik an ins Dramatische!) 


Urbild 

Die Ikone reflektiert immer etwas GréBeres, hinter 
ihr Stehendes (insofern hat sie symbolischen Cha- 
rakter). Die Darstellung Christi verweist nach oben 
auf Christus selbst, der Goldgrund ist Abglanz des 
himmlischen Lichtes. In seiner Darstellungsweise 
macht das Kultbild keinen Unterschied zwischen 
Ereignissen der Aufenwelt und solchen, die sich in 
der Innenwelt abspielen. 


Authentische Darstellung 


Das Bild bedeutet das Urbild, es braucht ihm nicht 
ahnlich zu sein, kann es auch nicht, weil das Urbild 
dem menschlichen Auge unerreichbar bleibt. Der 
Wahrheitsbeweis fiir den Inhalt einer Ikone ergibt 
sich daraus, da8 eine von der andern sukzessiv ab- 
gemalt worden ist. Am Anfang steht das Urbild, 
beispielsweise die Muttergottes selbst, so wie sie 
von Lukas gemalt worden ist, oder aber eine »nicht 
mit Handen gemachte« (> Ikonenwunder) Ikone, 
die auf wundersame Weise erschienen ist. 


Bedeutungsperspektive 

Was im Bild am bedeutendsten ist, wird auch am 
gréBten dargestellt. Christus und die Muttergottes 
sind gréBer als die Engel oder sonstige Nebenfigu- 
ren — oft nur geringfiigig gr6Ber, so daB der bedeu- 
tungsperspektivische Unterschied vom Betrachter 
zwar nachempfunden, aber nicht bewufit wahrge- 
nommen wird. Fluchtlinien laufen — wenn, wie vor 
allem in der spatbyz. Kunst vorhanden — nach hin- 
ten in den Bildraum hinein auseinander auf den 
Hintergrund zu, der nichts anderes ist als das géttli- 
che Licht selbst. Das, was das Bedeutendste ist, 
liegt weit entfernt vom betrachtenden Beschauer, 
in jenseitiger Ferne. 


Einbeziehung in das hl. Geschehen im Bildraum 


Die Ikone besitzt eine starke Tendenz, den 
Betrachter in den Bildraum hineinzuziehen, damit 
er—wie in der Liturgie — mit den Gestalten, die als 
Chor die heiligen Hauptfiguren umgeben, etwa mit |. 
Engeln oder Aposteln, véllig verschmelzen kann. 
Die Ikone kennt zwar keinen perspektivischen 
Bildraum, wohl aber einen Lichtraum, in dessen 
Strahlungsflut der Betrachter einbezogen wird. 


56 


Bilderfeindliche Ornamente 


»Wenn einer ein Bild verfertigt, wird ihn Gott so 
lange Qualen erleiden lassen, bis er diesem Lebens- 
geist einblast -- und das wird er nie fertigbringen.« 
Buchara Sahil, Burja Bap. 104 


Die ZwangsmaBnahmen zur Durchsetzung des 
Bilderverbotes stieSen auf erbitterten Wider- 
‘stand des Volkes und eines grofen Teils des 
Ménchtums. Sprachrohr der Opposition, das 
die theologischen Gegenargumente formulier- 
te, wurde — Johannes Damaszenus. 
Abbildcharakter des Kirchengebiudes — Kir- 
chengebaude, — Ikconostase. 


Bilderfeindliche Ornamente 


TA EIKONOKAACTIKA KOCMHMATA 
Ta ikonoklastika kosmimata 


Die bilderfeindlichen byz. Kaiser des 8. und 
9.Jh.s haben die Darstellung heiliger Gestal- 
ten und Geschehnisse verboten, die vorhande- 
nen Tafelbilder und Fresken vernichten las- 
sen. Aus der kampferischen Auseinanderset- 
zung mit den ikonoklastischen, islamisch be- 
einflu8ten Strémungen hat sich die orthodoxe 
Theologie des Bildes (> Johannes Damasze- 
nus) herausentwickelt. 

Die Ikonoklasten selbst haben zur Aus- 
schmtickung von Kirchenraumen lediglich Or- 
namente und anikonische (nicht-bildhafte) 
Symbolzeichen zugelassen. 

Christus wurde durch das Kreuz oder das 
Abendmahlsbrot reprasentiert. Nach dem Sieg 
der Bilderfreunde hat man religidse Symbole 
dieser Epoche mit ikonischen Darstellungen 
libermalt. 
Deutungen der ikonoklastischen Symbolspra- 
che werden dadurch erschwert, daB der Denk- 
malerbestand begrenzt ist und sich zeitlich 
nicht eindeutig einordnen laBt. 


Das Problem der anikonischen Ornamentik 
AusschlieBlich oder vorwiegend anikonisch 
ausgemalte Kirchen finden sich vor allem in 
Kappadokien. Datiert werden sie teils in die 
friihikonoklastische (726-787) und spatikono- 
klastische Epoche (813-842), teils sehr viel 
friiher (Giordani — Lit.-Verz.), teils auch sehr 
viel spater (Marcel Restle). 

Die Zuweisungen weichen bis zu 300 Jahre 
voneinander ab. 


Die Situation wird dadurch kompliziert, 


wx ἀδβ es ikonoklastische Stromungen bereits lange 
vor der staatlich verordneten Bilderfeindlichkeit ge- 
geben hat. 

ve da nicht alle ikonoklastischen ménchischen Ge- 
meinschaften nach Ende des Bilderstreites ihre Ge- 
sinnung gewechselt haben. 

% da® im fraglichen Gebiet auch Anhinger nicht- 
byz. Gruppierungen siedelten, Mitglieder der arme- 
nischen und. westsyrischen Kirche, die ihrerseits zu- 
rlickhaltend gegentiber Bildern waren. 

yr daB im nahen Ostkappadokien die Hochburgen 
der Paulikianer lagen, Angehdrige einer bilder- 
feindlichen Sekte. 


Die Untersuchungen der »Anikonischen Denk- 
maler« erlauben nun durchaus einige Rtick- 
schliisse, wobei von folgenden Voraussetzun- 
gen auszugehen ist: 


a) Gegeniiber dem architektonischen Dekor der 
mitteleuropdischen Neuzeit besteht der byz. aniko- 
nische Dekor aus weniger Leerornamentik (orna- 
mentalen Figuren, die nur Schmuckerfordernissen 
dienen). Deshalb mu der anikonische Figurenvor- 
rat grundsatzlich in seiner Symbolik entschliisselt 
werden kénnen. Die Zeichen ersetzen Bilder oder 
weisen auf etwas Abbildbares in ein- oder mehrdeu- 
tiger Weise hin. Durch Beischriften wissen wir ge- 
nauer, da8 im Frihikonoklasmus ornamentale 


Kreuze bestimmte biblische Persénlichkeiten ver- 
treten haben. 


ἢ sect TRS ins ὍΣ palais 


Die Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob, repré- 
sentiert durch Kreuze in ineinanderverschlungenen 
Kreisen. Abraham Kilise (oder Agios Basilios) 

bei Sinasos, zwischen 726 und 786. 


b) Die Suche nach Bedeutungen hat von den Figu- 
rationen an Kuppelwélbungen, Apsiden und Schild- 
bogen — d.h. an architektonisch herausragenden 
Stellen — auszugehen. Vergleiche mit ikonischer 
Kunst im raumlichen und zeitlichen Umfeld ermég- 


57 


Bilderfeindliche Ornamente 


lichten Deutungen, unter der Voraussetzung, da8 
sich Parallelen zu den anikonischen Zeichen aufspii- 
ren lassen. An bildlichen Darstellungen finden sich 
an architektonisch herausragenden Stellen vor und 
nach dem Bilderstreit vor allem die - Himmelfahrt 
Christi, die Majestas Domini (> Hesekielvision), 
. die—» Verklarung Christi. 

c) Als zusatzliche Symbole kommen an architekto- 
nisch wichtigen Stellen vor allem Zeichen mit litur- 
gisch-sakramentaler Bedeutung (Taufe und Abend- 
mahl) in Betracht. Die Eucharistie ist das Zentrum 
sowohl des Kultes als auch der Frémmigkeit aller 
ostkirchlichen Richtungen. Die Ikonoklasten selbst 
betonen, das einzige erlaubte Abbild Christi seien 
seine —» eucharistischen Gestalten, namlich Brot und 
Wein. 

Tatsfchlich zeigt eine Untersuchung der Stempel fiir 
die Abendmahlsbrote (Prosphoren) in den verschie- 
denen Ostlichen Kirchen, da tibereinstimmende 
Ornamentzeichen einerseits auf den Stempeln und 
andererseits in den anikonisch dekorierten Kirchen- 
kuppeln vorkommen. 

d) Der anikonische Dekor kappadokischer Kirchen 
wird vom Kreuzeszeichen beherrscht. 


Das Kreuz im anikonischen Kirchendekor 
Kappadokiens 

Entsprechend ihrer Ornamentik und der Form 
ihrer Kreuzeszeichen lassen sich die Kirchen in 
folgende Gruppen einteilen: 


1. Kreuzreliefstil: Aus dem Felsen ist eine 
langsrechteckige Flachdecke mit raumfillen- 
dem Reliefkreuz herausgearbeitet (Zelve 
Uziimlii Kilise, vor 790). Die Raumdecke 
(Giilliidere, Kirche zu den drei Kreuzen, nach 
740) iiberzichen manchmal mehrere, Ζ. Β. drei 
Kreuzsymbole. Langsrechteckige Reliefkreu- 
ze kommen auch auf Flachdecken von Mono- 
lithfelsenkirchen in Lalibela, Athiopien, vor 
(12.-13.Jh. nach dlteren Vorbildern in Ak- 
sum). 


2. Textiler polychrom-ornamentaler Stil: Ge- 
malte dekorative lateinische Kreuze mit 
Schweifung fiillen die Flachdecken der Haupt- 
riume kleiner Héhlenkirchen aus. Zwischen 
die Kreuzarme sind rechteckige Felder mit un- 
terschiedlicher  Ornamentstruktur — einge- 
klemmt. Auch Wande und Pfeiler sind zuge- 
deckt mit reichen Ornamentflachen und -ban- 
dern in tippiger Farbigkeit. Ahnlichkeiten der 
groBflachigen Musterfelder mit Teppichen und 
Luxusgeweben der kaiserlichen Stoffmanufak- 


58 


Reliefkreuz (Ausschnitt) an der Decke der Uziimlii 
Kilise, Zelve, Kappadokien, vermutlich friihikono- 
klastisch. 


Gemaltes Deckenkreuz der Abraham Kilise bei Sina- 
sos, durch Inschrift zwischen 726 und 780 datiert. 


turen in der Hauptstadt — ihrerseits beeinfluSt 
von persisch-sassanidischen Geweben -- sind 
untibersehbar. Die lastenden Felsenwande 
sind kiinstlerisch in luftige Zeltvorhange ver- 
wandelt worden (Sinasos Abraham Kilise; 
Uziimlii Kilise, Kizil Cukur). Als. Vorlaufer 


der textilen Auflésung der Wande sind die 
Goldmosaik-Innendekore der justinianischen 
Kirchen anzusehen (San Vitale, Ravenna, 
Mitte 6. Jh.). 

Nachgewirkt hat der Stil in den textilen Ban- 
dern, Feldern und Zwickeln, die die bildertra- 
genden Wande der spateren Kreuzkuppelkir- 
chen in Géreme gliedern (Elmali, Karanlik 
und Carikli Kilise, zwischen 11. und 13. Jh.). 


3. Stil der architekturgliedernden Zeichnung: 
Einfach gezeichnete, teils mit dem Lineal, teils 
mit freier Hand gezogene Linienformen, 
Kreuzsymbole sowie UmreiBungen, die die 
Architektur gliedern. Dabei wird rote (manch- 
mal zusatzlich auch, griine) Farbe auf den 
nackten Fels aufgetragen. Es dominieren ein- 
fache, in Kreise gesetzte rote Malteserkreuze 
in unterschiedlicher Ausfiihrung. Einige der 
einfachen Figuren sind vor 910/920, andere 
nach 1082 entstanden. Die Kreiskreuze kom- 
men auch in armenischen Kirchen des 10.Jh.s 
vor (> Kreuz). Auf westsyrische Einfliisse 
weist das haufige Vorkommen des dreizinki- 
gen Gabelkreuzes. 


Deckenkreuz der Uziimlii Kilise, Kizilcukur bei 
Géreme, vermutlich friihikonoklastisch. 


Bilderfeindliche Ornamente 


Kreis, Géreme. 


4. Spezieller Stil der architekturgliedernden 
Zeichnung (Barbara Kilise und Zwei-Gesich- 
ter-Kirche Goreme): Ikonografische Griinde 
legen es nahe, den Hauptteil der roten Zeich- 
nungen in der Barbara Kilise byz. Ikonokla- 
sten der 2.Periode (813-842) oder zumindest 
Gruppierungen, die diese Tradition fortsetz- 
ten, zuzuweisen. (Die bildlichen Darstellun- 
gen und einige »Malteserkreuze« sind spatere 
Beifiigungen.) 

Basilius I. hat noch um 870 einen Bannfluch 
gegen die ikonoklastische Haresie aussprechen 
lassen. 


eM 


Zeichenhafte Darstellungen kaiserlicher Standarten, 
Barbara Kilise, Géreme, Kappadokien. 


Eine ganze Reihe der Zeichen in der Barbara 
Kilise sind als kaiserliche Standarten zu deu- 
ten. Das ergeben Vergleiche mit Standarten, 
die von Erzengeln gehalten werden (Michael 
und Gabriel in Sant’Apollinare in Classe, Ra- 
venna, Mitte 6.Jh.; standartentragende En- 
gel in der Kimesiskirche, Iznik, Ende 7. Sh.; 


59 


Bilderfeindliche Ornamente 


Erzengel-Email aus Konstantinopel, Ende 
10.Jh.; Standarten hinter Statthalter: Urteil 
des Pilatus im Codex Purpureus Rossanensis, 
6.Jh.). 


Standarten spielen eine wichtige Rolle 


yw bei der Kaiserakklamation. Nach dem To- 
de eines Kaisers wurden sie von den Anfiih- 
rern der Truppenteile auf den Boden gewor- 
fen, zur Ausrufung des neuen Kaisers wieder 
erhoben. Die Standarten eines unterlegenen 
Herrschers wurden auf den Boden geworfen, 
die des siegreichen triumphierend hochge- 
halten. 

ve bei der — eucharistischen Akklamation. 
Die Erzengel halten kaiserliche Standarten in 
Handen. Die Himmelsboten sind ausgestattet 
mit kaiserlichen Gewandern und Insignien. 
Auf beschrifteten Erzengel-Standarten steht 
»Ajios, Ajios, Ajios« (Sant’Apollinare in Clas- 
se; Iznik Kimesiskirche; Emaille Pala d’oro), 
ein Hinweis auf die akklamierende Lobes- 
hymne fiir Christus-Gott, die wahrend des eu- 


ΩΣ 
7 


charistischen Hochgebetes (anaphora) unmit- 
telbar vor dem eucharistischen Einsetzungs- 
worten gesungen wird (—> Eucharistie): »Hei- 
lig, heilig, heilig ist der Herr Zabaoth. Erfiillt 
sind Himmel und Erde von Deiner Herrlich- 
keit. Osanna in der Hohe, hochgelobt sei, der 
da kommt im Namen des Herrn, Osanna in 
der Hohe. « 

Uber den an den Seitenwanden aufgepflanzten 
Standarten schwebt in der Hauptkuppel das Kreuz, 
umgeben von den vier eucharistischen, auf die 
Abendmahlsbrote hinweisenden Punkten (sie kén- 
nen ab frithikonoklastischer Zeit die eucharistischen 
Silben IC XP NI KA — Jesus Christus siege! -- erset- 
zen). Die Triumph- und Siegesstandarten der Bar- 
barakirche rufen Christus aus als den siegreichen 
Herrscher, der den Menschen erscheint in Gestalt 
der eucharistischen Gaben. 

Weitere Darstellungen in der Barbarakirche lassen 
sich als zeichenhafte Wiedergabe der — Himmel- 
fahrt Christi und der — Verklarung deuten. 
Anscheinend ist die Kirche von Soldaten angelegt 
worden. (Bereits Heraklios (610-641) hat in Klein- 
asien das System der Bauernsoldaten geschaffen.) 


Eucharistisches Kreuz, umgeben von vier Erzengelstandarten, Hauptkuppel Barbara Kilise, Goreme. 


60 


Bilderfeindliche Ornamente 


Gerade im umkdémpften Kappadokien siedelten 
Leute, denen Pachtland als Entgeld fiir Wehrdienst- 
leistungen zugesprochen worden ist. Auch die einfa- 
che Ausfiihrung der Zeichnungen spricht dafiir, daB 
die Schépfer in kaisertreuen Bauernsoldaten der 
spat- oder nachikonoklastischen Zeit zu suchen 
sind. (Der Kaiserkult ist eine Spiegelung des Chri- 
stuskultes.) 


5. Kreuzgratkuppelstil mit roter grafischer 
Zeichnung: WKappadokische Hd6hlenkirchen 
sind mit einer Zentralkuppel mit auffalligen, 
sowohl reliefierten, wie bemalten Kreuzgraten 
ausgestattet (zwischen 9. und 12.Jh.). Ahnli- 
che Kuppelgestaltungen finden sich in den 
Ho6hlenkirchen der nordathiopischen Provinz 
Tigre (Kreuzgratkuppeln: Enda Miryam Weq- 
to, Kirche des Abba Johanni, Marienkirche 
Quoquor — zwischen 7. und 14. Jh.). Eine kap- 
padokische Kuppel in Géreme (Nr. 31) weist 
eine eigenartige Bemalung — rote Quadrate 
mit liegenden Kreuzen und vier Punkten — auf. 
Die gleiche Form haben die 13 Quadrate auf 
athiopischen Prosphorensiegeln aus jener Zeit. 


Géreme Nr. 31. 


Athiopischer Prosphorenstempel. 


Beziehungen zwischen Kappadokien 

und Athiopien 

DaB in Inneranatolien ahnliche Symbolformen 
auftreten wie in Agypten, im Sudan und in 
Athiopien, hat folgende Griinde: Das Stamm- 
land der westsyrischen Kirche (Jakobiten) 
wurde 634-637 von den Arabern besetzt. Zu- 
nachst groBztigig geduldet, gerieten die orien- 
talischen Christen Ende des 7.Jh.s unter star- 
ken islamischen Druck. Es lag ftir sie nahe, in 
die damals noch christlichen Randbezirke des 
byz. Kappadokien oder nach Athiopien auszu- 
weichen. (Athiopier und Kopten gehéren der 
monophysitischen Richtung des orientalischen 
Christentums an. Griinder des Jakobitentums 
ist ein koptischer Ménch.) 

Die Brotstempel der Westsyrer, Kopten und 
Athiopier ahneln sich deshalb, weil sie alle auf 
die Riten der Jakobusliturgie abgestimmt sind. 
Die Brote mit den markierten Soll-Bruchstel- 
len werden in viele kleine Stticke zerteilt, da- 
mit sie an die Glaubigen ausgegeben werden 
k6nnen: So weisen die Stempel ein Raster vie- 
ler mit dem Kreuz gekennzeichneter Quadrate 
auf. Das Muster der Kreuzgrate in den Kup- 
peln 148t sich als Darstellung der Eucharistie 
verstehen, deren Partikel von Gott ausstrah- 
len, sich tiber die ganze Welt ausbreiten und 
die verschiedenen Teile des Kosmos in sakra- 
mentaler Gemeinschaft miteinander verbin- 
den (— Kreuz). 


61 


Bilderwand 


Bilderwand 
~—> Ikonostase 


Bileam 


O TIPO®HTHC ΒΑΛΑΑΜ 
O Profitis Wala4m 


Im AT erwahnter nichtjiidischer Prophet aus 
Mesopotamien (der Walaam aus dem griechi- 
schen AT). Wird vom Moabiterkénig Balak 
gerufen, um die Israeliten zu verfluchen 
(4.Mose, 22-24). Jahwe behindert die Reise 
Bileams zu den Moabitern und verwandelt sei- 
ne Fliiche in Segen. 


Szenische Darstellungen mit Bileam 

Das Malerhandbuch (Ermenia) erwahnt zwei 
Motive: ' 

vy »Zwei Reben und in der Mitte der Rebzweige 
sitzt Walaam auf einem Maultier und treibt es mit 
dem Stock scharf an. Das Maultier liegt auf den 
Knien und dreht seinen Kopf zurtick zu Walaam. 
Der Engelsfiirst Michael steht mit gezogenem 
Schwert vor ihm. In der Nahe die Heerfiihrer des 
K6nigs (zu Pferde) zwischen zwei Bergen« (Moni 
Thari, Rhodos, 1620; Basilika Monreale, Ende 
12. Jh.; Sophienkathedrale Kiew) 


Einzelnen handelnden, im AT erwahnten En- 
geln (der Engel des Herrn) wird in der byz. 
Kunst die Gestalt des Erzengels Michael ver- 
liehen! 


yx »Moses bekémpft zusammen mit den Hebréern 
die Moabiter. Auf einem Berg sieben Altare, auf 


denen je ein Stier und ein Widder liegen. Der K6nig_ 


Balak und seine Heerfiihrer stehen daneben, Ba- 
laam (vor ihm) schaut zu den Hebrdern hin, segnet 
sie und sagt (nach 4.Mose 24, 17): »Es wird ein 
Stern aus Jakob aufgehen, es wird ein Mann aus 
Israel erweckt werden und er wird zerbrechen die 
Fiihrer von Moab.« 


Bileam als Typos des Heidenchristen 

Das erwahnte Mose-Zitat (24, 17), beigefiigt 
den seltenen Einzeldarstellungen Bileams, gilt 
als Weissagung der Geburt Christi und Hin- 
weis auf das Erscheinen des Sternes von Beth- 
lehem. Wegen dieses Ausspruches und weil 
Bileam wie die Weisen aus dem Morgenland 
nichtjtidischer Abstammung ist, wird er als Ty- 
pos des aus der Heidenschaft stammenden 
Christen angesehen. Als bartige, in den Fell- 


62 


mantel des Propheten gekleidete Gestalt er- 
scheint er auf friihchristlichen und frihbyz. 
Darstellungen der —> Anbetung durch die 
Weisen, er deutet mit seiner Rechten auf den 
Stern. Gelegentlich wird er wegen seiner 
Weissagung unterhalb der —> Wurzel Jesse ab- 
gebildet. 

Origines bewertet Bileam negativ, als Typos 
des Schriftgelehrten und Pharisaers, von deren 
Herrschaft die schlichten Glaubigen, reprasen- 
tiert durch die widerspenstige Eselin, befreit 
werden sollen. 

Ansonsten gilt die Eselin als Stammutter der 
Tiere, mit denen Christus in Jerusalem einzog: 
»Das Eselsftillen ... sprach: Ich bin von jener 
Familie, die dem Bileam gedient hat, und zu 
welcher der Geschlechtsgenosse von mir ge- 
hérte, auf den sich Dein Herr (Christus) und 
Dein Lehrer gesetzt hat.« Apokryphe Tho- 
masakten 40. 


Der Erzengel Michael erschreckt die Eselin des 
Propheten Bileam. Moni Thari, Rhodos, 17. Jh. 


Boser Blick 


TO KAKO MATI 
to kak6 mati 


Der Glaube, da8 Blicke téten, zumindest 
schwer schaden kénnen, insbesondere Kin- 
dern und Haustieren, ist seit dem Altertum im 
Mittelmeerraum verbreitet. Menschen, deren 
Blick standig oder zeitweilig bése ist, kénnen 
sich, miissen sich aber nicht unbedingt dessen 
bewuBt sein. Zu unterscheiden sind: 


Brennender Dornbusch 


vr der neidische Blick, der das Neidobjekt 
schadigt. 

x der bewundernde Blick, der sozusagen den 
Neid der Schicksalsmachte, z.B. auf ein hiib- 
sches Kind, lenkt. 

ἦς der verhexende Blick, mit dem schéne 
Frauen Manner verzaubern (waskania). Da- 
von wei man in den griechischen Tavernen 
der Hafenstédte so manches Lied aus dem 
Volksmilieu (laika tragoudia, speziell Rebe- 
tika) zu singen. 

Vor dem Bésen Blick schiitzen das Kreuzes- 
zeichen, Kétten aus blauen Perlen (vor allem 
fiir Haustiere), Amulette in Augenform oder — 
nach antikeém Brauch — mit Zeichnungen (Eu- 
le, Skorpion, Ibis). Anhanger aus Silber oder 
Gold in dér Form einer — Eule oder eines 
Skorpions werden von Juwelieren und Touri- 
stenboutiquen angeboten -- besonders auf 
Rhodos und Kos. 

Manche Zeichen mit noch ungeklarter Bedeu- 
tung an Kircheneingaingen sind Apotropdika 
(Abwehrzauber), auch gegen den Bésen 


Apsis-Christus, Gesicht und Augenpartien sind 
durch Steinwiirfe zerstort. Elmali Kilise, Goreme, 
Kappadokien 


fe) 


νι 


Die Muslims, Araber und Tiirken, die Kirchen 
in Kleinasien und im Balkan eroberten, scheu- 
ten die Blicke der christlichen Heiligen und 
zerkratzten ihre Augenpartie (— Georg). An- 
dererseits hat mancher orthodoxe Christ seine 
Hausikonen umgedreht oder mit einem Tuch 
abgedeckt, wenn er etwas vorhatte, das dem 
Blick der Heiligen besser verborgen bleiben 
sollte. 

Als Schutzheilige gegen Augenleiden gilt ins- 
besondere — Paraskewi. 


Brennender Dornbusch 


I BATOC ΠΟΥ AEN KAIETAI 
I Watos pu den kdete 


Als diirres Gestriipp, das brennt und doch 
nicht verbrennt, erscheint Gott dem Mose. 
Den Christen gilt der brennende Busch als Ty- 
pos der Gottesmutter, die Gott als Feuer in 
sich traégt und dennoch nicht von ihm verzehrt 
wird. 


Altes Testament: Mose und der brennende 
Dornbusch 

»Und der Engel des Herrn erschien ihm in einer 
feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, 
da der Dornbusch mit Feuer brannte und wurde 
dennoch nicht aufgezehrt ... rief ihn Gott aus dem 
Busche ... >Tritt nicht herzu, ziehe Deine Schuhe 
aus von Deinen FiiBen, denn der Ort, darauf Du 
stehst, ist heiliges Land.< ... Und Moses verhitillte 
sein Gesicht, denn er fiirchtete sich, Gott anzu- 
schauen.« 2. Mose 3, 2 


Mose erhalt am Sinai von »dem, der im Dorn- 
busch wohnt« (5. Mose 33, 16), den Auftrag, 
sein Volk aus Agypten herauszufiihren. Im al- 
ten Orient gilt der Dornbusch als Sonnenge- 
wachs (Dornen = Strahlen). Trockene Dorn- 
stréucher stellen in der Wliste das wichtigste 
Feuerungsmaterial dar. Das Dornbuschmotiv 
gehért in den Umkreis der Gotteserscheinun- 
gen in oder unter Baumen (> Lebensbaum). 
Dornen und Flammen betonen hier die Unzu- 
ganglichkeit Gottes. 


Darstellungen des brennenden Dornbusches 
als Typos der Gottesmutter 

Vom 4.Jh. an wird der Dornbusch als Typus 
der »Immerjungfrau« verstanden, die Gott als 
das Feuer in sich tragt (Maria Platytera, > 
Maria, die Allheilige), ohne zu verbrennen; er 
symbolisiert, da sie Jungfrau blieb, obwohl 
sie gebar. 

Das Motiv wird vom 4./5.Jh. an bis in die 
postbyz. Zeit als Mosaik oder Fresko darge- 
stellt: Mose, von Schafen umgeben, hat seine 
Schuhe abgelegt, wendet sich voller Furcht ab 
vom brennenden Dornbusch; die Gottesmut- 
ter (Maria Platytera, > Maria, die Allheilige) 
— oder ein Christuskopf -- erscheinen. Kyrillos 
von Alexandrien deutet die Dornen als die 
menschliche Siindhaftigkeit, von der auch die 
Allheilige betroffen ist. 


63 


Brot/Brotstempel 


Bisweilen wird die Situation unmittelbar vor 
der Erscheinung dargestellt - Moses stiitzt sich 
auf seinen Stab (Rhodos, Moni Thari 1506). 


Die Beziehung zwischen eucharistischer und 
der spateren mariologischen Symbolik 

Zwei der dltesten Darstellungen des Dornbusch- 
Motivs (ohne Marienerscheinung) weisen typolo- 
gisch auf die Eucharistie hin: 


vv Portalrelief Santa Sabina, Rom (1. Halfte 5.Jh.): 
Die Flammen ziingeln aus Felsgestein, das wie ein 
Altar geformt ist. Zwischen Mose und dem bren- 
nenden Dornbusch steht der im AT erwahnte 
Engel. 

Der Dornbusch reprasentiert den himmlischen 
Altar, von dem der Engel die gliihenden Kohlen 
nimmt, um die Lippen des Propheten zu reinigen 
(Jesaia 6, 5-7, -> Proskomedie) und zugleich als 
Typos den Abendmahlsaltar. 

xv Mosaik im Sanktuarium von San Vitale, Raven- 
na (6.Jh.): Der die Sandalen l6sende Mose vor dem 
Flammenfelsen ist links tiber einer Liinette mit eu- 
charistischen Motiven angebracht: Abel und Mel- 
chisedek (—> Abraham) bringen auf dem heiligen 
Tisch Opfer dar. Rechts tiber der Liinette gegen- 
iiber Mose der Prophet Jesaia. 


Die friihbyz. Buchmalerei tibernimmt zu- 
nachst das Motiv des brennenden Felsaltars. 
Der Bedeutungswandel des brennenden Dorn- 
busches in der spaiten mittelbyz. Zeit vom ‘Ty- 
pus des Abendmahlsaltars zum Typus der 
Muttergottes erklart sich aus der spaten Auf- 
fassung —> Marias als des Abendmahlsléffels, 
ἃ. ἢ. als Behdltnis, das Christus in seiner Ge- 
stalt als Abendmahlsgabe in sich birgt (> Al- 
tar, --ὸ Jesaia). 


Das Ikonenmotiv der Dornbusch- 
Muttergottes 

In nachbyz. Zeit, besonders in RuBland ver- 
breiteter Ikonentyp: Die Biiste der Allheiligen 
mit dem Christkind auf dem Arm (mitunter 
von einem —> Nimbus umgeben) sitzt in einem 
achtstrahligen Stern. 

Der setzt sich wieder aus zwei vierzackigen 
Sternen (vier Ecken aus konkaven Kreisseg- 
menten) zusammen: 


wv Der vordere, auf der Spitze stehende blaue 
Vierzacken-Stern ist durch Sterne und Engel 
als Himmelssphére gekennzeichnet: Die All- 
heilige ist die Himmelsk6nigin. 


64 


xv Der hintere, vom vorderen tiberschnittene 
Vierzacken-Stern ist meist rot und vertritt das 
Dornbusch-Feuer. In den vier Flammenzwik- 
keln kénnen die vier Evangelistensymbole an- 
geordnet sein. 

Zwischen den acht sich nach auBen verjiingen- 
den Spitzen werden verbindende Kurven gezo- 
gen, so da8 eine Art Blite entsteht. Auf den 
»Blitenblattern« erscheinen Erzengel. 
Hervorgegangen ist das Motiv der Dornbusch- 
Muttergottes aus dem achtzipfligen, von Che- 
rubin hinter Maria aufgespannten Tuch (= 
Himmelszelt: Chorakirche, Konstantinopel, 
1315-20). 

Auf manchen Ikonen (RuBland Pskow, 14. Jh.) 
halt Maria Platytera (— Maria, die Allheilige) 
anstelle des Welt- und Himmelskreises den 
Doppel-Viererstern mit der Btiste des Christus 
Emanuel. 

Wird in spatbyz. Zeit der Christus der — Ver- 
klarung, der — Heimholung Maria oder Gott- 
vater im Doppel-Viererstern dargestellt, so 
handelt es sich dabei um eine Anspielung auf 
den brennenden Dornbusch als Typos einer 
Epiphanie. 

Das Motiv erinnert an Mandalas (— Kirchen- 
gebdude). Die Achtzahl der Zacken 148t an 
die vier Haupt- und an die vier Nebenhim- 
melsrichtungen denken, die blaue und die rote 
Farbe an die Vereinigung der beiden Urgegen- 
saitze Wasser — zugeordnet der Mutter Gottes 
als lebensspendende Quelle — und Feuer -- dem 
Element des Weiblichen und Muttergdttli- 
chen. (Bereits im 4. und 5. Jh. wurde in einem 
Kloster unterhalb des Sinai der Dornbusch 
Mose neben einer Quelle den Pilgern gezeigt.) 


Brot /Brotstempel 


O APTOC/H IIPOC®OPA/H C®PATIC 
o Artos/I prosfora/i sfragjis 


Das Hauptnahrungsmittel ist Brot, die Speise 
schlechthin. Als Inbegriff g6ttlich-geistiger 
Nahrung verbindet es alle, die es gemeinsam 
verzehren. Im Brot erscheint auch Gott selbst 
den Menschen. Das Gottesbrot erhiilt eine be- 
sondere Form oder wird mit einem Stempel — 
mit symbolischer oder bildlicher Darstellung -- 
gekennzeichnet. 


Brot/Brotstempel 


Muttergottes vor dem achtzipfeligen Himmelszelt. Chorakirche, Konstantinopel, 1315-1320. 


Brot als kérperliche und geistige Nahrung 

im Judentum, der griechischen und rémischen 
Antike und im friihen Christentum 

»Unser taglich Brot gib uns heute und vergib 
uns unsere Schuld.« 

Die vierte Bitte um das Grundnahrungsmittel 
ist die einzige weltliche Bitte (vier als Zahl der 
Welt) im Vaterunser. Ob sie sich aber tatsach- 
lich nur auf leibliche Nahrung bezieht, ist 
héchst fraglich angesichts der Selbstaussage 
Jesu (Joh. 6, 35): »Ich bin das Brot des Le- 
bens.« Nichts verbindet die Menschen derart 
intensiv miteinander, als gemeinsames Essen — 
mit Ausnahme der Liebe; verstindlich, daB 
friihchristliche Gemeinschaftsmahle »Agapi« 
(Liebesmahle) hieBen.. Uralt ist die Vorstel- 
lung, daB der Mensch zu dem wird, was er sich 
einverleibt. 

Zur Zeit des AT aBen die Juden Fladenbrot 
aus Gerste, seltener aus Weizen. Es diente als 
tellerartige Unterlage fiir Fleisch und Gemtise 
(heute noch wird in Griechenland und in der 
Tlrkei Fleisch -- Jiro bzw. Déner Kebab — zu- 
sammen mit Zwiebeln und Krautern in Brot- 


fladen gewickelt). Geistiges Brot ist schon fir 
die Juden die Thora, das Wort Gottes. Die in 
vier Spitzen auslaufenden Schaubrote, ausge- 
stellt im Tempel zu Jerusalem, waren vermut- 
lich Kosmogramme (die Abendmahlsvorberei- 
tungen in der —> Proskomidie haben ebenfalls 
kosmografischen Charakter!). 

Fiir die Griechen war im Brot deren Erfinde- 
rin, die Erdmutter, selbst anwesend. Ihr zu 
Ehren feierten sie die Megalartia (grofes 
Brotfest). 

Brotbestandteile wurden im Totenkult den 
Toten und den chtonischen Gottheiten — z.B. 
der Demeter als einer Erscheinungsform der 
Erdmutter — geopfert (Ausstreuen von K6r- 
nern, Teigopfer, Brotgaben). Bei keinem Op- 
fer, blutig oder unblutig, durfte Backwerk feh- 
len. Brotreste, geheiligt durch ein Opfer an 
Asklepios, galten als Heilmittel - wie heute 
die Ewlojiabrote. 

Fiir die Romer war Brot das alteste Nahrungs- 
mittel und alteste Opfergabe zugleich. In ge- 
sduerter Form konnte es jedem Gott darge- 
bracht werden. Gebildbrot in Tierform wurde, 


65 


Brot/Brotstempel 


wie im alten Agypten, als Ersatz fiir blutige 
Opfer gegeben. An Neujahr schickte man gu- 
ten Bekannten gliickbringendes Kuchenbrot. 
Auch Totenspenden und Totenmahle mit Brot 
waren tiblich. 

Wie die griech. waren die rémischen Alltags- 
brote rund. Mehrfach unterteilt, konnten sie 
leicht gebrochen werden. Besonders verbreitet 
war panis quadratus, kreuzformig unterteiltes 
Brot. 


Totenmahlsszene mit Fisch und panis quadratus. 

Die Darstellung ist méglicherweise christlich. 
Ausschnitt aus einem Sarkophagdeckel, 

Museo Christiano, Vatikan, Ex. Vat. 172, Ende 3.Jh. 


Geformtes, geritztes und gestempeltes Brot 

Die friihen Christen deuteten die Ritzzeich- 
nung des panis quadratus als Kreuz und be- 
nutzten die Fladen fiir die Eucharistie (Em- 
mausmahl, friihchristlicher Sarkophag, Museo 
della Therme, Rom; Gastmahl des Abraham, 
San Vitale, Ravenna, 6.Jh.). 

Gestirnférmiges Kultgeback war im Orient tib- 
lich, so bei den Totenopfern der Parsen (son- 
nen- und mondférmig), bei den Manichdern 
(Kombination von Sonnen- und Mondschei- 
be), bei einer marianisch-christlichen Sekte 
Arabiens (Mondsichel). 

Die friihesten Brotformen und die Brotstem- 
pel, angebracht zur Kennzeichnung des Ge- 
wichts oder aber zur Weihe von Opferbrot, 
scheinen rémisch zu sein. Sowohl in der Litur- 
gie wie im religidsen Volksbrauch des heutigen 
Griechenland spielt Brot eine entscheidende 
Rolle. 


Das Brot in der byzantinischen und in der 
heutigen Orthodoxie 

»Siehe, Dein Bild ist geformt mit dem Blut der 
Trauben auf dem Brot und geformt auf dem 


66 


Griechisch-orthodoxer Prosphorenstempel 
(seitenverkehrt vergréBert). Apollona, Rhodos. 


Herzen mit den Farben des Glaubens und der 
Liebe. Gesegnet sei, der vergehen 148t Bilder 
aus Stein durch sein wahres Bild.« (Ephram 
der Syrer) 

— Proskomidie und Liturgie: Partikel aus fiinf 
Prosphoren (Abendmahlsbroten) -- mit dem 
Kreuzeszeichen und dem Schriftzug IC XP NI 
KA gestempelt -- werden in der —> Proskomi- 
die zu einem mikrokosmischen Modell des all- 
umfassenden Kosmos zusammengelegt und in 
der Liturgie als Heiliges Abendmahl (> Eu- 
charistie) gespendet (in der syrisch-orthodo- 
xen Kirche wird das 12teilige flache Brot bei 
der Vorbereitung des Abendmahls in Stticke 
gebrochen, aus denen der Priester eine men- 
schenférmige Figur fiigt). 

Abschlu8 der Feier der Liturgie: Antidoron 
(»Anstattgabe«) — die Reste der fiinf Prospho- 
ren und gegebenenfalls noch zusatzliche — wer- 
den zum Schlu8 der liturgischen Feier an Teil- 
nehmer und Nichtteilnehmer des Abendmah- 
les verteilt. Dieses heilbringende Brot kann 
zum Zeichen der Gastlichkeit auch an Nichtor- 
thodoxe gegeben werden. Die Ménche vom 
Sinai spenden es z.B. den muslimischen Be- 
duinen, um ihnen etwas Gutes anzutun. Man- 
che Glaubige schaétzen das Antidoron so hoch 
ein, da8 sie am Vorabend des Empfanges fa- 
sten. An besonderen Festtagen werden die 
Brotstticke mit nach Hause genommen und als 
Heilmittel fiir Kranke verwendet. Theologisch 


Bundeslade 


gilt das Antidoron (nach Pseudo-Germanikus) 
als Leib der Gottesmutter, da das Lamm Chri- 
stus aus ihr herausgelést, herausgeboren wird. 
Da Maria zugleich die Kirche reprasentiert, 
wird das Antidoron zu einem Gemeinschafts- 
mahl, das alle Glaubigen miteinander ver- 
bindet. 


Gestempelter Ewlojion (Eulogion). Brot bei einem 
Kirchenfest vor der Giprelkirche auf dem Tsambiko, 
Rhodos 


Hohe Festtage und Namensfeste von Heiligen: 
Artoklasia 

In der Zeremonie des Brotbrechens — sie fin- 
det bei Namensfesten von Heiligen vor deren 
Kirche statt — werden Kuchenbrotstiicke (sog. 
Ατίοβ, im Gegensatz zum gew6hnlichen Brot 
»Psomi«) als Heilsgabe und Zeichen der Ge- 
meinschaft verteilt. Die groBen runden Brot- 
laibe — Durchmesser bis zu einem halben Me- 
ter — tragen eine Stempelprigung (Bild des 
Prosphorensiegels, des Festtagsheiligen oder 
einer Festtagsszene). Brotverteilung bei Festen 
im Haus: Das Christopsomo (~ Geburt Chri- 
sti) wird zu Weihnachten verteilt, der Mutter- 
gottes als Starkung nach der Entbindung ange- 
boten. 

Neujahr ist undenkbar ohne Wassildpitta 
(— Basilius). 

Am Vorabend des Samstags des -- Lazarus 
werden fiir die Kinder »Lazari« gebacken, 
Brétchen oder Mandelbrote in der Form eines 
in Leinentiicher gewickelten Menschen. Laza- 
tus weist vorbildlich auf den auferstehenden 
Christus hin. Kollywa, die Totenspeise bei Be- 


stattungen und Erntefeiern: Eine Speise aus ge- 
quollenen Weizenkérnern, siehe —» Toten- 
brauche. 


Abbildungen und Symbole des 
Abendmahlsbrotes 

Als Weihegaben gekennzeichnete Brote fin- 
den sich auf Darstellungen der —> Eucharistie 
bzw. ihrer typologischen Vorbilder — auf frii- 
hen Bildern bis zur Mitte des 6. Jh.s, vor allem 
als panis quadratus (Gastmahl Abrahams, San 
Vitale, Ravenna, Mitte 6.Jh.) —, spater als ge- 
stempeltes Brot (Opfer Abels und Melchise- 
deks, San Vitale, Mitte 6.Jh., Sant’Apollinare 
in Classe, 7.Jh., Ravenna, Ajia Sophia, 
Ochrid, 11.Jh.). Im byz. Bereich setzt sich be- 
reits um 700 der bis heute verwendete Pro- 
sphorenstempel durch. Zu der Zeit hat auch 
die — Proskomidie ihre bis jetzt giiltige Form 
erhalten. Wahrend des Bilderstreites kommen 
zwei Symbole fir die ftinf Prosphoren der 
Proskomidie auf: 


κα Finfkreuzférmig angeordnete Punkte. 
xy Vier Punkte zwischen den Armen eines 
— Kreuzes. 


Sie sind eine Abkiirzung der vier Silben »Jesus 
Christos Nika«. 

Vorformen dieses Symboltyps lassen sich bis 
ins 6.Jh. zuriickverfolgen. In der Kirche von 


- Tabgha (Palastina) errichtet an der Stelle der 


Speisung der 5000 mit fiinf Broten und drei 
Fischen, stellt ein Mosaik einen Brotkorb dar: 
zwischen zwei Fischen vier Brote, mit einem 
Kreuz gekennzeichnet und auch selbst kreuz- 
férmig angeordnet: Heute noch werden serbi- 
sche Weihnachtsbrote’ kreuzférmig in der Art 
des panis quadratus unterteilt. Zwischen den 
Kreuzarmen liegen vier kleine Quadrate mit 
dem Prosphorensiegel. 


Buchstaben —- ABC 


Bundeslade 


H KIBOTOC THC AIA@HKHC 
I kibotos tis diathikis 


Das gro8te Heiligtum des alttestamentlichen 
Judentums birgt die mosaischen Gesetzesta- 


67 


Charos 


feln. Aufbewahrt wurden sie in der Friihzeit in 
einem Zelt, spater im Allerheiligsten des Tem- 
pels. 

In byz. Zeit ist die Lade Typos der Gottesmut- 
ter, die das Heiligste — Christus-Gott — als 
Kind in sich tragt. 


Die Lade fiir die Gesetzestafeln 

im Alten Testament 

Jahwe selbst fordert auf dem Berge Sinai Mose 
(2.Mose 25) dazu auf, eine vergoldete Lade 
aus Holz fiir die zwei steinernen Gesetzesta- 
feln (mit dem gesamten jtidischen Gesetzes- 
werk) anzufertigen. In der Wanderzeit der Is- 
raeliten wurde die Lade mit Hilfe zweier Stan- 
gen von vier Mannern getragen. Im Lager hat 
man sie in.einem Zelt aus zehn Teppichen 
(Stiftshiitte) zusammen mit anderen Kultge- 
genstainden aufbewahrt. Nach dem Ende der 
Nomadenzeit ersetzte Konig — Salomon die 
Stiftshtitte durch einen steinernen Tempel auf 
dem Berg Zion. Im Allerheiligsten verblieb 
die Lade wahrscheinlich bis zur Zerstérung 
des Tempels durch Nebukadnezar II. (587 
v. Chr.). 

In den jiidischen Gebetshausern (Synagogen) 
befindet sich, nachgewiesen seit 250 v. Chr., 
dem Eingang gegeniiber als Ersatz fiir die 
Lade und ihre Gesetzestafeln ein Schrein fiir 
die Thorarollen. 


Die Bundeslade in der athiopischen Tradition 
Athiopien war von jiidischen Flichtlingen vor 
Nebukadnezar missioniert worden und tiber- 
nahm daher das Christentum spater in seiner 
judenchristlichen Form. 

Nach 4thiopischer Uberlieferung hatte bereits 
K6nig Menelik I., Sohn K6nig Salomons und 
der Bilbis (K6nigin von Saba), die Bundeslade 
in Jerusalem entwendet und nach Athiopien 
gebracht. 

Dort begriindete er die athiopische, durch die 
Abstammung von Salomon legitimierte Kai- 
serdynastie. 

Bis heute wird in Athiopien das Abendmahl 
anstatt auf dem Antiminsion auf dem sog. Ta- 
bot (Bundeslade) dargebracht — einem in kost- 
bare Tiicher gewickelten seltenen Stein oder 
Holzsttick. 


68 


Die byzantinische Deutung der Bundeslade 

als Typos der Gottesmutter 

Bundeslade und — Tempel verkérpern beide 
die den Christus in sich tragende Gottesmut- 
ter, reprdsentieren gleichzeitig die mit der 
Gottesmutter gleichgesetzte triumphierende 
Kirche. 

Das Malerhandbuch (Ermenia) nennt folgen- 
de Szenen mit der Bundeslade aus dem AT: 


yx »Zwilf Priester tragen auf ihren Schultern die 
Bundeslade. Sie stehen in der Mitte des Jordan wie 
auf dem Trockenen. Hinter ihnen sind Wagen mit 
zwei Rindern und ein Wagenfithrer, der sie antreibt. 
Die Menge des Volkes durchwandelt mit — Josua 
den FluB8.« 


Die Priester sind typologische Vorbilder ftir 
die zwélf Apostel, Josua fiir Jesus (die Namen 
beider werden in der griech. Bibel gleich ge- 
schrieben). Die Szene selbst weist auf die Tau- 
fe hin (-5 Ciborium). 


vw David bringt die Bundeslade nach Jerusa- 
lem (2. Sam. 6, 1-11): 


»Zwei Rinder ziehen einen Wagen und darauf liegt 
die Bundeslade (eine goldene Kiste und zwei golde- 
ne Cherubim iiber ihr). Davor David in einem wei- 
Ben Gewand, die Harfe spielend. Neben ihm sind 
Priester, die einen mit Pauken, die andern mit Zit- 
hern, die andern mit Trompeten. Neben der Bun- 
deslade liegt der tote Usa. Dahinter eine Menge 
nachfolgender Leute.« 


τς David tanzt um die Bundeslade herum. 
(2. Sam. 16, 14-15). 

(Fresko in der Chorakirche, Konstantinopel, 
1315.) 


Charos 


O XAPOC/O XAPONTAC 
O charos/O charontas 


Der Totenfahrmann der Antike, Charon, lebt 
als Charos in der byz.-christl. Wandmalerei 
und in neugriech. Klageliedern fort. 


Geleitsmann der Toten in der Antike 

Charon, in der Antike Totenfaéhrmann, aber 
auch gleichgesetzt mit dem Tod selbst (auch mit 
dem Hades), wird von den altgriech. Schrift- 
stellern sprachlich in Zusammenhang gebracht. 


Cherubim 


mit dem Totenflu8 Acheron, hinter dem sich 
eine alte Totenherrschergestalt verbirgt. Heu- 
te wird Charon abgeleitet von »charopos« 
(wildfunkelnd blickend). Den von Charos be- 
fahrenen Acheron stellten sich die Griechen 
als FluB oder See vor, eine Verniedlichung des 
die Erde umspiilenden Urmeeres. 


Charos, Verkérperung des Todes 

in den neugriechischen Klageliedern 

Der neugriech., in Totenklagen (Mirolojia) 
‘und -gesiingen faBbare Charon ist zu einer 
“Verkérperung des Todes selbst geworden. 
Gleichzeitig tritt er als Totengeleiter und Be- 
herrscher des Totenreiches auf. Er besitzt den 
Schliissel zum Hades. 

In den volkstiimlichen Klagegesaingen (sog. 
Mirolojia und Charoslieder) finden wir seine 
Gestalt aufgespalten in den meeresbefahren- 
den Totengott der Kiisten- und Inselbewohner 
— seine Boote sind niemals Nachen, sondern 
groBe Segelschiffe -- und in den wilden Reiter 
(Herr tiber die Pferde) der bergigen Region: 


Insel Zakynthos: 


»Es treibt das Segel des Charos, 

es treibt zum Orte des schwarzen Geschicks, 
Dorthin, wo viele Seelen sind, alte und junge, 
schwarz ist sein Schiff und schwarz seine Segel.« 


Rhodos: 


»Steh auf mein Kind, der Charos harrt, 
und er gewahrt kein Warten, 

Sein Schiff steht unter Segel schon, 
zum Hades fahrt hinab es!« 


Peloponnes: 


»Schwarz ist er selbst, schwarz ist sein Pferd, 
sein schnelles Rof8 ein Rappe, 

geht aus auf Raub die ganze Nacht, 

bis in die Morgenfriihe.« 


Stehende Wendungen im heutigen Neugrie- 
chisch: »lin nahm der Charos« (Er starb) und 
»Ich sah den Charos mit meinen Augen« (Ich 
_ bin dem Tod von der Schippe gesprungen.) 

Die antike Sitte, den Toten eine Miinze — Ent- 
gelt fiir die Schiffspassage -- in den Mund zu 
legen oder einen Ersatz dafiir, Ζ. Β. ein Wachs- 
kreuz, ist heute noch in Griechenland (auch in 
Frankreich) verbreitet. 


Der Totenherrscher zu FiiBen des auferstehenden 
Christus — hier von einem Engel gefesselt — wird 
durch Beischriften teils als Charos, teils als Hades, 
teils auch als Satan bezeichnet. Kloster Panajia 
Mawrotissa bei Kastoria, spdtbyzantinisch. 


Charos — Hades — Satan 

Auf Wandmalereien mit Unterweltmotiven 
werden die Gestalt des + Teufels, des Hades 
und des Charos nicht deutlich voneinander un- 
terschieden (— Ostern). In den Klageliedern 
kommt zwar der Charos als Tod vor, der -- 
Hades als die von Charos beherrschte Unter- 
welt, der Teufel aber tiberhaupt nicht. In Mar- 
chen dagegen kann der > Teufel Ziige des see- 
fahrenden Charos, des Poseidon und, als Herr 
ὌΡΕΙ alle Schatze der Welt, auch des Hades/ 
Pluto annehmen. 


Cherubim 


TA XEPOYBIM 
Ta cheruwim 


Vierfliigelwesen, iiber und tiber mit Augen be- 
deckt, die den Thron Gottes umstehen (1. K6n. 
6., Ez. 1 u. 10). Urspriinglich waren es vier, 
entsprechend der Zahl der Winde, sie galten in 
der alteren Schicht des AT als Fahrzeug Jah- 
wes. Ihnen zur Seite rollten gefliigelte Rader 
(— Engel, --ὁ Hesekielvision). In der ostkirch- 
lichen Liturgie (— Eucharistie) stellt der Chor 


69 


Christus 


die Gott lobsingenden Cherubimi dar (Cheru- 
bimhymnus). Cherubim sind Wachter der 
Bundeslade wie des Paradieses. Darstellungen 
von Cherubim und —> Seraphim sind nicht im- 
mer zu unterscheiden. (Naheres —> Pfau, auch 
— himmlische und kirchliche Hierarchie). 


Cherubim-Darstellung. Tokali Kilise I, 
Kappadokien, Ende 10. Jh. 


Christus 


IC XP/IHCOYC XPICTOC 

JS ChR/Jisouis Christdés 

»Jesus Christus lebte auf der Erde etwa 33 Jahre. 
Die schriftlichen Nachrichten und die gesamte 
kirchliche Uberlieferung konzentrieren ihr Interesse 
auf diesen Zeitraum, insbesondere jedoch auf die 
letzten drei Jahre, in denen er 6ffentlich wirkte.« 
Dimitrios Wakaros 


Die Aussage des orthodoxen Geistlichen 
stimmt mit dem historischen Befund tiberein: 
Christi Vorlaufer (+> Johannes) begann vom 
Jahre 28 oder 29 an zu taufen, Jesus von Naza- 
reth βίαι am 7. April 30 oder am 3. April 33. 


70 


DaB Jesus lebte, wird nicht mehr bestritten. 
Seine Existenz als Mensch ist das starkste Ar- 
gument der Orthodoxie fiir Christi Darstellung 
im- Bild. Die Frage, wie sich Christus selbst 
gesehen hat, ist unter Theologen und Histori- 
kern umstritten. Nach den vier Evangelien des 
NT hat er sich selbst als Gottes Sohn verstan- 
den und als Messias [= Christus = der Gesalb- 
te, > Ol], als Gottes kéniglichen Beauftrag- 
ten, fiir den sich die Heilserwartung nicht in 
einem diesseitigen, sondern in einem jenseiti- 
gen Reich erfiillt. Christus griff damit spatjidi- 
sche Vorstellungen, die auch schon bei einigen 
AT-Propheten angelegt waren, konsequent 
auf. 


Christos Pantokrator, Kuppelfresko im Athoskloster 
Xenophontos, nachbyzantinisch. 


Christusbilder als Zeugen der 

Menschwerdung Gottes 

»Das Wort des Vaters, das unfaBbar ist durch Be- 
schreiben, hat sich dadurch, da& es Fleisch 
(Mensch) geworden, selbst umschrieben. Und in- 
dem er das (durch Adam) befleckte Menschenbild 
in seiner Urform wiederherstellte, durchdrang er 
dieses mit g6ttlicher Schénheit.« Kontakion vom 
Sonntag der Orthodoxie ' 
Christus bildlich darzustellen, ist nicht nur er- 
laubt, sondern theologisch geboten: Als das 
Abbild Gottes hat er es durch seine Mensch- 
werdung zusatzlich auf sich genommen, zum 
Bild des gefallenen Menschen zu werden. Als. 


Christus 


QV 


Christos Achiropiitis auf Mandylion in der postbyzantinischen Klosterkirche von Warlaam Meteora. 


Gottessohn das Bild des Menschen anneh- 
mend, hat er diesem seine verlorene Gottes- 
ebenbildlichkeit wieder zuriickgegeben. Chri- 
stusdarstellungen erhalten Hinweise auf die 
beiden in Christus vereinten Naturen: 


Die wichtigsten Christusikonen-Typen 

Die am haufigsten dargestellte Gestalt kommt 
vor in Szenen aus dem NT, den NT-Apokry- 
phen (> Marienzyklus), anstelle Gott-Vaters 
in alttestamentlichen Szenen, in Szenen aus 
der miindlichen Uberlieferung (+ Heimho- 
lung Mariae), in liturgischen Szenen (— Eu- 
charistie) und Huldigungsbildern (> Deisis, 
> Kaiser). 


Jesus als Bild Christus als Bild 
desMenschen  Gottes 
Namens- Jesus, Christi Christos, der 
beischrift Name als Gesalbte Gottes, 
Mensch, bedeu- entspricht dem he- 
tet »Gott hilft« | braischen Messias. 
Kenn- Kreuzim Nim- Mittelbyzantinisch: 
zeichnung bus (Zeichen eucharistische fiinf 


des des Leidens und Punkte in den 
~Nimbus Sterbens als Kreuzarmen des 
Mensch) Nimbus; 


Spat-Postbyz.: 
Inschrift in den 
Kreuzbalken »O on« 
(= der Seiende, Be- 
zeichnung Gottes 
selbst) 


Die wichtigsten Typen von Einzeldarstellun- 
gen auf Tafelbildern wie an herausgehobener 
Stelle im Kirchen-Innenraum sind: 


1. Christos Achiropiitis — die nicht mit Handen 
gemachte Christusikone wird zurtickgefiihrt 
auf den Abdruck des Gesichtes Christi auf ei- 
nem Linnen, das er dem Armenierkénig Ab- 
gar von Edessa schickte. Dargestellt: Tuch mit 
Kopf (ohne Hals). 

Das Bildnis legt die fiir Einzeldarstellungen 
des erwachsenen Christus ab friihbyz. Zeit 
verbindlichen physiognomischen Merkmale 
fest: 


71 


Christus 


a) absolut frontale Kopfstellung (en face) 

b) langes gewelltes braunliches Haar mit Mittel- 
scheitel 

c) Stirnlocke 

d) vom Haar halb verdeckte Ohrlappchen 

e) markante, oft zusammengewachsene Brauen 

f) Bart mit einer oder — haufiger — zwei Spitzen 

g) Kreuznimbus — der Schnittpunkt der Kreuzarme 
hinter dem Kopf liegt in der Héhe der Nasenwurzel 
knapp tiber den Brauen. (An dieser Stelle liegt bei 
den indischen Buddhastatuen das Stirnauge — die 
Urna. Auf tamilisch-siidostindischen Statuen vor 
der Jahrtausendwende hangt sie stirnlockenférmig 
aus dem Haar herab.) 


Christos Pantokrator im Hauptportal vor Narthex 
zum Naos. Klosterkirche von Osios Lukas, Anfang 
11.Sh. 


2. Christos Pantokrator -- die wichtigste Aus- 
formung des Christusbildes, dargestellt in der 
Hauptkuppel, auch in Nebenkuppeln, in Fel- 
dern tiber dem Hauptportal, auf zahlreichen 
Ikonen (> Pantokrator, > Nimbus). 


Der Pantokrator oder Archijerews ist auf allen in 
Kirchen eingebauten > Ikonostasen rechts von der 
schénen Pforte, die Gottesmutter links davon dar- 
gestellt. (BegrtiSung der Christusikone durch den 
Priester > Proskomidie) 


3. Christos Archijerews -- Christus als Hohe- 
priester. Angetan mit bischdflichen Gewan- 
dern, vor allem der Bischofskrone, sitzend auf 
der Bischofskathedra. Auf bischdflichen Ka- 


72 


Christos als Erzpriester. Zeitgendssische Darstellung 
im alten Stil. Rhodos. 


thedren rechts von der Bilderwand ist gew6hn- 
lich eine Archijerewsikone angebracht. Der 
Bischof — iiber eine Abfolge von Handaufle- 
gungen, die seine Vorganger jeweils der nach- 
sten Generation weitergereicht haben, letzt- 
lich von Christus selbst eingesetzt — bildet in 
seinem liturgischen Handeln Christus und sein 
heilsgeschichtliches Wirken ab (+ Himmel- 
fahrt). Schon das NT (Hebr. 5, 4—8) stellt Chri- 
stus als »einen Priester in Ewigkeit nach der 
Ordnung Melchisedek« (+ Abraham) heraus. 
Die Liturgie der Ostkirche wird aufgefaBt als 
Opferhandlung des Hohepriesters Christus. Er 
ist der opfernde hohe Priester und zugleich das 
geopferte Lamm. 


Christus 


ἣ ὅ 
--. a [ΞΞ 0 sess a 


4. Christos Emmanouil — Christus als kind- 
licher Knabe. 

Maitth. 1, 23 wird eine Prophezeiung des Jesaia 
(7, 14) zitiert: 

»Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und ei- 
nen Sohn gebdren und sie werden ihn Emmanouil 
nennen — das heift verdolmetscht: Gott ist mit uns.« 
Die Muttergottes wird grundsatzlich nicht mit 
einem Kleinkind, sondern mit dem Emma- 
nouil-Knaben (in deutschen Bibeln umschrie- 
ben als »Emmanuel«) auf dem Arm dargestellt 
- einem 6- bis 7jahrigen, der mit der Gestik 
eines Erwachsenen die Rechte zum Segen er- 
hebt und in der Linken eine Schriftrolle halt 
(— Maria). Allein wird der jugendliche Chri- 
stus (nach dem 6.Jh.) nur selten dargestellt. 
Der schlafende Emmanouilknabe, den Kopf 
auf die Rechte gesttitzt und in eine rote Decke 
gehiillt, wird als Anspielung auf Christi Todes- 
schlaf gesehen. Das Bild gibt eine in der Kar- 
samstagliturgie aufgegriffene Prophezeiung 
Jakobs (1. Mose 49.9) wieder: 

»Er hat sich gelagert und ist entschlummert wie ein 
Lowe, wie ein L6wenjunges; wer wird ihn wecken?« 
(Athos Protaton, Ende 13. Jh.) 


Christos Emmanouil im Schlafe. Zeitgendssische Darstellung im Stile des 15.Jh.s, Metropolis, Rhodos. 


In spateren Darstellungen sitzt die Gottesmut- 
ter neben dem Lager und zieht éinen Schleier 
vom Gesicht des Kindes. Ein Engel zeigt die 
Leidenswerkzeuge (Meteora Warlaam, Mitte 
16. Jh.). 


Historische Entwicklung des Christusbildes 
Die friihesten, auf Christus hinweisenden Kata- 
kombenmalereien, Sarkophagreliefs und -sta- 
tuen (Ende 2., 3., auch noch 4. Jh.) stellen ihn 
nicht direkt dar, sondern hiillen ihn gewisser- 
maBen ein in Gleichnisfiguren, den antiken 
Religionen entnommen, spater auch dem AT: 


+ Der gute Hirte: jugendlich und ohne Bart: Tragt 
ein Lamm auf den Schultern (die von Christus geret- 
tete Seele eines Verstorbenen). Manchmal winden 
sich Lowen zu seinen Fii®en (»Der gute Hirte lapt 
sein Leben fiir seine Schafe« Joh. 10, 12). Vom 4.1}. 
an werden Hirtenszenen durch Baume, auch durch 
Quellen, zu Paradiesgarten ausgebaut (kéniglicher 
Hirte zwischen sechs nach ihm blickenden Schafen, 
Mosaik Galla Placidia, Ravenna, ca. 422). Die frii- 
heste Gute-Hirten-Darstellung: Lucina und Kalli- 
sto-Katakombe, Rom, vorkonstantinische Sarko- 
phage; Dura Europos, Taufraum. 


73 


Ciborium/Baldachin 


se Der Lehrer und wahre Philosoph in antiker 
Tracht. Vereinzelte Darstellungen in Katakomben 
des 3.Jh.s, Anfang 4.Jh.s weiterentwickelt zu 
»Christus, die Apostel belehrend« und in spatkon- 
stantinischer Zeit zu »Christus als Gesetzgeber«. 

ἈΞ Der neue Orpheus, der Sanger mit der Leier. 
Weil sein Gesang Tote erwecken kann, sieht schon 
Clemens Alexandrinus in ihm eine Symbolfigur 
Christi. Orpheus verkérpert Christus als eschatolo- 
gischen — David. 

Orpheus versuchte seine Frau Eurydike aus dem 
Hades zu befreien — vergebens. Der neue Orpheus 
Christi fahrt in den Hades (~ Ostern) und ihm ge- 
lingt es, die Toten zu befreien. Im 3. Jh. ist er wie 
der gute Hirte von Schafen, im 4. meist von wilden 
Tieren umgeben (den von Christus beherrschten 
Damonen). Der Christus-Krieger, der auf Lowen 
und Schlangen tritt, ist ein Nachklang des Motivs 
(S. Callisto-Katakombe, Orpheus Cubiculum). 

ὡς Der Fischer mit dem Netz. Er fangt die Fische 
(Seelen) aus dem Meer (> Meereswunder) und ret- 
tet sie so vor dem Untergang (S. Callisto, Sarkopha- 
ge u.a. in Rom und Ravenna, 3. Jh.). 

vy Schiff mit oder ohne Steuermann (Christus als 
der neue —> Charon im Boot mit den Totenseelen, 
—> Schiff als die Kirche), durch die Wogen gleitend 
(Broncelampe Museo Archeologico Florenz, 
Schiffsfresko 5. Callisto - ohne Steuermann). 


Mit der konstantinischen Friedenszeit (Anfang 
4.Jh.) kommen ein- und zweizonige Sarkopha- 
ge auf. Ein meist bartloser jugendlicher Chri- 
stus bewirkt mit einem Zauberstab in der 
Hand auf Einzel- und mehrere Szenen zusam- 
menfassenden Kompositdarstellungen > Wun- 
derheilungen und —> Wunderspeisungen oder 
erweckt — Lazarus. Jetzt wird Christus selbst 
als Person dargestellt — seine Heilstaten intér- 
essieren jedoch mehr als seine Pers6nlichkeit. 
Im Laufe des 4. Jh.s kommen — oft untermischt 
mit prafigurativen AT-Szenen (~ Abraham, 
—» David, > Noah usw.) — die neutestament- 
lichen szenischen Darstellungen auf, die dann 
von der Buchmalerei und den Wandmosaiken 
der Basiliken des 6.Jh.s zu erzahlenden Sze- 
nenfolgen ausgebaut werden (Sant’Apollina- 
re, Ravenna, Mitte 6.Jh.: Der wundertatige 
Christus an der linken Wand ist noch bartlos, 
der an der rechten bartig). 

Zwischen 375 und 450 bildete sich ein vdllig 
neues, fiir die weitere Entwicklung des Chri- 
stusbildes maSgebliches Motiv heraus: Chri- 
stus als der Beherrscher des Alls (+ Himmel). 
Das himmlische Urbild des irdischen —> Kai- 


74 


sers thront majestatisch auf der Himmelskugel 
oder einem Regenbogen und verleiht oder 
empfangt —> Krinze (San Vitale, Ravenna, 
400, bartlos; Santa Pudenziana, Rom, mit 
Bart), vergibt Gesetze oder Schliissel (Santa 
Costanza, Rom — einmal bartlos, einmal bar- 
tig), wird von den — Weisen verehrt (Santa 
Maria Maggiore, Rom, thronender Emma- 
nouilknabe). Zur gleichen Zeit erscheinen die 
ersten Festtags- und Passionsdarstellungen 
(Santa Sabina, Rom, 422-432). Christus als 
Beherrscher des Alls verschmilzt mit dem Him- 
melfahrtsbild. Sich herauslésend aus den Wun- 
der- und Festtagsserien, wandert es nach oben 
ins Gewdlbe oder hinauf in die Kuppel. Nach 
dem Bilderstreit (naheres -» Himmelfahrt) 
verdichtet sich das Motiv zum —> Pantokrator, 
in dessen Bild die physiognomischen Elemente 
des Christuskopfes aus dem — Mandylion ein- 
flieBen. 

Das schmale, meist mit dunklen Linien her- 
ausgearbeitete Antlitz des mittelbyz. Christus, 
wird zum Ende der spatbyz. Zeit hin breiter 
und mit malerischem Hell-Dunkel plastisch 
durchmodelliert. Auf russischen Ikonen er- 
scheint das Untergesicht kraftig ausgepragt. 


* 


Ciborium / Baldachin 


TO KIBQPION/O OYPANICKOC 
To Kiwérion/O Ouraniskos 


Freistehende Aufbauten aus einem kuppelfér- 
migen Gebilde iiber vier, zum Teil auch acht 
Stiitzen, werden in leicht transportabler Form 
(Stangen und Stoff) Baldachine, in fester Aus- 
fihrung (Stein, Holz) Ciborien genannt. Beide 
betonen die Erhabenheit dessen, was sie tiber- 
wélbend schiitzen, sind »Heiligenscheine« fir 
verehrte Menschen oder Gottheiten, Objekte 
oder Orte. 


Das Ciborium als Schutzschirm und 
Auszeichnung 

Ehrenvoll ausgezeichnet wurden in vorchristl. 
wie in byzant. Zeit: 


mit Baldachinen mit Ciborien 
Herrscherthrone, Herrscherthrone 
Tragstiihle fiir Herrscher 


Ciboriuimn/Baldachin 


Altare (christl. Altare 
gelten als Thronsitz 
Christi) 

Ambone (fiir Schrift- 
lesungen) bzw. das auf 
ihnen liegende Evange- 
lienbuch 

Graber mit verehrten 
Toten. Das Epitaphion 
(— Passionszyklus) Christi 
ist ciborienartig tiber- 
wolbt 

Brunnen 

Taufbecken (Piscinen) 
groBe Weihwasserbecken 


Altare, Tragaltare bei 
Prozessionen 


WUE HT 


Ciborium tiber dem Webtisch der jugendlichen Maria 
im Tempel zu Jerusalem. Narthex Chorakirche, 
Konstantinopel, 1315-1321. 


Byzantinische Abbildungen von Ciborien 

Auf Wandmalereien, Ikonen und in der Buch- 
malerei verleiht das abgebildete Ciborium, sel- 
tener der Baldachin, Sakramentalobjekten wie 
Abendmahl, Taufe — gelegentlich auch Heili- 
gen — eine besondere Weihe. Die Haufigkeit 
der Ciboriendarstellungen nimmt ab mittelbyz. 
Zeit zu. 


Uberwélbt werden: 


tr Der auf die Eucharistie hinweisende Altar 
im Tempel von Jerusalem mit seinem schar- 
lachroten — Antiminion (> -Altar, + Marien- 
zyklus). 

vr Der— eucharistische Altar mit Christus als 
Hohepriester (—> Eucharistie). 

yr Die Muttergottes mit dem Kind als — le- 
bensspendende Quelle, Personifikation der 
Taufe (ab spatbyz. Zeit. 

xe Der Altar der Blachernenkirche in Kon- 
stantinopel, vor dem eine Erscheinung der 
Muttergottes stattfindet (russische Ikonen ab 
15. Jh.). 


Gelegentlich finden sich Ciborien auf Sterbe- 
szenen von Heiligen -- jedoch nur im Hinter- 
grund. In der Buchmalerei werden einzelne 
Heilige oder Heilsgeschehnisse in ciborienahn- 
liche Rahmen gefaft. 


Kombinierter Ciborien-Baldachin. 


Auf der abgeschnittenen Kuppel eines Ciboriums er- 
hebt sich nochmals ein Vierpfosten-Stoffbaldachin. 
Das Ciborium ist austauschbar mit dem dlteren 
Baldachin. Narthex Chorakirche, Konstantinopel, 


"1315-1321. 


Die Mosaiken der Chorakirche, die Fresken der Ni- 
kolaos Fountoukli in Rhodos und viele russische 
Ikonen zeigen noch andere kirchenahnliche Gebau- 
de, die mit scharlachroten Stoffen -- baldachinahn- 
lichen Ehrenzeichen — iiberspannt sind. Einige der 
ornamentalen, mandaladhnlichen Rundformen im 
Scheitel von Flachkuppeln (Chorakirche), ahneln 
von unten gesehenen Baldachinen oder Ciborien- 
woélbungen — byz. Entsprechung zur abendlandi- 
schen Scheinkuppel. ; 


75 


Ciborium!/Baldachin 


Flachkuppel iiber den heilsgeschichtlichen Szenen 
als Himmel aus. Chorakirche, Konstantinopel, 
1315-1321. 


Das Ciborium als Himmelsmodell 

Im alten Agypten kennzeichneten Baldachine 
und Ciborien die herausragenden Platze von 
Herrschern. Die Erde wurde aufgefaBt als 
Rechteck mit vier Pfosten, tiberw6lbt vom 
halbkugeligen Himmel. Die vier Stitzenauf- 
bauten waren ein verkleinertes Modell des 
Alls, in dem der Herrscher als das Zentrum 
der Welt, als die fiinfte Saule und Weltenachse 
stand. 

Vom 4. vorchristl. Jh. an wird der Baldachin 
griechisch Ouraniskos (Himmelchen) genannt. 
Plutarch iiber Alexander den Groen: 

»Und er sitzt ... unter dem gtildenen Ouraniskos 
auf dem kéniglichen Thron.« 

900 Jahre spater (2. Halfte 6.Jh.) bezeichnet 
Corippus die Goldkuppel des Thronbaldachins 
fiir den r6mischen Kaiser Justin als Abbild des 
Himmelsgewélbes. Auf einer Elfenbeintafel 
(6.~8.Jh.) thront die von den Magiern verehr- 
te Maria mit Kind unter einem mit Sternen 
iibersiten Baldachin. Ende 11.Jh. weist ein 
Engel mit Fliigeln, der die Gottesmutter im 
Tempel (> Marienzyklus) speist, in einer Ci- 
borienkuppel diese als Himmel aus (Lektionar 
Kloster Pantelimonos, Athos). Zu der Zeit 
schreibt Theodor von Andida in seinem Litur- 
giekommentar, das die heiligen Vater deshalb 
Ciborien als Abbilder des Himmels tiber Alta- 
ren gewolbt hatten, weil auf diesen Altaren 
das geschehe, was sich einst in Jerusalem et- 
fiillt habe (der Opfertod Christi), Jerusalem 
aber als Ort des zentralen Geschehens der 


76 


Weltgeschichte, Mitte der Erde und zugleich 
Mitte zwischen Himmel und Erde sei (Cibo- 
rium als Mikrokosmos). 

In Altpersien und spater im hellenistischen 
Griechenland gab es Baldachine mit nur einer 
Mittelsiule -- also Schirme. In Siidostasien 
werden Gétterstatuen und Wiirdentrager mit 
ebenfalls als Himmel aufgefa8ten Ehrenschir- 
men geschtitzt. 

Wie die Baldachine fiir die Ciborien, waren 
die Schirme in Siidostasien Vorbilder fiir’ Pa- 
goden und Merus, deren iibereinandergestaf- 
felte Dacher Reprisentationen der Himmels- 
spharen sind. 


Baptisterien und Weihwasserbrunnen 
Architektonische Erweiterungen von Ciborien 
iiber Piscinen (Taufbadebecken) sind die nach 
den vier Himmelsrichtungen orientierten friih- 
christ]. Baptisterien (Ravenna 6.Jh.). Bei ih- 
nen sind die Offnungen zwischen den tragen- 
den Sdulen mit Mauerwerk geschlossen. Ihre 
oktogonale Anlage findet sich wieder in den 
meist als achtstiitzige Steinpavillons ausgebil- 
deten »Fialen« tiber Weihwasserbecken auf 
dem Athos. 


poe i Ss 


»Fialien« mit Becken fiir die Wasserweihe im 
Athosklosters Iwiron. 


Daniel 


Auch die Kuppel der »Fialen« reprasentiert 
den Himmel, wie die Anweisungen des Maler- 
ménches Dionysios vom Athos im Malerhand- 
buch (Ermenia) bestatigen: 


»Oben in die Kuppel (hier die »Fialen«) male den 
Himmel mit Sonne, Mond und Sternen, auRerhalb 
des Himmelskreises eine Glorie mit vielen Engein. 
Unten im Kreise male als erste Reihe das, was am 
Jordan mit dem Vorldufer sich zugetragen hat. Male 
an der Ostseite die -> Taufe Christi und tiber dem 
Haupte Christi einen aus dem Himmel hervorge- 
henden Strahl und in die Spitze des Strahls den Hei- 
‘ ligen Geist. Im Strahl, von unten bis oben, die 
Schrift: Dies ist mein geliebter Sohn, an dem Ich 
Wohlgefallen habe.« Matth. 3, 17 


᾿ς Abgesehen von der — lebensspendenden 
Ὁ Quelle, -- Johannes dem Taufer und den Pro- 
pheten, die die Taufe weissagten, werden Er- 
eignisse des AT abgebildet, die sich typolo- 
gisch auf die Taufe beziehen (2. Mose 2, 1-10; 
14, 10-15; 15, 22-26 und 27; 17, 1-7; Jos. 3, 
1-17; 2. K6n. 2, 12-15 und 19-22; 5, 8-14). 


Daniel 

OTIPO®HTHC AANIHA 

O profitis Daniil 

Ein Prophet, der im 6.Jh. v.Chr. unter den 
Exiljuden in der babylonischen Gefangen- 
schaft gewirkt haben soll. Die Ereignisse um 
ihn und die Geschichten in den unter seinem 
Namen laufenden Biichern des AT sind wegen 
ihrer erzahlerischen Farbigkeit populér und 
werden von friihchristl. Zeit an haufig darge- 
stellt. 


Daniel im alttestamentlichen und apokryphen 
Schrifttum 
Das alttestamentliche Buch Daniel und die 
von den Orthodoxen und Katholiken als kano- 
nisch, von den Protestanten als apokryph ein- 
gestuften Biicher Gebet Asarjas, Susanna, Bel 
und der Drache zu Babel berichten 300 bis 400 
Jahre nach der babylonischen Gefangenschaft 
liber eine Gestalt, die 568 (?) aus Jerusalem 
ins Exil verschleppt, als Prophet und Traum- 
deuter am Hofe Nebukadnezars II. gewirkt 
hat und unter Kyros, zusammen mit seinem 
Volk, wieder nach Palastina entlassen wurde. 


Daniel wird als vierter der groSen —> Prophe- 
ten jugendlich bartlos dargestellt. 


Der Drache zu Babel als Typos des 
Hllenrachens 

Dem Drachen zu Babel wirft Daniel Fladen 
aus Pech, Fett und Haaren ins Maul, so daB 
dieser zerbirst (Bel und der Drache zu Babel 
22-26). Auf-friihchristl. Sarkophagen versinn- 
bildlicht das Motiv die Seele des Verstor- 
benen, die auf ihrem Weg zum Jenseits mit 
den in den Planetenspharen lauernden Damo- 
nen zu kaémpfen hat. Spdter entwickelt sich 
Daniel zum Typos des den Héllenrachen tiber- 
windenden Christus (> Ostern). Gelegentlich 
kommt die Drachenszene in der spatbyz. Ma- 
lerei vor. 


Daniel in der Lowengrube — 

Typos der Auferstehung 

Aus Wut tiber die Vernichtung ihres Drachens 
lassen die Babylonier Daniel in eine Léwen- 
grube werfen. (Bel und der Drache zu Babel 
27-41). Doch die Untiere — abgebildet sind bis 
zu sieben, eine Anspielung auf die sieben da- 
monischen Wachter der sieben Planetenspha- 
ren (— Zahl 7) -- umschmeicheln die Knie des 
Propheten. 

Haufige Erweiterung des Motivs: Ein Engel 
(Michael) tragt den Propheten Habakuk an 
den Haaren durch die Liifte herbei, damit er 
Daniel mit Speisen versorge. 

Daniel ist der Gerechte, verfolgt um seines 
Glaubens willen. 

Als Betenden, der erhdrt und gerettet wird, 
stellt ihn die Katakombenmalerei (ab 3.Jh. 
Domitilla) und die friihe Sepulkralplastik in 
Orantenhaltung dar. 

Er ist ebenso Typos von Adam, der die Herr- 
schaft tiber die Tiere besa (1. Mose 1, 28) und 
sie am Ende der Tage wiedergewinnen wird. 
Die Kirchenvater verstehen Daniel als die von 
der Hdlle gerettete Seele. Ephram der Syrer 
bezeichnet (Nisip 11) seine Geschichte erstma- 
lig als Typos der Auferstehung. 

Die Loéwengrube wird haufig in der Liturgie 
erwahnt, besonders in Sterbe- und Taufgebe- 
ten als Beispiel der Errettung, ist daher ein 
verbreitetes Motiv der Wandmalerei von der 
frtih- bis zur postbyz. Epoche. 


77 


Darstellung Christi im Tempel 


Die drei Jiinglinge im Feuerofen 


Jiinglinge im Feuerofen, Kloster Panajia Mawrotissa. 


»Lobet Hananja, Asarja, Misael den Herr, 
lobsinget und rihmet ihn hoch in Ewigkeit. 

Denn er hat uns entrissen der Unterwelt 

und aus des Todes Gewalt uns errettet. 

Er hat uns geholfen mitten aus der gliihenden Lohe 
und aus dem Feuer uns erlést!« Gesang Asarjas 64 


Die Drei waren von Nebukadnezar einem 
Feuerofen tiberantwortet worden, weil sie ei- 
nem goldenen Gétterbild — vielfach tragt es 
seine Ziige — die Anbetung verweigert hatten. 
Sie stehen im Ofen, tiber ihnen breitet der En- 
gel des Herrn (Michael) schiitzend seine Arme 
aus. Auf spat- und postbyz. Wandmalereien 
schlagen die Flammen aus dem Ofen und toten 
die Soldaten des Kénigs. 

In der frithchristl. Sepulkralkunst (Kallistus- 
Katakombe, 4.Jh.) mahnt das Motiv, Christus 
anzubeten und nicht dem Kaiser Weihrauch zu 
opfern, was in der Verfolgungszeit Abfall vom 
Glauben bedeutete. 

Die Kirchenvater beschreiben die Jiinglinge 
als die durch Christus — der rettende Engel ist 
sein Typos -- aus dem Héllenfeuer geretteten 
Seelen. Auf einem Sarkophag (Rom, Deut- 
sches Archdologisches Institut, 3.Jh.) ist dem 
Feuerofenmotiv Noah in der Arche, der die 
Taube ausfliegen la8t, beigefiigt: Sieg des 
Christen tiber die tédlichen Elemente Feuer 
und Wasser. 

Zugleich sind die drei Jiinglinge Prafiguratio- 
nen der Weisen aus dem Morgenland (— An- 
betung) und Typos der Dreieinigkeit, die sich 
mit Christus dem Tod unterwarf und die Auf- 
erstehung erfuhr. 


78 


Feuerofen- und Léwengrubenmotiv werden 
haufig dem Auferstehungsbild (> Ostern) zu- 
geordnet und im Hauptschiff der Kirchen dar- 
gestellt. 

Uber ein Feuerofenwunder bei der Bekehrung 
der Russen berichtet Konstantinos VII. Porphy- 
rogenetos (Leben Kaiser Basilios I., 867-886): 


»Als der Erzbischof das Heilige Buch des géttlichen 
Evangeliums hochhielt und ihnen die Wundertaten 
im AT erklarte, sprachen die Kiever Russen so- 
gleich: Wenn wir nicht ein ahnliches Wunder sehen, 
und zwar so eines, wie Du es von den drei Jtinglin- 
gen im Feuerofen erzahltest, wollen wir Dir nicht 
voll glauben ... Sie verlangten, da8 das Glaubens- 
buch der Christen ... in den von ihnen entziindeten 
Scheiterhaufen geworfen werde, wenn es unver- 
brannt und unversehrt bliebe, wiirden sie sich zu 
dem von ihm verktindeten Gott bekehren ... Hier- 
auf wurde das heilige Evangelienbuch in den Feuer- 
ofen geworfen. Als nach Ablauf mehrerer Stunden 
der Ofen geléscht wurde, fand man das heilige Buch 
unverletzt ...« 


Zur Erinnerung daran hat es im vorrevolutio- 
ndren RuSland vor Weihnachten Klamaukum- 
ziige von »Feuerofenjiinglingen« gegeben. 


Susanne im Bade 

Susanna wird von zwei alten Richtern, denen 
sie nicht zu Willen war, des Ehebruchs be- 
schuldigt. Daniel rettet die Frau, indem er 
die Richter in Widerspriiche verwickelt, Sym- 
boldarstellungen der Szene — Susanna als 
Lamm zwischen zwei Wélfen (die Reinheit be- 
drangt von Siinde) - kommen in der friih- 
christ]. Sepulkralkunst vor (Pratextus-Kata- 
kombe, Rom). 


Darstellung Christi im Tempel 


H YITAIIANTH TOY IHCOY XPICTOY 
I Ipapanti tou Jisou Christot 


Alles erstgeborene Mannliche gehérte nach 
alttestamentlicher Auffassung Gott (2.Mose 
13 und 3. Mose 12). In der Zeremonie der Dar- 
bringung wurden*mannliche Kinder »ausge- 
lést« durch das Opfer eines Lammes oder ei- 
nes Taubenpaares. Die orthodoxe Kirche sieht 
in dieser Darbringung einen Typos des Opfer- 
todes Christi und der Eucharistie. 


Darstellung Christi im Tempel 


Das Hochfest der Darbringung 

Die Feier der »Begegnung« zwischen dem 40 
Tage alten Christus und dem greisen Seher Si- 
meon, in Konstantinopel seit Mitte des 5. Jh.s 
bekannt, gehért zu den zw6lf Hochfesten (> 
Festtagskalender). Weil Simeon Christus als 
Licht bezeichnet hat, wurden in den Liturgien 
des Ostens frither Kerzenumziige veranstaltet 
(vgl. Maria LichtmeB, Marié Reinigung am 
2. Februar). In Griechenland ist der 2. Februar 
Ruhetag der Miithlen. Man glaubt, da sich das 
Wetter 40 Tage lang nicht verandert. Am Fol- 
getag, Namenstag von Simeon, fassen schwan- 
gere Frauen kein Arbeitszeug an. Ihr Kind 
kénnte sonst mit einem Feuermal zur Welt 
kommen (Simeon lautgleich griech. Malzei- 
chen). 


Reinigungsriten fiir die Wochnerin 

»Und da die Tage ihrer (der Mutter Maria) Reini- 
gung nach dem Gesetz Mose nahten, brachten sie 
ihn (Jesus) nach Jerusalem, um ihn dem Herrn zu 
weihen. Denn so steht geschrieben in des Herrn Ge- 
setz: Alles Mannliche, was als erstes den Mutterleib 
offnet, soll dem Herrn geheiligt werden. Und sie 
wollten gem48& dem Gesetz des Herrn zwei Turtel- 
tauben opfern ... Und da war in Jerusalem Simeon, 
fromm und voll Gottesfurcht ... und ihm war ge- 
kiindet worden durch den Heiligen Geist, daB er 
den Tod nicht sihe, bevor er den Christus, den 
Herrn, gesehen ... Und da die Eltern das Kind 
Jesus in den Tempel brachten ... nahm er es auf den 
Arm, lobte Gott und sprach: Herr, nun la8t Du 
Deinen Diener in Frieden fahren, wie Du gesagt 
hast, denn meine Augen haben Dein Heil gesehen. 
... ein Licht als Offenbarung fiir die Volker. ... Und 
es war eine Prophetin Hanna (Anna) ... eine Witwe 
von 84 Jahren ... die trat auch hinzu ...« Luk. 2, 
22-40 ; 


Wochnerin und Kind gelten fiir Tage bis Wo- 
chen nach der Geburt als unrein und von Da- 
monen besonders bedroht. Sie sind vom Kult 
ausgeschlossen. Der Brauch war im alten 
Orient, in Hellas, Rom, auch in der frth- 
christl. und der friihbyz. Epoche verbreitet. 
Bei Juden, Griechen und Byzantinern durfte 
die Wéchnerin 40 Tage kein Heiligtum betre- 
ten (+ Beschneidung Christi). Die Wéchnerin 
war vor der Teilnahme am Kult durch Reini- 
gungsriten aus ihrem besonders durch Daémo- 
nen gefahrdeten Ubergangszustand wieder in 
den Normalzustand zu iiberfiihren. Im heuti- 


gen Griechenland stattet die. Mutter mit ihrem 
Kind am 40. Tage nach der Geburt der Kirche 
ihren ersten Besuch ab (»Sarantissi«, sie begeht 
den 40.). 


Die Ablésungsriten im alten Orient 

Phénizier wie Kanander verbrannten fiir Baal 
mannliche Kinder und Tiere bei lebendigem 
Leib. Die Punier legten Kinder in die Arme 
einer Baalstatue, von wo aus sie weiterrollten 
ins Opferfeuer (vermutlich im Inneren des 
Molochs). Dies sollte die Fruchtbarkeit der 
Mutter sicherstellen. Bei den alten Juden wur- 
de das Kindesopfer schon frithzeitig durch ein 
Tieropfer — das allerdings fiir jedes Kind — ab- 
gelést (3. Mose 12): ein Lamm und eine Taube 
oder, wenn die Eltern arm waren, zwei Tau- 
ben (Opferung Isaaks + Abraham). Doch 
fanden die Propheten genug Anlasse, gegen 
ruckfallige Israeliten zu wettern, die dem ka- 
nandischen Baal Kinder opferten. 


Moni Thari, Rhodos, 17. Sh. 


79 


David 


Bildmotiv der Darbringung 

Das Bildmotiv hat sich im 9.Jh. nach dem Bil- 
derstreit durchgesetzt und bleibt weitgehend 
unverdndert. Das Innere des Tempels in Jeru- 
salem wird bisweilen durch die AuBenfassade 
eines Tempelgebaudes im Hintergrund ange- 
deutet. Ansonsten vertritt der Altar, tiber- 
wolbt von einem Vier-Saulen-Pavillon (= Ci- 
borium), das Tempelinnere. 

In das Antiminsion, das meist blutrote Tuch 
iiber dem — Altar, ist ein Kreuz eingearbeitet. 
Ein Buch oder eine Schriftrolle liegt auf dem 
Altar. Vom Scheitel der Ciborienkuppel hangt 
eine Olleuchte herab -- die Olleuchte aus der 
Kirche des heiligen Grabes in Jerusalem (--Ὁ 
Ol). Links vom Altar steht Maria mit verhill- 
ten —> Handen und reicht dem sich ebenfalls 
mit verhiiliten Handen nach vorne neigenden 
Simeon rechts vom Altar den Christus-Imma- 
nouil-Knaben zu (Osios Lukas, Anfang 
11.Jh.). Der streckt seine Hande nach dem 
Greis aus. Manchmal thront Christus in Sime- 
ons Armen wie in einem Sessel (H6hlenkir- 
chen in Kappadokien). 

Simeon, letzter Priester des AT und zugleich 
erster des NT, tragt kein Priestergewand. Er 
ist einer der 70 Weisen, die um 350 v. Chr. das 
AT aus dem Hebriischen ins Griechische 
iibertrugen. Das Buch auf dem Altar ist die 
von den Griechen benutzte Septuaginta. Hin- 
ter ihm die 84jahrige Seherin Anna (Hanna) -- 
vel. Luk. 2, 40 — nicht zu verwechseln mit An- 
na, der Mutter Marias, die auch ein rotes 
Uberwurftuch (Maphorion) tragt. Auf spaten 
Darstellungen hat sie nach dem Malerhand- 
buch (Ermenia) eine Schriftrolle in der Hand 
mit dem Text: »Dies Kind hat Himmel und 
Erde erschaffen.« Hinter Maria tragt Joseph, 
offen oder verdeckt, zwei Opfertauben, das 
Ausléseopfer armer Leute. 

In erzihlenden Bildserien des > Marienzyklus 
fehlt dieses Motiv. Etwa vom Jahr 1000 an 
wird es im Hauptschiff im Rahmen des --Ὁ 
Festtagskalenders, spater auch in der Festtags- 
reihe der Bilderwand, dargestellt. 


Die Darbringung im Tempel -- 

typologischer Hinweis auf die Eucharistie 

Die Darbringung Jesu vor dem Altar bildet Isaaks 
Opferung, Christi Opfertod und gleichzeitig das eu- 
charistische Opfer des Abendmahles vor. Auch die 


80 


Abendmahlsaltare in den Darstellungen der géttli- 
chen Liturgie werden von Ciborien iiberwélbt, sind 
mit einem scharlachfarbenen Antiminsion bedeckt, 
in das oft das gleiche Kreuzeszeichen eingewebt ist 
wie in das Altartuch tiber dem Jerusalemer Tempel- 
altar. Die beiden Tauben vertreten das judenchristl. 
und das heidenchrist]. Gottesvolk, AT und NT. © 


David 


O TIPO®HTHC AAYIA 
O profitis Dawid 


K6nig Israels um 1000 v.Chr., ein Psalmen- 
dichter, von den Propheten als Prototyp des 
Messias, von den Christen als Typos Christi 
gesehen. 


Israels Konig der Ubergangszeit 

vom Nomadentum zur SeBhaftigkeit 

David (Namensfest am Sonntag nach Christi 
Geburt) war um die Jahrtausendwende 
(v.Chr.) der zweite zum KGnig gesalbte Herr- 
scher Israels. Seine Siege gegen die Philister 
leiteten die Friedensperiode ein, die es dem 
jiidischen Volk erméglichte, se&haft zu wer- 
den. Er macht — 40 Jahre lang herrschend, wie 
auch sein Sohn Salomon (—> Zahl 40) -- Jerusa- 
lem, die »Stadt Davids«, zur Hauptstadt und 
plant den Bau des Tempels (> Bundeslade), 
den dann sein Sohn mit Bathseba (— Salo- 
mon) tatsachlich errichtet. Unter den Psal- 
men, die in der orthodoxen Liturgie gesungen 
werden, finden sich auch Dichtungen des Κὅ- 
niglichen:-Harfenspielers. 


Prototyp des Messias bei den Propheten, 
Typos Christi als des »neuen David« 

Die Propheten sahen David als Prototyp des 
Messias, der am Ende der Zeiten das goldene 
Zeitalter des Davidischen K6énigtums erneu- 
ern wird. Endzeitliches Heil bedeutet fiir sie 
Wiederherstellung des urspriinglichen gliick- 
lichen Zustandes. Fiir die Christen ist David 
einerseits, tiber Joseph, der Stammvater Jesu 
(Matth. 1, 1 und 6, —> Wurzel Jesse), als K6nig 
jedoch Typos des K6nigs Christus, des »neuen 
David«. Der Ehrenname Jesu »Sohn Davids« 
ist messianisch-eschatologisch zu verstehen, 
d.h. bezogen auf das Endreich des Gottké- 
nigs. : 


David 


ag 


we 


Der K6nig und Prophet David bereut den Meuchel- 
anschlag auf den Hethiter-Hauptmann Urias. 

Vor ihm der Prophet Nathan. Moni Thari, Rhodos, 
17. Sh. 


David in Einzeldarstellungen — 

zugeordnet Szenen aus dem AT 

David — oft zusammen mit Salomon, auch mit 
anderen Propheten — hat einen runden Voll- 
bart, tragt antike Tracht oder K6nigsornat. 
Halt meist ein Schriftblatt: »Herr, wie sind 
Deine Werke so herrlich, Du hast sie alle mit 
Weisheit geschaffen«, Ps. 104, 24. 

Zugeordnet zu Szenen des NT weist der Text 
seines Schriftblattes prophetisch auf diese hin: 


ve -—» Geburt Christi: »Er wird herabkommen wie 
Regen auf das Fell (> Gideons) ...« Ps. 71, 6 (72, 6). 
wy — Taufe Christi (mit der Allegorie des Flusses 
Jordan, der vor Christus flieBt): »Es haben Dich die 
Wasser gesehen, o Gott, sie haben Dich gesehen und 
fiirchten sich ...«, Ps. 76, 17 (77, 17). 

vy Verklaérung: »Tabor und Hermon werden in Dei- 
nem Namen frohlocken ...«, Ps 88, 13 (89, 13). 

w —> Einzug in Jerusalem: »Aus dem Munde der 
Kindlein und Sduglinge hast Du Dir Lob zubereitet 
...«, Ps. 8, 3 (8, 3). 

ve — Passionszyklus: »Der mit mir Brot iBt, hat ge- 
gen mich Hinterlist groBgemacht«, Ps 40, 10 (41, 10). 


vy Verurteilung Christi vor dem Hohen Rat (> 
Passionszyklus): »Es standen gegen mich ungerechte 
Zeugen auf ...«, Ps. 34, 13 (35, 13). 

yr Urteil des Pilatus (— Passionszyklus): »Warum 
toben die Heiden ...«, Ps. 2, 1 (2, 1). 

ye Verspottung Christi (> Passionszyklus): » Bei al- 
len meinen Feinden bin ich ein Spott geworden«, Ps. 
30, 14 (31, 13). 

vr —» Kreuzigung: »Sie haben meine Hande und 
FiiBe durchbohrt ...«, Ps. 22, 17 (22, 17). 

yr Grablegung Christi (— Passionszyklus): »Wache 
auf, warum schléfst Du Herr?« Ps. 43, 24 (44, 24). 

yy Auferstehung Christi (--. Ostern): »Stehe auf, o 
Gott! Und es mégen zerstreut werden Deine Feinde«, 
Ps. 67, 2 (68, 2). 

ve — Himmelfahrt: »Gott ist hinaufgestiegen im Ju- 
bel und der Herr beim Schall der Trompete«, Ps. 46, 
5 (47, 6). 

yr Maria Tempelgang (— Marienzyklus): »Es wer- 
den dem K6nig Jungfrauen zugefiihrt ...«, Ps. 44, 15 
(44, 15). 

ve -ῷ Verkiindigung Marid: »Hére, Tochter, und 
schaue und neige Dein Ohr ...«, Ps. 44, 12 (45, 11). 
vr ~—» Heimholung Maria (—-> Marienzyklus): »Stehe 
auf, o Herr zu Deiner Ruhe, Du und die Arche (La- 
de) Deines Heiligtums«, Ps. 131, 8 (132, 8). 

(Die Psalmstellen werden nach dem griech. AT, der 
Septuaginta, zitiert, in Klammern Zablung nach 
dem lateinischen und deutschen NT). 


Szenische Darstellungen aus dem 

Alien Testament 

Wie die Psalmverse Davids werden die an den 
Kirchenwanden dargestellten Ereignisse aus 
seinem Leben christologisch und mariologisch 
interpretiert: 


1. Der schmichtige Hirtenjunge David besiegt 
mit seiner Steinschleuder den schwer geriiste- 
ten Riesen Goliath. David verkérpert Chri- 
stus, der durch seine Auferstehung den Satan 
besiegt. : 
Eine Motivvariante in Santa Maria Antiqua, Rom 
(6.Jh.) — David steht auf dem gefallenen Goliath 
und trennt ihm mit dessen Schwert das Haupt vom 
Rumpfe — hat die Darstellung des auf Satan treten- 
den Christus (> Ostern) angeregt. (David und Salo- 
mon gehéren fast immer zu den Gerechten aus dem 
AT, die der Auferstehende aus der Unterwelt be- 
freit). 

2. David umtanzt die > Bundeslade. 

3. David macht Jerusalem zur Hauptstadt, in- 
dem er die Bundeslade dorthin tiberfiihrt (typo- 
logisch Vorwegnahme der Marienverehrung). 


81 


Deisis 


4, Davids Auge fallt auf Bathseba, die sich wa- 
schend entbl6Bt. Die BuBe des K6nigs wegen 
seines Einbruches in eine fremde Ehe und sei- 
ner Anordnung, den Gatten der Bethseba zu 
toten, ist Prafiguration des Mysteriums der 
BuBe (— Mysterien). 

5. Mahnrede des Propheten Nathan und BuBe 
Davids (siehe Punkt 4.). 


Der Heilskénig der Endzeit in der 
friihchristlichen Sepukralkunst 
Daviddarstellungen in der altchristl. Sepul- 
chralkunst (Rom, Kallistus-Katakombe 3., 
Priscilla 4.Jh.) sind so unbestimmt gehalten, 
daB sie gedeutet werden kénnen als 


x der endzeitliche David-Messias: 


»Und ich will ihnen einen ewigen Hirten erwecken, 
der sie weiden soll, namlich meinen Knecht Da- 
vid.«, Ez. 34, 24 ff. 

vr Christus als David-Sohn und guter Hirte. 

tv Orpheus, dem die Tiere lauschen. 


M.E. sind diese verbreiteten frithchristl. Moti- 
ve nicht schwer deutbar oder mifverstandlich, 
sondern bewuBt mehrdeutig gehalten, spielen 
gleicherweise auf David, Christus und Or- 
pheus an. Entsprechendes gilt fiir das Lamm- 
trager-Motiv (— Christus). 

Die frithchristl. Bild-Chiffre (David—Christus— 
Orpheus) wurde als die des wahren Heilsherr- 
schers der des rémischen Kaisers gegentiber- 
gestellt. Durch Weihrauchopfer fiir den Kaiser 
soliten die Christen ihrem Glauben ab- 
schwG6ren. 


David — Muster eines Herrschers und Vorbild 
der Standhaftigkeit 

Basilios 1.(867—886) ist wie David aus kleinen Ver- 
haltnissen zu Herrscherwiirden gelangt. Laut Kon- 
stantinos VII. Porphyrogenetos war an einer Schlaf- 
raumdecke im Kaiserpalast ein Mosaik angebracht 
mit dem Kreuz, umgeben von der kaiserlichen Fa- 
milie. Beischrift (Gebetstext der Kinder des Basi- 
lios): 

»Wir danken Dir, Logos Gottes, ἀα Du unsern Va- 
ter aus der Armut Davids erhoben und ihn mit dem 
Salbél Deines Heiligen Geistes gesalbt hast.« 


Fiir die Muslims ist »Daud« der Grofe Psal- 
mist, mit dem zusammen die Berge und Vogel 
das Loblied Allahs singen (Koran, Sure 38, 


82 


17-18), aber auch das Beispiel der Standhaf- 
tigkeit schlechthin: 


»Wie oft hat ein kleiner Haufe einen groBen Haufen 
mit Allahs Hilfe besiegt. Auch Allah ist mit den 
Standhaften ... Und es erschlug Daud den Go- 
liath.« Koran, 2. Sure, 250-252. : 


Doch auch die Israelis sehen sich selbst als den 
kleinen David, der eingekreist von einem ge- 
waltigen gegnerischen Potential, sich dennoch 
behauptet. 


Deisis 

H AEHCIC 

I deisis 

»Fiirbittgebet« fiir die Gemeinde von Maria 
und Johannes dem Taufer, gerichtet an Chri- 
stus wird auf jeder Bilderwand an zentraler 
Stelle dargestellt. 


Bild-Chiffre fiir die Ektenien (Fiirbittgebete) 
der Liturgie 

Dreipersonen-Gruppe, aufgeteilt in drei ein- 
zelne Ikonen oder zusammengefaBt in einer 
einzigen: Christus thront als Allherrscher, mit- 
unter von einem Achtzacken-Nimbus umge- 
ben, zwischen der Muttergottes (links, vom 
Betrachter aus gesehen) und Johannes dem 
Taufer. In ihrer gebeugten, anbetenden Hal- 
tung bilden Maria und Johannes Kreisbogen- 
segmente, die den > Nimbus Christi konzen- 
trisch umspielen. 

Die Deisis (auch in der Umschrift »Deésis« 
gebrauchlich) ist ein Bildktirzel fiir das gottes- 
dienstliche Bittgebet (Ektenia), das sich. im 
Rahmen der Fiirbitte aller Heiligen an Gott 
wendet und den liturgierenden Priester wie die 
mitbetenden Gemeindemitglieder einbezieht. 
Maria vertritt das NT, Johannes der Taufer 
das AT und alle Heiligen. Von den fiinf Pro- 
sphoren (—> Proskomidie) ist die erste Chri- 
stus, die zweite der Gottesmutter, die dritte 
Johannes, Christi Vorlaufer und Anfiihrer al-' 
ler anderen Propheten, Apostel und Heiligen 
geweiht. 


»Zur Ehre und zum Gedachtnis unserer hochgeprie- 
senen ruhmreichen Herrin, der Gottesgebdrerin 
und Immerjungfrau Maria, durch ihre Fiirbitte neh- 
me entgegen dies Opfer auf Deinem .iiberhimmli- 


ung 
Bae a REE 


LH) SS 


Panajia, Fragment der Deisis, Mosaik auf der 
Empore der Ajia Sophia, Konstantinopel, vor 1300. 


Christus und Johannes der Téufer auf dem Fragment 
des Deisis-Mosaiks der Ajia Sophia. 


schen Altar ... Zur Ehre und Gedachtnis der allge- 


waltigen Erzengel ... des verehrten und ruhmrei- ᾿ 


chen Propheten, Vorlaufers und Taufers Johannes 
... und aller Heiligen, um ihrer Bitten willen schtit- 
ze uns, o Gott«, Aus der Chrysostomosliturgie. 


Die Deisis als zentraler H6hepunkt 

der Bilderwand 

Ab spatbyz. Zeit erscheint die Dreiergruppe 
auf jeder Bilderwand (— Ikonostase) in der 
untersten Bildreihe tiber der Schénen Pforte. 
Insbesondere auf russischen Ikonen wird sie 
erweitert zur Ikonenzeile der fiirbittenden 
Heiligen — Vertretern der Erzengel (Michael 
und Gabriel), der Apostel (Petrus und Pau- 
lus), der Kirchenvaterliturgen (Basilios, Chry- 


Demetrios, der Reiterheilige 


sostomos, Gregor), der Martyrer (z.B. Georg 
und Demetrios) —, eben jenen heiligen Gestal- 
ten, die in den Ektenien angesprochen wer- 
den. Kurzform der Bildzeile: je 6 Apostel links 
und rechts. Auch die vier Hauptbilder neben 
den Portalen der Bilderwand ~ abgesehen vom 
Heiligen der Kirche: Muttergottes, Christus, 
Johannes der Taéufer -- formen das Deisis- 
Motiv. 


Historische Entwicklung der Deisis: 

Wandbild, Apsisdarstellung, Beziehung des 
Motivs zum Endgericht 

Alteste deisisihnliche Darstellungen: Wand- 
bild in Santa Maria Antiqua, Rom, Mitte 7.Jh. 
Apsismosaik Katharinenkloster Sinai (655/ 
666). Die Verklérung Christi wird von Brust- 
bildmedaillons der fiirbittenden Gottesmutter 
und des Taufers flankiert. Ein Tragaltérchen 
(Harbaville-Elfenbain-Triptichon aus Kon- 
stantinopel, Louvre 3247) enthalt als Zentrum 
die Deisis zwischen Aposteln und Heiligen. 
Sein Programm bezieht sich auf die Abend- 
mahlsektenie (+ Eucharistie, > Liturgie), 
entspricht somit weitgehend dem einer Bilder- 
wand. Die beiden Fiirbittenden werden auch 
dem wiederkehrenden Christus auf Wandbil- 
dern des Endgerichtes zugeordnet. Frihe Bei- 
spiele: Torcello, Ende 12.Jh.; Chorakirche, 
Konstantinopel, 1315-1321. 

Der byz. Kunst ist eine Vorliebe fiir axialsym- 
metrische Dreiergruppen eigen (> Maria zwi- 
schen Engeln; > Kaiser; — Verklarung Christi; 
Gruppe der > Kreuzigung). 


Demetrios, der Reiterheilige ὁ 


O ATIOC AHMHTPIOC 

O Ajios Dimitrios 

Kriegerheiliger, stehend oder zu Pferd, einen 
Drachen bekaémpfend. Weitere Reiterheilige 
sind —> Georg und die beiden Theodore. 


Brauchtum um den Demetriustag 

Der 26.Oktober, Tag des drachentétenden 
Reiterheiligen, leitet das Winterhalbjahr ein, 
der Tag des ihm so 4hnlichen Georg (23. April) 
das Sommerhalbjahr. Beide Heiligen bewa- 
chen die fiir den bauerlichen Jahreszyklus 
wichtigen Zeitmarkierungen der Tag- und 


83 


Demetrios, der Reiterheilige 


Nachtgleiche. Am Demetriostag beginnen die 
Arbeitskontrakte fiir den Winter wirksam zu 
werden, erstmalig wird der junge Wein genos- 
sen. Gewdhnlich flackert Ende Oktober noch 
einmal eine schéne Spaétsommerperiode auf — 
»das kleine Sommerchen des Heiligen Dimitri«. 


Die Vita des heiligen Demetrios 

Der Sohn vornehmer Eltern, um 280 in Thes- 
saloniki geboren, erreichte jung eine hohe 
Armeeposition, wurde Prokonsul in Achaia 
(= Peloponnes, die Halbinsel, die tibrigens die 
Gottin Demeter bei der Suche nach ihrer 
Tochter Kore durchstreifte!). Zum Christen- 
tum tibergetreten, begann er seine Umgebung 
zu missionieren. G.G. Valerius Maximilianus 
lie8 den 26j4hrigen nach Thessaloniki kom- 
men und tétete ihn — nach einer Uberlieferung 
eigenhandig -- mit einer Lanze. Der Schwer- 
verletzte wurde gefoltert und schlieflich ent- 
hauptet. Demetrios ist Stadtpatron von Thes- 
saloniki, seine Gebeine sind beigesetzt in einer 
Nebenkapelle der friihchristl. fiinfschiffigen 
Demetriosbasilika (Anfang 5.Jh.), errichtet 
neben einer kleinen, kurz nach seinem Tod 
306 gebauten Erinnerungsstatte am Ort seines 
Martyriums. 

Demetrios vollbrachte in seiner Kirche Wun- 
derheilungen und wurde mehrfach als Schutz- 
patron gegen tiirkische Angreifer in Anspruch 
genommen. 1912 muBten die tirkischen Be- 
satzungssoldaten an seinem Namenstag aus 
Thessaloniki abriicken. 


Darstellungen als Drachentéter 
Die verbreitete, nach 1200 aufgekommene 


Ikone unterscheidet sich von der — Georgs. 


lediglich durch die Beischrift und die rote Far- 
be seines Pferdes. Da die Drachentétung ur- 
spriinglich nicht zur Vita des Heiligen gehérte, 
scheint es sich um eine Anpassung an das Ge- 
orgsmotiv zu handeln. 

Bilder des stehenden Heiligen, gekleidet in ein 
kostbares mantelartiges Obergewand (Chla- 
mys), das mit einer Spange zusammengehalten 
wird, gehen auf Anfang 7.Jh. zuriick (Deme- 
trios-Basilika, Thessaloniki): 

Mit zum Himmel weisender Rechten (d.i. ab- 
geschwachte -- Orantenhaltung) steht Deme- 
trios vor einem Jungen oder zwei Kindern. In 


84 


Demetrios-Mosaik in einem Gurtbogen der Kloster- 
kirche Osios Lukas, nach 1000. 


mittelbyz. Zeit wird Demetrios in Ritter- 
riistung anderen Kriegerheiligen zugesellt und 
in der untersten Zone der Kirchenwande po- 
stiert. 

Seltener: Der Megalomartyrer reitet feindli- 
che Herrscher nieder — den Bulgarenzaren Ko- 
lojan (dessen Angriff auf Thessaloniki 1207 
mit Hilfe des Schutzpatrons abgewehrt wur- 
de); ferner Kaiser Diokletian, Merkurios von 
Caesarea, den abtriinnigen Kaiser Julian’ 
Apostata. 


Demetrios und Demeter 

Auffallig die Ubereinstimmung in der Na- 
mensbedeutung von Demetrios und Georg. 
Georgios ist »der die Erde Bearbeitende« (den 


Drache 


miitterlichen Erddrachen tétende), Demetrios 
»der mit der Erdmutter Verbundene«. Sein Na- 
me bedeutet weniger der zur Demeter (Erd- 
mutter) Gehérige — die Christen haben Deme- 
ter scharf abgelehnt --, als der Erdmutter (Erd- 
drachen)-Uberwinder. (Der Beiname Apol- 
lons, Pythios, stammt von der Pythonschlange, 
die er get6tet hat.) Beide Reiterheilige mar- 
kieren Winter- und Sommerbeginn, den Ab- 
stiegs- und den Riickkehrpunkt der Demeter- 
tochter Persephone, die das Winterhalbjahr im 
Hades verbringt und nur im Sommer die Erde 
aufsucht (> Drache, —> Georg). 


Drache 


O APAKQN 
O drakon 


Ungeheuer, bald als phantastische Fliigel- 
schlange, bald als Fischungetiim (— Fisch), 
bald als Riesenschlange aufgefaBt. Verk6rpe- 
rung des Urozeans, der die Erde umspiilt. 
Drdkontas ist im griechischen Marchen auch 
ein Mensch mit Werwolf-Eigenschaften. 


Chaos-Ungetiim und Herrscher des Urmeeres 
»Drakon« leitet sich von einem griech. Wort 
fiir »drohstarren« ab, gemiinzt auf den starren 
Blick des Tieres, vielleicht auch auf das Erstar- 
ren bei seinem Anblick. Gilt auch fiir das AT: 
Hiob ist der Anblick eines Drachen unertrag- 
lich. Dagegen gentigt es, die eherne -- Schlan- 
ge nur anzublicken (3. Mose 20), um dem Tod 
zu entgehen. Was sonst den Tod bringt, der 
Anblick der Schlange, erméglicht auch die 
Rettung. 

Der babylonische Drache (-5 Daniel) repra- 
sentiert, wie der mit dem phdénizischen Dra- 
chen verwandte hebrdische Leviathan (= Kro- 
kodil, Hiob 41, 5 = Meereswesen, Ps. 104; Jes. 
27, 1 kennt 2, darunter eine Meeresschlange), 
das die Erde umzingelnde Urmeer, das Ur- 
chaos, das den Kosmos gefiahrdet (psycholo- 
gisch das ungebandigte Triebleben, das die 
Vernunft zu iiberfluten droht). Drachen ste- 
hen fiir die unheilvolle Seite des Chthoni- 
schen, des Erdmiitterlichen (+ Demetrios; > 
Georg), die bedrohliche Seite des Weiblichen. 
Der Psalmist (104, 25-26) empfindet ihn den- 
noch als eingebunden in die géttliche Schép- 
fungsordnung: 


»Da ist das Meer so gro und weit nach allen Seiten, 
drinnen wimmelt es ohne Zahl von Tieren klein und 
gro8. Dort fahren die Schiffe einher, da ist der Le- 
viathan, den Du geschaffen hast, darin zu spielen.« 
Der Verfasser der — Apokalypse sieht den 
Drachen als das absolut widerg6ttliche Prin- 
zip, dazu bestimmt, unterzugehen: 

»Und es kam zum Krieg im Himmel. - Michael 
und seine Engel kampften mit dem Drachen ... 
Und der Drache, der groBe, die Urschlange, die da 
heiBt Teufel und der Satan, der den gesamten Erd- 
kreis in die Irre geleitet, wurden auf die Erde ge- 
schleudert und seine Engel mitihm.« Offb. Joh. 12, 7. 


Die Chinesen sehen ihrerseits im Drachen eine 
wohltatige Macht, Symbol mannlicher Potenz 
und des fruchtbringenden Regens (Regen wird 
gleichgesetzt mit minnlichem Samen, erinnert 
auch an das Urmeer). Vier groBe Drachen gel- 
ten als die vier Wachter an den Ecken der 
Welt. Auf dem Dach der chinesischen Tao-, 
Buddha- oder Kungfu-Tempel sitzen zwei 
buntschuppige Drachen, die mit einer Perle 
spielen (dem Donner, der die Muschel be- 
fruchtet -- Ankindigung des Frithlingsregens 
und Symbol weiblicher Sexualitét). Im Per- 
lenlied der NT-apokryphen Thomasakten 
(— Thomas, der Missionar Indiens) vermen- 
gen sich ostasiatische und christlich-gnostische 
Traditionen: Ein Drache im Meer westlich von 
Agypten bewacht die edle Perle (das Himmel- 
reich, Matth. 13, 34). Das Herrscherpaar des 
Himmels im Osten entsendet seinen Sohn, der 
sein himmlisches Gewand ablegt. In Agypten 
gerat er in den Strudel des weltlichen Lebens, 
vergiBt seine Sendung. Durch einen himmli- 
schen Brief wieder zur Besinnung gebracht, 
schlafert er den Drachen mit seinem Wort ein 
und gewinnt die Perle. In konstantinischer Zeit 
ist die Haltung gegentiber dem Drachen zwie- 
spaltig: Laut Eusebios 1168} sich der Kaiser mit 
seinem Sohn in seinem Palast als Drachentéter 
darstellen. Der Drache (= Heidentum) stiirzt 
ins Meer. Das erinnert an den rituellen Neu- © 
jahrsdrachenkampf altorientalischer Kénige. 
Auf Konstantins Triumphbogen (315, Rom) 
finden sich zwei drachenférmige Feldzeichen — 
Heilszeichen fiir die eigene Truppe oder Ab- 
schreckung fiir die Feinde? (Drachenfeldzei- 
chen hatten die Parther — Tuchsicke, die sich 
im Wind aufblahten, ahnlich chinesischen 
Steigdrachen. ) 


85 


Drache 


Zwei Drachen aus der geschnitzten und vergoldeten Umkleidung einer Ikone in der Ortskirche von Kritinia, 


Rhodos 


Byzantinische und postbyzantinische 
Darstellungen 


μα NET MTR 
Drachendarstellung aus dem Zyklus der —» Apoka- 
lypse, postbyzantinisch, Athoskloster Esfigmenou. 


86 


»Ich (Christus) sah den Satan wie einen Blitz vom 
Himmel fallen. Seht, ich habe Euch die Macht gege- 
ben, auf Schlangen und Skorpione zu treten und 
iiber alle Gewalt der Feinde; und nichts wird Euch 
schaden.« Luk. 10, 18-19. 

Bildmotive mit Drachen: 


vr Der kreuztragende Christus tritt auf einen Dra- 
chen/eine Schlange und einen Léwen. Die Marty- 
rer, die ihrem Vorbild gleich, den Tod nicht scheu- 
ten, haben dadurch den Kopf der Schlange/des 
Drachen zertreten (1. Mose 3.15). 

Frithchristl. Motiv (Erzbischdfliche Kapelle, Raven- 
na, um 500, stark restauriert). 

+ Der babylonische Drache wird von -- Daniel 
besiegt. 

xv Der Erzengel > Michael, die — Reiterheiligen, 
— Georg und —» Demetrios téten den Drachen. 

+ Der Héllenrachen des — Endgerichtes wird als 
riesiger Kopf eines Drachen abgebildet (ab etwa 
1000). Er schluckt einen hinter Christi Richterstuhl 
hervorquellenden Feuerstrom. 


oe 


Einzug in Jerusalem 


τς In den postbyz. Darstellungen der —-> Apokalyp- 
se werden der Satansdrachen und gro8e Untiere in 
Drachengestalt wiedergegeben. 

vy Auf griech. Bilderwanden erhebt sich tiber ei- 
nem holzgeschnitzten vergoldeten Drachenpaar 
(oder tiber zwei Fischen) das die Bildwand krénen- 
de Kreuz. (Es wird von ihnen umspielt, ahnlich wie 
die Perle zwischen den Drachen auf chinesischen 
Tempeldachern.) Oft sind die Ikonentdfelchen mit 
Maria und Johannes, die das Kreuz flankieren (> 
Kreuzigung), auf ihren Schwdnzen aufgepflanzt. 
Die Drachen unterhalb von Golgatha symbolisieren 
die Totenwelt, in die Christus hinabgefahren ist 
(vereinzelt wird die Totenwelt auf der Osterikone 
durch einen Drachen reprasentiert). Auch die fin- 
steren Machte — die Drachen sind vergoldet -- gehé- 
ren zur Schépfung und werden durch Christi Erlé- 
sungstat in die géttliche Neusch6pfung einbezogen. 


Drachenkampf als Ubergangsritus 

Den Chaosdrachen ausschlieBlich negativ zu 
sehen bleibt der Apokalyptik mit ihrer Erwar- 
tung des baldigen Weltunterganges vorbehal- 
ten. 


Meist wird der Drache gesehen wie der groBe Fisch 
des —> Jonas: Ob das Ungeheuer jemanden ver- 
schlingt oder ausspeit, in jedem Falle gehorcht es 
dem Wort Gottes. Das Verschlungenwerden, das 
Eingehen ins Totenreich oder in die mtitterliche Er- 
de bedeutet, sich Kraft zu holen fiir eine Wiederge- 
burt. In den verschiedensten Kulturen vollziehen 
Ubergangsriten (--» Totenbrduche) rituell das Ster- 
ben und Wiedergeborenwerden nach. Nach Origi- 
nes wird der Stindigende von der Siinde als einem 
Jonas-Ungetiim verschlungen. In seinem Bauche 
steckend mu8 er beten, damit er wieder ausgespien 
wird. Nach altorientalischer Vorstellung wurde das 
alte Jahr von einem Untier verschlungen und konn- 
te nur als neues Jahr wiedergeboren werden, wenn 
der Mensch diese Erneuerung rituell untersttitzte. 
Der babylonische Kénig vollzog stellvertretend fiir 
sein Volk alljahrlich zu Neujahr einen rituellen Dra- 
chenkampf. (Hintergrund zu — Daniel und dem 
Drachen zu Babel.) 


Kinzug in Jerusalem 


H EICOAOC 
Tisodos 


Der Einzug Christi, auf einer Eselin reitend, 
nach Jerusalem zu seinem Leiden und Ster- 
ben, wird als eines der zw6lf Hochfeste (> 
Festtagskalender) des Kirchenjahres began- 
gen. 


Festtagsbrauche zum Sonntag 

der Palmzweige 

Das Wochenende vor Ostern, der Samstag des 
—> Lazarus und der Sonntag der Palmzweige 
(ta waya) — beider Ereignisse wird in den Got- 
tesdiensten dieser Tage gedacht — bildet eine 
Atempause innerhalb der 48tagigen Fasten- 
zeit. 

Es ist Vorostern: Die Auferweckung nimmt 
schon etwas vorweg von der Auferstehung 
Christi: der feierliche Einzug, bei dem die 
Volksmenge in Jerusalem Christus zujubelt, 
weil er Lazarus auferweckt, vermittelt eine 
Vorahnung von Christi triumphierender Wie- 
derkehr. 

Am Palmsonntag darf Fisch gegessen und das 
letzte Mal vor Ostern Wein getrunken werden. 
Im kleinasiatischen Kidonia sangen friiher die 
Griechenkinder: 

»Waya, waya! Am Palmsonntag essen wir Fisch und 
Makrelen — und am nachsten Sonntag rote Eier!« 


Auf Skyros bertihren die Kinder ihre Schafe 
mit einem Palmzweigkreuz: 
»Chronia polla (viele Jahre) — waya, waya, fréhliche 


Ostern — nachsten Sonntag gibts rote Eier und wei- 
Ren Weichkase!« 


Im Gottesdienst wird das Kirchenvolk zur 
Menge, die Christus mit Palmzweigen zuju- 
belt. Innen und auSen sind die Gotteshduser 
mit Palmzweigen oder Lorbeer und Myrte ge- 
schmiickt. Nach der Liturgie verteilt der Prie- 
ster an jeden Teilnehmer einen Myrten- oder 
Lorbeerzweig und ein kleines Palmblattkreuz, 
das zur Familienikone gesteckt wird. Mtitter 
segnen damit ihre Kinder, auch als Vorbeu- 
gung gegen den --- Bdsen Blick. Mit dem 
Waya-StrauBlein werden jungverheiratete 
Frauen beriihrt, damit sich bald Nachwuchs 
einstellt. ᾿ 
Weitere Anzeichen dafiir, da& in das christl. Fest 
auch dltere fruchtbarkeitsbezogene und mutterkult- 
liche Bréuche mit eingeschmolzen worden sind: 

wy Vielerorts finden Frauentinze statt oder .Fest- 
lichkeiten, die die Frauen unter sich feiern. 

yy Frauen stellen aus Palmzweigen Kreuze, aber 
auch Sterne sowie Kérbchen (Symbol des Mutterlei- 
bes) und Monde (Symbol der géttlichen Urmutter) 
her. 

xx Beim Spiel um die Auferweckung des Lazarus 
am Samstag wird seine Rolle mancherorts von Mad- 
chen tibernommen. 


87 


Einzug in Jerusalem 


Cnr atahe 


Einzug in Jerusalem. Fresko in der Krypta von Osios Lukas bei Stiri in Phokis, 11.Jh. 


Der Einzug Christi in Jerusalem zu seinem 
Leiden und Sterben wird allsonntaglich in der 
Liturgie der Glaubigen vor dem Abendmahl 
(++ Eucharistic) kultisch-rituell durch den 
Priester nachvollzogen. 


Das Festtagsmotiv vom Palmsonntag 

»Die Jiinger ... brachten die Eselin und das Fillen 
und legten ihre Kleider darauf und setzten ihn dar- 
auf. Aber viele Leute breiteten ihre Kleider aus auf 
dem Weg, andere hieben Zweige von den Baumen 
und streuten sie auf den Weg. Die Leute aber rie- 
fen: Hosianna dem Sohne Davids.« Matth. 21, 6-9 
»Auf die gemeinsame Auferstehung vor Deinem 
Leiden vertrauend, hast Du den Lazarus auferweckt 
von den Toten, Christus, Gott. Deshalb tragen auch 
wir, wie die Knaben, Sinnbilder des Sieges, und ru- 
fen Dir, dem Sieger tiber den Tod, zu: Hosianna in 
der Héhe, gesegnet sei, der da kommt im Namen 
des Herrn.« Liturgie vom Palmsonntag 


Christus reitet, eine Schriftrolle in der Rech- 
ten oder segnend die Christusgeste formend, 
im Damensitz auf einer Eselin, meist von links 
herkommend, in Richtung auf eine groBe um- 
mauerte Stadt zu (> Jerusalem). Vorbild fir 
sein Ziel, den Einzug in die Himmelsstadt 
(manchmal wird Jerusalem als kénigliche 


88 


Jungfrau personifiziert). Links hinter ihm auf 
spatbyz. Bildern der Olberg. Eine Gruppe von 
Jiingern folgt ihm. Meist steht vor oder hinter 
Christus ein Feigenbaum -- der, den Christus 
verflucht, um ihn verdorren zu lassen (Mark. 
11, 13-14); wenn jemand hinaufklettert oder 
Leute darauf sitzen, ist es der des Zachaus: 


»Zachaus, ein Oberster der Zéllner ... wollte Jesus 
sehen ..., konnte aber nicht wegen des vielen Vol- 
kes, denn er war klein. Und er lief voraus und stieg 
auf einen Maulbeerbaum. Und als Jesus die Stelle 
erreichte, sah er auf, nahm ihn wahr und sagte: Za- 
chaus, steig eilends herunter, denn ich muB heute in 
Dein Haus einkehren.« Luk. 19, I-10 


Das Volk vor den Toren der Stadt tragt Zwei- 
ge, die Kinder breiten ihre Kleider aus, damit 
der Esel iiber sie hinwegschreitet. 


Der Brauch des Kleiderausbreitens 

Ab mittelbyz. Zeit wird liebevoll ausgemalt 
(Daphni, Athen, Ende 11. Jh.), wie Kinder 
ihre oft reich ornamentierten Gewander (be- 
sonders Géreme Elmali, Carikli und Karanlik 
Kilise) ausziehen und vor die Hufe der Eselin 
legen. Die altorientalische Sitte, K6nige zu eh- 
ren — wirdim AT 2. K6n. 9, 13... erwahnt: 


Eleutherios 


»Da nahmen sie eilends ihre Kleider und legten sie 
auf die hohen Stufen und bliesen die Posaunen und 
sagten: Jehu ist Kénig geworden.« 

Im apokryphen Nikodemusevangelium aft 
der Bote, den Pilatus nach Christus ausschickt, 
diesen tiber ein Tuch schreiten, das er stets mit 
sich fiihrt und nun vor ihm ausrollt. Der Bote 
hat miterlebt, wie die Volksmenge Christus 
beim Einzug in Jerusalem als KGnig feiert. 

Bei Prozessionen werden — besonders in Ruf- 
land — Kleider und Tiicher vor den Tragschrei- 
nen fiir die Reliquien ausgebreitet (+ Gewan- 
der). Der Brauch lebt fort im »roten Teppich« 
fiir wichtige Staatsbesucher. 


Das rémische Adventus-Motiv als Vorbild 
Roémische Adventus-Reliefs — Einzug eines 
siegreichen Kaisers in eine Stadt — werden als 
Vorbilder angesehen, allerdings enthalten sie 
keine Hinweise auf die Sitte des Kleideraus- 
breitens. Schon um 315 erscheint eine Kurzfas- 
sung des Einzugsmotivs auf einem Sarkophag: 
Ein Mann breitet sein Gewand aus vor einem 
Reiter auf einem Esel, ein anderer pfliickt 
Zweige von einem Baum. 

Auf dem Junius-Bassus-Sarkophag (Rom Va- 
tikan) von 359 verbirgt sich bereits Zachaus 
hinter dem Feigenbaum. Eine Uberwélbung 
iiber dem Eselreiter ist mit einer allegorischen 
Figur des Himmels verbunden, tiber der Chri- 
stus zwischen Petrus und Paulus thront: 

Die Armseligkeit des Einzugs in Jerusalem auf 
einem Esel steht im Gegensatz zu Christi 
Triumph im Himmel, weist zugleich vorbild- 
haft auf diesen hin. In mittelbyz. Zeit wird das 
Motiv hdufig zusammen mit der Auferwek- 
kung des Lazarus in den Passionszyklus einge- 
reiht oder in den Festtagszyklus — nach Még- 
lichkeit zusammen mit anderen Darstellungen 
des Leidens Christi in einer tiefer gelegenen 
Wandzone. 


Eleutherios 


O ATIOC EAEY@EPIOC 
O IEPOMAPTYPAC 


O Ajios Elewthérios o jeromartyras 


Der Martyrer, bartlos mit mittellangem Haar, 
priesterlicher Kleidung und einem Kreuz in 
der Hand, stammt aus Illyrien. Mit 15 Jahren 
Diakon, mit 20 Bischof, erlitt er unter Septi- 
mius Severus den Martyrertod. 


Namenstag ist der 15. Dezember. Seine Ikone 
wird beim Einsetzen der Wehen ins Geburts- 
haus gebracht. 

Die Gebarende klammert sich an einen ihm 
geweihten Olivenzweig. 


Zum Geburtshelfer machte den Heiligen: 


ve die Namensahnlichkeit mit der griechischen Ge- 
burtsgOttin Eileithyia, einer Tochter der Hera, Auf 
antiken Mtinzen und Reliefs halt sie eine Fackel, 
weil sie die Kinder »ans Licht bringt« (Licht = Le- 
ben — Geburt der Gottesmutter). 

Die mannl. Form der Geburtsgottheit hie Eleuthér 
(Elewthir). 

¢e die volksetymologische Deutbarkeit seines Na- 
mens als »der Befreiende«, d.h. derjenige, der das 
Kind aus dem Leib der Mutter lésen hilft. Binden 
und Lésen spielen bei Geburten als Gegenzauber 
gegen Komplikationen eine gewichtige Rolle. In der 
Antike muBten die Wéchnerinnen die Haare und 
den Giirtel lésen, die Anwesenden durften Finger 
und Arme nicht verschranken. 

Das Auflésen von Gebundenem sollte etwaige 
Hemmnisse fiir die »Ent-Bindung« beseitigen 
(—> Marina). 


Neue Ikone des bischéflichen Martyrers. 


89 


Elias und Elisa 


Elias und Elisa 


O TIPO®HTHC HAIAC KAI 
O PILO®HTHC EAICCAIE 
O Prophitis Ilfas ke o Prophitis Elissde 


Ilias (Elias) ist eine der eindrucksvollsten Pro- 
phetengestalten des AT, Elisa sein Schiiler und 
Nachfolger. 

Israels Konig Ahab (8.Jh. v.Chr.) war von 
Jahwe abgefallen, Elias sagte eine Diirre- und 
Hungerperiode voraus. Nach langerem Auf- 
enthalt in der Einsamkeit zeigte er durch ein 
Feuerwunder dem Ahab, wie machtig Jahwe 
ist; das Feuer tétete 950 Baal- und Aschera- 
Priester. SchlieBlich begann es zu regnen und 
Elias muBte flichen. Auf einem hohen Berg 
erschien ihm Jahwe. Nach Ahabs Tod fuhr er 
in einem feurigen Wagen in den Himmel (Ty- 
pos — Johannes der Taufer). 


Fest und Brauchtum um Elias 

Tag des Elias -- Patron des Regens, Donners 
und Blitzes, Heiliger des Landvolkes und Be- 
schiitzer — vor dem Feuer — ist der 20. Juli. 
Blitzt und donnert es, dann jagt der Prophet 
mit seinem feurigen Wagen hinter Drachen 
oder Teufeln her, schleudert seine Blitze nach 
ihnen. 

Wie die Kiisten abgesichert werden durch eine 
Kette von Nikolauskapellen (— Nikolaus), so 
die Bergspitzen durch Eliaskapellen. Die je- 
weils héchsten Gipfel auf griech. und siidslawi- 
schen Inseln und Halbinseln hei8en Prophitis 
Elias bzw. Sveti Elia. Es sind Himmelfahrts- 
berge, Aufstiegstreppen zu Gott: die feurige 
Auffahrt des Propheten gilt als Prafiguration 
der — Himmelfahrt Christi. Vor der Eliaska- 
pelle auf dem Taygetos bei Sparta sammeln 
sich am 20.Juli die Umwohner, um in der 
Abendddammerung ein gewaltiges Feuer zu 
entfachen. Als Opfer wird Weibrauch hinein- 
geworfen. Die Zuriickgebliebenen in den um- 
liegenden Dérfern entziinden, sobald sie das 
Eliasfeuer sehen kénnen, kleinere Feuer aus 
Reisig, umtanzen sie und springen dariiber. 
Das Wetter des Eliastages zeigt an, wie der 
kommende Winter ausfallen wird. 

Im Tropfen aus der Olleuchte vor der Fami- 
lienikone schimmert am Eliastag beim ersten 
Strahl der Sonne die Zukunft dessen auf, der 
darin hineinblickt. 


90 


Elias und Elisa im Alten Testament 

Elias bedeutet »mein Gott ist Jahwe« (nicht 
»Baal«, nicht »Aschera«, deren von Konig 
Ahab begiinstigte Kulte der Prophet bekampft 
hat). Die wohl rauheste Erscheinung des Pro- 
phetentums, erklarter Gegner der Despotie 
Ahabs, mahnte zum einfachen Leben zurtick- 
zukehren, wetterte gegen die despotische Will- 
kiir Ahabs. Statt im Tempel, verehrte er Gott, 
wie es die Vorfahren taten, auf hohen Bergen 
und in der Wiiste, kleidete sich in Felle und 
Leder. So wird er spater fiir die Christen zum 
Typos — Johannes des Taufers, den schon die 
Zeitgenossen als den wiederkehrenden Elias, 
den endzeitlichen Vorlaufer des Messias, ansa- 
hen (»Joh. 1, 21). Christus sagt unter Anspie- 
lung auf dessen Enthauptung: ȣlia ist gekom- 
men und sie haben mit ihm gemacht, was sie 
wollten.« Mark. 9, 13. Elia ist Vorbild der Ere- 
miten und Ménche. 


Seine feurige Auffahrt, seine lockere Hand im Um- 
gang mit dem Feuer, das er vom Himmel fallen 1aft 
— Jesus Sirach bezeichnet ihn als einen Prophten wie 
Feuer — und die Dirreperiode, die er tiber Israel 
herbeiflucht, lassen ihn als eine Art von Sonnen- 
heros erscheinen. So gleicht der auffahrende Elias 
auf frithchristl. Darstellungen dem Helios auf dem 
Sonnenwagen (— Himmelfahrt Christi). Die Na- 
mensabnlichkeit Ilias — Ilios (= Helios = Sonne) 
erleichtert die Verschmelzung beider. Nachdem 
Kaiser > Konstantin Christus die Eigenschaften des 
Sol invictus (unbesieglicher Sonnengott) zugespro- 
chen hatte, wurde Elias zum Typus des sonnenhaft- 
ten Christus. Der streitbare Feuerschleuderer tiber- 
nimmt die markanten Anhéhen, auf denen zuvor 
der Blitzeschleuderer Zeus verehrt worden war. 


Elisa, sein Schtiler, dessen Tag der 14. Juni ist, 
erhdlt vom feurig auffahrenden Elias dessen 
Prophetenmantel, der dem schlichten Wun- 
dertater allerdings um einiges zu gro war. 


Elias auf Einzeldarstellungen 

Allein oder mit anderen Propheten zusammen 
wird Elias weiBhaarig, mit wildem, oft zweige- 
teiltem Vollbart dargestellt, angetan mit zotti- 
gem Fellumhang, in den Handen eine Textrol- 
le: »Es lebe der Herr, der Gott der Gewalten, 
der Gott Israels«. 

Elisa ist kahlképfig und hat einen langen dtin- 
nen Bart (laut 2. Kén. 2, 23-24 haben ihm Kin- 
der »Kahlkopf komm herauf« zugerufen, zur 


Elias und Elisa 


Eliasikone, auf der verschiedene Taten des Prophe- 
ten und seines Gehilfen Elisa zusammengefafBt wer- 
den. Russisch, 18. Jh. 


Strafe wurden sie von Baren gefressen). Ihn 
schmiickt das Schriftband: »So wahr der Herr 
lebt und Deine Seele lebit, werde ich Dich nicht 
verlassen.« (2. K6n. 2) 


Szenische Ikonen und Ikonen-Randbilder 

Die spat- und postbyz. Elias-Ikonen in den Bergka- 
pellen enthalten szenische Randdarstellungen: 

xe Elias sitzt, das Gesicht in die Hande gesttitzt, in 
einer Wiistenhohle. Ein oder zwei Raben versorgen 
ihn auf Gehei8 Gottes mit Brot (vgl. 1. K6n. 17). 

τς Elias segnet die GefaBe der Witwe (Gott hatte 
ihn zu ihr und ihrem Sohn geschickt, beide waren 
am Verhungern): »Das Mehl im Kad soll nicht ver- 
zehrt werden und im Olkrug soll kein Mangel herr- 
schen, bis auf den Tag, da der Herr es wird regnen 
lassen auf Erden.« (1. Κδη. 17, 14) 

vy Elias erweckt den eben verstorbenen Sohn der 
Witwe. Der Junge sitzt aufrecht im Bett, emporge- 
zogen vom Propheten. Auf manchen Bildern haucht 
er ihm auch seinen Atem ein. Seitlich kniet die Wit- 
we. Die Kleidung von Mutter und Kind sind oft in 
der roten Feuerfarbe des Propheten gehalten 
(1. K6n. 17, 17-24). 

vr Elias stellt sich dem Ahab, der auf einem fiirst- 
lich geschmiickten Pferd sitzt. Ahab hatte nach ihm 
gefahndet. Die Notsituation nach drei Jahren Diirre 


” yg} Si 5 
tty Ty Ἴ =a 
790g Ta n 


Feuer fallt vom Himmel und verzehrt das Opfer auf 
dem von Elias errichteten Altar. Wandbild einer Iko- 
ne Ende des 17. Jh.s; mit barocken Stileinflissen. 


zwingt ihn, auf Elias’ Vorschlag einzugehen. (J. Kén. 
18, 17-20) 

vy Feuer fallt vom Himmel und entflammt das Op- 
fer auf dem fiir Jahwe errichteten Altar. Der Pro- 
phet kniet betend davor. Die Leute Ahabs liegen 
verstért auf der Erde. Elias hatte vorgeschlagen, 
daB auch von den Baalpriestern auf dem Berg Kar- 
mel ein Opferaltar errichtet wurde; die Gottheit, die 
das Opferfeuer selbst entziindete, sollte Israel be- 
herrschen. Vor Elias standen mehrere Kriige; er 
hatte den Altar dreimal mit Wasser durchtranken 
lassen. (1. K6n. 18, 21-39) 

yr Elias la8t die Baalpriester von den Soldaten 
Ahabs festnehmen und enthauptet sie eigenhandig 
mit dem Schwert (J. Kén. 18, 22). Wolken: Gott 
hatte das Opfer angenommen und schickt Regen. 

xy Elias schlaft auf der Flucht vor Ahabs Frau Ise- 
bel in der Wiiste unter einem —> Baum, wird von 
einem Engel mit Speise und Trank versorgt (Prafi- 
guration des Abendmahls), wird so gestarkt fiir die 
Besteigung des Karmel, auf dem er 40 Tage und 
Nachte bleiben soll (1. K6n. 19, 1-8). 

yr Gott erscheint dem Elias als zartes Sduseln, be- © 
gleitet von heftigen Winden und Erdbeben. Der 
Prophet kniet auf einem hohen Berg. Uber ihm 
dichtes, rotfeuriges Gewdélk, davor ein Engel 
(1. Kén. 19, 9-14). Der Text der Gotteserscheinung 


91 


Emanuel 


wird am Tag der — Verklarung Christi, ebenfalls 
einer Epiphanie, verlesen. 

ἧς Elias wirft seinen Mantel iiber Elisa, macht ihn 
so zum Propheten. Elisa kniet auf einem Acker, 
bisweilen verbrennt er seinen Zugochsen auf einem 
Altar mit dem Holz seines Pflugs (1. Κὄμ. 19, 
19-21). 

vy Elias steht auf einem hohen Berg, weist zum 
Himmel und bedroht die von Ahabs Sohn Ahasia 
ausgesandten Hauptleute mit dem géttlichen Feuer. 
Oft werden herabfallendes Feuer, kniende und tot 
daliegende Soldaten abgebildet (2. Kén. 1, 9-14). 

vr Elias teilt, kurz vor seiner Himmelfahrt, mit sei- 
nem harenen Mantel das Wasser des Jordan und 
geht, zusammen mit Elisa, hindurch. 50 Nachkom- 
men des Propheten bleiben in der Ferne zuriick 
(2. K6n. 2, 1-8). 

vr Elias’ feurige Auffahrt. In einem Flammenwa- 
gen, gezogen von zwei oder vier feurigen Pferden, 
fahrt Elias in den Himmel. Auf alteren Ikonen wird 
er von ein oder zwei Engeln unterstiitzt, auf postby- 
zantinischen, auch auf russischen Ikonen erscheint 
zuweilen Gottvater in einem umwélkten Himmels- 
segment. Elisa schaut nach oben und versucht, den 
Mantel zu ergreifen, den der Entriickte herunter- 
gleiten 1aft. 


Feurige Auffahrt des Elias, Wandmalerei aus 
Kastoria, spdtbyzantinisch. 


92 


Rabenspeisung wie Auffahrt werdeii - te 
Einzelszenen dargestellt. Russische Ikonen 
fassen vom 16.Jh. an die Rabenspeisung, die 
Engelspeisung, die Durchquerung des Jordan, 
das Erscheinen Gottes und den feurigen Auf- 
stieg zu einem verschachtelten Mehrszenen- 
bild zusammen. 


Mose und Elias — Gesetz und Leidenschaft 
Das Fellkleid des Propheten, seine wunderwir- 
kende tierische Haut, ist Ausdruck fiir die 
Welt der Empfindungen, der bildhaften Visio- 
nen, des Uberrationalen und Ekstatischen. 
Der prophetische Zug bildet einen Gegensatz, 
zugleich eine Ergénzung zur Niichternheit des 
Gesetzes und seiner Normen: Bei der —> Ver- 
klarung Christi, typologisch vorgebildet durch 
die Gotteserscheinung auf dem Karmel, be- 
kennen sich Mose und Elias als Vertreter der 
beiden Pole des AT (Gesetzlichkeit und eksta- 
tische Vision) zur Géttlichkeit Christi. 


’ Fiir das AT ist Elias Sprachrohr des sich in den 


Naturgewalten entladenden Zornes Gottes, 
fiir das griech. Landvolk Schutzpatron gegen 
das Toben der Elemente. 


Emmanuel 
— Christus 


Endgericht 


H ITAPOYCIA TOY YIOY 
TOY ANOPQTIOY 


I Parousia tou Ifou tou anthrépou 


Die Wiederkehr Christi ist das Gegensttick zur 
—> Himmelfahrt. So wie er damals den Augen 
der Sterblichen entschwunden, wird er am En- 
de der Tage wiederkommen, um die Vergéttli- 
chung der Welt zu vollenden: 


»Er sitzt zur Rechten des Vaters und wird wieder- 
kommen in Herrlichkeit, zu richten die Lebendigen 
und die Toten.« Nikaeno-konstantinopolitanisches 
Glaubensbekenntnis, gesprochen in der Liturgie der 
Glaubigen. 


Wiederkunft und Gericht in der Liturgie 

der Vorfastenzeit 

»Weshalb zitterst Du nicht vor dem schreckerregen- 
den Richtstuhl des Erlésers ... Deine Werke sind 
da, Dich zu beschuldigen ... Aber ich kenne Dich, 


Endgericht 


Menschenliebender, ich kenne Dein Erbarmen. Gu- 
ter Hirte, entferne mich nicht von denen, die zu 
Deiner Rechten stehen, um Deiner Gnade willen.« 
Liturgie vom Apokreos-Sonntag 


Am letzten, ausgelassen gefeierten Sonntag 
vor dem gro8en Fasten (Apokreos, Karnevals- 
zeit) wird in der Liturgie der Wiederkunft 
Christi (Parousie) gedacht. 

Die — Apokalypse des Johannes kommt in 
der Liturgie nicht vor. 


an der Narthex-Ostwand des Klosters Ajios Nikolaos 
Anapawsas, Meteora, Anfang 16. Sh. 


Motiv des triumphierenden Christus 

Der triumphierende Christus (Majestas Do- 
mini) thront als Weltenrichter auf dem Regen- 
bogen, umgeben von einem kreisférmigen 
—> Nimbus. Der ist erfiillt mit Sternen oder 
Cherubim oder Fliigelradern (Ez. 8, 1 ff). 
Christus breitet die Hande aus, man sieht sei- 
ne Nagelmale. Flankiert wird er von der fiir- 
bittenden Gottesmutter und Johannes dem 
Taufer (— Deisis). 


Motiv des Endgerichtes 

Unter den FiiRen des Richters entspringt ein 
Feuerstrom, str6mt rechts herab (von Christus 
aus gesehen nach links) und miindet in den 
Ungeheuerrachen der Hélle (— Drache) ein. 
Direkt unter Christus der fiir ihn bereitgestell- 
te > leere Thron (Etimasia), meist als > Bun- 
deslade, oft umdraéngt von Engeln mit Lei- 
denswerkzeugen. Adam und Eva, die Lade 
flankierend, fallen nieder zur Proskynese. 


Sternen zusammenrollend. Warlaam, Meteora, 
postbyzantinisch. 


Darunter oder seitlich Michael mit der Seelen- 
waage und Buchrollen (den aufgezeichneten 
Taten der Verstorbenen). »So wage man mich 
auf rechter Waage, so wird Gott erfahren meine 
Unschuld.« (Hiob 31, 6). Schwarze Teufelsen- 
gel umschwirren den Erzengel, um Seelen in 
den Hoéllenrachen zu verschleppen. Engel, mit 
Speeren bewaffnet, wehren sie ab. Das Parou- 
sie-Motiv besetzt in der Regel entweder die 
Westwand (West, Richtung des Abends, des 


_Dunkels und Todes) des Naos (anstelle der 


93 


Endgericht 


—> Heimholung Maria) oder die Ostwand des 
Narthex. 

Spat- und postbyz. Parousien werden um Ele- 
mente der > Apokalypse erweitert: 

Ein Engel, iiber Christus schwebend, rollt den 
Himmel mit Sonne, Mond und Sternen 
schneckenformig zusammen (Chorakirche, 
Konstantinopel, 1315/20; Meteorakloster 
Warlaam, Mitte 16.Jh.; Athoskloster Diony- 
βίοι, Anfang 17. Jh.). 


»Und die Sonne ward schwarz wie ein harener Sack 

und der Mond wie Blut, und die Sterne. fielen-auf 

die Erde ... Urid'der Himmel entwich wie. 

sammengerolltes Buch.« Offbg. Joh. 6, 12-14 
‘Mohammed griff das Bild auf in der 81. Sure 
‘des Koran: 


»Wenn die Sonne zusammengefaltet wird und wenn 
die Sterne herabfallen und wenn die Berge sich riih- 
ren und die hochtrachtigen Kamelstuten vernachlas- 
sigt werden ... und wenn die Seiten aufgerollt wer- 
den und wenn der Himmel weggezogen wird ..., 
dann wird jede Seele wissen, was sie getan hat.« 


Um die Deisis-Gruppe herum scharen sich die 
apokalyptischen Altesten mit ihren weifen 
Haaren und die Engel. Dartiber oder darun- 
ter, auf Wolken schwebend, vier Chére der 
Seligen. 

Unweit der Hdlle die Welt der Toten. Sie wer- 
den durch Michaels Posaune zum Jiingsten 
Gericht herausgerufen: 


»Und das Meer gab seine Toten wieder und der Tod 
und das Totenreich geben ihre Toten wieder« Offb. 
Joh. 20, 12 ff 


Graber tun sich auf, wilde Tiere wiirgen Teile 
der Gefressenen hervor. Die weibliche Allego- 
rie des Meeres (Thalassa), in der Rechten ein 
untergegangenes Schiff, in der Linken einen 
Ertrunkenen, thront auf einem Riesenfisch; er 
ist durch Rader als Gefiahrt der Meeresgottheit 
gekennzeichnet. 


Ort der Verdammten 

Die Darstellung der Verdammten und ihrer 
Qualen — auf Bildfeldern links unten von Chri- 
stus aus gesehen — folgt den liebevoll ausge- 
malten Schilderungen der apokryphen Petrus- 
offenbarung (1.Hialfte 2.Jh.). Christus zeigt 
vom Berg der Verklarung aus seinen Jiingern 
das Paradies und den Strafort. Vers 21-34: 


94 


»Ich sah aber auch einen anderen Ort, jenen (dem 
Paradies) gegentiber, ganz in Finsternis getaucht ... 
Und sowohl die, die dort ihre Strafe erhielten, wie 
auch die Engel, die die Strafe vollzogen, hatten ein 
dunkles Gewand an, entsprechend der Luft des Or- 
tes. Und einige waren dort, die waren an der Zunge 
aufgehangt. Das aber waren die, die den Weg der 
Gerechtigkeit geldstert hatten und unter ihnen war 
ein Feuer angeziindet ... Es waren aber auch noch 
andere da, Frauen, die an den Haaren aufgekntipft 
waren, hoch iiber jenem brodelnden Schlamm ...« 


(Die kanonischen Schriften des NT enthalten 
nur wenige sparliche Hinweise auf die Hélle; 
der Koran erwahnt sie an 175 Stellen.) 


Die Darstellung des Paradieses 

Dem breit ausgemalten Héllenpfuhl steht eine 
etwa eine Sechstel der Héllenbeschreibung 
umfassende farblosere Schilderung des Para- 
dieses gegentiber. Vers 15-20: 


»Und der Herr zeigte mir einen ganz groBen Raum 
auBerhalb dieser Welt, glanzend vor Licht, und die 
Luft dort von Sonnenstrahlen erleuchtet und der 
Erdboden selbst bliihend und erfiillt von Wohlgerii- 
chen und unverwelklichen und gesegnete Frucht tra- 
genden Pflanzen ... So stark aber war der Blititen- 
duft, da8 er sogar bis zu uns von dort heriibergetra- 
gen wurde. Die Bewohner jenes Ortes waren beklei- 
det mit den Gewandern der lichten Engel.« 


Das Paradies (links unten vom Betrachter aus 
gesehen) ist immer wei (= Helligkeit), ange- 
fiillt mit prachtvollen Pflanzen von einer Mau- 
er umgeben. Drinnen sitzt > Abraham, in sei- 
nem Scho8e die Seelen der Erlésten, mitunter 
auch nur die des Lazarus (Gleichnis Luk. 16, 
19-31). Ihm gegentiber schmort im Feuer- 
strom der »reiche Mann«. Neben Abraham 
thront die Gottesmutter, flankiert von zwei 
dienenden Engeln. Das Tor bewacht ein --ῦ 
Cherub. Davor als Anfiihrer der Heiligen und 
Seelen, die ins Paradies drangen, eine halb- 
nackte Gestalt mit einem Kreuz tiber der 
Schulter — Gestas, der Schacher, dem Christus 
am Kreuze versprach: »Heute noch wirst Du 
mit mir im Paradiese sein. « 


Entwicklung und Ausbau des Komposit-Bildes 
Das wandfiillende Parousie-Bild stellt sich als 
Motivkomposition dar aus einzelnen, anderen 
Bildern entnommenen Elementen. Der trium- 
phierende Christus entstammt dem Himmel- 
fahrtsbild und wird spater zur Deisis ausge- 


Endgericht 


Postbyzantinische Endgerichtsdarstellung. Athoskloster Dionysiou, Anfang 17. Jh. 


baut. Der leere Thron wird sowohl als selb- 
stindiges Motiv wie in Verbindung mit der 
Pfingstdarstellung abgebildet. Aus dem Ana- 
stasismotiv (+ Ostern) kommen »Adam und 
Eva«, »der gerechtfertigte Schacher«, vermut- 
lich auch der »HGllenrachen«. 


Frithere Gerichtsdarstellungen weisen eine enge 
Verbindung mit dem Auferstehungsbild auf. In Tor- 
cello, Anfang 13.Jh., befindet sich die Endgerichts- 
darstellung direkt unter einer groB angelegten Auf- 
erstehungsdarstellung mit der Totenwelt im unteren 
Bildteil. Deutlich belegt das Programm in der Be- 
grabniskapelle (Parekklision) der Chorakirche in 
Konstantinopel (1315/20) diesen Zusammenhang: 
In der Apsis die ésterliche Hadesfahrt, flankiert von 
der Auferweckung des Lazarus sowie des Téchter- 
chens des Jafrus (-95 Wunderheilungen); im Gewél- 
be davor wie auch an den Seitenwanden die detail- 
reich ausgebaute Parousie. 

Das dominante Osterbild sorgt dafiir, daB die End- 
gerichtsszenerien unter dem Blickpunkt der 6sterli- 
chen HeilsverheiBung gesehen werden. (Starke 


Strémungen der dstlichen Kirche -- Origines 2., Ber- 


‘diajew 20.Jh. — erwarten die Gesamterlésung des 


Kosmos, i apokatastasis ton panton, einschlieBlich 
der Welt des Satanischen als Folge der unermeB- 
lichen Liebe Gottes.) : 


Grausame Szenen, Schilderung von Héllen- 
qualen, auch Folterungen von Martyrern kom- 
men erst nach den leidvollen Erfahrungen der 
lateinischen Besetzung Konstantinopels 1204 
und vor allem nach der Eroberung der Stadt 
durch die Tiirken (Untergang des Reiches 
1453) auf. 

Die Westwand der Yilanli Héhlenkirche von 
Ihlara Kappadokien — Majestas Domini zwi- 
schen Engeln tiber Heiligen, darunter Hdllen- 
qualen — wird ins 11.Jh. datiert, was zu ἐγ ἢ 
sein diirfte. 

Die detailreichen Parousien (auch auf der 
westlichen AuBenfassade Voronet Rumanien 
1550) der Athoskléster sind in apokalyptische 
Szenen eingebettet. 


95 


Engel 


Engel 
O AITEAOC 
O anjelos 


Géottlicher Bote und Mittler zwischen Gott 
und Mensch, ein mehr der unsichtbaren Welt 
zugehGriges Geistwesen. Wird vom 4.Jh. an 
mit Fliigeln dargestellt. In der Orthodoxie ist 
Montag der Tag der Engel. 


Engel im Alten Testament 
und im Spatjudentum 


»,.. und siehe da stand ein Mann in einem Linnen- 
gewand und hatte einen goldenen Giirtel um seine 
Hiiften. Sein Leib war wie ein Tirkis, sein Antlitz 
wie ein Blitz, seine Augen wie feurige Fackeln, sei- 
ne Arme und Fii®e wie helles blinkendes Erz und 
seine Rede war ein gewaltiges Ténen ... Und ich 
hdrte seine Rede, und indem ich sie hérte, sank ich 
ohnmiachtig auf mein Angesicht zur Erde.« Dan. 10, 
5-9 


Angelos meint, wie das hebr. mal’ak, einen 
Boten mit einer Nachricht Gottes — gelegent- 
lich auch einen Menschen, z.B. — Johannes 
den Taufer, in der Regel jedoch ein tiberirdi- 
sches Wesen. 

Im AT, NT und in der religiésen Literatur des 
friihen Mittelalters sind Engel flammende 
Feuerwesen, bei deren Erscheinen die Men- 
schen erzittern. Doch bereits im Spatjudentum 
und bei Paulus werden Menschen h6her einge- 
stuft als Engel. Heilsgeschichtliche Ereignisse 
erfahren selbst sie nur iiber die Kirche (Eph. 
3, 9-10; 1 Petr. 1-12). In christl. Zeit werden 
die Engel zunehmend verniedlicht. (> Teufel 
als ehemalige Engel, aus freiem Willen von 
Gott abgefallen.) 

Im AT der vorexilischen Zeit (vor 600) war 
der »Engel des Herrn« (> Brennender Dorn- 
busch) eine Erscheinungsform Jahwes selbst, 
gelegentlich als jugendliche Mannergestalt, 
doch ohne Fliigel, beschrieben, wegen seines 
Feuercharakters gefahrlich fiir den, der ihn zu 
Gesicht bekommt. Andererseits werden Bo- 
ten-Engel als von Jahwe ausgehende Wesen- 
heiten erlebt. 

Die himmlischen Heerscharen dagegen sind 
urspriinglich personifizierte Gewalten Gottes. 
Auch die + Cherubim und — Seraphim oder 
die Fliigelrader (Throne) der — Hesekiel Vi- 
sion sind keine Engelsboten, sondern Hofstaat 


96 


Gottes. Unter die Engel gerechnet werden sie 
erst seit dem Spatjudentum. 

Die vier exilzeitlichen Tiere (~ Hesekiel Vi- 
sion) um Gott sind wie die vier Winde die kos- 
mischen Wachter der Himmelsrichtungen. Sie 
leben fort in den vier Angesichtsengeln nach 
dem apokryphen Buch Henoch (Kap. 40), die 
Gott umstehen, zugeteilt den Himmelsrich- 
tungen. 

Der Erzengelkatalog Henochs (Kap. 20 u. 40) 
erwahnt, anstelle der drei Erzengel, des AT 
insgesamt sieben bis acht; sie erscheinen bis- 
weilen auf byz. Kirchenwadnden. Im Spatju- 
dentum nimmt die Zahl der Engel bestandig 
zu. 


Das friihchristliche und byzantinische 


Engel mit verhiillten -> Handen als Diakone dienend, 
Taufe Christi im Jordan. Daphni bei Athen, ᾿ 
Ende 11.Jh. 


Im 3. und 4.Jh. werden Engel in Bildern der 
— Verkiindigung Maridé, der Jiinglinge im 
Feuerofen (— Daniel), des Isaakopfers (-Ὁ 
Abraham), der —> Taufe Christi, des > Daniel 
in der Léwengrube, der - Anbetung Christi 


Engel 


Ubersicht I: Exzengel 


Namens- 
bedeutung 


Erzengel © 


spatjiidisch (Henoch) 


christlich 


tt τ -- τ -- ------..-..-..- 


Uriel Licht ist Gesetzt iiber die Engelheere Engel des Friedens, der Gesund- 
Gott und die Totenwelt, auch zweiter _heit und Schlaflosigkeit, 6ffnet 
Angesichtsengel (anstelle von beim Weltgericht die Hades-Tore, 
Raphael) bringt Verstorbene vor Gottes 
‘Richtstuhl 
Raphael Gott hat Gesetzt liber die Geister der Engel der Heilung, himmlischer 
(AT: Tobias) geheilt Menschen, zweiter Angesichts- | Arzt mit dem heiligen— Ol, 
engel und Helfer gegen Krank- _—zustandig fiir Wachstum, Fliisse 
heiten und Wunden und Fischfang 
Raguel Freund Gottes Ubt Rache fiir Gott an den Engel der Wahrheit, zustandig ftir 
ungetreuen Himmelslichtern Rinder, Schafe und Ziegen, ftir 
(Sternen) gute Reise, er geleitet den Stern 
der —> Weisen nach Jerusalem 
—» Michael Wer wie Gott | Gesetzt tiber den besten Teil Ersterschaffener Engel, Fiihrer 
(AT: Daniel, der Menschheit, das Volk Israel, der himmlischen Heerscharen, 
NT: Jud. 9, erster Angesichtsengel, barm- Sieger iiber den Satan, Schutzengel 
Offbg. 12,7) herzig und langmiitig der Verstorbenen 
Sariel Mein Fiirst Gesetzt tiber die Menschen- - 
ist Gott geister, die gegen die Geister 
siindigen 
-» Gabriel Mann Gottes Gesetzt tiber das Paradies, die Mit Michael zusammen Heer- 
(AT: Daniel, bzw. Gott ist Schlangen (Seraphim) unddie _fiihrer der Unk6rperlichen, Engel 
NT: stark Cherubim, dritter Angesichts- der Gerechtigkeit, der himmlische 
Luk. 1, 26-38) engel, Herr tiber alle Krafte Bote schlechthin, Engel der Gnade 
Remiel Erh6hung Gesetzt iiber die Auf- - 
Gottes erstandenen 
Phanuel Angesicht Herr der BuBe und Hoffnung, Erzengel der Feuersbrunst 
Gottes erster Angesichtsengel 
(Henoch 40 anstelle Uriels) 


usw. als bartlose, seltener bartige junge Man- 
ner in weiBer Kleidung wiedergegeben (Sarko- 
phag von Sarigtizel, 390). Um Engel als die 
Trager des Regenbogennimbus des zum Him- 
mel auffahrenden Christus glaubhaft in die 
Hohe entschweben zu lassen, hat man sie mit 
den Fltigeln der Nike, der Zeusbotin, ausge- 
stattet. Friiheste Engel mit Fliigeln: Santa Pu- 
denziana, Rom, Anfang 4. Jh.; San Ambrogio, 
Portal Milano; Sarkophag von Sarigiizel, 390). 
Zur gleichen Zeit tragen fliegende Engel das 
Christus-Monogramm. 

Anfang 5.Jh. kommt der Engelnimbus auf, 
mit Beginn 6.Jh. die kraftvollen frontal ste- 
henden Wachterengel, Christus oder die Got- 


tesmutter flankierend und schiitzend, Vorbil- 
der fiir Michaels- und Gabrielsdarstellungen 
bis heute. Sie halten Herrschaftsstab und Wel- 
tenkugel — kaiserliche Insignien (-9 Kaiser) -- 
in Handen. Wenig spiter hiillen sie sich selbst 
in kaiserliche Gewander (Kimesis-Kirche, Iz- 
nik, Ende 7. Jh.). 

Ab Ende 6.Jh. kommen Engelmedaillons auf. 
Ikonoklastische Wandornamente (726-842) 
reduzieren die Engel auf abstrakte Zeichen, 
vereinbarte Chiffren der Stabe und Standar- 
ten, die sie sonst tragen. 

Eine bilderfreundliche Schrift »Gegen Kabali- 
nos« (d.i. Konstantin V., bilderfeindlicher 
Kaiser 741-775) wendet sich gegen das Argu- 


97 


ment, Engel dirften ihrer unsichtbaren Gei- 
stigkeit halber nicht dargestellt werden: 


»Du wendest ein, da niemand je einen Engel gese- 
hen hat. Doch umgekehrt: Viele haben Engel gese- 
hen. Haufig sah die allerseligste Gottesgebarerin 
den Engel Gabriel; auch die Salbentragerinnen da 
sahen Engel, als sie zum Grabe kamen.« 


In den christologischen Auseinandersetzungen 
des Bilderstreits nimmt die Liturgie immer 
ausgepragter eine abbildhafte Symbolik an. 
Die Folge: Eine unmittelbar nach dem Bilder- 
streit in Konstantinopel errichtete Kirche (vel. 
S. 20) wird ausgemalt mit dem Bild des — Pan- 
tokrator, dessen Rolle der liturgierende Prie- 
ster tibernimmt, und mit denen der Erzengel 
und Engel, zu denen im Kult symbolisch die 
Diakone -- und auch die Gemeindemitglieder — 
werden: 


»Deine Auferstehung, Christus, Erléser, besingen 
die Engel; und uns auf der Erde mégest Du wiirdi- 
gen, Dich reinen Herzens zu riihmen.« Aus der 
Osterliturgie. 


Ab 11.Jh. werden liturgierende Engel in die 
Gewinder von Diakonen gekleidet. 

Monche und Nonnen tragen das »Engelkleid«, 
das alle K6rperlichkeit verhiillt. Sie eifern 
durch Kleidung, auch mit kérperverachtender 
Bediirfnislosigkeit den »kdérperlosen Mach- 
ten« nach: 


»... wenn die Sieggekrénten auch Erdgeborene wa- 
ren, strebten sie doch nach dem Range der Engel, 
verachteten ihren Leib und durch Leiden wurden sie 
gewiirdigt des Ruhmes der Engel.« Klésterlicher 
Morgengottesdienst vor Montag der 1. Fastenwoche 


98 


Andererseits stehen Menschen héher als En- 
gel, miissen von ihnen verehrt werden (—> Ma- 
ria zwischen Engeln), weil die Engel nur Teil 
an der kérperlosen Welt, die Menschen aber 
einen sterblichen sichtbaren Kérper und zu- 
gleich eine unsterbliche unsichtbare Seele 
haben. 

Die Nebenkuppeln der Elmali Kilise (Gére- 
me, 11.Jh.) sind mit Brustbildmedaillons von 
sechs Erzengeln geschmiickt: den Welten- 
wichtern Michael, Gabriel, Raphael und 
Uriel, dann Sychael (hilft bei Schiittelfrost und 
Schmerz) und Phlogothoel (hilft gegen Don- 
ner und Hagel). 


Ubersicht II: Byzantinische Erzengelnamen We 
Abgesehen von den εἰπὲ bis sechs bekannfésten 
Erzengeln tauchen in christlicher Zeit gelegent-___, 
lich andere Namen auf: δ ΠΝ ΝΣ 
Asuel Rumiel 

Authronios Salathiel (Palermo) 

Dawid Saraphuel 

Jehudiel Sausim 

Istrael Setel 

Malthiel Suriel und die drei Straf- 
Misrael engel Tartaruchos (Qualen * 
(Carikli Kil.) der Unterwelt Temeluchos 
Paniel (Ziichtigungen im Hades) 
Pantasaran Sychael 

Phlogothoel Xathanael 

Piel 


Vom 11.Jh. an mischen sich auch kleinere En- 
gel in weitere szenische Darstellungen ein, vor 
allem in Kreuzigung und Auferstehung, in die 
Heimholung Maria — und es werden immer 
mehr. In spatbyz. Zeit kommen neue Szenen 
mit Engeln auf, die deren liturgische Funktion 
(Ὁ Liturgie) betonen (~ Bucharistie); die 
postbyz. Epoche kennt sogar als Engel ausge- 
bildete Allegorien: den Sieg, die Freude usw. 
(—> Ostern). 


Cherubim und Seraphim 
Die sechs- bzw. vierfliigeligen Geistwesen 
werden — nicht streng voneinander unterschie- 
den — vom 6. Jh. an in Syrien, dem Ursprungs- 
land der Engelvorstellung, dargestellt. 
Zunachst erscheinen sie auf liturgischen Eh- 
renfachern (—> Pfau). Anfang des 8.Jh.s wer- 
den sie groBflachig dargestellt. Nach dem Bil- 


Ephriim der Syrer 


derstreit erscheinen Cherubim im Kuppeltam- 
bour, in den Eckzwickeln, unter der Kuppel 
(so die vier gewaltigen Cherubim und den 
Kuppelpantokrator in der Ajia Sophia, Kon- 
‘stantinopel) und in einer Reihe szenischer 
Darstellungen (Paradies, Heimholung Maria, 
Endgericht). 

—> Mutiergottes zwischen Engeln 

-ὉἜ himmlische und kirchliche Hierarchie 

— Gabriel 

— Michael 

— Kaiser 


Ephram der Syrer 


O ATIOC E®PAIM O CYPOC 
O ajios Ephraim o Syros 


Der bedeutendste Kirchenvater Syriens, der 
im 4.Jh. in Nisibis lebte, Asket und Dichter 
hochpoetischer Hymnen. Sein Tag ist der 
28. Januar. 


Leben und Wirken 

Zu Ephrims Zeiten waren die wichtigsten 
Zentren der Christenheit Syrien, Agypten, 
Kappadokien und Konstantinopel, alle heute 
unter muslimischer Herrschaft. Seine Schrif- 
ten liefern kaum Hinweise auf sein eigenes 
Leben. 

Unter Bischof Vologeses (346-361) war 
Ephram bereits als Kirchenlehrer bekannt, un- 
ter Bischof Abraham (361) trat er als Berater 
auf. Das Zwischenspiel der Wiedereinfihrung 
des Heidentums durch Kaiser Julian Apostata 
(361-362) schildert Ephrém in seinen vier 
Hymnen »Contra Julian«, den wichtigsten 
Quellen fiir jene historische Episode. Vermut- 
lich war er Augenzeuge des Todes Julians im 
Kampf gegen die Perser, die Nisibis eroberten. 
Mit andern Byzantinern wird Ephréam der 
Stadt verwiesen, geht nach Edessa, verleiht 
der dortigen Katechetenschule neue Impulse. 


Darstellungen Ephrams 

Alter Asket mit diinnem Haar und sparlichem 
Bart, trégt helle Ménchskapuze, oft ein 
Schriftblatt haltend: »Mit Lachen vermengte 
Freimiitigkeit hebt die Seele leicht von der Er- 
de.« Spat- und postbyz. Wandmalereien in 
Kléstern geben sein Sterben wieder. Ausge- 


streckt daliegend, mit Binden umwickelt, um- 
geben ihn Ménche und Asketen. Gerasimos 
reitet auf einem Lowen herbei. Um die Ster- 
beszene gruppiert sind Stadien aus seinem Le- 
ben — er besucht einen Eremiten, versorgt ei- 
nen Sdulenheiligen mit Nahrung, schreibt sei- 
ne Hymnen, lebt als Einsiedler (Meteoraklé- 
ster Ajios Nikolaos Anapawsas (1527) und 
Warlaam (1627)). 


Hymnendichtung 

Ephrams Hymnen gehéren zu den ersten selb- 
standigen, nicht aus der Bibel (den Psalmen) 
abgeleiteten Dichtungen der éstlichen Litur- 
gie. Seine Fastengebete sind fester Bestandteil 
der Gottesdienste in der sechswéchigen Fa- 
stenzeit vor Ostern. Ephram hat seine Hym- 
nen den 4ltesten Hymnendichtungen des gno- 
stisch beeinfluBten Bar-Daisan aus Edessa 
(154-ca. 223) entgegengesetzt.’ Viele seiner 
Weihnachtshymnen legt er der Gottesmutter 
selbst in den Mund: 


99 


Etimasie 


»Du bist in mir und Du bist auBer mir, 

Verwirrer Deiner Mutter, 

damit ich Dein Bild sehe, jenes 4uBerliche vor mei- 
nen Augen. Dein unsichtbares Bild ist in meinem 
Geiste geformt. In Deinem sichtbaren Bild erblicke 
ich Adam, in Deinem Unsichtbaren sehe ich Deinen 
Vater, der mit Dir vereint ist. So hast Du nun in 
zwei Bildern Deine Schénheit gezeigt. Es formt 
Dich das Brot — und der (menschliche) Geist. Und 
wohne im Brot — und in denen, die es essen: Im 
sichtbaren (Brot) und im unsichtbaren (Geist) — se- 
hen Dich Deine Kinder, wie die Mutter Dich sieht!« 


Ephram hat als einer der ersten die typologi- 
sche Interpretation des AT kultiviert: Gestal- 
ten und Ereignisse, Naturerscheinungen wie 
Zahlenverhiltnisse werden als > Schatten fir 
Christus und die Gottesmutter angesehen. 


Etimasie — Leerer Thron 


Eucharistie /Abendmahl 


TO MYCTIKO AEIIINO 
To mistik6é dipno 


Im »geheimnisvollen Mahl« zeigt sich die my- 
stische Vereinigung des Glaubigen mit allen 
anderen Gldubigen und mit Gott selbst τ- das 
zentrale Ziel des orthodoxen Lebens im Glau- 
ben. Die Aufhebung leidvollen Getrenntseins 
und die Verschmelzung in Liebe wird erst er- 
reicht mit der Wiederkunft Christi, doch jetzt 
schon vorweggenommen im — Mysterium des 
Mahles aus Brot und Wein. Die gesamte Litur- 
gie der Ostkirche ist auf diesen Héhepunkt 


Christus feiert vor seiner Kreuzigung mit seinen Jiingern das Heilige Abendmahl. Judas, der ihn verraten soll, 
taucht das Brot in die Schiissel. Klosterkirche Panajia Mawrotissa bei Kastoria, 12. Sh. 


100 


Eucharistie/Abendmahl 


ausgerichtet, ist selbst nichts anderes als Vor- 
bereitung und Feier des Abendmahles. 
Folgerichtig ist auch die Architektur der Kir- 
chen und ihr gesamtes Bildprogramm in den 
Dienst-der Eucharistie gestellt. Jede Euchari- 
stiefeier ist Vergegenwartigung des Opferto- 
des Christi und seiner Auferstehung. Er ist der 
Opfernde und zugleich das dargebrachte Op- 
fer. Jeder daran Teilnehmende nimmt géttli- 
che Substanz auf und hat so Teil an Gott. Die 
Teilnehmer bilden, indem sie die gleiche Sub- 
.stanz zu sich nehmen, einen K6rper. In den 
-Abendmahlsgaben verkérpert sich Christus 
selbst, sie sind seine Ikone. 

Eucharistie ist ein Schliisselbegriff fiir das Ver- 
_standnis der byz. Kultur, ihrer Riten, Bilder 
und Symbole. 


Mahl und Hochzeit — mystische Vereinigung 
Die Vereinigung von Schépfer, Schépfung und 
Geschépf wird symbolisiert durch das Mahl 
(— Brot) und die liecbende Vereinigung — im 
Bilde der Hochzeit von Christus als dem Brau- 
tigam und der Kirche als der Braut: 

»So wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und 
wird einer Frau folgen, und beide werden eines (ein 
Fleisch) sein.« Matth. 19, 5. (> Maria zwischen En- 
geln). 

Da jede EheschlieBung auch die Vereinigung 
zwischen Christus und seiner Kirche symboli- 


siert, wird folgerichtig die Hochzeit zu Ka- 
naan, bei der Christus Wasser in Wein verwan- 
delt, als typologisches Vorbild angesehen; fiir 
die Vereinigung im Mahl, fiir die Verschmel- 
zung Gottes mit seiner Kirche im Ehebund. 


Der eucharistische Charakter der Liturgie 

Die dreiteilige —- Liturgie, der sonn- und fest- 
tagliche Hauptgottesdienst, besteht in nichts 
anderem als dem Zelebrieren des --Ὁ Myste- 
riums des Heiligen Abendmahls (entspricht 
der rémisch-katholischen Messe): 


1. Die — Proskomidie ist die Vorbereitung dieses 
heiligen Mahles, im Nordteil des Allerheiligsten 
(Prothesis). 

Die vorbereiteten heiligen Gaben sind ein mikro- 
kosmisches, abbildhaftes Modellbild der allumfas- 
senden — kosmischen -- Gemeinschaft Gottes mit 
den Glaubigen. 

2. Die Liturgie der Katechumenen stellt das Evan- 
gelium (Christus als den Logos) in den Mittelpunkt. 
Diese »Vorliturgie« war urspriinglich fir die noch 
nicht zum Abendmahl zugelassenen Taufanwarter 
bzw. fiir die davon ausgesperrten Biienden ge- 
dacht. ; 

3. Die Liturgie der Glaubigen umfaBt die feierliche 
Ubertragung der Abendmahlselemente (Christus 
als Lamm Gottes) von der Prothesis durch den Naos 
zum Altar sowie ihre Austeilung. 

Vor- und Hauptliturgie (Ubersicht I und I) bilden 
eine nahtlos miteinander verbundene Einheit. 


101 


Eucharistie|Abendmahl 


Ubersicht I: Die Liturgie der Katechoumenen des heiligen Johannes Chrysostomos 


Liturgie 


Textinhalt/ 
symbolische Bedeutung 


Jeweils zugeordnete Motive 
(Wandbilder und Buchmalerei) 


Einfithrung 


Priester: Doxologie 


Diakon und Chor: 
GrofSe Friedens-Ektenia 


Dazu der Priester: Stillgebet der 
ersten Antiphone 


Chor: 1. Antiphone 

Dazu der Diakon: Stellt sich vor 
das Christusbild der Bilderwand 
und ergreift sein Orarion mit 
drei Fingern der rechten Hand 


Diakon und Chor: Kleine Ek- 
tenia (kurzes Friedensgebet) 
Dazu der Priester: Stillgebet 


Chor: 2. Antiphone mit 
anschlieBendem Hymnus: 
»Eingeborener Sohn ...« 
(Hymne Kaiser Justinians) 


Dazu der Diakon: Stellt sich vor 
das Bild der Gottesmutter 


Diakon und Chor: Wieder- 
holung der kleinen Ektenia. 
Dazu der Priester: Stillgebet zur 
3. Antiphone 

Chor: 3. Antiphone 

Dazu der Diakon: Offnet die 
K6nigspforte fiir den kleinen 
Einzug 


Der kleine Einzug 


Prozession des Priesters und des 
Diakons, der das Evangelien- 
buch tragt, angefiihrt von zwei 
Kerzentragern, manchmal auch 
Rhipidientragern (— Pfau) aus 
dem Altarraum durch die nérd- 
liche Tiir der Ikonostas hinaus in 
das Kirchenschiff. Halt vor der 
Schénen Pforte 


102 


»Gepriesen sei das Kénigreich 
des Vaters und des Sohnes und 
des Heiligen Geistes ...« 


Bittlitanei um Frieden fiir die 
gesamte Menschheit und ihre 
jeweils einzeln aufgefiihrten 
Gruppierungen 

(Stillgebete schlieBen in der 
Regel mit einer laut gesungenen 
Lobpreisung Gottes) 


Wihrend der ersten beiden Anti- 
phonen schaut der Diakon erst 
auf das Bild Christi an der Iko- 
nostasis und dann auf das Bild 
der Gottesmutter, um die Glau- 
bigen darauf aufmerksam zu ma- 
chen, daB ihre Schau tiber die 
Abbilder hinweg hingefiihrt wird 
zu den Urbildern 


In der 2. Antiphone bedeutende 
Weissagungen des AT tiber Chri- 
stus. 

Hymnus: »Eingeborener Sohn, 
Logos Gottes, der Du unsterb- 
lich! Du hast es auf Dich ge- 
nommen, Fleisch zu werden um 
unseres Heiles willen ...« 


Seligpreisungen der Bergpredigt 
nach Matth. 5, 3-12 (Maka- 
rismen) 


Der kleine Einzug bedeutet die 
erste Ankunft Christi in der Welt 
als Logos, reprasentiert durch 
das Evangelienbuch (Mensch- 
werdung Christi). Bedeutet 
gleichzeitig den Beginn seiner 6f- 
fentlichen Tatigkeit als Prediger 
und sein Offenbarwerden als 
Gottes Sohn bei der Taufe im 
Jordan 


Vom 11.Jh. an wurden die einzel- 
nen Teile der Liturgie als rituell 
dramatisierte »Ikonen« der Heils- 
ereignisse gesehen. Damals wurde 
jedem Teil ein Abschnitt aus dem 
Leben Jesu zugeordnet. Wie die 
Gesamtheit der Wandmalerei einer 
Kirche und gleichzeitig auch die 
Ikonen der Ikonostasis das gesamte 
Evangelium darbieten soll, so sol- 
len auch seine Heilsgeschehnisse in 
der Liturgie wieder aufleben. 
Folgerichtig lassen sich auch die 
verschiedenen Ikoneninhalte den 
verschiedenen Liturgieteilen 
zuordnen. Die hierzu mitgeteilte 
Zuordnung folgt zwei Liturgiekom- 
mentaren des 11. Jh.s 


— Verkiindigung Maria im Sinne 
des Beginns der Menschwerdung 
Christi. 


—>» Geburt Christi: »Und das Wort 
ward Fleisch ...« Joh. 1.14 


Taufe Christi im Jordan 


Eucharistiel/Abendmahl 


(Fortsetzung) Ubersicht I: Die Liturgie der Katechoumenen des heiligen Johannes Chrysostomos 


Liturgie 


Priester: Gebet um das Geleit 
durch Engel. Einzug durch die 
K6nigspforte und Ablage des 
Buches auf dem Altar 


Chor: Troparion oder Kontakion 
des jeweiligen Fest- oder Ge- 
denktages 

Dazu der Priester: Stillgebet 
zum Trisajion 


Chor: Trisajion (dreimal heilig) -- 
dreimal hintereinander gesun- 
gene Lobpreisung 


Gang zum Thron 


Priester und Diakon begeben 
sich hinter den Altar. 

Priester: Lobpreist Christus auf 
dem himmlischen Altar tiber den 
Cherubim. Setzt sich auf seinen 
Priesterstuhl. In Kathedralgot- 
tesdiensten nimmt der liturgie- 
rende Bischof die Kathedra hin- 
ter dem Altar ein, der Priester 
den Stuhl rechts daneben. 


Epistellesung 


Lektor und Chor: Wechsel- 
gesang (Prokimenon) 


Lektor: Lesung aus Briefen des 
NT oder aus der Apostel- 
geschichte. 

Dazu der Diakon: Beréuchert 
Altar, Altarraum, Ikonostas, 
den Priester und die Andach- 
tigen 


Lektor und Priester: Austausch 
des Friedenssegens. 

Diakon: Ruf zur Aufmerksam- 
keit: »Weisheit«. 

Priester: Stillgebet am Altar vor 
der Evangelienlesung. Reicht 
dann dem Diakon das Evange- 
lienbuch und segnet ihn 


Textinhalt/ 
symbolische Bedeutung 


Wenn ein Bischof die K6nigsttir 
passiert, kann das auch die Him- 
melfahrt Christi bedeuten 


An Samstagen, an denen der 
Toten gedacht wird, wird das 
Kontakion »Auch im Grabe lie- 
gend bist Du unsterblich ...« 
gesungen. Das Buch reprasen- 
tiert Christus als den Logos, der 
Altar, auf dem es liegt, das Grab 
Christi 


Heiliger Gott, heiliger starker, 
heiliger unsterblicher, erbarme 
Dich unser 


Der Bischof, der die Kathedra 
besteigt, vollzieht symbolisch 
die Thronbesteigung Christi im 
tiberhimmlischen Allerheilig- 
sten. Gleichzeitg bedeutet diese 
Zeremonie den Ubergang vom 
alten Bund des Gesetzes zum 
Gnadenbund des NT 


Auf das Tagesereignis oder den 
Tagesheiligen bezogener Vers, 
gewohnlich aus den Psalmen 


Segnung und Lesung bedeuten 
die Berufung der Apostel sowie 
den Auftrag, heilige Schriften 
zu verfassen 


Der das Evangelium verlesende 
Diakon wird zum Engel, der auf 
dem Stein vor Christi Grab den 
Myrrhentragerinnen das Evan- 
gelium verkiindet (— Ostern). 
Die Lesung selbst stellt Christi 
Wirken auf Erden dar 


Jeweils zugeordnete Motive 
(Wandbilder und Buchmalerei) 


Himmelfahrt Christi = Ubergang 
aus der sichtbaren Welt (= Ge- 
meinderaum) in die unsichtbare 
(= Altarraum) 


Die ausgelegte Tagesikone stellt 
den Heiligen bzw. das Festereignis 
vor, das in den Troparien oder 
Kontakien des Tages besungen 
wird 


Der — leere Thron Christi 
(Etimasia, auch > Endgericht) 
beachten!) 


— Berufung der Jiinger, 
— Evangelisten (in den 4 Eck- 
zwickeln unter der Kuppel) 


Liturgen in Priestergewandern 
(Apsisrund) halten Textbander mit 
den vom Priester am Altar verlese- 
nen Stillgebeten, Propheten mit 
den in den Gebeten enthaltenen 
ATlichen Texten ᾿ 


103 


Eucharistiel/Abendmahl 


(Fortsetzung) Ubersicht I: Die Liturgie der Katechoumenen des heiligen Johannes Chrysostomos 


Liturgie 


Textinhalt/ 
symbolische Bedeutung 


Jeweils zugeordnete Motive 
(Wandbilder und Buchmalerei) 


Diakon: Evangelienlesung am 

Pult vor der Bilderwand. Seine 
Stimme wird immer héher, als 

Ausdruck der Freude tiber das 
Gelesene 


Ausklang bzw. Ubergang 


Diakon und Chor: Ektenia ftir 
alle Lebenden 


Dazu der Priester: schlagt auf 
dem Altar das > Antiminsion 
(—> Altar) auf und spricht ein 
Stillgebet mit laut gesprochener 
abschlieBender Lobpreisung 


Diakon und Chor: Ektenia fiir 
die Verstorbenen (entfallt an 
grofen Feiertagen) 


Dazu der Priester: Stillgebet 


Diakon und Chor: Ektenia fiir 
die Katechoumenen 


Diakon: Entlassung der Kate- 
choumenen »Katechoumenen 
geht hinaus...« 


Inbriinstiges Gebet fiir Regie- 
rung, Kirche, Priesterschaft, 
Chor, die Glaubigen, auch fir 
die Feldfriichte: es symbolisiert 
die Lehrtatigkeit Christi 


In dieser Folge dreier Bittlita- 
neien — kann auch als groBes 
dreiteiliges Bittgebet aufgefaBt 
werden — wird fiir den gesamten 
Kosmos, insbesondere aber fiir 
die gesamte Menschheit gebetet: 
den Katechoumenen mége Got- 
tes Wort offenbar werden 


Die Taufanwarter werden hin- 
ausgeschickt. Sie durften frither 
nicht am Abendmahl teilnehmen 


Verkiindigung von Christi Auf- 
erstehung durch die Engel 
(— Ostern) 


Der Kosmos der Menschenwelt ist 
in der Kirche gegenwartig: im Kup- 
peltambour mit dem Gewélbe 
Apostel und Propheten, in der Ap- 
sis Kirchenvater und Priesterhei- 
lige, im Kirchenschiff Martyrer und 
Kriegerheilige. Innen gesellen sich 
die Glaubigen im Kirchenschiff zu 
und die Taufanwarter (Katechou- 
menen), die friiher nur die Vor- 
halle (Narthex) betreten durften 


An Kirchenbau und Liturgie sind 
die Einschrankungen — réumlich 
und zeitlich —, denen friiher die 
Katechoumenen in ihrer Teilnah- 
me am Gottesdienst unterlagen, 
abzulesen 


‘Ubersicht II: Liturgie der Glaubigen des heiligen Johannes Chrysostomos 


Liturgie Textinhalte / Jeweils zugeordnete Motive 
symbolische Bedeutung (Wandbilder und Buchmalerei) 
Einftihrung 
Diakon und Chor: Ektenia fiir »Ihr Glaubigen, lasset uns wie- -- 
die Glaubigen der und wieder in Frieden beten 
. Dazu der Priester: Erstes Still- zum Herrn.« Priester dankt fiir 
gebet der Glaubigen die Gnade am heiligen Altar, am 


Diakon und Chor: Zweite 
Ektenia der Glaubigen 

Dazu Priester: Zweites Stillgebet 
mit abschlieBender lauter Lob- 
preisung 


104 


irdischen und am unsichtbaren 
tiberhimmlischen zugleich, ste- 
hen zu diirfen 


Bittlitanei um den Frieden im 
gesamten Kosmos. Gebet des 
Priesters: »... schau auf unsre 
Bitte und reinige unsre Seelen 
und Herzen von allem Unrat des 
Fleisches und des Geistes ...« 


—» Darstellung Christi im Tempel, 
in seiner Bedeutung einerseits als 
Opfer von Brot und Wein durch 
die Glaubigen, andererseits als des 
geopferten Christus 


Eucharistie/Abendmahl 


(Fortsetzung) Ubersicht II: Liturgie der Gliubigen des heiligen Johannes Chrysostomos 


Liturgie 


Der grofe Einzug 


Prozession zur Ubertragung der 
heiligen Gaben vom Riisttisch in 
der Prothesis (Nordapsis oder 
Nordnische im Altarraum) durch 
die Nordttir der Ikonostas ins 
Schiff und von da durch die 
Schéne Pforte zum Altar 


Offnung der Schénen Pforte. 
Diakon: berauchert mit Weih- 
rauch den Altar, den Altarraum, 
den Priester, den Chor und die 
Glaubigen 


Chor: Cherubimhymnus 
Dazu der Priester: Priesterliches 
Einzugs- und Opfer-Stillgebet 


Priester und Diakon: Dreimali- 
ges cherubinisches Gebet 


Priester und Diakon: Schreiten 
zum Riisttisch. Priester berau- 
chert die Opfergabe, legt das 
Aér (~ Altar) auf die Schulter 
des Diakons und reicht ihm den 
Diskos mit dem Brot, ergreift 
den Kelch mit dem Wein. Die 
Prozession wird von Traégern mit 
Lichtern und Ehrenfachern 
(Rhipidien — Pfau) begleitet. 
Halt vor der Schénen Pforte 
Diakon: Gebet 

Priester: Gebet 


Chor: Cherubimhymnus, zweiter 
Teil 


Diakon und Priester: Sie durch- 
schreiten die K6nigspforte. 
Priester: Stellt Diskos und Kelch 
auf den Altar, spricht das Gebet 
der Grablegung und bedeckt da- 
bei die Gaben mit den Tiichern 


Textinhalte/ 
symbolische Bedeutung 


Der Einzug ist der > Einzug 
Christi in Jerusalem zu seinem 
Leiden, seiner Kreuzigung und 
seiner Auferstehung, der Gang 
Christi zum Geopfertwerden. 
Christus selbst handelt durch den 
Priester. Chor und Glaubige fith- 
len sich erhoben zum tiberhimm- 
lischen Altar Gottes, sie wandeln 
sich, wie der Hymnus sagt, zu 
Cherubim: »... die wir geheim- 
nisvoll darstellen die Cheru- 
bim...« 


»Die wir die Cherubim geheim- 
nisvoll darstellen und der leben- 
digmachenden Dreieinigkeit das 
dreimal heilige Loblied singen: 
LaBt uns nun ablegen jede irdi- 
sche Sorge« 


»Da wir nun an diesem heiligen 
Geheimnis die Stelle der Cheru- 
bim vertreten ...« 


Die Rhipidien weisen ihre Tra- 
ger und dariiber hinaus die Glau- 
bigen als geheimnisvoll in Cheru- 
bim Verwandelte aus. 

Gebete fiir den Metropoliten, 
die Priesterschaft und alle Glau- 
bigen 


Der »Herr des Alls« wird »von 
Engelscharen unsichtbar ge- 
leitet« 

Das Aufsetzen der Gaben auf 
den Altar stellt Kreuzabnahme 
und Grablegung dar. »Der ehr- 
same Joseph nahm Deinen 
makellosen K6rper herab vom 
Holze, wickelte ihn in reines 
Linnen, bedeckte ihn auch mit 
aromatischen Salben und legte 
ihn in ein neues Grab« 


Jeweils zugeordnete Motive 
(Wandbilder und Buchmalerei) 


Die »himmlische Liturgie«, als 
Darstellung der unsichtbaren Li- 
turgie, die parallel zum Ritus in der 
Kirche oben vor Gottes Thron 
stattfindet: Cherubim, Seraphim 
und Engel, in Priestergewandern 
mit Leuchtern, Rhipidien und Al- 
targeraten schreiten vom Rlisttisch 
weg auf einen Altar zu. Die vom 
frithen 14. Jh. an haufige Dar- 
stellung gibt direkt den Inhalt des 
cherubinischen Hymnus wieder, 
erscheint in der Hauptapsis, der 
Prothesis oder aber vor allem im 
Kuppeltambour: Unterhalb des 

—> Pantokrators bewegt sich die 
Engelsprozession von einem Riist- 
tisch im Westen zu einem Altar im 
Ostteil des Tambours 


Kreuzabnahme, Grablegung (dar- 
gestellt auch auf dem Antiminsion 
auf dem Altar (—> Passionszyklus) 


105 


Eucharistie/Abendmahl 


(Fortsetzung) Ubersicht II: Liturgie der Glaubigen des heiligen Johannes Chrysostomos 


Liturgie 


Textinhalte/ 
symbolische Bedeutung 


Jeweils zugeordnete Motive 
(Wandbilder und Buchmalerei) 


Priester: Berauchert die Gaben 
auf dem Altar dreimal. 
Diakon: SchlieBt Fliigel und 
Vorhang der Schénen Pforte 


Priester und Diakon: Wechsel- 
seitiges Gebet fiireinander 


Diakon und Chor: Bitt-Ektenia 


Priester: Stillgebet der Darbrin- 
gung mit abschlieBender lauter 
Lobpreisung 


Bedeutet, da8 der Stein vor 
Christi Grab gerollt wird, damit 
sein Leichnam nicht geraubt 
werden kann 


Gebet um Errettung. 
Chor: Herr erbarme Dich 


»Nimm dieses Opfer an und laB 
den Geist Deiner Gnade in uns 
wohnen ...« 


Weihrauchschwingende Engel in 
den Darstellungen der himm- 
lischen Liturgie wie auch der 
Apostelliturgie 


FriedenskuB 


Priester: KiBt die heiligen 
Gaben, den Rand des Altars und 
alle mit ihm zelebrierenden 
Geistlichen 


Beispiel fiir die Liebe zum ge- 
samten Kosmos, zur sichtbaren 
und unsichtbaren Welt 


Die Glaubigen ktissen beim Betre- 
ten der Kirche die Ikonen (— KuB) 


Glaubensbekenntnis 


Diakon: Κἄβι das Kreuz auf 
seinem Orarium und ruft: »Die 
Tiiren, die Tiiren, lasset uns auf- 
merken in Weisheit« 


Ein Vertreter der Gemeinde: 
Spricht das nikaéno-konstantino- 
politanische Glaubensbekennt- 
nis. 

Der Vorhang der Schénen Pforte 
geht auf. Dazu der Priester: 

Er bewegt das Aér tiber dem 
Altar mit den Gaben 


Friiher Aufforderung an die Tiir- 
hiiter, keine Unglaubigen mehr 
einzulassen, heute die géttliche 
Weisheit durch die Ohren als die 
Tiiren des Menschen einzulassen 


Die Bewegung des Aér wird 
einerseits als das Erdbeben beim 
Tode Christi betrachtet, 
andererseits auch als Wehen des 
heiligen Geistes 


Ikone der heiligen Weisheit 
(— Sophia) 


— Kreuzigung 


ent 


Die Anaphora ᾿ 

Diakon: Fordert dazu auf, »vor 
Gott zu stehen«. Befachelt die 
Gaben mit den Rhipidien. Der 
Ritus des »Erneuten Vollzie- 
hens« ist Héhepunkt der Liturgie 


106 


Erneutes Vollziehen: Das histo- 
rische Kreuzesopfer Christi wird 
rituell erneut volizogen— am 
Altar der Kirche und zugleich 
vor dem tiberhimmlischen Altar 
Gottes 


Darstellung der Abendmahlslitur- 
gie (Apostelkommunion): Christus 
als Priester zwischen zwei Cheru- 
bim. Wahrend der gesamten Ana- 
phora wird der Priester von zwei 
unsichtbaren Cherubim flankiert 


Eucharistiel/Abendmahl 


(Fortsetzung) Ubersicht IJ: Liturgie der Glaubigen des heiligen Johannes Chrysostomos 


Liturgie ᾿ 


Priester und Chor: Laut gesun- 
genes Gebet 


Priester: Eucharistisches Still- 
gebet zum Preise Gottes 


Diakon: Entfernt den Asteriskos 
(Stern) vom Diskos (— Altar) 
und macht das Kreuzeszeichen 
tiber den Gaben 


Chor: »Heilig, heilig, heilig ...« 


Dazu Priester: Stillgebet: die 
laut gesprochenen Einsetzungs- 
worte. 

Dazu der Diakon: Weist mit der 
Rechten, mit der er das Orarion 
halt, zu den entsprechenden Ein- 
setzungsworten auf Brot und 
Wein 


Darbringung des Opfers 
(Anamnese) 

Diakon: Halt mit tiberkreuzten 
Handen Diskos und Kelch hoch. 
Macht damit das Zeichen des 
Kreuzes tiber dem Altar 

Dazu der Priester: Singt laut: 
»,.. bringen wir Dir das Deine 
von dem Deinen dar ...« 


Chor: Lobpreis Gottes 


Textinhalte/ 
symbolische Bedeutung 


»,.. erheben wir unsere Her- 
zen ...« 


Die Glaubigen steigen rituell 
empor zum tiberhimmlischen 


Thron Gottes (Anaphora!). Sie © 


schauen jetzt geistig die Urbilder 
der Symbole: In Brot und Wein, 
die dem Glaubigen gezeigt wer- 
den, erblickt er Christus selbst 


Durch das Medium des Priesters 
wiederholt Christus selbst als der 
Hohepriester mystisch das 
Abendmahl in der Nacht vor 
seinem Tode: »Nehmet hin und 
esset, das ist mein Leib, fiir euch 
gebrochen zur Vergebung der 
Siinden ... Trinket alle daraus, 
das ist mein Blut des neuen 
Testaments, fiir euch vergossen 
zur Vergebung der Stinden« 


Die zum himmlischen Altar 
hochgehobenen Gaben bedeuten 
den Opfertod des Lammes Chri- 
sti, gleichzeitig jedoch auch seine 
Auferstehung — Christus zieht 
die Toten aus dem Hades mit 
sich nach oben. Dariiber hinaus 
stellen die nach oben gehaltenen 
Gaben auch den zum Himmel 
auffahrenden Christus dar 


»Dir singen wir, Dich preisen 
wir, Dir danken wir, o Herr, und 
beten zu Dir, unser Gott« 


Jeweils zugeordnete Motive 
(Wandbilder und Buchmalerei) 


Auferstehung Christi (—> Ostern): 
So wie Christus Adam zu sich 
hochzieht aus dem Grab, zieht er 
jetzt wahrend der Anaphora die 
Herzen der Glaubigen hoch hin zu 
seinem tiberhimmilischen Altar. Er 
ist der Todesiiberwinder fiir alle 
Adamskinder 


Christi Abendmahl vor seiner 
Kreuzigung. 

Apostelkommunion: Christus — 
bisweilen im Bischofsgewand — 
erscheint zweimal an einem mit 
einem — Ziborium tiberwélbten 
Altar. Nach links gewandt, reicht 
er sechs Aposteln das heilige Brot, 
nach rechts gewandt, den sechs an- 
deren Wein. Auf den Altaren die 
heiligen Gerate. Als Diakone assi- 
stierende Engel halten Rhipidien 


— Taufe Christi im Jordan. Der 
Heilige Geist kommt auf Christus 
herab, so wie er im Austausch ge- 
gen die Opferung von Brot und 
Wein auf die Abendmahlselemente 
herabfahrt 


Epiklese (Herabrufung) 


Priester und Diakon: Gebet mit 
der Bitte um das Herabsenden 
des Heiligen Geistes, damit er 
Brot und Wein in Fleisch und 
Blut Christi verwandle 


Diakon: Befachelt die Gaben. 
Dazu der Priester: Stillgebet 


Als Gegengabe fiir das darge- 
brachte Opfer wird der Heilige 
Geist herabgerufen. Dies ent- 
spricht der Herabkunft des Heili- 
gen Geistes im Austausch gegen 
den zum Himmel aufgefahrenen 
Christus 


Das Facheln bedeutet den Ein- 
zug des Geistes in die Gaben. 
Bitte um Gemeinschaft mit dem 
heiligen Gott 


— Einzug in Jerusalem. 

Bereitet den Opfertod Christi vor 
sowie das Herabflehen des Geistes 
die Opferung Christi in Gestalt von 
Brot und Wein fiir die Glaubigen 
vorbereitet 


Dreieinigkeit (— Pfingsten) in Ge- 
stalt des Engelbesuches bei Abra- 
ham. Die Trinitat ist Empfanger 
und Spender des Opfers zugleich 


107 


Eucharistie/Abendmahl 


— 


(Fortsetzung) Ubersicht II: Liturgie der Glaubigen des heiligen Johannes Chrysostomos 


Liturgie 


Gediachtnis der Heiligen: 
Priester, unterstiitzt vom Chor: 
Gedenket laut 

- der Gottesmutter (Berauche- 
rung des Altars), 

- Johannes des Taufers als An- 
fiihrer der Propheten, 

- aller Heiligen sowie aller Ver- 
storbenen (auch bestimmter 
Namen, die von AngehGrigen 
genannt werden), 

~ der Regierung, der Priester- 
schaft und aller Lebenden 
(auch mit bestimmten 
Namen), 

— der Leidenden und Gefahr- 
deten, der Kranken und Rei- 
senden 


Textinhalte / 
symbolische Bedeutung 


Jeweils zugeordnete Motive 
(Wandbilder und Buchmalerei) 


Das, was bei der Vorbereitung 
des Abendmahls (> Prosko- 
midie) unbemerkt von der Ge- 
meinde geschieht, wird nunmehr 
im Angesicht der gesamten 
Abendmahlsgemeinschaft aufge- 
griffen: Gedacht wird des gesam- 
ten Kosmos, darunter der vier 
Gruppen, die durch die vier Pro- 
sphoren (Abendmahlsbrote) re- 
pradsentiert werden (die Allheili- 
ge, Johannes der Taufer und die 
Heiligen, die Lebenden und die 
Toten) 


—» Maria zwischen den Engeln in 
der Apsis: »Du bist wiirdiger als 
die Cherubim ...« 


Johannes der Taufer als Prototyp 
aller Propheten, Apostel und Hei- 
ligen 


— Konstantin und Helena, als die 
erste christliche Regierung und 
Prototyp aller Regierungen (es gibt 
allerdings auch Regierungen, fiir 
die zu beten sich das Gewissen der 
Priester straubt) 


Priester: Spendet Segen 
Diakon und Chor: Ektenia mit 
der Bitte, daB der Genu& der 
Gaben zum Heile gereiche 
Dazu der Priester: Stillgebet 
Gemeinde: Vater unser 


Priester: Spendet Segen 

Diakon und Chor: Fordert die 
Gemeinde auf, das Haupt zu 
beugen 

Priester: Stillgebet des Haupt- 
beugens mit abschlieBendem lau- 
tem Lobpreis 


Diakon: SchlieBt den Vorhang 
der Schénen Pforte 

Priester: Hebt das heilige Brot 
(das Lamm) hoch und ladt zur 
Teilnahme am Abendmahl ein 
Chor: Heiligpreisung, anschlie- 
Bend Kinonikon des Tages bzw. 
des Tagesheiligen 


Spende und Empfang der Eucharistie 


»DaB unser, den Menschen 
liebender Gott, diese (heiligen 
Gaben) zu sich hinaufnehmen 
mdge, zu seinem heiligen iiber- 
himmlischen geistwesenhaften 
Opferaltar als einen geistigen 
Blumenduft, und daf er uns als 
Gegengabe dafiir herabsende die 
gOttliche Gnade und das Ge- 
schenk des Geiligen Geistes, 
dafiir laBt uns beten ...« 


»Das Heilige den Heiligen« 


»Einer ist heilig, einer ist Herr, 
Jesus Christus, zur Herrlichkeit 
Gottes, des Vaters. Amen« 


Brechung des Lammes 


Priester: Spricht Stillgebet und 
bricht das Lamm (das Siegel des 
Prosphorenbrotes) in vier Teile. 
Legt sie auf den Diskus in den 
vier Himmelsrichtungen aus 


108 


»Gebrochen und geteilt wird das 
Lamm Gottes. Das Lamm, das 
gebrochen, doch unzerteilt 
bleibt, das gegessen, doch nie 
aufgezehrt wird, das alle, die es 
empfangen, heiligt« 


Das geheimnisvolle Abendmahl 
am Vorabend der Kreuzigung 


Tempelgang Maria und Speisung 
der Gottesmutter durch den Engel 
(— Marienzyklus), als Vorbild fiir 
die Eucharistie 


— Heimholung Maria. Wie Chri- 
stus am Sterbebett der Gottesmut- 
ter anwesend ist, so soll er auch 
jetzt fiir die Glaubigen gegenwartig 
sein 


EucharistielAbendmahl 


| orteetetn g) Ubersicht II: Liturgie der Glaubigen des heiligen Johannes Chrysostomos 


Liturgie ᾿ 


Priester: Legt die gesiegelten 
Teile des Brotes in den Wein im 
Kelch 


Diakon: GieBt warmes Wasser 
hinzu 


Priester: Fordert den Diakon 
auf, das Abendmahl zu nehmen, 
spendet es sich selbst und dem 
Diakon 


Priester: Legt die restlichen ge- 
siegelten Brotteile in den Kelch, 
spricht dann ein Stillgebet 
Diakon: Offnet die K6nigspforte 
und trégt den hocherhobenen 
Kelch zum Ambo, fordert die 
Glaubigen zur Teilnahme am 
Abendmahl auf 


Priester: Spricht den Teilneh- 
mern das Abendmahlsgebet vor, 
das sie nachsprechen, teilt das in 
Wein getrankte Brot mit dem 
Léffel aus und spricht zu den 
einzelnen: »Der Knecht / die 
Magd ... empfangt den ehrwiir- 
digen und heiligen Leib unseres 
Gottes und Heilands Jesus Chri- 
stus zur Vergebung seiner Stin- 
den und zum ewigen Leben« 
Dazu der Chor: Eucharistischer 
Gesang 


Priester und Diakon: Kehren 
nach der Austeilung des Abend- 
mahls zum Altar zurtick 


Diakon: Schiittet die auf dem 
Diskus zuriickgebliebenen Teil- 
chen in den Kelch und betet den 
Auferstehungshymnus 


Diakon: Nimmt den Schwamm 
und wischt sorgfaltig die auf dem 
Diskus verbliebenen Brotreste 
zusammen, um sie in den Kelch 
zu geben 


Diakon und Priester: Bringen in 
einer Prozession die Gaben vom 
Altar zum Riisttisch zuriick 


Textinhalte/ 
symbolische Bedeutung 


Blut und Wasser entfloB Christi 
Seitenwunde. Die Warme des 
Wassers weist auch auf die 
Lebenskraft und die verleben- 
digende Kraft des Blutes Christi - 
hin, wird als Wirkung des Heili- 
gen Geistes, der auf die Gaben 
herabkam, angesehen 


Abendmahlsgebet: »... nimm 
mich auf in die Gemeinschaft 
Deines geheimnisvollen Mahles, 
Sohn Gottes. Nicht will ich Dei- 
nen Feinden von Deinem Ge- 
heimnis sagen, nicht will ich Dir 
den JudaskuB geben ..., nicht 
zur Verdammnis werde mir die- 
ses Heilige ..., sondern zur Rei- 
nigung und Heiligung meiner 
Seele und meines K6rpers ...« 


Der Léffel heif®t »Lawis« = Zange, 
die Zange, mit der ein Engel glii- 
hende Kohlen vom himmlischen 
Altar ergriff, um damit die Lip- 
pen des Propheten Jesaia zu rei- 
nigen (Vision Jes. 6, 6) 


Die Einnahme des Abendmahls 
symbolisiert die Auferstehung 


»Nachdem wir die Auferstehung 
Christi gesehen haben, lat uns 
den heiligen Herrn Jesus an- 
beten, den allein siindlosen ... 
O groBes Ostern, o heiliges 
Ostern, Christus ...« 


Dies symbolisiert die Reinigung 
der Glaubigen von allen Stinden 


Jeweils zugeordnete Motive 
(Wandbilder und Buchmalerei) 


Blut und Wasser, das der Seiten- 
wunde Christi auf den Darstellun- 
gen seiner > Kreuzigung entquillt 


Vision des Heiligen Petrus von 
Alexandrien. Dem unter Maximi- 
lian 311 zum Martyrertod Verur- 
teilten erscheint im Gefangnis das 
Christuskind auf dem Altar (als 
Abendmahlsgabe) mit zerrissenen 
Kleidern: Der abtriinnige Arius hat 
die Kleider zerissen und soll wegen 
seiner falschen Abendmahlslehre 
keinesfalls zum Abendmahl zuge- 
lassen werden 


Auferstehung Christi (— Ostern) 


109 


Eucharistie!Abendmahl 


Ubersicht II: Liturgie der Glaubigen des heiligen Johannes Chrysostomos 


Liturgie 


Textinhalte/ 
symbolische Bedeutung 


Jeweils zugeordnete Motive 
(Wandbilder und Buchmalerei) 


Diakon und Chor: Ektenia der 
Darbringung 

Dazu der Priester: Stillgebet der 
Danksagung mit abschlieBender 
lauter Lobpreisung. Er faltet da- 
bei das Antiminsion zusammen 


Entlassung der Glaubigen 


Priester: Tritt durch die Schéne 
Pforte aus dem Altarraum her- 
aus in den Gemeinderaum, betet 
das »Gebet hinter dem Ambo« 


Diakon: Steht wahrenddessen 
rechts von der Sch6énen Pforte 
vor dem Bild Christi, sein Ora- 
rium (— Gewander) haltend mit 
gesenktem Haupt 


Priester: Geht zum Riisttisch 
und betet, teilt dann das Anti- 
doron (— Brot) aus und segnet 
die Anwesenden 


Priester und Chor: Lobpreisung 
Priester: Reicht den Andachti- 
gen das Kreuz zum Ku8, segnet 
sie mit dem Kreuz 


Priester: Bitte an den Auferstan- 
denen um Segen fiir den Patriar- 
chen, Johannes Chrysostomos, 
die Tagesheiligen 


Chor: Entlassungsgesang mit 
gesungenem Vaterunser 
Troparion und Kontakion des 
heiligen Johannes Chrysostomos 


Die Schéne Pforte wird ge- 
schlossen 


Priester: Spricht die Entlassung 
aus, legt die heiligen Gewander 
ab 


Diakon: Versorgt die heiligen 


Gaben, betet die Entlassung 


»... damit der ganze (Lebens)tag Christus und die Jiinger in Gethse- 


heilig ... und stindlos sei ...« 


»LaBt uns gehen in Frieden« 


»Heilige, die die Pracht Dei- 
nes Hauses lieben, verherrliche 
Du sie mit Deiner géttlichen 
Kraft ...« 


Gebet am Riisttisch: »Der Du 
selbst die Erfiillung des Gesetzes 
und der Propheten bist, Chri- 
stus, unser Gott, der Du den 
ganzen Ratschlu8 des Vaters er- 
fiillt hast, erfiille mit Freude und 
Fréhlichkeit unsre Herzen alle- 
zeit, jetzt und immerdar und in 
alle Ewigkeit« 


Troparien des Chrysostomos: 
»Die einem Flammenzeichen 
gleich strahlende Anmut Deines 
Mundes hat den Erdkreis er- 
leuchtet ... Vater Johannes 
Chrysostomos, bitte das Wort, 
Christus, unsern Gott, da8 unsre 
Seelen gerettet werden« 


»Nun entlagt Du Deinen 


- Knecht, o Herr, nach Deinen 


Worten in Frieden, denn meine 
Augen haben Dein Heil gese- 
hen ...« (Luk. 2, 29-32) 


mane (— Passionszyklus), Gemeint 
ist die Aufforderung (Matth. 

26, 40) zu wachen (siindlos zu 
leben) 


— Verklarung Christi: Die Teil- 
nahme am Abendmahl ist ein Vor- 
geschmack der Vergéttlichung der 
Welt, so wie die Verklarung ein 
Vorgeschmack der Vergéttlichung 
Christi ist 


— Kreuzigung, als Erfiillung des 
géttlichen Heilswirkens (das Anti- 
doron — nicht konsekrierte Teile 
des Abendmahlsbrotes — ist eine 
Segensgabe, die an das altchrist- 
liche, im Anschlu8 an die Euchari- 
stie gefeierte, Liebesmah! erinnert) 


Darstellung des + Johannes Chry- 
sostomos hinter dem Altar im 
Apsisrund (er gilt als Schépfer der 
nach ihm benannten Liturgie) 


Ikone des Tagesheiligen 


—> Darstellung Christi im Tempel 
(Luk. 2) 


110 


Eucharistie/Abendmahl 


Historische Entwicklung eucharistischer Beigesetzten), spaiter das Abend- 
Motive mahl (Mosaik, San Vitale, Ravenna, 
Mitte 6. Jh.) ab 4.1}. 


wx Opfer Abels 
—> Adam und Eva, (Sant’Apollinare 
in Classe, Ravenna, 520/525) _ 80 6.1}. 


τς Unblutiges Opfer durch den Priester 
Melchisedek (1 Mose 14, 18-20) 
(Santa Maria Maggiore, Rom, 440; 


San Vitale, Ravenna) ab Mitte 5.Jh. 
te Mannalese: Gott versorgt das 

Volk Israel in der Wiiste mit 2. Halfte 4.1}. 
»Himmels-Tau« (2 Mose 16) (selten) 

ve Das Gastmahl Abrahams: Anfang 4. Jh. 


Abraham bewirtet den in Gestalt 
dreier Engel erscheinenden 
dreieinigen Gott. 

Alle Motive werden detail- 
reicher ausgemalt, auch in mittel- 
und spat- byz. Zeit dargestellt. 


Das in den Evangelien beschriebene letzte 
Abendmahl Christi (Matth. 26. 17-30, Mark. 

meee ΤΕΣ : 14, 12-26, Luk. 22, 7-23, Joh. 13, 21-30) wird 
Rechte Seite einer zweiteiligen Apostelkommunion: erst in nachkonstantinischer Zeit dargestellt: 


Christus reicht Paulus den Kelch zu. Kloster Studenica, Die Jiinger umgeben einen runden Tisch. Bei 
Serbien, 14.Jh. den altesten Bildern liegen sie noch nach anti- 


ker Sitte aufgestiitzt zu Tische. Christus nimmt 
τ Die frithe Sepulkralkunst (Katakomben- die linke Seite ein. Spater sitzt er in der Mitte 
fresken und Sarkophagreliefs des 2.-6.Jh.s) der halbkreis- oder kreisf6rmigen Tischplatte, 
weist durch vorbildhafte Ereignisse, zeichen- die Jiinger um ihn. Johannes neigt sich ihm 
haft verkiirzt, auf das Abendmahlsgeschehen freundschaftlich zu. Auf dem. Tisch roter 
hin. Die Themen werden dem AT, haufiger. Wein, das Abendmahlslamm, gelegentlich er- 
noch dem NT entnommen. setzt durch den —» Fisch als Symbol Christi 


NT (Kappadokien, frith- und mittelbyz.). 


tx Speisung der 5000 aus fiinf Broten 

und zwei Fischen: Christus, mit 

einem oder zwischen zwei Aposteln, 

segnet Brotund Fische — ab 2. Jh. 
(—> Wunderspeisungen) 

x Hochzeit zu Kanaan: Christus 

beriihrt mit einem Zauberstab 

1-7 Kriige, um das Wasser darin 

in Wein zu verwandeln ab 2.Jh. 
(— Wunderspeisungen) 

Beide Themen werden in mittel- 

byz. Zeit szenisch immer reich- 

haltiger ausgebaut. 


AT 

τς Opfer Isaaks: Symbolisierte auf Vierpunktekreuz als Symbol Christi in seiner Er- 
zunachst die Rettung Isaaks Sarkophagen scheinung als eucharistisches Brot. Barbara Kilise, 
(als Vorbild fiir die Rettung des ab 2. Sh. Géreme, Kappadokien, 9. sh. 


111 


Eucharistie/Abendmahl 


Die Bilderstiirmer (726-842) sahen die Abend- 
mahlselemente als einzig legitimes Abbild 
Christi an und stellten sie auch an wichtigen 
Stellen in ihren Kirchen zentral, vor allem in 
der Kuppel und in der Apsis, dar (— bilder- 
feindliche Ornamente). 


Auf mittelbyzantinischen Bildern des letzten 
Abendmahls wird Judas — ohne Nimbus, oft 
haBlich und als einziger in Vollprofil — heraus- 
gehoben. Laut Liturgie greift er recht gierig 
nach den Speisen. 


Der Legende nach hat er etwas vom heiligen 
Abendmahl versteckt und den Feinden Christi 
gezeigt. Gebéude im Hintergrund deuten den 
Innenraum an, ein Leuchter mit Flamme die 
Nachtzeit. (Ubrigens: Die frithesten Belege 
fiir das Vorkommen der Speisegabel finden 
sich auf Abendmahlsbildern Kappadokiens 
(Elmali und Carikli Kilise, G6éreme, 12./ 
13. Jh. (?)). 


Das dem Griindonnerstag zugeordnete Motiv 
erscheint als Wandbild im Rahmen des —> Pas- 
sionszyklus, als Ikone in ausgebauten Festtags- 
Bildreihen der Ikonostase und als selbstandige 
Abbildung iiber der Schénen Pforte (in neue- 
rer Zeit als Abklatsch des Abendmahls von 
Leonardo). 


Ab 1000 kommt mit dem wachsenden Interes- 
se an liturgischen Inhalten die Apostelkommu- 
nion in der Form des Wandbildes auf (Kiew, 
Sophienkathedrale, ca. 1046). Auf Disken fiir 
das Brot und in der Miniaturmalerei erscheint 
das Motiv bereits vom 6. Jh. an: entweder teilt 
Christus an einem Altar, tiberw6lbt von einem 
~» Ciborium, mit der Rechten das Brot, mit 
der Linken den Wein aus, oder er reicht in 
zweifacher Gestalt, mitunter an zwei Ciborien- 
altéren, zu seiner Rechten sechs Apostel, an- 
gefiihrt von Petrus, das Brot, zu seiner Linken 
den sechs anderen, mit Paulus an der Spitze, 
den Wein. 

Das Motiv findet sich gewohnlich in einer Zo- 
ne unterhalb einer Muttergottesdarstellung 
(Symbol des Abendniahlsléffels) in der Haupt- 
apsisw6lbung (Ochrid, Periwleptos-Kirche, 
1295; Ajios Nikolaos Fountoukli, Moni Thari 
und Kimesis Kattawid Rhodos). Das Abend- 
mahl-Bild besetzt ab 13. Jh. auch die Wélbung 
selbst, die Gottesmutter in deren Scheitel 
drangend. 


112 


ἘΣ  ΕΣ ΟΝ κε ει F SERGE eats 


Das Christuskind als Abendmahlsgabe auf dem 
Diskos. Prothesisnische in der Kirche von Sopoéani, 
Serbien 


Die Liturgie der Kirchenvater — sie zelebrieren 
die Eucharistie, unterstiitzt von Engeln, Rhi- 
pidien schwenkend — entstand aus dem Bild 
der Kirchenvater, die in der untersten Zone 
der Hauptapsis der Reihe nach den Altar um- 
stehen. 

Ab 11.Jh. wird ein gemalter Altar (Bulgarien 
Poljana) zwischen die Vater gesetzt. Verbrei- 
tet ist die Kirchenvater-Liturgie im balkansla- 
wischen Raum, mitunter verkiirzt zu einer 
Szene in der Prothesisnische der Nordapsi- 
diole: Zwischen den beiden Liturgieschépfern 
— Johannes Chrysostomos und — Basilios 
liegt Christus als Kleinkind auf dem eucharisti- 
schen Teller (Jugoslawien, Sopoéani, nach ~ 
1250). 

Spatbyzantinisch ist die himmlische Liturgie 
(ab 14.Jh. Buchmalerei ab 12. Jh.): der groBe 
Einzug mit den Gaben als die von Engeln zele- 
brierte Bischofsliturgie. 

Das Thema entfaltet sich in fast allen gréBeren 


‘Apostelkommunion: links Petrus, dem das Brot gereicht wird, rechts Paulus mit Wein. 
Kimesis tis Theotékou, Kattawia, Rhodos 


Kirchen im Kuppelrund um den — Panto- 
krator. 


Nach der Befreiung Konstantinopels von den 
Lateinern neigt die byz. Kunst dazu, geistige 
Wirklichkeiten starker zu betonen — die un- 
sichtbare Wirklichkeit des Opfers vor dem 
tiberhimmlischen Altar Gottes, die sich gleich- 
zeitig mit der sichtbaren Wirklichkeit des litur- 
gischen Geschehens vor dem Altar in der Kir- 
che vollzieht und im Cherubimhymnus geschil- 
dert ist, wird im Bilde herausgehoben. Engel 
tragen die heiligen Gaben zum Altar, hinter 
dem Cliristus steht. (Athos, Chilandariou, 
17.Jh.; Ajios Nikolaos Anapawsas, Anfang 
16.Jh.). Der als Priester amtierende Christus 
trigt auf spét- und postbyz. Darstellungen 
haufig ein Bischofsgewand. 

In Ausnahmefallen fiillt das letzte Abendmahl 
auch die Apsiswélbung (Athos Stawronikita, 
um 1546). 


Eule 
HKOYKOYBATIA 


I Koukouwajia 


Der Nachtvogel ist, wie schon bei den Agyp- 
tern und Juden, ein Ungliicksbote und Todes- 
ankiinder. Er hangt eng mit > Totenbraéuchen 
zusammen. Sein Bild schiitzt vor dem — Bo- 
sen Blick. 


Die Eule in Antike und Frithchristentum 

In der Antike gilt die Eule, Attribut der »eu- 
lenaiugigen« Athene, als Sinnbild der Weis- 
heit. Mit ihren Blicken durchdringt sie die 
Dunkelheit. Basilios vergleicht den heidni- 
schen Gottervogel mit den heidnischen Wis- 
senschaftlern, die sich um miiBige Weltweis- 
heit bemiihen, ohne die wahre christl. Er- 
kenntnis zu finden. Der Physiologos (vor 200) 
sieht die Eule gerade wegen ihrer Unreinheit 


113 


Evangelisten und ihre Symbole 


als Bild Christi, denn »er hat sich selbst ernied- 
rigt, damit er uns alle rette und wir erhdht 
wiirden.« 

Andererseits war die Eule schon im alten Kre- 
ta ein Unterweltsdamon. Altgriech. und rémi- 
scher Volksglaube sieht in ihr, ebenso wie der, 
der Agypter und Inder, eine Todesankiinderin 
und eine Unheilsbotin. 


Neugriechischer Volksglaube — 

Totenvogel und Amulett 

Gelaufige Beinamen fiir das Kauzchen sind 
»Totenvogel« (Chropoiili, Thanatopouli), He- 
xenvogel (Stringopouli), Unglticksvogel (Ka- 
kopouli). Ein Eulenvogel nachts auf dem 
Dach bedeutet, da8 im Hause jemand sterben 
muB8. So lautet ein frommer Wunsch auf Ke- 
phalonia: »Mégen die Kauzchen auf deinem 
Haus kreischen!« Um drohendes Unheil abzu- 
wehren, rufen die Frauen der Insel beim An- 
blick eines Eulenvogels dreimal beschwichti- 
gend: Ξ ἢ 
»Der gute Vogel (Kalopouli, anstatt Kakopouli) er- 
scheint und bringt uns gute Nachrichten. Nimm we- 
der Asche von meiner Ecke noch Dreck von meiner 
Nachbarschaft.« 


Dort gelten eine gerade —> Zahl von Eulenru- 
fen als Unheilszeichen, eine ungerade als 
gliickbringend. Wer einen Eulenvogel um- 
bringt, ist selbst des Todes. 

Wegen ihrer eindrucksvollen grofen runden 
Augen wird Eulen auch unterstellt, daB sie ei- 
nen mit dem — Bésen Blick verhexen kénnen 
(Waskania). 

Weil man sich gegen Bésen Blick und Unheil 
am besten mit dem schiitzt, was das Unheil 
bringt, waren in Griechenland von altersher 
Eulenamulette im Gebrauch. 


Evangelisten und ihre Symbole 
OI EYATTEAICTEC 
I Evangelistes 


Verfasser der vier kanonischen, im NT enthal- 
tenen Evangelien (gute Botschaften, Schilde- 
rungen des Lebens Jesu). 


Matthaus, Markus, Lukas und Johannes 
Als Verfasser der vier in griech. Sprache auf- 


gezeichneten Evangelien gelten: 


114 


vr Matthdus (16.November). Zéliner, einer 
der zw6lf —> Apostel, identisch mit Lewi 
(Matth. 9, 9). Nach der Legende missionierte 
er erst in Palistina, spaiter am Pontus, in Per- 
sien, auch in Athiopien (starb nach einer kop- 
tischen Uberlieferung den Martyrertod). ᾿ς 

vy Markus (25. April). Begleiter des Paulus 
(1. Reise). Passagen seines Evangeliums sollen 
auf Mitteilungen des Petrus beruhen, als des- 
sen Dolmetscher er gilt. Nach venezianischen 
Legenden sei sein Schiff wahrend eines Stur- 
mes in die Lagune, an der Stelle des dort spa- 
ter entstandenen Venedig, verschlagen wor- 
den, er habe dort eine Engelsvision gehabt, sei 
weitergereist nach Alexandrien, habe dort die 
Bischofstradition begriindet und sei anno 62 
als Martyrer gestorben. 


828 tiberfiihrten die Venezianer seine Gebeine in 


_die Lagunenstadt. Seither ist der gefliigelte Lowe 


mit Heiligenschein, die Vorderpranke auf einem 
Buch aufgestiitzt mit der Inschrift: »Pax tibi, Marce 


_ Evangelista meal« das Hoheitszeichen der Stadt. 


Der Schatz des Markusdomes enthalt eine reiche 
Sammlung an byz. Kunstschatzen, von Kreuzrittern ἡ 
und Venezianern bei der Pliinderung Konstantino- 
pels geraubt. 


ve Lukas (18.Oktober). Arzt und Reisebe- 
gleiter des Paulus. VerfaBte auch die Apostel- 
geschichte. Wegen seiner farbigen Schilderun- 
gen des Weihnachtsgeschehens wird er als der 
erste Portratist der Muttergottes angesehen 
(— Ikonenwunder) und als Maler mit der Staf- 
felei dargestelit. Soll in hohem Alter in Grie- 
chenland gestorben sein. 

yy Johannes der Evangelist (6.September), 
einer der Zw6lf, wie sein Bruder Jakobus Fi- 
scher. Das NT stellt die beiden zusammen mit 
Petrus als Christi Lieblingsjiinger heraus (> 
Kreuzigung). Jesus hat ihm am Kreuz seine 
Mutter anvertraut, der Legende nach ist er zu- 
sammen mit ihr nach Ephesus tibergesiedelt. 
Dem Verfasser dreier Briefe des NT wird zu 
Unrecht die Urheberschaft an der -> Apoka- 
lypse angelastet. 


Nach Patmos verbannt, soll er sie in einer Héhle 
seinem Schiiler Prochoros diktiert haben (Fresken 
in den Kirchen von Patmos schildern verschiedene 
Wundertaten des Johannes). Bisweilen wird sein 
Tod im hohen Alter nach dem Vorbilde der > 
Heimholung Maria angelegt. Von der Kirche nicht 
tibernommene Uberlieferungen enthalten die apo- 


Evangelisten und ihre Symbole 


kryphen Johannesakten: Der Evangelist nennt ein 
heimlich von ihm angefertigtes Bild wertlos, tiberre- 
det in einer Herberge eine Wanzenschar, ihn und 
seine Mitreisenden fiir eine Nacht in Ruhe zu las- 
sen, legt sich zum Sterben in seinem ausgehobenen 
Grab nieder. 

Die vier Beine des Altars reprasentieren in der 
Orthodoxie die zu den Aposteln gerechneten 
Evangelisten. 


Die Ursprungsformen der Evangelisten- 
symbole und die vier Himmelsrichtungen 
In friihchristl. Zeit werden ihnen vier Fligel- 


wesen aus der — Hesekiel-Vision zugeordnet. 


Jahwe, menschendahnlich gestaltet, sitzt ZWwi- 
schen‘und tiber vierfliigeligen Tieren, ausge- 
stattet mit je einem Menschen, einem Léwen-, 
einem Stier- und einem Adlergesicht. Diese 
Reprasentanten der vier Himmelsrichtungen 
treten an anderen Stellen in kanonischen und 
apokryphen Schriften zum AT als die vier 
Winde oder die vier Angesichtsengel (~ En- 
gel) auf. Aufgegriffen wird das Bild von 
Offbg. Joh. 4, 1-9: Hiner, der auf einem Stuhl 
im Regenbogen sitzt, ist umgeben von vier au- 
geniiberséten Tieren mit sechs Fligeln, die 
den Evangelistensymbolen bereits ziemlich 
ahniich sind. 

»Denn man kann nicht zugestehen, daB es mehr 
oder weniger als vier Evangelien gibt. Da es aber 
vier Gegenden der Welt, in der wir leben, gibt und 


vier Winde der vier Himmelsgegenden, da anderer- ° 


seits die Kirche iiber die ganze Erde ausgebreitet 
und das Evangelium und der Geist des Lebens die 
Saule und der Grund der Kirche sind, ist es folge- 


richtig, daB diese Kirche vier tragende Sadulen hat« 
(Irenaeus, um 180/189). 


Die Anschauung, da die Welt von vier Enden 
eingegrenzt werde, war es, die dazu fiihrte, 
da® vier Evangelien kanonisch festgelegt wur- 
den und da die Evangelisten mit den Fliigel- 
wesen der vier Richtungen verschmolzen: 


tv Die Evangelisten wurden als die vier Mis- 
sionare, die das Evangelium zu den vier Enden 
der Welt tragen, verstanden. 

te Origines (2.Jh.) kniipft in seinem Kom- 
mentar zum Johannesevangelium an die Vor- 
stellung an, daB die Welt auf vier Sdulen ruhe 
(— Ciborium): 

»Ich glaube, daB, so wie die vier Evangelien die 
Grundlagen des Glaubens der Kirche sind, und da 
wie auf dieser Grundlage das in Christus und Gott 
befriedete Weltall ruht ... so auch das johanndische 
Evangelium die Grundlage der anderen Evangelien 
ist.« 

vr Die schon sehr friih abgebildeten vier Flts- 
se (— Berg) unter einem Hiigel weisen nicht 
nur auf das Paradies hin, sondern werden auch 
als die Evangelien gedeutet. Zugleich sind die 
Paradiesesfliisse aber auch die die vier Seiten 
der Welt begrenzenden Gewéasser. 


»Deine lebensspendende Seite, Christe, die auf- 
sprudelt als Quelle aus Eden, trinkt Deine Kirche, 
die da ist das geistige Paradies, und die sich dort teilt 
als wie im Anfang in vier Evangelien, die den Kos- 
mos bewassern, die Schdpfulhg erfreuen und die 
Volker getreulich unterweisen, Dein K6nigtum 
kniefillig zu verehren.« Akolouthia der Leiden des 
Herrn vom »Roten Donnerstag« 


Ubersicht: Evangelistensymbole als Sinnbild Christi 


Evangelist Symbol  Altchristliche Deutung Deutung nach Hieronymus (gest. 420) 

Matthdus Mensch Christus ist Mensch Das Matthausevangelium beginnt mit der Mensch- . 
geworden werdung Christi 

Markus Lowe Ist wie ein Lowe Das Markusevangelium beginnt mit Johannes in der 
auferstanden Wiiste, wo die Lowen hausen 

Lukas Stier Wurde wie ein Stier Das Lukasevangelium beginnt mit dem Opferdienst 
geschlachtet des Priesters Zacharias 

Johannes Adler Ist wie ein —> Adler Johannes hat mit der Niederschrift seines Evange- 


zum Himmel gefahren 


liums einen adlergleichen Héhenflug vollzogen 


115 


Evangelisten und ihre Symbole 


Evangelistendarstellungen 


Evangelist auf einem Eckzwickel (Pendentif) unter 
dem Kuppelrund. 


Die byz. Kunst stellt, im Gegensatz zur friih- 
christl., die Evangelisten als Personen und 
nicht mehr als Symboltiere dar. Das Trullan- 
um (691/92) hat am Beispiel der Darstellung 
des —> Lammes kategorisch gefordert, die hei- 
ligen Gestalten selbst und nicht ihre Symbole 
abzubilden. : 

So verschwinden die Symbole aus der byz. 
Kunst, tauchen erst wieder unter abendlandi- 
schem Einfluf8 in postbyz. Zeit auf. 

In Ajios Nikélaos Fountoukli (Rhodos, ver- 
mutlich 14. Jh.) sind Stier- und Menschenfigur 
als Schnitzerei in die Lesepultstander von Mat- 
thdus und Lukas eingefiigt. 


116 


Standardplatze der Evangelisten sind vom 
9.Jh. an in Vierstiitzen-Kreuzkuppelkirchen 
die vier Eckzwickel, auf denen die Kuppel mit 
dem Pantokrator ruht. 

Sie sitzen mit einem Buch oder einer Schrift- 
rolle vor einem Schreibpult, mit Schreibzeug, 
Leuchter und Lichtputzschere (Elmali, Karan- 
lik und Carikli Kilise, Géreme, mittelbyz.). 
Matthdaus ist alt, mit weiBem vollem Haar und 
Bart, Markus jung, mit braunem Haar und ge- 
stutztem Bart, Lukas braunhaarig, mit tonsur- 
ahnlicher Stirnglatze und Backenbart (in spat- 
byz. Zeit mit Staffelei und Marienikone). Der 
weiBhaarige, langbartige Johannes hat oft sei- 
nen jugendlichen Schreiber Prochoros bei sich. 
Unter dem Namen des Prochoros, einem der 
sieben von der Urgemeinde gewdahlten »So- 
zialarbeiter« (Apg. 6. 5), wurde Anfang des 
5.Jh.s ein Johannesroman verfaBt, der als 
Quelle die apokryphen Johannesakten nutzte. 
Zu der Zeit entstand die Uberlieferung von 
Prochoros als Sekretar des Evangelisten. Auf 
den abgebildeten Biichern sind meist die An- 
fangsworte der Evangelien zu erkennen. 


Evangelisten-Medaillons aus Goldemail finden sich 
regelm4Big auf Staurotheken (Reliquienbehdlter ftir 
Splitter des heiligen Kreuzes) und auf Evangelien- 
biichern (viele davon im Schatz von San Marco). 
Um ein Kreuz gruppiert, versinnbildlichen die 
Evangelistenbilder die vier Paradiesesstréme, die 
vom wahren -- Lebensbaum des Kreuzes ausgehen 
als die vier Enden der Welt. 


Historische Entwicklung des 
Evangelistenmotivs 

In einem Fliesenornament (Santa Constanza, 
Rom, Anfang 4.Jh.) erscheinen die Evangeli- 
sten als vier Lammer, was der Symbolisierung 
der zw6lf Apostel (Sant’ Apollinare in Classe, 
Ravenna, Mitte 6.Jh.) bzw. die des —> Petrus 
und Paulus (Sarkophag, Ravenna, 5.Jh.) ent- 
spricht. Die friihestbekannten Darstellungen 
als Fliigelwesen stammen von 340 (Markus 
und Marcellinus-Katakombe, Rom). Im 5.1}. 
tragen sie den Nimbuskranz des — Himmel- 
fahrtschristus (Rom, Santa Sabina, 430) oder 
sie umschweben in Wolken, wie die vier kos- 
mischen Winde, das Gemmenkreuz tiber dem 
von den Apostelin in Menschengestalt flankier- 
ten Christus (Santa Pudenziana, Rom, Ende 
4. Jh.). 


Farben 


Fliigellos sind Stier und Lowe in der Apsis von 
Osios David (Thessaloniki, Ende 5.Jh.) sowie 
in San Vitale (Ravenna, Mitte 6.Jh.). Dort sit- 
zen die Evangelisten, nach oben blickend, mit 
ihren Biichern in der Hand in der Landschaft, 
iiber ihnen ihre realistisch gehaltenen Sym- 
bole. 

Der sog. »Stuhl des heiligen Markus« (Schatz San 
Marco), urspriinglich ein Kreuzreliquiar aus Alex- 
andrien (6.Jh.), kombiniert ebenfalls Reliefbildnis- 
se der Evangelisten mit den Symbolen, ausgebildet 
als Sternbilder. 


Vom ausgehenden 7. Jh. an werden die symbo- 
lischen Fliigelwesen in Byzanz von den sich auf 
ihre Werke konzentrierenden Evangelisten 
vor dem Schreibpult verdrangt. 

Engel tibernehmen jetzt ihre Platze rund um 
die Regenbogennimben der Himmelfahrt bzw. 
der Majestas Domini; die Evangelisten jedoch 
besetzen in mittel- und spétbyz. Zeit die kup- 
peltragenden Eckzwickel. Durch die Zuord- 
nung der Evangelisten zu entsprechenden 
funktionellen Partien der Kirchenarchitektur 
wird das gleiche ausgedriickt, wie durch das 
friihchristl. Motiv der Symbole, die Christus 
tragen. 

Die Evangelistensymbole umschweben post- 
byz. Darstellungen von Christus als Erzprie- 
ster, als Fresken auf den Steinbilderwanden 
der Mani (Peloponnes). 


Farben 


TA XPQMATA 
Ta chrémata 


Die byz. Kultur ist farbenfreudig. Bestimmten 
Motiven werden festgelegte Farben zugeord- 
net (s. Kasten). Zwischen dem 4. und dem 
15.Jh. ergeben sich erhebliche Anderungen in 
der Farbcharakteristik, die besonders den in 
der byz. Kunst bedeutungsvollen Hintergrund 
betreffen. 


Antike Plastizitat — byzantinische Farbigkeit 

Antiker Gétterglaube driickt sich aus in pral- 
ler K6rperlichkeit, dstliches spirituelles Chri- 
stentum in leuchtenden Farben. Mit dem Reli- 
gionsumschwung Anfang des 4. Jh.s verflachte 
die monumentale Bildhauerei in Stein zum 
Relief, auch wurden die Figuren kleiner und 


verloren ihre hellenistisch-spatantike Bewegt- 
heit. Dafiir leuchteten an Gew6lben und Wan- 
den sakraler Raiume Mosaiken aus farbfrohen 
Glaswiirfeln auf. Zuvor hat es nur Fu8boden- 
mosaiken gegeben — aus Natursteinen, weil 


᾿ Hellenismus und Kaiserzeit die Geddmpftheit 


heller gebrochener Farben bevorzugte. 

Auch fiir die Architektur wurden vom 4. Jh. an 
buntere Steinsorten verwendet, z.B. der rotli- 
che, den kaiserlichen Purpurfarben entspre- 
chende Porphyr fiir die Palaste und Sarkopha- 
ge der Herrscher. Farbenfreudiger wurden 
auch die Kleidermoden (was zu Protesten der 
Kirchenvater gegen den Luxus der farbigen 
Stoffe fiihrte!). 


Der allma&hliche Riickzug des k6rperlich plastischen 
Bildwerks in die Flache und das Herausstrahlen von 
Licht und Farbe aus zweidimensionalen Schépfun- 
gen signalisiert einen Wandel der Geistigkeit. 


Zuvor hatte der Mensch in seinen eigenen 
idealen Eigenschaften das Wirken der Gétter 
verspiirt. Ihnen hatte man dann das eigene 
Ideal schéner K6rperlichkeit als Behaltnis ed- 
ler Gesinnung ausgeformt in Stein und Bronze 
dargebracht — das Gottliche fiir die Gétter. 


Die christlich-neuplatonische Gottheit hingegen ist 
das Licht, dessen Strahlen, dadurch daf sie ins Fin- 
stere dringen und sich abschwachen, alles was exi- 
stiert, erschaffen. Das eigene Selbst ist noch ein 
schwacher Abglanz dieses Lichts. Das Ziel des ma- 
lerischen und des damit untrennbar verbundenen 
architektonischen Abbildens ist es jetzt, das gdétt- 
liche Licht selbst bildlich zu verwirklichen, nicht zu- 
letzt auch die Strahlenstufen, die noch naher der 
Gottheit sind, und daher auch noch starker leuchten 
als das eigene Selbst. Eindrucksvoll gelungen ist das 
in den beiden ravennatischen Baptisterien, im 
Grabmal der Galla Placidia und in der Ajia Sophia 
in Konstantinopel. 

Der Glaubige weif sich eingebunden in die himmli- 


sche und kirchliche Hierarchie. Da diese innere . 


Einstellung auch eine wesentlich nach innen ge- 
wandte ist, driickt sich besonders darin aus, daB 
auch jetzt Architektur vor allem eine Kunst des In- 
nenraumes ist — und da das greifbar FaBliche zu- 
riicktritt hinter den sich im Flirren der Mosaiksteine 
auflésenden Erscheinungen, die wie Visionen in den 
Augen aufstrahlen. ; 

Hier bereitet sich schon das gewaltige Thema der 
mittel- und spatbyz. Mystik vor — die »Theoria«, die 
mystische Schau Gottes. 


117 


Farben 


Festgelegte und frei gewahite Farben 

vv Zwischen Frihchristentum und Nachby- 
zantinik unterliegt das Kolorit einem beachtli- 
chen Wandel. 


Christus: Seine Tunika ist zundchst purpurfarben 
(blauliches Rot bis rétliches Violett — nicht immer 
von Rot zu unterscheiden). In San Vitale (6.Jh.) 
entspricht das hoheitsvolle Blau-Purpur seines Ge- 
wandes den Farben der Kaisertracht Justinians und 
Theodoras. 

Der mittelbyz. Himmelfahrts-Christus und vor al- 
lem der — Pantokrator tragt ein goldschraffiertes 
(= Licht) Untergewand und einen blauen (= Him- 
mel) Uberwurf. Doch wird Gold auch durch Licht- 
wei} ersetzt, in Fresken, durch gelblich-braunliche 
Tone. Der Christus der — Verklarung ist wei8 ge- 
wandet, der auf Erden wandelnde purpurfarben 
oder wei, jeweils mit blauem Uberwurf. Der Auf- 
erstehungs-Christus kann goldfarben sein, weiB 
oder rot. Der Christus Immanouil auf dem Arm der 
Gottesmutter ist in der Regel goldschraffiert. 
Gottesmutter: Zundchst purpurfarben gekleidet, 
trigt sie spater — in mittelbyz. Zeit — ein blanes Un- 
tergewand und ein ins Violette spielendes purpurnes 
Ubergewand. Sie kann aber auch blau gekleidet 
sein, ihr blauer Uberwurf zusdtzlich gold schraffiert 
(Apsis Sophienkathedrale, Kiev). In spatbyz. Zeit 
ist ihre Manteltunika rot, so wie die ihrer Mutter 
Anna. Nachbyz.-griech. Ikonen stellen sie dar mit 
blaurotem oder auch weiSem Uberwurf. 

vr Die Freiheit in der Wahl der Farbe ist den- 
noch iiberraschend gro8. Liturgische Farben 
hat die griech. Kirche nie festgelegt, bei den 
Priestergewandern gibt es lediglich unverbind- 
liche Tendenzen: 

v% Von Ostern bis Himmelfahrt soll die Gewan- 
dung wei8 oder hell sein, auch bei Bestattungen. 

vv Wahrend des groRen vorésterlichen Fastens wer- 
den dunkle Téne bevorzugt, meist blau oder violett, 
auch rot, als Hinweis auf Christi Blut. 

x Am Karfreitag und bei Bestattungen wird 
schwarz gewiahit. 

vr Die priesterlichen Untergewander sollen hell 
sein (> Gewdnder). 

Beispiele fir ungewdhnliches Kolorit von 
Fresken: 


ἧς Barbara Kilise So’anli (Kappadokien) 
1006/21: Leuchtend rote Lichtmandorla des 
Auferstehenden wirkt stark expressiv; ge- 
wOhnlich wird sie wei8 oder goldfarben ge- 
halten. 

vv Shakli Kilise, Géreme, 11.Jh.: Nur oran- 
gefarbene braune (Gewdnder, Lippenrot, 


118 


Holz) und griine Tone (Gesichter, Gewandde- 
tails, Laub) sind — unterschiedlich stark mit 
Wei aufgehellt — auf den hellen Felsenunter- 
grund aufgetragen; von aparter Wirkung. 


Weifs und Gold als Farbe des Lichtes 
Farbflachen im Hintergrund bedeuten himm- 
lisches Licht oder Himmel. Im frithen 4.Jh. 
dient Lichtwei8 - 415. Hintergrundfarbe (Mo- 
saik, Santa Constanza, Rom) — noch in An- 
kniipfung an die Naturfarbe der steinernen 
Mosaikfu8béden. 

Im 5. Jh. herrscht dunkelblaues, nachtiges Mo- 
saik vor, aus dem goldene Kreuze und Christo- 
gramme sonnenhaft herausleuchten (Galla 
Placidia, Baptisterium der Orthodoxen, Ra- 
venna ). 

Vom 6. Jh. setzt sich Goldmosaik als Himmels- 
licht-Hintergrund durch. 

Daneben hielt sich blauer Untergrund (Ajios 
Dimitrios, Thessaloniki, Mitte 7.Jh.), beson- 
ders in einfacheren landlichen Bauwerken mit 
Freskomalerei. 

Aus mittelbyz. Zeit stammen die groBen Gold- 
mosaikkirchen Konstantinopels und Griechen- 
lands, aber auch die bescheideneren ménchi- 
schen Héhlenkirchen Kappadokiens mit dun- 
kelblauem Untergrund. In kleineren Kirchen 
setzte man die Figuren einfach auf den unver- 
putzten Grund — Steinfarbe als Lichtwei des 
Hintergrundes. 

Fiir die Anlage von Lichtmandorlen hat man 
in Kappadokien haufig Wei anstelle des kost- 
spieligen Goldes benutzt. Im verarmten βρᾶϊ- 
byz. Reich wurde Goldmosaik (Chora-Kirche, 
Konstantinopel, 1315-1321) zur Raritat, in 
Einzelfallen ersetzt durch goldgelbe Fresko- 
malerei (Sopocani, Serbien, Mitte 13.Jh.). 
Blau wird zur Regel-Hintergrundfarbe — was 
kaum auffallt, weil Figur und Landschaft, im- 
mer detailreicher ausgefiihrt, den Hintergrund 
bis nahe an den oberen Rand der Bildflache 
zurtickdraéngen (Mistras). In der spat- und 
postbyz. Kunst beschrankt sich das Gold auf 
kleine Flachen, etwa auf einzelne Heiligen- 
scheine in der Wandmalerei, auf tragbare Iko- 
nen und auf die > Ikonostase. Naive griechi- 
sche Ikonen (19. und 20.Jh.) fiillen den Hin- 
tergrund mit Landschaft, halten den Himmel 
blau oder ahmen den Goldton mit Hilfe von 
Helibraun nach. 


Farben 


[ Ubersicht: Friihchristlich-byzantinische Farbpalette 


Farbe Positive Bedeutung Negative Bedeutung 
Gold Gdttliches Licht, Sonne Luxus 
Silber Mond (griinliches Silber, ersetzt durch Blaugriin) - 
Weil Licht (wie Gold), Leichentiicher, 
verklarter Christus (Theophanien), Trauerfarbe fiir Verwandte 
Nimben, : 1. Grades des Kaisers 
Reinheit (Braut), (nach orientalischem 
Selige, Vorbild) 
Heilige (friihchristlich), 
Priestergewander der Kirchenvater, 
Paradies 
Schwarz Selbsterniedrigung (Humilitas) Finsternis, 
BuBe, Trauer, 
Abtétung des Fleisches, Ungliick, 
Weltferne, Entriicktheit (schwarze Madonna) Damonen, 
Tod, 
Aufenthaltsort der Toten, 
Satan und seine Engel, 
Ort der Strafe 
Grau Asketengewander, - 
verstorbene Asketen 
Purpur Macht, Gerechtigkeit, Herrschaftsfarbe, fiir Christus und Martyrerblut, Martyrium, 
(teilsmehr den Kaiser (zeitweise durfte nur der Kaiser Purpur tragen, Spottgewand Christi 
rétlich, Porphyr war ihm vorbehalten), Farbe Marias und ihrer (vor der Kreuzigung) 
teils mehr  Prafigurationen, eucharistische Farbe von Altartiichern, 
violett) dem Tuch der Bundeslade, von Baldachinen 
Violett Bekennertum Luxus, Hetéren 
Blau Himmel, Himmelssehnsucht, Ewigkeit, Wasser - 
Griin Erde, Pflanzenschmuck im Paradies, Hoffnung auf das - 
Paradies (griines Lebensbaumkreuz), Auferstehung (der 
Natur im Friihling, und des Menschen), Erdverbundenheit 
(Johannes der Taufer, Propheten), Tinte des unmtindigen 
Kaisers oder des Kaiser-Stellvertreters 
Gelb Licht (Ersatz fiir Gold), Heiligenscheine auf Fresken Farbe der BuBe 
(schmutziges Gelb), Tod, 
Irrglaube, Heuchelei und 
Neid (gelbgriin) 
Orange Erde, Licht (Ersatz fiir Gold) - 
Rot Herrschaftsfarbe (als Ersatz fiir Purpur), Heilige, Martyrer, Blut, Siinde (Gewandung 
Liebe (Brautigam), antikonische Ornamente (Bilderstreit),  Evas bei der Auferstehung), 
Tinte des Kaisers, irdische Lebendigkeit (Gewandung Feuerstrom der Hille, 
Annas) Gewalt, Putzsucht, Eitelkeit 
Braun Erde, Demut, Bescheidenheit, Niedrigkeit, Eremitentum, - 
Asketentum, Erdverbundenheit (Johannes der Taufer) 
Viel- Géttliche Vollkommenheit (symbolisiert etwa durch viel- - 
farbigkeit  farbige Edelsteine auf Evangeliaren und Reliquiaren), 


Regenbogen als Triumphzeichen (Nimbus), AuBenmauer 
des himmlischen Jerusalem (Apokalypse 21) 


119 


Festtagskalender 


Festtagskalender 


TO AQAEKAOPOON 
To dodekaérthon 


Die »Zwolferordnung« umfaBt die zwdlf 
Hochfeste des Kirchenjahres und als 13. das 
Osterfest, das so hoch iiber den andern steht 
wie Christus tiber den zw6lf Aposteln (-5 Zahl 
13). 


Unbewegliche und bewegliche Hauptfeste 
τς Unbewegliche Hoch-Feste (vier Marien-, 
fiinf Christusfeste); 


ve — Geburt der Gottesmutter, mariologisch. 
8. September 

vy — Kreuzerhéhung, christologisch-kosmologisch, 
14, September 

yr —» Tempelgang Marid, mariologisch, 21.No- 
vember 

ve — Geburt Christi, christologisch. 25. Dezember 
ve — Taufe Christi im Jordan (Theophania = Got- 
tesoffenbarung), christologisch, 6. Januar 

vr —» Darstellung im Tempel, christologisch, 2.Fe- 
bruar 

vr —> Verkiindigung Maria, mariologisch, 25. Marz 
vr — Verklarung Christi, christologisch, 6. August 
wv -ὁἡ Heimholung Maria, mariologisch, 15. August. 


vy Bewegliche, vom Ostertermin abhangige, 
christologische Feste: 


vr -—> Einzug in Jerusalem (Palmsonntag), am 
Sonntag vor Ostern 

ve — Auferstehung Christi (> Ostern) 

vy —» Himmelfahrt Christi, 40 Tage nach Ostern, 
donnerstags 

xv — Pfingsten, 50 Tage nach Ostern. 

Der zeitliche Ablauf innerhalb des beweglichen 
Festkreises stimmt mit dem zeitlichen Ablauf des 
Passions- und Ostergeschehens nach den Evange- 
lien tiberein. 


Die Sonntage der Vorfastenzeit 

und der Fastenzeit 

Vom beweglichen Festkreis hangt die Vorfa- 
stenzeit mit Apokreos (griechischer Fasching) 
und die Fastenzeit (Passionszeit) ab: 


Vier Sonntage der Vorfastenzeit: 


Sonntag der Zdllner und Pharisaer 

Sonntag des verlorenen Sohnes 

Sonntag des Fleischverzichtes (Apokreos-Sonntag) 
Sonntag des Kaseverzichts. 


120 


Sechs Fastensonntage (~ Einzug in Jerusa- 
lem, — Kreuzigung, --Ὁ Kreuzerhéhung): 


Sonntag der Orthodoxie 

Sonntag des Gregor Palamas 

Sonntag der Verehrung des heiligen Kreuzes 
Sonntag des Gedichtnisses des Johannes Klimakos 
Sonntag der ehrwiirdigen Maria von Agypten 
Sonntag des Einzugs (Palmsonntag). 


Bildzyklen der Hauptfeste 

Dargestellt werden die Hauptfeste als Mosai- 
ken oder Fresken im Hauptschiff der Kirchen 
und zusitzlich als Ikonen in der Festbildreihe 
der -- Ikonostase. Der Zyklus umfa8te im 
7.Jh. sieben, im 8.Jh. zehn, ab 11.Jh. zehn, 
zwolf, 13, 16, 18 oder 19 Feste. Um 1000 war 
der Zyklus voll ausgebildet (altestes erhaltenes 
Beispiel mit zehn Darstellungen: Osios Lukas, 
Anfang 11.Jh.). In der Auswahl der Feste gibt 
es betrichtliche Abweichungen. Haufig wer- 
den die - Anbetung der Weisen, —> Lazarus, 
— Kreuzigung und der unglaubige —- Thomas 
einbezogen, dafiir andere Motive, wie der —> 
Tempelgang Mariae weggelassen. In christolo- 
gisch orientierten Zyklen wird die — Kreuzer- 
hédhung durch die Kreuzigung ersetzt. Die 
Festbildprogramme in den Wand- und Gewél- 
bezonen unterliegen einer Spannung: 

Sie wollen die Szenen in erzahlender Reihen- 
folge wiedergeben und zugleich das liturgisch- 
kalendarische Element betonen. Oft zwingt 
der Platz im Kircheninneren dazu, die Fest- 
bildzyklen entweder zu verkiirzen oder auszu- 
bauen. 


Hochfeste zweiter Ordnung 

ye — Beschneidung Christi (taucht selten im Dode- 
kaorthon auf), 1. Januar 

vx Geburt—> Johannes des Taufers, 1. Oktober 

ye Fest der Apostelfiirsten —» Petros und Paulos, 
29. Juni , 

yy Enthauptung — Johannes des Taufers, 29. Αυ-" 
gust. 


Fisch 
O IX@YC 
O ichthys 


Wichtigste Zuspeise zum Brot fiir unbegtiterte 
Menschen. Im Neugriechischen heiBt der 
Fisch »fo psarix, von altgriechisch »to opsa- 


Fisch 


rion«, d.h. zubereitete Zukost zum Brot. In 
frithchristl. Zeit kryptographisches Zeichen 
fiir Christus. 


Fisch als Kost in Palastina und Griechenland 
Fisch war in Palastina die wichtigste Zukost 
der Armen, auch fiir Jesus und seine Jtinger. 
Noch nach seiner Auferstehung nimmt er 
Fisch zu sich (Luk. 24, 41; Joh. 21, 9-13). 
Fleisch erwahnen die Evangelien nur im Hin- 
blick auf das Osterlamm des Abendmahls (> 
Lamm). Fiir die Griechen der Antike und des 
Mittelalters war der Fisch das Hauptnahrungs- 
mittel. 


Ritzzeichnung, Katakomben, Rom. 


Fische als Sinnbilder der zu rettenden 
Menschen 

Mindestens vier der Apostel waren Fischer. 
Fischfang ist das Gleichnis fiir ihre Missions- 
sendung: »... Ich will Euch zu Menschenfi- 
schern machen.« Matth. 4, 19. Gemeint ist die 
Rettung der Menschen (= Fische) vor dem 
Untergang im Chaos (= Meer; —-> Wunder am 
Meer, —> Taufe Christi, -> Noah). Clemens 
Alexandrinus (2. Jh.): 


»Fischer der Sterblichen, die sich retten lassen aus 
dem Meer der Bosheit ... aus feindlicher Flut.« 


Nach Eusebios gehen die Fische zugrunde, 
wenn sie gefangen werden, die Menschen, wenn 
sie sich dem Fischfang durch die Apostel ent- 
ziehen. In seinem Traktat iiber die Taufe (vor 
200) wendet Tertullian die Fischmetapher an: 


»Aber wir Fischlein werden gema8 unserm Ichthys, 
unserm Jesus Christus im Wasser geboren und nicht 
anders als durch den Aufenthalt im Wasser sind wir 
gerettet.« 


Alle Bilder tiber den Fischfang und die — Be- 
rufung der Jiinger spielen auf das Menschenfi- 
schermotiv an. Die Fische im Jordan auf Bil- 


dern der —> Taufe Christi meinen Tauflinge, 
ebenso wie die auf einem ikonoklastischen 
Wandbild abgebildeten Fischlein an Angelru- 
ten, herabhingend von einem im Wasser auf- 
gepflanzten Gemmenkreuz (Zelve, Kappado- 
kien, — Kreuz). 


Fisch — Akrostichon fiir Christus 

Obiges Tertullianzitat ist der friiheste bekann- 
te Hinweis auf die Gleichsetzung Fisch = Chri- 
stus — nach vorherrschender Auffassung das 
Ergebnis eines Buchstabenspieles: 


I Jesotis Jesus 

Xx Christés _ Christus 
Θ Theot Gottes 
Y Jids Sohn 

ς Sotir Retter 


Der griechische Schriftzug Ichthys -- fir die 
verfolgten Christen ab Mitte des 2.Jh.s ein 
Geheimzeichen — findet sich auch im lateini- 
schen Bereich haufig (Santa Sabina, Rom, 
422-432, auf der Schriftrolle des Christus der 
Theophania; Sant’ Apollinare in Classe, Ra- 
venna, 6.Jh. iiber dem Triumphkreuz in der 
Apsis; auf dem FuBbodenmosaik der Geburts- 
kirche in Bethlehem, frihjustinianisch; Grab- 
und Sarkophaginschriften 200-600, auf Tiir- 
sttirzen, Siegeln und Amuletten). 

Selten sind Fischsymbol-Zeichnungen (einige 
Beispiele auf Sarkophagen). 


Nachtraglich wurden noch zusatzlich bildhafte Be- 
deutungen in das Akrostichon hineingelegt: 

x Der Fisch Christus gibt sich als Abendmahlsspei- 
se hin. (Joh. 21, 1-14, das Fischmahl Christi nach 
seiner. Auferstehung; wundersame Vermehrung der 
finf Brote und zwei Fische). 

x Christus ist der Fisch im Meer der Bosheit. Das 
Meer wird dabei einerseits verstanden als die Welt, 
andererseits als Totenwelt, so daB die Metapher 
auch die — 6ésterliche Hadesfahrt Christi meinen 
kann. 


Im 6.Jh. geht im Sinne der Tendenz, Sinnbil- 
der durch ihre Vorbilder zu vertauschen, die 
Darstellung des Fischsymbols als Schrift wie 
als Zeichen zuriick. Doch vertritt noch auf 
mittelbyz. Darstellungen des letzten Abend- 
mahls der eucharistische Fisch das Brot bzw. 
das Lamm (Karanlik Kilise, Géreme 12. (7) 
Jh.); Pskow (Pleskau) um 1156, Mirozski Klo- 
ster). 


121 


ee : 
Relief mit Fischen, 8. oder 9. Sh. 
Nawplion, Peloponnes. 


oe 
cy 


Der groBe Fisch als Verkérperung 

des Chaos im Urmeer 

Der Riesenfisch bedeutet das Chaos des die 
Erde umgebenden Meeres (—-> Wunder am 
Meer): 

Ungeheuer des Jonas, in alttestamentlicher 
wie christlicher Auffassung. Riesenfisch und 
—» Drache sind austauschbar: Oben auf griech. 
Bilderwanden (— Ikonostasen) erscheinen un- 
ter dem Kreuz als Schnitzereien zwei Drachen 
oder Fische. 


Fub 
Ο πούς 
O pous 


Bestandteil des menschlichen K6rpers, der die 
innigste Beriihrung mit der Erde hat. Untere 
GliedmaBe, als schmutzig und niedrig ange- 
sehen. 


122 


, eingebaut in einen Kirchenbau aus der 2. Hiilfte des 12. Jh.s, Ajia Trias bei 


ia Ses ἰδῆς 


Heilvolle und unheilvolle Erdkontakte 

liber die Fiibe 

Die heilsamen Kriafte, mit denen die Erde be- 
sonders im Bezirk eines Heiligtums geladen 
ist, dringen in den barfu8 Gehenden von unten 
her ein. 

Zwecks Vermeidung von kultischen Verunrei- 
nigungen darf auch der jiidische Tempel zu Je- 
rusalem nur barfu8 mit gewaschenen FiiBen 
betreten werden: 


»Und er (Christus) nahm sie (die Jiinger) mit hin 
zum Reinigungsort (im Tempelvorhof) und ging im 
Tempel umher ... Levi, ein hoher Priester, sagte: 
Wer hat Dir gestattet, an diesem Reinigungsort her- 
umzulaufen, da weder Du Dich gebadet hast noch 
Deine Jiinger die FiiRe gewaschen ...« Der Heiland 
... Sagte: Du also bist rein?« Sagte jener zu ihm: 
»Ich bin rein, habe ich mich doch im Davidsteich 
gebadet und bin tiber die eine Treppe hinunterge- 
gangen und iiber die andere hinaufgegangen und 
habe weiBe Kleider angezogen.« Nazarierevange- 
liurn (judenchristlich apokryph) Vers 9 


τ 


Der auferstehende Christus tritt mit seinen FiiBen auf den gefesselten Hades. Barbara Kilise, So’anli, 


Lewi pflegte zwei verschiedene Treppen zu benut- 
zen, um sich nach dem Bad nicht an seinen eigenen 
unsauberen Fufspuren zu verunreinigen. Schuhe 
sind grundsatzlich unrein, auch weil sie aus der Haut 
getéteter Tiere bestehen. Kopten und athiopische 
Christen betreten auch heute den Altarraum bar- 
fuB, wie es auch — Basilios unter Berufung auf 
2.Mose 3, 5 verlangt hat (+ Brennender Dorn- 
busch). 

Fiir Muslims besteht das strikte Gebot, sich 
die Fii®e zu waschen, bevor sie ohne Schuhe 
die Teppiche einer Moschee betreten. 


Der FuB des Herrschers im Nacken 

des Unterlegenen 

Das demonstriert sinnfallig die Uberlegenheit 
des Siegers: 

»Du hast ihn zum Herrn gemacht tiber das Werk 
Deiner Hinde, alles hast Du unter seine FiiBe ge- 
tan.« Ps. 8, 7 


Auf einer Statue in Konstantinopel setzt Kai- 
ser Hadrian seinen Fu8 auf den Nacken eines 


= TE Seer 


besiegten Barbaren. Bei sportlichen Spielen 


_ im Hippodrom trat Justinian II. 705 anlaBlich 


seiner Riickkehr zur Macht auf die Halse zwei- 
er unterworfener Gegenkaiser. Der auferste- 
hende Christus tritt auf den sich unter ihm 
kriimmenden Hades (—> Ostern). 


ea cf 
ick 5 SPIRIT Sea 


Christus wascht Petrus die FiiBe. Goldmosaik Osios 
Lukas, Phokis, um 1000. 


123 


Geburt Christi 


FuBverehrung und FuBwaschung 

Jemandem etwas zu FiiBen zu legen, sich ihm 
zu FiiRen zu werfen (wie Maria und Martha 
vor Christus bei der Auferweckung des --Ὁ La- 
zarus), bedeutet ihn als Héherrangigen anzu- 
erkennen. 


In Stidostasien war eine Anrede fiir den Herrscher 
Pada (Fuf). Der Sprechende stuft sich als so winzig 
ein, daB er nur den FuB des Herrschers vor sich 
erkennen kann (dem ins Gesicht zu sehen keines- 
falls erlaubt war). Ahnlich im AT: 

»Wir wollen in seine (Jahwes) Wohnung gehen und 
anbeten vor seinem FuBschemel« Ps. 132, 7. »Der 
Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel 
meiner FiiRe.« Aussage Jahwes Jes. 66, 1 

Im Tréumen weisen laut altgriechischer Deutung 
Fii®e auf Sklaven und Dienerschaft hin. Den Gasten 
die staubbedeckten FiiBe zu waschen, war bei Grie- 
chen, R6mern und Juden eine feste Sitte; die Juden 
muteten diesen niedrigsten Dienst nur nichtjiidi- 
schen Sklaven zu. Die Fu8waschung Christi (> Pas- 
sionszyklus) war ein Zeichen a4uBerster Selbsthinga- 
be. Johannes der Taufer sagte tiber Christus: »Ich 
bin nicht wert, die Riemen seiner Sandalen aufzu- 
schniiren.« 


FuBabdriicke 

FuBabdrticke Christi werden in Jerusalem an 
der Stelle seines Verhéres gezeigt, die letzten 
Spuren des zum Himmel Auffahrenden auf 
dem Olberg. In der kappadokischen Sandalen- 
kirche (Carikli Kilise, Géreme) sollen die Ab- 
drticke der Himmelfahrt im Fu8boden nachge- 
formt worden sein. Riesenhafte Héhlungen 
auf dem Adams Peak in Sri Lanka gelten als 
die FuBspuren Buddhas, Shivas, Mohammeds 
oder Adams. 


Dagegen die gnostische Tradition: 

»Ich wollte aber oftmals, wenn ich mit ihm (Chri- 
stus) ging, seine Fu®spur auf der Erde sehen, ob sie 
eigentlich wahrzunehmen sei, denn ich beobachtete, 
wie er (beim Gehen) sich von der Erde weg erhob. 
Ich habe niemals eine gesehen« Johannesakten 93 


Geburt Christi 
HTENECIC TOY XPICTOY 
I Génesis tou Christot 


Die Menschwerdung bedeutet Herabstieg 
Gottes in die Niederungen der Finsternis. Mit 
dem Geborenwerden beginnt ftir Christus die 
Passion, wahrend der Menschheit das géttliche 


124 


Licht aufstrahlt. Das byz. Weihnachtsbild ist 
voller bedeutungsvoller Anspielungen, ein 
ikonographischer Mikrokosmos fiir sich selbst. 


Das Weihnachtsfest im Osten und im Westen 
Weihnachten wurde vom 4.Jh. an in Rom am 
25.Dezember, im ostrémischen Reich zu- 
ndchst am 6. Januar gefeiert. Dem Fest der Er- 
scheinung Christi (Epiphanie), urspriinglich 
nur auf die —> Taufe im Jordan bezogen, wur- 
de das Geburtsmotiv angelagert — als Gegen- 
gewicht gegen die haretische Lehre, da Chri- 
stus erst durch die Taufe die Gottessohnschaft 
erwarb. Auch gegeniiber Sekten, die Christus 
die menschliche Natur absprachen, war seine 
Geburt als Mensch zu betonen. Beide gleich- 
zeitig gefeierten Ereignisse gelten dem Anfang 
des irdischen Auftretens Christi gema8 seiner 
menschlichen Natur und als friiheste Offenba- 
rung seiner Gottlichkeit. Bei Christi Geburt 
»dem Fleische nach« und bei der Taufe leuch- 
tet das géttliche Licht auf — einmal als Stern 
und einmal als Strahl, in dem wie eine Taube 
der Heilige Geist auf Christus niederfahrt. 

Das Hochfest der'Geburt Christi (— Festtags- 
kalender) wird in Griechenland erst seit der 
Einfiihrung des gregorianischen Kalenders an 
dem auch im Westen iiblichen Weihnachtsda- 
tum (25.Dezember) begangen. Eine halbe 
Million Anhanger des alten Kalenders feiern 
ihre Kirchenfeste, wie die Russisch- und Ser- 
bisch-Orthodoxen, nach dem julianischen Ka- 
lender 13 Tage spater. 


In Rom war die Feier der alljahrlichen Neugeburt 
der Sonne mit der Geburt Christi als der Sonne des 
Heils und dem Licht des Lebens verschmolzen. Im 
Osten war und ist Christi Geburt der Beginn der 
Neuschépfung einer in die Finsternis abgeglittenen 
ersten Schépfung. Dies kosmische Verstiéndnis be- 
ruht auf dem im NT enthaltenen Schépfungsbericht, 
einer Zusammenschau der Urschépfung und ihrer 
Neuschépfung durch Christus: 

»Im Anfang war das Wort und das Wort war bei 
Gott und Gott war das Wort ... In ihm war das 
Leben und das Leben war das Licht der Menschen. 
Und das Licht schien in der Finsternis und die Fin- 
sternis hat es nicht begriffen ... Und das Wort ward 
Fleisch ...«, Joh. 1 


Geburt Christi und Liturgie 
Den Einzug des géttlichen Wortes in die Welt 
wiederholt auf symbolische Weise der Priester 


Geburt Christi 


allsonntaglich in der Liturgie der Katechoume- 
nen. Beim »kleinen Einzug« tragt er feierlich 
das Evangelium durch die Nordtiir der Bilder- 
wand heraus und schreitet mit ihm durch die 
K6énigspforte ins Allerheiligste. Dies bedeutet 
zugleich »Geburt des Logos« und Beginn des 
6ffentl. Wirkens Christi nach seiner Taufe.. 


»Als Sdugling geruhst Du Kind zu sein, Du, der Du 
das HimmelsgewOlbe mit Sternen geschmiickt und 
in die Krippe der unverniinftigen Tiere hast Du 
Dich gebettet, der Du in Deiner Faust zusammen- 
hiltst die Enden der Welt.« Aus der Liturgie des 
Weihnachtstages 


Die Liturgie gedenkt durch Lesungen aus dem 
AT und rituell-symbolische Handlungen auch 
der ErstschOpfung; sie wird erst dadurch voll- 
endet und erneuert, daB der Schépfer selbst 
zum Geschépf wird: 

+ Die schéne Pforte der Bilderwand ist zu Weih- 
nachten weit aufgetan: Die Pforten des Himmels 
sind gedffnet. 

ἧς Das Evangelium wird im Hauptschiff der Kirche 
ausgelegt: Das Wort kam in die Welt — der Logos ist 
geboren. 

vy In der Mitte der Kirche wird nach der Feier der 
Eucharistie eine groBe Kerze angeziindet: die neu- 
geborene Christussonne. 


Volkstiimliches Brauchtum zu Weihnachten 
Die orthodoxe Liturgie betont das géttliche 
Wirken im Heilsgeschehen, der Volksbrauch 
mehr das Menschliche an der Geburt des Hei- 
lands. 

Am 24., dem letzten Tag des strengen vor- 
weihnachtlichen Fastens, werden traditionsge- 
maR Trockenfriichte gegessen. Am 25. nach 
der Morgenliturgie findet »die Tafel der Mut- 
tergottes« statt, ein Festmahl, dessen wichtig- 
ster Bestandteil das am Vorabend gebackene 
siiBe Christopsomo (Christusbrot) ist. 

In Sinope am Schwarzen Meer tischten die ponti- 


schen Griechen den Uberrest des Christusbrotes der, 


Haus-Ikone auf. In einigen thrakischen Dérfern be- 
reiteten die Hausfrauen neun verschiedene Speisen, 
stellten sie auf einem kleinen Tisch vor den Haus- 
Ikonen auf und entziindeten Weihrauch: Die von 
der Geburt entkraftete Gottesmutter und der kleine 
Jesus sollten sich stérken. 

Hirten und Herdenbesitzer segnen ihre Stalle und 
Schafpferche mit Weihrauch. 

Die zwélf Tage zwischen Weihnachten und dem 
Theophaniefest bilden die Umbruchperiode vom al- 
ten zum neuen Jahr: 


»Guten Tag, Ihr hohen Herrn! Was steht denn nun 
zu Diensten? Des Christus géttliche Geburt, in Eu- 
rem Gutshaus zu verktinden. Christus, der ist gebo- 
ren heute, in Bethlehem, dem Stddtchen. Die Him- 
mel jauchzen laut vor Freud’ und alle Natur ist froh- 
lich. Tief in der Hohle kam er zur Welt, in der Futter- 
krippe der Pferde, der Herr iiber alle Himmel, und 
der Schépfer des Alls. In diesem hoheitsvollen Hause 
soll das Felsenfundament nicht bersten, und des Hau- 
ses hoher Herr, viele Jahre soll er leben.« Kalin imér- 
an drchontes, Weihnachts-Kalanta. 


An Weihnachten wie auch am 1. und 6. Januar 
ziehen junge Leute von Haus zu Haus, singen 
Kalanta (calendae waren in Rom die jeweils 
ersten Tage der Monate) mit Segenswiinschen. 
Die Hausfrauen revanchieren sich mit Ge- 
back, Niissen, Trockenobst und Kleingeld. 
Ebenfalls nach antikem Brauch wird der Herd 
kreuzweise mit Wein oder Ol begossen. 


Die Menschen schiitzen sich mit Kerzenlicht und 
Herdfeuer, das wahrend der zwélf Tage nicht ausge- 
hen darf, vor den Kallikantzari, den gespenstischen, 
Erdhéhlen bewohnenden »Stiefelwadlern«. 

Das Jahr tiber versuchen diese Erdgeister, alle Bau- 
me auf Erden mit ihren Axten zu vernichten. Kurz 
vor Weihnachten sind sie fast am Ziel, aber da wird 
Christus geboren und die Baume schieSen erneut in 
die Héhe. Voller Wut stiirmen die Erdgeister auf 
die Erdoberflache, trampeln mit ihren Eisenstiefeln 
darauf herum, dringen nachts durch die Schornstei- 
ne in die Hauser und erschrecken die Leute. Die 
Natur ist in Unordnung, das Wasser hat keine Rei- 
nigungs- und Heilkraft mehr, es herrscht Chaos — bis 
zum 6.Januar, wenn durch die Wasserweihe die 
Kallikantzari in ihre Erdhéhlen zurtickgescheucht 
werden, sich mit der —> Taufe Christi das Licht of- 
fenbart und die Welt firs neue Jahr wiedergeboren 
wird. 


Das Geburtsmotiv — 

Beschreibung und Deutung 

»Heute gebar die Jungfrau den, der schon war, be- 
vor alles andere war, und die Erde bereitet eine 
Hohle dem Unnahbaren. Die Engel lobpreisen mit 
den Hirten, die Weisen folgen dem Stern nach, 
denn fiir uns ist Gott, der tiber allen Zeiten ist, als 
kleines Kindlein geboren worden«, Liturgie zum 
Fest von Christi Geburt dem Fleische nach 


Dies Kontakion entspricht, mit Ausnahme des 
Hinweises auf die Héhle, den Geburtsberich- 
ten der Evangelien (Matth. 1, ‘5-2, 12 und 
Luk. 2, 1-21) und fiihrt auf die knappste For- 
mel gebracht, zum Kern der byz. Weihnachts- 


125 


Geburt Christi 


th 


Christi Geburt, Barbara Kilise, So’anli, 
Kappadokien. 


126 


darstellung. Die Gesamtheit ihrer Details sym- 
bolisiert das Erl6sungswerk Christi einschlie8- 
lich Tod und Auferstehung. Weil es Mensch- 
sein und Géttlichkeit Christi zugleich heraus- 
stellt, wird das Geburtsmotiv seit der friithen 
mittelbyz. Zeit vorzugsweise oben im Gewél- 
be, das als Zwischenzone zwischen Erde und 
Himmel anzusehen ist (> Kirchenbau), ange- 
ordnet, in den Kirchen des Acht-Stiitzen-Sy- 
stems oft in der Stidost-Trompe: Osios Lukas, 
Anfang 11.Jh.; Daphni bei Athen, Ende 
11. Jh.; Nea Moni Chios, 11. Jh. 


Historische Entwicklung des 
Weihnachtsmotivs 

Die friihesten, auf Christi Geburt verweisen- 
den Motive finden sich als Reliefs auf Deckel- 
oder Seitenwanden von Sarkophagen (etwa ab 
300). 


Weltweit ist die Uberzeugung verbreitet, da8 der 
Zustand des Menschen vor dem Eintritt ins Leben 
vergleichbar sei mit dem nach seinem Tode. Wie der 


Geburt Christi 


Verstorbene straff in Binden (— Lazarus) gewickelt 
wird, wird auch das Neugeborene so straff gewik- 
kelt, daB es sich kaum bewegen kann. Die Geburt 
auf dem Sarg besagt: Christi Geburt ist Ursache da- 
fiir, daB der Verstorbene zu einem jenseitigen Le- 
ben wiedergeboren wird. Aus dieser Tradition her- 
aus ist es zu verstehen, wenn auf der weihnachtli- 
chen »Tafel der Muttergottes« auch Speisen fiir die 
Toten bereitgestellt werden. 


Die frithen Weihnachtsdarstellungen lassen 
sich in zwei unterschiedliche Motive einteilen: 


tr, Das »Kind in der Kri, ippe« Motiv (Anfang 
4. Sh. ): Christus liegt in einem Korb oder einer 
Futterwanne, flankiert von Ochs und Esel. 


(Prophetenwort des AT: 

»Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die 
Worte seines Herrn, aber mein Volk hat nicht be- 
griffen ...« Jes. 1, 3.) 

Maria und Joseph fehlen noch, doch wird gele- 
gentlich ein Hirte dargestellt. Gregor_von-Nys- 
sa, Ambrosios von Mailand und Augustinus 
sehen den ‘unters Joch _gepreBten Ochsen als 
Vertreter des Judentums,. _auf dem_ das “Gesetz 


Mose 1 lastet, den Esel als Symbol des Heiden- - 


tums an. Beiden Teilen der christlichen 1 Ge- 
Heidenchr isten, ist Christus im Futterkorb vor- 
gesetzt — ein deutlicher Hinweis auf die > Eu- 
charistie. 

Folgerichtig wird spater aus Christi Krippe ein eu- 
charistischer, aus Hausteinen gefiigter Altar (auf El- 
fenbeintafelchen und Pilgerflaschchen, 5.Jh.). Bis 
heute bedeutet die Weihnachtskrippe zugleich den 
Grabsarkophag (—> Passionszyklus) Christi, der sei- 
nen toten Leib birgt, und den Abendmahlsaltar, auf 
dem sein Leib als unblutiges Opfer der Gemeinde 
vorgesetzt wird. Die Krippe verweist auf den Diskos 
mit der Prosphora, der ebenfalls Christi Krippe und 
Christi Grab darstellt (+ Proskomidie). 


yw Das »Anbetungsmotiv« (Satkophagreliefs 
1.Halfte 4.Jh.): Die  Weisen aus dem Mor- 
genland beten die Gottesmutter an. Sie sitzt 
mit dem Kind im Scho auf einem herrschaftli- 
chen Thron: Die ikonografisch folgenreichste 
Darstellung befand sich in der Apsis der Ge- 
burtskirche in Bethlehem, einer Griindung 
von Helena, der Mutter —> Konstantins 
(2. Viertel 4. Jh.). 

Ab Mitte des 4. Jh.s wurden die beiden Motive 
miteinander kombiniert. Hirten und Magier 
erscheinen nun gleichzeitig im Bild und vertre- 


ten, ihnlich wie Ochs und Esel, den jiidisch- 
christlichen und den _heidnisch-christlichen 
Teil des Gottesvolkes. Der Stem mit seinen 
acht Zacken, urspriinglich nur ein Leitgestirn 
fiir die > Weisen, wandelt sich zum Licht der 
Epiphanie.Gottes. Er strahlt jetzt direkt her- 
aus aus einem Himmelssegment, hinein in die 
Finsternis dieser Welt (Joh. I, 1-8). 
Unheilvolle Dunkelheit wird dargestellt durch 
die Bildmetapher der Hohle (vom 5.Jh. an) -- 
in Schriften erwahnt — von der Mitte des 2. Jh.s 
an. 

»Und er (Joseph) fand dort eine Hohle und geleitete 
sie (die hochschwangere Maria) hinein, und er lieB 
seine Sdhne ihr zur Seite und zog aus, um eine he- 
braische Hebamme in der Nahe von Bethlehem zu 
suchen.« Protevangelium des Jak. 18, 1, apokryph 


Auch Justinus der Martyrer kennt die Hohle 
(Dialog mit Tryphon 78, Mitte 2.Jh.), der Kir- 
chenvater Epiphanius (2. Halfte 4.Jh.) zitiert 
Luk. 2, 7 und ersetzt dabei das Wort Krippe 
durch H6hle: 


»... Und sie gebar ihren erstgeborenen Sohn, wik- 
kelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Héhle.« 


Die Liturgie des Weihnachtstages ruft Christus 
an: 

»Der Du in einer Héhle geboren und in eine 
Futterkrippe gebettet zu unserer Rettung ...« 
Abgebildet wird die Héhle auf palastinensi- 


‘ schen Pilgerflaschchen vom 5.Jh. an, in Form 


symbolischer Zeichen als Krippenaltar der Ge- 
burtskirche in Bethlehem, der einen Durch- 
blick erlaubt hinab in die als Krypta ausgebil- 
dete Geburtshéhle unter der Apsis (nach dem 
gleichen Prinzip war auch der konstantinische 
Altar iiber dem Heiligen Grab angelegt wor- 
den (— Darstellung im Tempel). 

Da in Palastina Hohlen als Stalle benutzt wur- 
den, kann die Héhlengeburt eine historische 
Tatsache gewesen sein. Das Motiv erinnert 
ebenso an die mythischen Héhlengeburten an- 
tiker Gottheiten, SS area 
einer Hohle des Berges Ida auf Kreta, des 
Zeussohnes Dionysos durch die Erdmutter Se- 
mele — nach anderen Quellen durch Demeter 
oder Persephone. Mithras, oft gleichgesetzt 
mit sol invictus (unbesiegbare Sonne), ist am 
25.Dezember aus einem Felsen geboren und 
von Hirten angebetet worden. 


127 


Geburt Christi 


Die Griechen sehen in den vorchristlichen Mythen 
iiber hdhlengeborene Gottheiten geheimnisvolle 
Vorbildungen, die auf das Christuskind in der Héh- 
le hinweisen. Spekulationen tiber die Historizitat 
treten fiir die orthodoxe Kirche hinter den theologi- 
schen Aspekt der Héhle (= Finsternis = auferste 
Gottesferne) zuriick. Sie stellt die bildliche Verkér- 
perung der Lehre von der »Entduferung« (Kenosis) 
dar: Christus hat, indem er in die 4uBerste Dunkel- 
heit der Héhle hinabstieg, durch seine Geburt als 
Mensch auf alle Gottlichkeit verzichtet. 

Die Geburtshéhle weist bereits hin auf die Hades- 
héhle, die Welt der Toten, in die Christus nach sei- 
ner Kreuzigung herabsteigt, um das géttliche Licht 
hinabzutragen in die auBerste Gottesferne. Von 
mittelbyz. Zeit an wird die Héhle inmitten einer 
Felslandschaft (> Berg) als ovaler Spalt wiederge- 
geben. Die Gottesmutter lagert auf einem roten 
ovalen Kissen, in oder vor der dunklen Hohle — tie- 
fenpsychologisch ist die Héhle als Symbol der Ge- 
barmutter und dariiber hinaus des weiblichen Prin- 
zips mit seinen lebensspendenden und bedrohlichen 
(Dunkel!) Aspekten zu verstehen. 


Erganzende Detailmotive 


yr Das Kind wird von zwei Frauen gebadet. Dieses 
Motiv ist als Szene in der Szene eingefiigt -- das 
Christuskind erscheint in der gleichen Darstellung 
zweimal. Mitunter wird die Verbindung zwischen 
dem Hauptmotiv und dem Nebenmotiv verstarkt: 
Die Gottesmutter blickt an Jesus in der Krippe vor- 
bei zu Jesus im Bad, und der Strahl des aus einem 
den Himmel wiedergebenden Kreissegment heraus- 
strahlenden — Sterns von Bethlehem zielt auf das~ 
Kind im Bad (anstatt auf die Krippe). Durch Bei- 
schriften werden die beiden stets sehr klein wieder- 
gegeberien dienstbaren Frauen als die Hebammen 
Zelanu und Salome (—> Marienzyklus) gekenn- 
zeichnet. 


Eine oder beide treten zunichst in Zusammen- 
hang mit der Uberpriifung der Jungfraulich- 
keit der Gottesmutter auf. Auf Geriten und 
Miniaturen vom 6.Jh. und auf nachikonokla- 
stischen Wandmalereien vom 9.Jh. an baden 
die beiden das Kind in einem kelchférmig ge- 
formten Becken, das an einen Taufstein erin- 
nert. Neugeborene gelten in friihchristlicher 
Zeit, wie bei Griechen, R6mern und Juden als 
k6rperlich und kultisch unrein, sie miissen un- 
bedingt gebadet werden. Das Motiv nimmt zu- 
gleich die > Taufe Christi im Jordan vorweg. 


Wie die Hohle, ist auch das Meer, reprdsentiert 
durch das Taufbecken, der Ort der Gottesferne, des 


128 


Todes. Eingetaucht werden bedeutet sterben — aber 
auch Freiwerden zu einer geistigen Wiedergeburt 
als Glaubiger. Das Bad symbolisiert Tod und Aufer- 
stehung Christi, so wie die Taufe Tod und Auferste- 
hung dessen bedeutet, der den Lebensweg Christi 
nachvolizieht. Die enge Bindung zwischen Weih- 
nachtsereignis und Taufe Christi wird auf manchen 
Festtagsbildanordnungen an Kirchenwanden her- 
vorgehoben: Der Stern tiber den beiden Szenen sen- 
det einen Strahl hin zum Kind in der Krippe, den 
andern zum Christus im Jordan. 


Die Hebamme links neben dem Badebecken 
halt das Kind oder priift die Temperatur des 
Wassers. Rechts steht Salome und schiittet 
Wasser aus einem Krug ins Bad. 

Der Krug ist ein Zeichen fiir die Gottesmutter 
selbst, ihr symbolischer Beiname, weil aus ihr 
das »Wasser des Lebens« — der Gottessohn, 
den sie gebiert — hervorgeht. Sie ist die — le- 
bensspendende Quelle; unterhalb von Salome 
wird gelegentlich ein Brunnen dargestellt. 


Geburt Christi, Tokali Kilise, Géreme, 
Kappadokien, Ende 10. Sh. 


ye Links tiber der Felsenkuppe, die die Héhle 
birgt, mehrere Engel, zwei bis zehn --, die mit 
ehrfiirchtig verhiillten — Handen das Neuge- 
borene anbeten oder darauf zeigen. Sie vernei- 
gen sich wie die - Weisen. Rechts vom Gipfel 
drei Verkiindigungsengel, teils zur Krippe, 
teils zu den Hirten unter ihnen gewandt und 


Geburt der Gottesmutier 


mit der »Christusgeste« (+ Hande) auf das 
Kind weisend. Haufiger Textzusatz Luk. 2, 9: 
»Fiirchtet Euch nicht«. Die Beischrift »Haltet 
ein mit dem Umbherschweifen in Feld und 
Flur«—- eine Anspielung auf Luk. 2, 8 (»Und es 
waren Hirten auf dem Felde, die schweiften 
umher in Feld und Flur und weideten des 
nachts ihre Herden«) — haben die Byzantiner 
m.E. anders verstanden, nimlich: »Haltet ein 
mit dem Spiel der Hirtenfléte!«. Sie haben 
agrawlourites (= Umherschweifende) als »Hir- 
tenfléte (wilde Fléte) Spielende« interpretiert. 
Eine Aufforderung, mit dem Flétenspiel inne 
zu.halten, kommt in der Weihnachts-Liturgie 
vor. Ab 10.Jh. taucht in den Geburtsdarstel- 
lungen ein Hirtenjunge auf, der die Fléte spielt 
oder sie vom Mund absetzt. 

In der Nahe der zumeist zwei oder drei Hirten, 
die sich der Héhle zuwenden, weiden Schafe 
und Ziegen. In einigen kappadokischen H6h- 
lenkirchen haben die Riicken der Tiere runde 
rote Flecken, ein Markierungsverfahren, das 
noch heute in Inneranatolien angewandt wird. 

Joseph sitzt, das Gesicht in einer Hand vergra- 
ben, abgesondert in einer (unteren) Ecke des 
Motivfeldes. 

Haufig redet ein stehender Hirte auf ihn ein. Dessen 
Wiedergabe im Vollprofil, sonst nur dem Teufel 
bzw. Judas vorbehalten, legt es nahe, in ihm eine 
Erscheinungsform des Versuchers zu sehen. Er blast 
dem vaterlichen Beschiitzer der Gottesmutter Zwei- 
fel an der jungfraulichen Geburt ein: 

»Joseph aber, ihr Mann, war rechtschaffen und 
wollte sie (ihrer Schwangerschaft wegen) nicht bloB- 
stellen. So beabsichtigte er, sie heimlich zu verlas- 
sen.« Matth. 1, 19 


Nach dem Bilderstreit wird das schon weitge- 
hend vervollstindigte Motiv zunachst einge- 
reiht in mehr oder minder ausfiihrlich ausge- 
baute Bildfolgen des > Marienzyklus. 
Innerhalb der einzelnen Bildstreifen ist die 
Szenentrennung lediglich dadurch angedeutet, 
daB die jeweils am Rande stehenden Figuren 
einander den Riicken zuwenden. Spater wer- 
den sie mit den gleichen roten und weiSen 
konturierten Linien unterteilt, die auch die 
FuBleisten der Zeilen bilden. Nach 1000 bildet 
sich der —> Festtagszyklus heraus, dem das 
Weihnachtsbild zugeordnet wird. Der Rest des 
Marienzyklus schrumpft, entfallt ganz oder 
wird in den Vorhallenbereich abgedrangt. 


Geburt der Gottesmutter 


TO ΓΕΝΈΘΛΙΟΝ THC QEOTOKOY 
To Genéthlion tis Theotékou 


Der Uberlieferung nach ist Maria das Kind 
von Joachim und Anna. Ihr Geburtstag gehért 
zu den zw6lf Hochfesten. 


Erster Festtag des Kirchenjahres 

Das Kirchenjahr beginnt am 1.September, die 
Mariengeburt ist das erste Hauptfest am 8. Sep- 
tember, doch wird es nicht in jedem —> Fest- 
tagszyklus beriicksichtigt. Maria ist gezeugt 
und geboren wie alle Sterblichen. Das ré- 
misch-katholische Dogma, ihre Mutter Anna 
habe sie bereits »unbefleckt« von Joachim 
empfangen, wird von der Ostkirche abgelehnt. 
Da bereits Justinian I. der Mutter Anna eine 
Kirche erbauen lieB, diirfte das Fest schon 
Mitte des 6.Jh.s in Konstantinopel bekannt 
gewesen sein. 

Anna, zunachst kinderlos, gebar erst in fortge- 
schrittenem Alter Maria; sie gehért deswegen 
zu den Heiligen, die von den Wéchnerinnen 
angerufen werden. Ihr Typus ist Sara aus dem 
AT, die dem — Abraham erst mit 100 Jahren 
Isaak gebar. 


Das Motiv der Geburt des Matienkindes 
»Joachim und Anna wurden befreit von der Schan- 
de der Kinderlosigkeit, und Adam und Eva vom 
Verwesen im Tode, o Allerreinste, infolge Deiner 
Geburt. So freuet sich denn auch Dein Volk, erldést 
von der Schuld seiner Missetaten und es ruft Dir zu: 
Die Unfruchtbare gebar die Gottesgebarerin und 
die Nahrerin unseres Lebens ...« Liturgie des Festes 
der Mariengeburt 


Maria wird in einem Haus geboren. Wie so oft 
in der byz. Kunst, deuten bildliche Kurzfor- 
meln der AuSenfassaden einen Innenraum an. 
Anna, in ein hellrotes Maphorion gehiillt, liegt 
oder sitzt auf einem Bett. Das eben geborene 
Kind hat ihr eine Hebamme abgenommen, um 
es zu baden. Der Vater Joachim halt sich ent- 
weder, nach dem Vorbilde Josephs (~ Geburt 
Christi) zuriick, steht z.B. unter der Tiir, fehlt 
mitunter véllig (Daphni, Athen, Ende 11. Jh.) 
oder sitzt Anna mit einer Kerze in der Hand 
gegeniiber. Dienerinnen bringen GefaBe. In 
der Chorakirche (Konstantinopel) sind es die 
»Téchter der Hebréer«. Quelle fiir die im NT 


129 


Georg, der siegreiche Reiterheilige 


Sak 


Chora 


nicht erwahnte Legende von der Mariengeburt 
ist das apokryphe Protevangelium des Jakobus 
(um 140). Dargestellt wird sie auf Einzeliko- 
nen, haufiger auf Wandmalereien innerhalb 
des —> Marienzyklus. 


Brauchtum rund um die Geburt 

In der Chorakirche werden die »Téchter der 
Hebréer« (aus dem Protevangelium) als Patin- 
nen aufgefaBt. Nach griechischer Sitte steuern 
sie zum Fest das ΟἹ fiir die Myronsalbung (> 
Mysterien) bei, eine bringt die Taufkerze oder 
eine Fackel. Die Kumpares (Paten) haben fiir 
alles, was zum Tauffest bendtigt wird, auch fiir 
Taufkleid und Geschenke, zu sorgen. Sie brin- 
gen geweihte Kerzen aus der Kirche mit nach 
Hause. Die leuchten, wenn das Leben be- 
ginnt, bei der Geburt, vor der Ikone des Heili- 
gen —> Eleutherios, und auch wenn es ver- 
léscht, am Totenbett (+ Heimholung Maria). 
Im alten Griechenland hatte die Geburtsgéttin 
Eileithia die Fackel getragen, wie auch Thana- 
tos (Tod), der sie jedoch nach unten hielt. 
Mitunter macht sich eine Dienerin an »Marias 
Wiege« zu schaffen. Die Griechen stecken ei- 


130 


a 


SEY, ran Te 


kirche, Konstantinopel, 1315-21. 


nem Neugeborenen eine Knoblauchzwiebel 
zwischen die Kissen, der scharfe Geruch ver- 
treibt die Damonen. 

-Ikonen der Heiligen Anna gibt es erst seit 
postbyz. Zeit. Von Marienikonen des Typs 
Odijitria (+ Maria) unterscheidet sie sich le- 
diglich durch das hellrote Maphorion, und 
durch die als winzige Erwachsene dargestellte 
Maria auf ihrem Arm. 


ὁ Georg, der siegreiche Reiterheilige 


O ATIOC TEQPTIOC NIKH®OPOC 
O Ajjios Jeérjios nikiféros 


Drachentéter zu Pferde, Schutzpatron der 
Landleute und der Krieger, der in Griechen- 
land popularste Heilige. Sein Pendant ist --ὸ 
Demetrios. 


Festtag und Volksglaube 

Der griechische Bauer halt sich an zwei Jahres- 
zeiten, Sommer und Winter. Die Wendepunk- 
te dazwischen werden von zwei Reiterheiligen 
markiert. Am Georgstag (23. April) beginnt 


Georg, der. Reiterheilige 


mit dem Sommer das landliche Wirtschafts- 
jahr, am Tag des -> Demetrios (26. Oktober) 
der Winter. O Ajios Jiorgos ist Schutzpatron 
der Bauern und Hirten ~ die Sommerkontrak- 
te fiir Landarbeiter und Schafhirten gelten von 
seinem Namenstag an — er schiitzt auch die 
Gefangenen, die Armen und die Soldaten. . 


Finer byz. Legende nach hatte ein Sarazene in Pala- 
stina in einer eroberten Kirche, die die Gebeine des 
Heiligen barg, auf ein Georgsmosaik im Gewélbe 
geschossen. Dicht vor dem Bild wendete der Pfeil 
und traf den Schiitzen mitten ins Herz. Der Mosaik- 
Géorg streckte seine Hand aus, die Sarazenen gerie- 
ten in Panik und trampelten sich gegenseitig tot. Die 
Berichte der Davongekommenen hatten zur Folge, 
da sich die Sarazenen einem Georgsheiligtum von 
nun an nur zitternd und ihn lobpreisend naherten. 


Aus Kleinasien vertriebene Griechen berich- 
ten, Georg sei oftmals hoch zu Rof als Licht- 
erscheinung aufgetaucht, um von muslimi- 
schen Tiirken bedrangte Christen zu retten. 
Im alten RuBland hatte man Georg als Schutz- 
patron gegen die Tataren angerufen. Ein Bild 
des Heiligen schmiickte die Kaiserbanner von 
mittelbyz. Zeit an, und heute noch die Regi- 
mentsflaggen des griech. Heeres. 


Georgslegende 

In einem See in Lykien (Kleinasien) hauste ein 
gewaltiger Drache, von den Umwohnern als 
Gott verehrt. Als Tribut fiir die allsommerli- 
che Bewdsserung der Felder verlangte das Un- 
getiim jahrlich ein Kind zum Fra8. Als die Rei- 
he an die Kénigstochter Elisabe kam, griff der 
Heilige aus Lydda in Kappadokien ein, ritt ge- 
gen den Drachen an und tétete ihn. Dieser Tat 
wegen haben sich viele Heiden, darunter auch 
die Frau des Kaisers Diokletian, zum Chri- 
stentum bekehrt — Ursache fiir Georgs Marty- 
rertod gegen 303. Nach einer anderen Uberlie- 
ferung wurde er als Soldat seines Christenglau- 
bens wegen gemartert. Seine Standhaftigkeit 
léste eine Welle von Bekehrungen aus. Nach 
dieser Version war es die Seele des bereits ge- 
téteten und zum Heiligen gewordenen Georg, 
die gegen den Drachen antrat. 


Nach orthodoxer Auffassung leben die Verstorbe- 
nen bis zur Wiederkunft Christi in einer ihnen vor- 
behaltenen Totenwelt. Die Heiligen jedoch werden 
gleich nach ihrem Tode vergéttlicht und k6nnen als 


Helfer bedringter Menschen 


schehnisse 
auf der Erde eingreifen. : 


Andros, 18. Th. i 


Darstellung Georgs als Drachentéter 
Auf griechischen, serbischen, rumanischen 
und russischen Ikonen reitet der Heilige, ju- 


‘gendlich bartlos, mit militérisch kurzem Haar, 


tiblicherweise von links her auf einem lichtwei- 
Ben RoB. Wei® hat die gréBtmégliche Nahe 
zum gottlichen Licht (in der griech. Mytholo- 
gie besiegt der Lichtgott Apollo die Schlange 
Python). Als Lichterscheinung haben auch die 
kleinasiatischen Griechen den Heiligen gese- 
hen. Sein Militarmantel, rot, in der Farbe des 
Martyrerblutes und. des Triumphes, flattert 
fliigelgleich hinter ihm her. Georg rammt dem 
Drachen unter ihm seine Lanze ins Maul. (Ei- 
ne friihe Fassung dieses Motivs bringt ein fla- 
ches Aufenrelief an der Nordwestwand der 
Kirche von Achtamar, Ostanatolien, 916-921; 
vom 13.Jh. an wird dieser Darstellungstyp po- 
pular. Der altere - Georg zu Pferde, aber ohne 
Drachen — ist selten.) Das als Kreuz ausgebil- 
dete Lanzenende bedeutet: Georg verdankt 
seinen Sieg nicht eigener Kraft, sondern der 
Gottes. Auf postbyz. Ikonen ist rechts als win- 


131 


Gewénder 


zige Gestalt Elisabe vor einer Stadtmauer zu 
sehen. Gelegentlich ragt von der rechten obe- 
ren Ecke aus die -> Hand Gottes, umgeben 
von einem mehrstrahligen blaulichen Him- 
melskreis, ins Bild; 6fters halt ein schweben- 
der Engel die Krone des Martyriums tiber den 
Heiligen. ; 


Georg als stehender Kriegerheiliger 
Zusammen mit den Megalomartyrern — De- 
metrios, Theodoros und Merkurios wird Ge- 
org bereits vom 9.Jh. an als stehender junger 
Mann in der Ritterriistung mit Schild und Lan- 
ze in den unteren Bildreihen an Kirchenwan- 
den dargestellt. 


Der heilige Georg in Ritterriistung, Ajios Nikolaos 
Orphanos, Thessaloniki, Anfang 14. Sh. 


wa 


Szenische Darstellungen mit Georg 

Als eigenstandige Wandmalerei oder als Mi- 
niaturbilder an den Randern von Ikonen kom- 
men folgende Szenen haufig vor: 


vr Georg wird gemartert oder getétet (wird gefan- 
gengenommen, aufs Rad geflochten, aber von ei- 


132 


nem Engel befreit, mit gliihenden Stiefeln gequalt, 
enthauptet). 

ve Georg tétet den besiegten Drachen, den er ge- 
fesselt in eine Stadt fiihrt, mit dem Schwert. 

yw Georg befreit -- eine der Wundertaten nach sei- 
nem Tode -- den Thermodatis (Teewasser-Einschen- 
ker). Er prescht durch ein Gewdsser. Auf der Krup- 
pe seines Pferdes ein orientalisch gekleideter Junge 
mit Teekanne oder Pokal in der Hand, er hatte See- 
raubern dienen miissen (Nikolaos Phountoukili, 
Rhodos, 14. Jh.). 

x Georg tétet hoch zu Ro& den Kaiser Diokletian 
(— Demetrios). 


Religionsgeschichtlicher und psychologischer 
Hintergrund des Drachenkampfes 

Georgs Drachenkampf wird als Sieg des Chri- 
stentums tiber das Heidentum, des Guten tiber 
das Bose (die Schlange des Paradieses ist der 
Teufel), des Lichtes iiber die Nacht angese- 
hen. Hinter dem weitverbreiteten Drachent6- 
termotiv steckt der Kampf der géttlich geord- 
neten Menschenwelt, des Kosmos, gegen das 
Chaos — letzteres symbolisiert durch das Dra- 
chenungeheuer der Unterwelt bzw. des Uroze- 
ans. (Germanisch: Siegfriedsage; mesopota- 
misch: Marduk tétet den Drachen des Herrn 
der Meere Tiamat und formt dessen Leiche 
um zur Welt; griech.: Apollon t6tet Python, 
Zeus Typhon, Herakles die Hydra.) 


Eine psychologische Interpretation im Jungschen 
Sinne legt das Néebenmotiv der Jungfrauenbefreiung 
nahe: Drache als chaotisch-zerstérerische Seite des 
miitterlichen Prinzips, das den Jugendlichen nicht 
loslassen und sich entfalten 1a8t. Erst wenn dessen 
Einflu8 tiberwunden ist, kann die »Jungfrau erobert 
werden«. Der Kampf stellt einen Reifeproze8 des 
Jugendlichen dar, in dem sich dessen Einstellung 
zur Frau wandelt. O Jeorgios heiBt im Alt- wie im 
Neugriechischen »der Bauer«, wortlich, »der, der 
die (miitterliche) Erde bearbeitet«. 


Gewander 


TA ®OPEMATA /OI CTOAEC 
Ta forémata/I stolés 


Die Kleidung auf byz. Bildern sagt viel tiber 
die aus, die sie tragen. Jedem Einzelteil von 
Priester- und Herrschergewandern wird eine 
besondere symbolische Bedeutung zugespro- 
chen. 


Gewédnder . 


Kleidung als abgrenzende und 

kennzeichnende Haut 

»Anlegen wollen wir des Fastens leichtes Ge- 
wand und ablegen des Rausches dunkles und 
driickendes Kleid.« Klésterliche Morgenliturgie 
vom Montag der ersten Fastenwoche 
Gewandung, eine zweite, ktinstlich geschaffe- 
ne Haut des Menschen, dient 


τς seinem Schutz — vor Kalte, Nasse, Sonne 
und Austrocknung. Kettenhemd oder Riistung 
verhindern Verletzungen durch Stich und 
Hieb oder Wurfgeschosse. 

Kleidung ist Abgrenzung gegen die Umwelt 
und ihre schadigenden Einwirkungen. 


ας der Kennzeichnung des Standes (Herr- 
‘scher, 


Krieger, Priester, Gewerbetreibender) 
oder der Lebensverhaltnisse (unverheiratete 
Frau, Verheiratete, Witwe). Auch die Uber- 
gangszustainde werden mit besonderer Klei- 
dung markiert (z.B. durch Tauf-, Hochzeits- 
oder Trauergewand). Kleidung dient also auch 
der Abgrenzung der Angehdérigen einer Grup- 
pe von den anderen. 


τς dazu, einen Menschen zum Trager beson- 
derer (Amts-)Eigenschaften oder Aufgaben zu 
machen. Mit magischer Kraft geladene Klei- 
der tibertragen diese auf den Trager. Das 
Monchs- oder Nonnengewand tiberdeckt sinn- 
liche Reize, die der K6rper ausstrahlt, und 
schiitzt zugleich seinen Trager vor den Einwir- 
kungen der AuSenwelt. Es soll dem Menschen 
Unk6rperlichkeit verleihen -- weshalb das 
Ménchsgewand auch »Engelkleid«, Kleid der 
»unkérperlichen Mdchte« (= Engel) genannt 
wird. Im Friihchristentum, auch bei den Kop- 
ten, ist es, der Lichtgestalt der — Engel ent- 
sprechend, weiB. Wei8B ist auch die Farbe der 
Unschuld, weswegen Neugetaufte, wie Jung- 
frauen, weiBgewandet sind (—> Farbe). 
Priester und Diakone werden erst dadurch zu 
amtierenden Liturgen, daf} sie eine Art von 
Stola anlegen. Kleidung ist notwendig, um 
Menschen ‘in einen bestimmten Zustand oder 
mit bestimmten Aufgaben anderen gegentiber 
abzugrenzen. 

Paulus wahlt darum fiir innere Einstellungen 
und geistige Zustinde das Bild des Kleides: 
»... das was verweslich ist, muf sich bekleiden 
mit Unverweslichkeit, was sterblich ist, mit Un- 
sterblichkeit.« 1. Kor. 15, 53 


x Diejenigen némlich, die in Christo getauft 
sind, haben sich mit Christus bekleidet ...« 
Gal. 3, 27 (auch 2. Kor. 5, 3, Eph. 4, 24; 6, 14, 
Kol.3,10). Kleidung bedeutet den durch Chri- 
stus verliehenen geistlichen Reichtum, Nackt- 
heit dagegen Armut, Not und hilfloses Aus- 
gesetztsein, auch Siindhaftigkeit. »... Alles ist 
nackt fiir seine (Gottes) Augen.« Hebr. 4, 13 
Von der kultischen Nacktheit der Antike 
(Gott geweihte Wettkampfe im »Gymnasion« 
= Nacktstatte), in der alle inneren und duBe- 
ren Grenzen zwischen den Menschen und der 
Gottheit aufgehoben werden sollten, ist im 
christlichen Ritus nach dem Vorbild des AT 
nur die BarfiiRigkeit im Altarraum (Kopten, 
Athiopier, — Fu) geblieben. 


Priester in liturgischer Gewandung, bekleidet mit 
Sticharion, Epitrachilion und Phelonion. 


133 


Gewdnder 


Ubersicht I: Priestergewinder 


Gewand Hypodiakon Diakon (unter- Priester (spendet die Bischof/Metropolit/ 
(dient dem Bi-  stiitzt den Priester -—» Mysterien- Taufe, Patriarch (spendet alle 
schof bei feier- in der Liturgie, Abendmahl, Kranken- Mysterien fiir Gemeinde 
lichen Anlds- —_ vermittelt zwi- Glung -- fiir die Ge- und Priester, auch Prie- 
sen) und Lek- schenGemeinde meinde) sterweihe!) 
tor (liest NT- und Priester, 

Texte und trigt handelt nicht 
Kerzen) selbstandig) 

Stola Orarion -- Orarion (=Binde). Epitrachilion (=um den Omophorion (= tiber der 
kreuzférmig Heller, seidener Hals Herumlaufendes). Schulter Getragenes). 
tiberdem Sti- Zeugstreifen, Verstarktes Seiden- Band, 25 X350.cm, meist 
charion getra- ὃ bis 10 250 bis band, 8 bis20X120cm, aus weiSer Seide. Wird 
gen. Unterdia- 400cm,tiberdie oft kunstvoll bestickt. locker um beide Schultern 
kone durften _linke Schulter ge- © Unterdem Obergewand gelegt, und zwar so, daB 
nichtzuallen hangtundschar- getragenundmitdem sich vor der Brust eine 
Zeiten eine penartigum Brust Giirtel befestigt. Umschlagfalte bildet und 
Stola tragen und Riicken ge- Form A: Um den Hals _ vor jeder Schulter ein gro- 
(Verbot im wunden herumgeschlagen mit Bes Kreuz zu sehen ist. 

4. Sh.). Rundeinschnitten fiir Ein Ende wird unter der 
Der Lektor, den Kopf. Beide Enden Wickelung tiber der lin- 
obwohl eben- fallen parallel nach ken Schulter durchgezo- 
falls mit einer vorne herab und sind gen und fallt vorne herab. 
Weihe verse-_ miteinander vernght. Verziert mit mindestens 
hen, darf keine Sieben Kreuze, eines fiinf, meist dunklen Kreu- 
Stola tragen davon im Nacken. zen. Zusatzlich trigt der 

Form B:Nurein Band _ Bischof das Epitrachilion 

fallt nach vorne herab. 

Am oberen Ende Aus- 

schnitt fiir den Kopf. 

Drei Kreuze 

Historische Ab 860: Schmales Ab 1000: Wei, schma- Ab5.Jh.: Vor dem 7.1}. 

Formen Band, lose iiber ler als heute, Enden sind Omophorien schma- 

(auf Ab- die linke Schulter hangen bald neben-, ler. Oft verdecken sie die 

bildungen) gelegt, vorne und __ bald iibereinander. Linke, die das Evange- 

hinterdem Rik- Abetwa 1300: lienbuch oder eine Schrift- 
kenherabfallend Heutige Form rolle halt. Die Stoffarbe 
ist immer wei, die Kreuze 
sind schwarz 

Gewand Sticharion — Sticharion -- Sticharion —sackartiges, Sticharion — sackartig sich 

(liturgische entsprichtder Hauptgewanddes weifes,sichnachunten nach unten erweiterndes 

Tunika) Diakonstunika, Diakons, sackartig erweiterndesGewand | Gewand mit engen Ar- 
ist aber ge- sich nach unten mit engen Armein. meln, meist wei8 mit eini- 
girtet. Heute erweiternd. Die Dient dem Priester als gen roten oder dunklen 
tragen auch Armel sind weit, — gegiirtetes Unter- Vertikalstreifen (Potami), 
Lektorenein _ wird ungegiirtet gewand gegiirtetes Untergewand 
Sticharion als —_ getragen 
Untergewand, 
allerdings un- 
gegiirtet 

Armel- - Epimanikia, liber Epimanikia, Stulpen, Epimanikia, Stoffstulpen, 

stulpen die Armel gescho- meist aus dem Stoffdes meist aus dem Stoff des 

bene Stoffstulpen Obergewandes Obergewandes , 


134 


Gewdnder 


| (Fortsetzung) Ubersicht I: Priestergewander 


Zonarion, Stoffgiirtel, 
ca.6X100cm, unterhalb ca. 6X100cm, unterhalb 
der Brust befestigt 


des Priesters) 

3. Epigonation (Aus- 
zeichnung fiir ver- 
diente Priester), iiber 
Eck gestelltes qua- 
dratisches Tuch, ca. 
5050 cm, riickwarts 
versteift, mit einer 
Schnur rechts am 
Giirtel getragen 


Sakkos, Obertunika mit 
weiten Armeln. Urspriing- 
lich (12. Jh.) nur vom 
Patriarchen, spater vom 
Metropoliten bei beson- 
deren Anlassen getragen. 
Mandyas, Manteliiber- 
wurf fiir den Aufenthalt 
im Freien, vorne offen, an 
Hals und vor den FiiBen 
geschlossen 


Sakkos-Darstellungen 
sind selten. Meist sind sie 
mit Kreuzen im Kreis ge- 
mustert. Ab 11. Jh. tragen 
Patriarchen, ab Polystaw- 
rion, ein iiber und tiber 
mit Kreuzen bedecktes 
Phelonion 


Mitra, Bischofskrone auf 
der Grundlage zweier sich 
kreuzender gewdlbter Bii- 
gel (ab 15. oder 16. Jh.) 


1. Stawrion (Brustkreuz) 

2. Panajia (Muttergottes- 
medaillon) 

3, Epigonation (als Aus- 
zeichnung) 

4. Paterissa (= Bischofs- 
stab) 


Giirtel Zonarion, 9 bis — Zonarion, Stoffgiirtel, 
10 X 250 bis 
300 cm groBes der Brust befestigt 
Band mit drei 
Kreuzen 
Um die Taille | Der Diakon legt 
gelegt, werden unmittelbar vor 
seine beiden der Austeilung des 
Enden nach hin- Abendmahls sein 
ten gefiihrt, hin- Orarion so an wie 
ter dem Riicken der Hypodiakon 
gekreuzt, iiber seinen Giirtel 
die Schulter ge- 
legt und nach 
unten fallend Zonarion des Hypodiakons. 
unter dem Gtir- 
telmittelteil 
festgesteckt 
Ober- Hypodiakone - Phelonion, halbkreis- 
gewand tragen kein férmig zugeschnittener 
(MeB- Obergewand, Uberwurf. Im Mittelteil 
gewand) Lektoren ein ein Durchschlupf fiir 
knappes Lekto- den Kopf. Auf dem 
ren-Phelonion Ricken ein grofes, 
(Kamision) aufgesticktes Kreuz 
Historische -- - Α09.1}.: Auf Abbil- 
Formen in dungen tragen Priester, 
alteren Bischéfe, Metropoliten 
Abbil- und Patriarchen haufig 
dungen ein einfarbiges Phelo- . 
nion 
Liturgische -- - Kamilawki, tibliche 
Kopf- schwarze Kopfbedek- 
bedeckung kung des Priesters 
Insignien “- - 1. Stawrion (Kreuz) 
2. Ewcholojion (= Hie- 
ratikon, Gebetbuch 


135 


Gewiinder 


Die beiden Epitrachilion-Typen, die von griechischen 
Priestern verwendet werden. Armenische Priester 
halten sich ausschlieBlich an die rechts abgebildete 
Form. : 


Priestergewander 

1. Die Stolen: 

»Gepriesen sei Gott, der seine Gnade ausgieBt tiber 
seinen Priester wie kostbares Salbél auf das Haupt, 
das herabflieBt auf den Bart, ja auf den Bart Aa- 
rons, das herabflie&t auf den Saum seines Gewan- 
des.« Lobpreis des Priesters, wenn er bei der feier- 
lichen Selbsteinkleidung vor der Liturgie das Epitra- 
chilion anlegt (+ Proskomidie). 


Die verschiedenen Typen von Stolen — aufge- 
kommen 2.Hilfte 4.Jh. — befahigen erst die 
priesterlichen Wiirdentriéger dazu, den Got- 


136 


tesdienst zu versehen. Das Band wird ihnen 
bei der Weihe verliehen. 
Folgende Gesichtspunkte spielen eine Rolle: 


yw Heiliges wird vor dem Kontakt mit Profa- 
hem geschiitzt. Man ergreift es nur mit ver- 
hillten Handen, ἃ es nicht mit der blofen 
Erde in Bertihrung kommen, sondern breitet 
Stoffe unter ihm aus (—> Einzug in Jerusalem). 
Die Bischéfe auf mittel- und spatbyz. Bildern 
halten das Evangelienbuch oder Schriftbander 
mit dem Omophorion. 

w In der zitierten Gebetsformel setzt der 
Priester das Epitrachilion gleich mit von Gott 
gespendetem Weihed]. Der von Gott zum 
Priester gesalbte Aaron im AT ist Typus des 
Priesters. 


In frihchristl. Zeit hat man iiber das heilige Kreuz 
in Jerusalem und iiber andere Reliquien -- Ol lau- 
fen lassen (—> Altar). Die Reliquie sollte mit Salbél, 
wie der Leichnam Christi durch die Myrrhetragerin- 
nen, geehrt werden. Zugleich fing man das Ol wie- 
der auf, das durch die Beriihrung damit selbst zu 
einer heilkraftigen Reliquie zweiter Ordnung ge- 
worden war. Friihchristl. Kirchen wurden tiber Mar- 


tyrergrabern errichtet oder bargen Reliquien. Di- . 


tekt dariiber stand der Altar. Durch einen Fenster- 
durchbruch an seiner Vorderseite konnte man Ol 
auf die Reliquie aufgieBen. Wegen der Schwierig- 
keiten, die fliissige Reliquie zweiter Ordnung wie- 
der aufzufangen, lieB man Bander, sog. Brandea, 
m.E. urspriinglich durchtrankt mit Ol — durch die 
Confessio hinab. Sie sollten sich vollsaugen mit der 
Kraft des Heiligen — wie die salbgetrankten Binden, 
mit denen die sterblichen Reste der M&rtyrer um- 
wickelt waren. 

Wir wissen, daB in Rom die Orarien vor der Prie- 
sterweihe auf die Confessio des Petrusgrabes gelegt 
wurden. Alles spricht dafiir, daB die frithesten Prie- 
ster- und Diakonenstolen geélte Brandea waren, 
daB8 sie aus praktischen Griinden das Reliquiendl fiir 
die Priesterweihe ersetzten. Das Epitrachilion wies 
den Priester als den mit Reliquienél Gesalbten des 
Herrn aus. 

Auch ein anderer Gesalbter Gottes tragt ein stolen- 
ahnliches Gewandteil, der ostrémische Kaiser. 
(Ubertragung von Heilkraft durch aufgeladene Ti- 
cher, —> Mariengiirtel). 


Weitere symbolische Andeutungen der Stolen 
vom 7.Jh. an: 


a) Das Orarion der Diakone als das Linnen- 
tuch, das die Engel fiir ihren Dienst brauchen 
(Deutung des 4. Jh.s), aber auch als Fliigelpaar 


[Dees ae rer 


Οσοεινάμαον 


Die Gottesmutter iiberreicht als Inhaberin des wundertatigen Giirtels dem Heiligen Nikolaos von Myra das 
bischdéfliche Omophorion, Christus tibergibtihm das Evangelienbuch. Ajios Nikolaos Orphanos, Thessaloniki, 
Anfang 14. Jh. (auch in Ajios Nikolaos bei Charaki, Rhodos, 17. Jh.). 


der Engel (Diakon in der Liturgie als > En- 
gel). Spatbyz. liturgierende Engel tragen oft 
prachtvolle Diakonengewander. 

b) Das Epitrachilion der Priester wird von 
Pseudogermanos als Halsfessel Christi be- 
zeichnet. Der linke Streifen wird als Rohr ge- 
deutet, das Christus bei seiner Verspottung 
halten muBte, der rechte als das Kreuz, das er 
getragen hat. Vom spaten Mittelalter an darf 
der Priester ohne Epitrachilion keine Amts- 
handlung vornehmen. Im Notfall muB er ein 
Band oder einen Giirtel segnen und ihn ent- 
sprechend umlegen. 

c) Das von Bischéfen, Metropoliten und Pa- 
triarchen wahrend der Liturgie benutzte Omo- 
phorion (rém.-kath. Pallium) als Sinnbild des 
verlorenen Schafchens (> Lamm), das der gu- 
te Hirte (Bischof in Vertretung Christi) zur 
Herde zuriickbringt. Urspriinglich aus Wolle, 
hat das Omophorion manchmal anstelle eines 


Kreuzes ein Lamm aufgestickt. Ein Omopho- 
rion zu verleihen bedeutet, jemanden zum Bi- 
schof zu ernennen. Seine Riickgabe (z.B. an 
den Patriarchen) beinhaltet Amtsverzicht. 


2: Das Untergewand 

»Freuen wird sich meine Seele in dem Herrn, denn 
er hat mir das Kleid des Heils angezogen und mit 
dem Gewande der Freude hat er mich bekleidet; 
wie einem Brautigam setzte er mir den Kranz auf 
und mit Schmuck hat er mich gezieret wie eine 
Braut.« Jes. 61, 10. Priester und Diakon beim An- 
legen des Sticharions (-- Proskomidie). 


Heute tragen alle Geweihten, vom Hypodia- 
kon bis zum Patriarchen, das Sticharion, ein 
Untergewand vom Typ Tunika. Bis gegen 
1300 trugen Subdiakone und Lektoren an sei- 
ner Stelle ein Obergewand. 


3. Die Armelstulpen 
»Deine Rechte verherrliche sich in Kraft; Deine 


137 


Gewdnder 


rechte Hand, Herr, zerschmettere die Feinde; mit 
der Fiille Deiner Herrlichkeit hast Du die Wider- 
sacher zermalmt.« 2. Mose 15, 6-7. Priester und 
Diakon beim Anlegen der rechten Stulpe. 

»Deine Hande haben mich geschaffen und gebildet, 
unterweise mich und ich werde Deine Gebote ken- 
nen.« Ps, 119 (118), 73. Priester und Diakon beim 
Anlegen der linken Stulpe. 


Die sog. Epimanikia sind nur in der éstlichen 
Kirche bekannt und etwa ab 1000 in Ge- 
brauch. 


4. Giirtel 

»Gelobet sei Gott, der mich mit Kraft umgiirtet und 
_meinen Weg ohne Tadel macht; meinen FiiBen gab 
er die Schnelligkeit des Hirsches und er erhob mich 
in die Héhen des Himmels. Ps. 18 (17), 33-34. Prie- 
ster beim Anlegen des Giirtels. 


Die Zoni oder das Zonarion des Priesters 
gleicht dem rém.-kath. Cingulum. Im AT und 
in der griech. Antike symbolisiert die vollkom- 
mene Kreisform des den Menschen ringartig 
umgebenden Giirtels Konzentration und Kraf- 
tesammeln. Der lederne Giirtel der Propheten 
(— Elias; + Johannes der Taufer) tibertragt 
auf sie Kraft und Emotionalitat der Tiere. 


»Sehet zu, (45 Eure Hiiften gegiirtet sind und eure 
Lichter brennen!« Luk. 12, 35. Gegiirtet sein hei®t 
im NT jederzeit aufbruchbereit zu sein: Das End- 
reich kommt mitten in der Nacht. Fiir die frithen 
M6nche war der Giirtel auch Schutzwall gegen die 
Damonen, gegen die sexuellen Liiste — ein Gegen- 
satz gegen die Verfiihrungskraft des Giirtels der 
Aphrodite. Der Giirtel ist fiir den K6rper ein 
Schutzwall, wie ein Mauerzug fiir eine Stadt (> Ma- 
riengiirtel). Die koptischen Ménche nehmen wah- 
rend der Feier der Eucharistie den Giirtel ab, um 
sich dem Heiligen véllig zu éffnen. 


5. Obergewand 

»Deine Priester kleidest Du in das Gewand der Ge- 
rechtigkeit und Deine Heiligen jauchzen vor Freude 
jetzt und immerdar und in Ewigkeit, Amen.« Prie- 
ster beim Anlegen des Phelonion. 


Das Phelonion der Griechen, Bulgaren und 
Russen (vergleichbar mit der r6m.-kath. Glok- 
kenkasel des Mittelalters) ist hervorgegangen 
aus einem besonders in der Kaiserzeit (ab 3. Jh. 
v.Chr.) verbreiteten mantelartigen Uberwurf 
(griechisch: Phaenolis, lateinisch: Paenula) — 
einem strapazierfaéhigen, auch von Soldaten 
getragenen Mantel. Das rund zugeschnittene 


138 


Tuchstiick mit gesiumtem Kopfdurchschlupf 
war bis Indien verbreitet (graeko-buddhisti- 
sche Gandara-Buddha-Statuen), wird spater 
zu einem Kleidungsstiick der Vornehmen, 
vom 9. Jh. an liturgisches Gewand. 

Das Polystawrion — auf Darstellungen (vom 
11.Jh. an) getragen von Kirchenvatern und 
priesterlichen Heiligen, ist ein Phelonion, be- 
deckt mit grofen ineinandergreifenden, 


schwarzen und weifen Kreuzen, Schachbrett- 
kreuzen oder — eucharistischen Kreuzen im 
Rechteckwinkel (auf Altardecken appliziert = 
Grab Christi). 


Kirchenvater, angetan mit einem als Polystawrion 
ausgebildeten Phelonion. : 
Pannaristos-Kirche, Konstantinopel, 1310-20. 


Der Sakkos (lat. Dalmatik), heute Bischofs- 
gewand, ist im 12. Jh. vom Patriarchen in Kon- 
stantinopel aus der Kaisertracht entlehnt wor- 
den. 

Den Mandyas, einen Manteliiberwurf, tragt 
der Bischof beim Einzug in die Kirche. 


6. Kopfbedeckungen 
Als liturgische Kopfbedeckung ist lediglich die 
nachbyz., bei Griechen und Russen tibliche 


del 


Gewédnder 


Mitra der Bisch6fe, Metropoliten und Patriar- 
chen bekannt. Auf kretischen und anderen 
spaten Ikonen wird diese geschlossene vergol- 
dete Krone von -- Christus als Erzpriester ge- 
tragen. 

Amtierende Geistliche sind auf alteren Dar- 
stellungen meist barhauptig; Heilige aus dem 
Bischofsstand — Bischéfe stammen alle aus 
dem Ménchsstand und sind unverheiratet — 
tragen mitunter Ménchskapuzen. Einige rémi- 
sche Pépste aus der Zeit vor der Trennung 
werden mit spitzer weiBer Miitze dargestellt, 
dem »Kamelauciume« oder »Phrygium«, frither 
auBérhalb der Kirche bei feierlichen Anlassen 
getragen. 

Schon vor 950 tragen die Patriarchen von 
Alexandrien eine kreuzverzierte, konisch sich 
zuspitzende, weiBe Kappe. Beide Spitzmiitzen 
ahneln den phrygischen Miitzen der drei Ma- 
gier (+ Anbetung der Weisen). 


7. Insignien 

Haufig dargestellt das Epigonation, ein qua- 
dratisches Stoffstiick, das rechts unter dem 
Phelonion hervorlugt oder auf dem Sakkos 
aufliegt. Vom 8.Jh. an wird es — Enchirion 
genannt — zunachst als reich verziertes, weich 
in Falten herabfallendes, tiber Eck gestelltes 
Tuchquadrat getragen (Gregor von Nyssa, So- 
phienkathedrale, Kiew, Mitte 12.Jh.; Torcel- 
lo, 11Jh.; Monreale, Ende 12.Jh.; San Marco, 
Venedig, 12. Jh.). Ein Zipfel des Tuches wur- 
de durch den Giirtel hindurchgesteckt. Die 
Wandlung zum riickseitig versteiften Epigona- 
tion setzte im 12. und 13. Jh. ein; heute zeigt es 
ein Schwert oder Kreuz auf blauem Grund, 
gilt als Schwert des Geistes Christi. 

Die Marienmedaille (Panajia) des Bischofs 
geht letztlich auf das Enkolpion zurtick, eine 
kleine Reliquienkapsel, in frithbyz. Zeit von 
Laien wie von Priestern getragen. 


Rockartiges, meist 4armelloses 
Untergewand. Die Seiten ver- 
naht, mit einem Giirtel bauschig 
zusammengehalten. Lange Chi- 
tone wurden bei festlichen Anlas- 
sen von Vornehmen, auch von 
Frauen, getragen, kurze von 
Handwerkern, Wanderern, Sol- 
daten. Der Chiton chalkeos war 
ein lederner, mit Erzplattchen be- 
schlagener Waffenrock 


Chiton 
(griechisch) 


Uber dem Chiton, seltener der 
Haut, getragenes, viereckig oder 
rund zugeschnittenes Tuch — 
vom linken Arm aus unter dem 
rechten durchgezogen, mit tiber 
die linke Schulter geworfenem 
Endzipfel. So blieb der Bewe- 
gungsspielraum der rechten Hand 
erhalten. Halbwiichsige und 
Frauen zogen das Himation gele- 
gentlich tiber den Kopf 


Himation 
(griechisch) 


Schultermantel, urspriinglich fiir 
mannliche Jugendliche, Reisen- 
de, Reiter und Soldaten, spater 
Bestandteil zeremonieller Trach- 
ten. Langsrechteckiges Tuch- 
stiick, iiber die linke Schulter 


Chlamys 
(griechisch- 
hellenistisch) 


Ubersicht II: Antike Gewandformen in der byzantinischen Kunst 


geworfen und iiber der rechten 
zusammengesteckt oder geknépft 
(Zierspange). Die Ecken (mit 
eingenahten Bleistiicken be- 
schwert) zipfelten herab 


Dalmatika 
(rémisch, 
spatkaiser- 
zeitlich) 


Ungegiirtetes Obergewand mit 
weiten Armeln — teils T-férmig 
zugeschnitten, teils sich nach un- 
ten verjiingend oder erweiternd. 
Sonderform einer Obertunika. 
Mitunter wurde dariiber ein 
Mantel getragen. H6fische Dal- 
matiken haben oft vorne ein 
unter dem rechten Unterarm 
schrag aufgesetztes Besatzstiick 
aus farbigem Stoff. Dieses sog. 
Tawlion diente, nur lose ange- 
naht, dazu, die Hande zu verhiil- 
len, um Ehrengeschenke vom 
Herrscher entgegenzunehmen 


Uberwurfmantel, wird vor der 
Brustmitte mit einer ZierschlieBe 
zusammengehalten. Das symme- 
trisch getragene Kleidungsstiick 
1aBt vorne einen Schlitz frei. 
Beide Hande haben Bewegungs- 
spielraum 


Lacerna 
(rémisch) 


139 


Gewdnder 


(Fortsetzung) Ubersicht II: Antike Gewand-. 
formen in der byzantinischen Kunst 


Divitision Uber einer Tunika getragene 
Obertunika mit halb- oder drei- 
viertellangen engen Armein. 
Ahnelt der langerarmeligen Dal- 
matika 

Maphorion Grofes quadratisches Tuch, von 

(rémisch: Frauen als Mantelkopftuch be- 

Maforte) nutzt (etwas gréBer als die Kopf- 
tiicher der Tiirkinnen heute). 
Meist mit kostbarer Stickerei um- 
bordet. Die unteren, Waden und 
Knie umspielenden Teile, oft mit 
Troddein geschmiickt 

Paenula Manteltuch mit Kopfdurch- 

(rémisch) schlupf, Vorform des priester- 

' lichen Phelonion 

Colobium Sehr lange armellose oder kurz- 

(rémisch, armelige Untertunika. Besteht 

spatkaiser- meist aus zwei, seitlich und oben 

zeitlich) zusammengenahten langlichen 


Tiichern mit freigelassenem 
Durchschlupf fiir Kopf und Arme 
(kolowos = verstiimmelt, fehler- 
haft geschnitten) 


Antike Kleidung fiir Personen des NT und AT 
Bis zum Untergang des byz. Reiches folgten 
die Kleidermoden Traditionen, die in der An- 
tike wurzelten, unterschieden sich jedoch 
durch lebhaftere Farbigkeit, reicheren orna- 
mentalen Dekor, tippigere Verwendung von 
edlen Metallen und Steinen (besonders welt- 
liche und geistliche Zeremonialtracht). Bibli- 
sche Gestalten tragen vom 4.Jh. bis heute 
schlichte antikische Gewdnder. 


w Christus, die Apostel sowie griech. Phi- 
losophen sind mit Chiton und Himation be- 
kleidet. Der Chiton des Pantokrator und das 
Himation des Christos Emmanouil sind meist 
goldschraffiert. 

Der Christus der Kreuzigung tragt in altchristl. 
Zeit, mitunter noch bis zum Jahre 1000, ein 
purpurfarbenes Colobium, spater ein einfa- 
ches Lendentuch, der Oberkérper bleibt unbe- 
kleidet. 

Christus bei der Verspottung ist angetan mit 
einem purpurnen armellosen Colobium. 


140 


vy Fast alle Frauengestalten des AT und NT — 
die Gottesmutter, die Marien am Grab, Eva — 
tragen einen langen Chiton, dariiber das Ma- 
phorion. Marias Maphorion ist dunkelblau, 
purpurn oder in spatbyz. Zeit rot, verziert mit 
drei goldenen Kreuzsternen (vor der Stirn und 
tiber den Schultern). 

vr Prophetengestalten des AT tragen Chiton 
und Chlamys, Johannes der Taufer wie Elias 
einen zottigen Manteliiberwurf oder ein Hima- 
tion liber einer Kamelhaartunika. 

vw Jtidische Priester aus dem AT und NT -- 
Melchisedek, Zacharias, der Hohepriester bei 
der Verurteilung Jesu — tragen Chiton und La- 


* cerna. 


ye Engel haben Chiton, dariiber Himation, 
beides in Weif}, als Diakonierende ab spatbyz. 
Zeit entsprechend Diakonenkleidung. 

ve Erzengel sind kaiserlich gekleidet: Diviti- 
sion, dariiber Chlamys und gelegentlich Loros. 
Auf russischen Ikonen tragen sie eine Lacerna 
liber dem Divitision oder Chiton und Hima- 
tion in kostbarer Ausfiihrung. 

vr Weibliche Allegorien, z.B. die Weisheit 
und Prophetie sind in Chiton und Himation 
gekleidet. 


Gewandung von Kaisern, Herrschern, 
Wirdentragern 

Die kaiserliche Tracht kommt auch K6nigen 
des AT zu (David und Salomon), haufig auch 
Erzengeln. 

In der frihen Zeit (Ravenna, 6.Jh.) tragen 
Kaiser (Justinian) und weltliche Wiirdentriger 
eine Chlamys mit Tawlion tiber einer langérm- 
ligen Tunika (ahnlich dem Divitision). Die 
Kaiserin Theodora hat — wie ihre Hofdamen — 
iiber ihrer Tunika einen purpurnen Uberwurf- 
mantel, 4hnlich einem Himation, der den ge- 
samten Oberk6érper verhiillt. Nur durch die 
groBen Diademe hebt sich das Kaiserpaar von 
den barhauptig Umstehenden ab. 

Zur mittelbyz. Zeit hin wandelt sich die kaiser- 
liche Tracht stark. Ihre Grundbestandteile: 
Krone, Divitision und der auffallige Loros (= - 
Riemen, ein breiter Zeremonialschal). Zwi- 
schen dem 8. und 10. Jh. ist es ein langer, brei- 
ter, mit Edelsteinen besetzer Goldgewebe- 
streifen, um den Hals gelegt und mehrfach in 
komplizierten Windungen um den Kérper ge- 
wickelt. Sein Ende liegt tiber dem linken Un- 


Gideon 


terarm. Diese dltere Loros-Form kommt auf 
Erzengeldarstellungen spater noch vor. In der 
Kaisergewandung setzt sich um 950 eine neue 
Form durch, die andere orthodoxe Herrscher 
(von Serbien bis Nubien) tibernehmen: Von 
einem breiten Schlupfkragen hangt der Loros 
glatt nach unten herab, fast bis zum unteren, 
die Knéchel verdeckenden Gewandsaum. Ein 
weiterer breiter Lorosteil ist um die Htifte ge- 
schlungen. 

Die Wiedergabe der Kleidung von — Kon- 
stantin und Helena paBt sich der jeweils zeitge- 
ndssischen Kaisertracht an. Abbildungen He- 
lenas aus dem 10. und 11.Jh. zeigen einen mit 
dem Loros verbundenen, tiber das rechte Bein 
gebreiteten Gewandumschlag, schildartig ver- 
steift und verziert mit dem Patriarchenkreuz. 
Dieses »Thorakion« — genaue Ausfithrung und 
Bedeutung sind nicht bekannt — tragen im 11. 
und 12. Jh. alle Kaiserinnen. (Irene, 1087-1118, 
Emaille, Schatz San Marco; Theodora, 
1042-1050, Diademplatte, Budapest; Eudokia, 
11. Jh., Emaille Istambul). 


Kostbare Gewebe wurden als so wichtig einge- 
schatzt, daB viele Werkstatten ausschlieBlich fir den 
Hof arbeiteten. Der Kaiser hatte das Privileg zu 
Herstellung, Vertrieb spezieller Stoffe (seit Justi- 
nian). Gemalte Zierbander der Innendekoration 
von Kirchen (Direkli Kilise, Belisirma, Kappado- 
kien, nach 1000) sind ahnlich ornamentiert wie die 
Loren von Kaisern und Erzengeln. Stoffmuster wer- 


den auch als Hintergrund fiir Kaiserdarstellungen. 


verwendet. (Yilanli Kilise, Ihlara, Mitte 11.Jh.) Die 
reichen Fresko- und Mosaikornamente in byz. Kir- 
chen sind Umsetzungen textiler Vorlagen. Vom 
kiinstlerischen Ejindruck her sorgen die tippigen 
Muster fiir eine Auflésung der schweren Steinw4n- 
de, auch der architektonischen tragenden Teile, in 
luftige Gewebe- und Teppichwande. 


Kriegertracht 

Soldatenheilige (+ Demetrios, -> Georg) und 
kampferische Erzengel (—> Michael) tragen ei- 
ne kurzérmelige knappe Tunika. Nach unten 
schurzartig gerundet, mit Metallplattchen oder 
Lederstiickchen besetzt, wird sie zum Panzer- 
hemd. Darunter ragt eine Untertunika hervor 
oder schlie&t sich das altrémische Cingulum 
militiae an, ein gepanzerter Kurzrock, beste- 
hend aus drei tibereinanderliegenden Girteln, 
beschlagen mit rechteckigen Metallplatten. 
Die Unterschenkel sind mit Gamaschen oder 


Flechtmuster aus Cavusin, héufig verwendetes 
byzantinisches Textilmuster. 


ledernen bzw. metallenen Beinschienen ge- 
schiitzt, die Unterarme oft mit Armschienen. 
Helme sind selten. 

Fast nie fehlt ein knapper chlamysahnlicher 
Mantel — rot oder auf der Innenseite ornamen- 
tiert (besonders bei —-> Michael). Bewaffnung: 
Lanze oder Schwert, Rund- oder Ovalschild 
bzw. in spatbyz. Zeit tropfenférmiger Schild. 


Kleidung von Heiligen und Martyrern 

Ihre Gewander folgen teils antikem Stil, teils 
der zum Darstellungszeitpunkt tiblichen Mo- 
de. Wert wird darauf gelegt, den Stand, dem 
sie in ihrem Leben angehérten, herauszu- 
stellen. 

Eremiten und Ménche sind in verschiedenarti- 
ge, stumpf einfarbene — dunkelgelbe, graue, 
braune — lange Gewdnder gehiillt und tragen 
haufig eine Kapuze. Ein graues Epitrachilion 
unter dem Obergewand kennzeichnet sie als 
Priesterménche. 


Gideon 


OTEAEQN 
O Gedeén 


Charismatischer Heerfiihrer der Vorkénigszeit 
(AT), besiegt die Mideaniter (Richt. 6-8). For- 
derte von Gott vor einer riskanten Schlacht ein 
Orakelzeichen: Ein Widderfell soll sich tiber 
Nacht voll Tau saugen, wahrend das Erdreich 
drumherum trocken bleibt. Seltenes spat- und 
nachbyz. Motiv: Gideon driickt aus einem Fell 
Wasser heraus, das eine Schale fiillt. Tau gilt 
als befruchtender Same Gottes, daher bildet 


141 


Granatapfel 


die Szene typologisch die —+ Verktindigung 
Marié, die damit verbundene Empfangnis 
Christi, sowie die jungfrauliche Geburt vor. 


Granatapfel 


TO PQIAI 
To rhoidi 


Eine in éstlichen Mittelmeerlandern weit ver- 
breitete Baumart, deren Friichte eSbar sind. 
Frucht- und Wurzelextrakte werden in der 
Volksmedizin verwendet. 


»... DaS wir friih aufstehen zu den Weinbergen, 
da wir sehen, ob der Weinstock sprosse und seine 
Bliiten aufgehen, ob die Granatbaume bliihen; da 
will ich Dir meine Liebe geben.« Hohelied Salomo- 
nis 7, 13 


Wegen seiner vielen tiefroten Kerne gilt der 
Granatapfel als Symbol der Liebe, des Kinder- 
segens, des Reichtums und der Fruchtbarkeit, 
aber auch als Symbol des Todes, der Unter- 
welt, der Gliickseligkeit der Verstorbenen. Im 
AT wird er mehrfach in der Liebeslyrik des 
Hohenliedes erwaéhnt. Granatapfelf6rmige 
Anhangsel zierten im Wechsel mit goldenen 
Gléckchen den unteren Saum des Priesterge- 
wandes Aarons (2. Mose, 33). 

Auf antiken Grabreliefs halt oder empfangt 
haufig der Verstorbene einen Granatapfel, 
und die Friichte kommen auf Totenmahl-Dar- 
stellungen vor. Die in die Unterwelt ver- 
schleppte Persephone (- Demetrios) muB all- 
jahrlich fiir die Winterzeit dahin zurtickkeh- 
ren, weil sie gedankenverloren einige Granat- 
apfelkerne genascht hat. Doch auch bei Hoch- 
zeitsbrauchen hat der Granatapfel eine Rolle 
gespielt. Einen Granatapfel auf den FuBboden 
zu schmettern, so daB die Kerne nach allen 
Seiten spritzen, ist ein verbreiteter neugriech. 
Volksbrauch — zu Neujahr, nach dem Kirch- 
gang oder nach der Hochzeitszeremonie, wenn 
das Brautpaar erstmalig das Haus betritt: Das 
soll Kindersegen und Wohlstand sichern. Mit- 
unter wird den Verstorbenen ein Granatapfel 
in die Hand gedriickt, und die Totenspeise 
Kollywa mu8 Granatkerne enthalten (— To- 
tenbréuche); damit Aussaaten aller Art még- 
lichst reiche Frucht bringen, werden ihnen 
Granatkerne beigefigt. 


142 


Granatapfelornament im Seitenschiffgew6lbe der 
Ajia Sophia, Konstantinopel. 


Friihchristl. Autoren werten das Rot der Gra- 
natkerne als Bild des Blutes und Leidens Chri- 
sti, die Vielzahl der Kerne als Bild fiir die vie- 
len Menschen, die sich als Glaubige innerhalb 
der Kirche versammeln, auch als Fiille des Le- 
bens, die den Glaubigen dermaleinst in der 
Gottesstadt zuteil wird. Granatapfelornamen- 
te in justinianischen Kirchengewélben spielen 
als naturtypologische Zeichen auf Christus- 
symbole an — der vierkammrige Granat auf das 
— Kreuz im Kreis, der achtkammrige (wie das . 
achtstrahlige Spinnennetzornament) auf das 
Sonnen-Christus-Monogramm im Kreis (Ajia 
Sophia, Konstantinopel, Seitenschiff- und Em- 
porengewélbe). 


Griechische Philosophen und Weise 


OI EAAHNIKOI ΦΙΛΟΟΟΦΟΙ KAI ΟΟΦΟΙ 
I Elliniki philos6fi ke s6fi 


Nach griech. Auffassung haben auch altgriech. 
Philosophen, ahnlich wie die Propheten und 
Patriarchen des AT, prophetisch auf Christus 
hingewiesen. Daher werden u.a. Aristoteles, 
Platon und Thukydidés in Wandmalereien 
dargestellt. 


Das Verhiltnis der christlichen Hellenen 

zur griechischen Antike 

Die nordischen Vélker haben das Christentum 
mehr oder weniger zusammen mit der lateini- 
schen Kultur ibernommen. Zu den Griechen 
war es zuvor als rein religidse Lehre gelangt: 


Griechische Philosophen und Weise 


Paulus hatte seine Verkiindigung — die in griech. 
Sprache abgefaBten »Briefe« — bewuSt vom 
kulturellen Umfeld des Judentums abgekop- 
pelt. So konnten die Griechen das Christen- 
tum in ihre eigenen kulturellen Traditionen 
einbauen. MaBgeblich daran mitgearbeitet ha- 
ben die > Kirchenvater des 4. Jh.s. Folgerich- 
tig ist die heidnische Antike fiir die griech. Or- 
thodoxie nicht nur eine Periode der Finsternis. 
Auch sie hat einen Abglanz géttlichen Lichtes 
(—> Schatten) empfangen. 


Griechische Weise in der byzantinischen 

Kunst 

vy O AIIOAAONIOC/ Apollonios von Tyana. 
Wundertatiger Philosoph aus Kappadokien 
(1.Jh. n.Chr.), anspruchsloser Pythagoraer 
und Heliosverehrer, unternahm weite Reisen 
nach Indien, Babylon, Agypten. Seine Ableh- 
nung des Tieropfers gilt als Hinweis auf die 

~» Eucharistie. 

Darstellung: Greis mit Turban und langem, 
grauem, gespaltenem Bart. 


Text: »Ich verkiindige in Dreien einen einzigen 
hochherrschenden Gott, dessen untilgbares Wort in 
einer Jungfrau empfangen werden wird. Dieser wird 
wie ein feuriges GeschoB dahinlaufen, dieser wird 
die ganze Welt lebendig fangen und dem Vater als 
Geschenk zufiihren.« 


τ O APICTOTEAHC/Aristoteles, Philo- 


soph aus Stajira/Chalkidiki (384-322 v. Chr.).- 


Erst Schiiler, dann Kritiker Platons. Erzieher 
Alexanders des Groen. Seine logischen Re- 
flexionen fiihrten zu einer Definition Gottes 
als »des sich selbst denkenden Denkens«. Be- 
sonders die » Quelle der Erkenninis« von --ὸ Jo- 
hannes Damaszenus enthilt aristotelische Ein- 
fitisse. 

Darstellung: Greis mit binsenférmig sprieBen- 
dem Bart. 

Text: »Das Entstehen Gottes ist seinem Wesen nach 


miihelos; denn aus ihm nimmt derselbe Logos We- 
sen an.« - 


¥% OTIAATQN/Platon, Philosoph aus Athen 
(427-347 v.Chr.). Schiiler des Sokrates. Pla- 
tons Ideenlehre beeinflu8te, insbesonders 
liber den christ]. Neuplatonismus des Diony- 
sios Areopagita (-> Himmlische und kirchliche 
Hierarchie) die byzantinische Bildtheologie. 
Darstellung: Greis mit breitem Bart. 


Text: »Der Alte ist neu und der Neue ist alt; der 
Vater ist im Sohne, und der Sohn ist im Vater; das 
Eine verteilt sich in drei, und drei sind eines.« 


x O MAOYTAPXOC/Plutarch, Philosoph 
und Historiker aus Chaironea (ca. 50-125 
n. Chr.) im byz. Reich gern gelesener Autor. 
Darstellung: Greis mit kahlem Kopf und spit- 
zem Bart. 


Text: »Uber der Héchsten von allem wird nichts 
anderes gedacht; der Logos ist aus ihr und nicht aus 
einer anderen, es wird aber gelehrt, daB die Weis- 
heit und der Logos Gottes die Grenzen der Erde 
umschlieBen.« 


¥ O ®IAQN/Philon, Religionsphilosoph jii- 
dischen Glaubens aus Alexandria (13 vor bis 
45/50 n.Chr.). Versuchte, hellenistische Phi- 
losophie und jiidische Religiositaét miteinander 
zu versOhnen. Bezeichnet den Logos als Mitt- 
ler zwischen Gott und der Welt. Origines und 
Clemens Alexandrinus (2.Jh.) haben Anre- 
gungen Philons aufgegriffen. 

Darstellung: Kahlképfiger Greis mit langem, 
gespaltenem Bart. 


Text: »Dieser schreitet tiber den groSen Himmel 
und wirft heriiber ein immerstrahlendes Licht und 
ein unsterbliches Feuer; vor ihm zittern die Him- 
mel, die Erde und das Meer, die Tiefe, die Unter- 
welt und die Teufel. Er ist aber der Urvater, der 
Vaterlose, der Allselige.« 


x O OOYKYAIAHC/Thukydides, Histori- 
ker aus Athen (ca. 460-400 v. Chr.), Teilneh- 
mer am peloponnesischen Krieg und ebenso 
zuverlassiger wie kritischer Geschichtsschrei- 
ber: Sein »Peloponnesischer Krieg« (zwischen 
Athen und Sparta) hat Prokopius, Hofhisto- 
riograph Kaiser Justinians I., beeinfluBt. 


Darstellung: Grauhaarig, mit dreigespaltenem 
Bart. 


Text: »Gott ist ein geistig Licht, und ihm kommt 
Lob zu. In seinem Geiste halt er alles, da er eins ist 
aus allem. Es gibt keinen anderen Gott, nicht einen 
Engel, nicht die Weisheit, nicht einen Damon, noch 
ein anderes Wesen; Er ist allein der Herr und der 
Schépfer des Alls, der vollendete Logos, das 
Fruchtbare aus dem Fruchtbaren; Er hat, kommend 
tiber die fruchtbare Natur, Wasser gemacht.« 


xr O COAQN/Solon der Athener (ca. 640-561 
v.Chr.), Gesetzgeber und Dichter. Ordnete 
die Gliederung der Biirgerschaft Athens neu. 
Wurde zu den sieben Weisen gezahlt. 


143 


Hades 


Darstellung: Greis mit rund geformtem Bart. 


Text: »Wird er einmal tiber diese vielgestaltige Erde 
erhoben werden, so wird das Fleisch ohne Makel 
werden. Als fortgesetztes Ziel wird die Gottheit die 
Verderbnis unheilbarer Leiden lésen. Und darum 
wird er zum Tode werden durch das unglaubige 
Volk. Und er wird auf der Héhe aufgehangt wer- 
den, und er wird alles mit Sanftmut leiden, freiwillig 
tragend.« 


¥ O CO®OKAHC/Sophokles, Tragdédien- 
dichter aus Athen (ca. 496-406 v.Chr.). Von 
seinen 130 Dramen sind sieben erhalten, dar- 
unter »Antigone«, »K6nig Odipus« und 
»Elektra«. 

Darstellung: Kahlképfiger Greis mit fiinfzipfe- 
ligem Bart. 


Text: »Gott ist ohne Anfang und einfach seiner Na- 
tur nach, der den Himmel mit der Erde erschaffen 
hat.« 


Nichtgriech. Seher sind Thules, Kénig von 
Agypten, und der Syrer Walaam (> Bileam). 


Die Seherin Sibylle 

Sibyllen sind ekstatische Seherinnen — ver- 
gleichbar der Kassandra. Der Name stammt 
von Sibylla Herophile, die in einer Héhle im 
kleinasiatischen Eritrea weissagte (vermutlich 
8.Jh). Sie gilt — falschlich — als Verfasserin der 
Sibyllinen, antiker Weissagebiicher und jiidi- 
scher Bticher mit nachtraglichen christl. Ein- 
schtiben (2. Halfte des 2.Jh.s). Im Abendland 
sind zundchst acht, spater zw6lf Sibyllinen als 
auRerbiblische Prophetinnen bekannt, in der 
byz. Malerei ist nur eine dargestellt: Sie sagte 
das Kreuz Christi und den Untergang Roms 
voraus. 


Text: »Es wird vom Himmel kommen der K6nig der 
Ewigkeit, und er wird richten alles Fleisch dieser 
Welt.« 


Hades 

O AAHC 

O adis 

Unterwelt als Aufenthaltsort der Toten und 
deren Personifikation. Kann den Tod (Tha- 


natos), den —> Charos, den Satan vertreten 
(— Ostern). Der Hades ist nicht die Holle. 


144 


Der Hades in der Antike 

Bei der Dreiteilung der Welt fiel Zeus der 
Himmel, Poseidon das Meer und Hades, Sohn 
des Kronos und der Rhea, die Unterwelt zu. 
Er war zugleich Herr tiber die Toten und die 
unterirdischen Schatze (Beiname Pluton = »der 
Reiche«). 

In der Spatantike wurde auch der — meist als 
unerfreulich angesehene — Aufenthaltsort der 
Toten Hades genannt. Erwahnt werden das im 
Westen gelegene Tor oder Haus des Hades — 
kosmische Parallelen zum Verstaindnis des 
Grabes als Offnung der Erde und als Aufent- 
haltsort der Toten. 


Der Hades im neugriechischen Volksglauben 
»Sagt uns, was wiBt ihr Neidischen unten im unteren 
Kosmos, wo kein Reigentanz stattfindet, wo es kei- 
ne Freude gibt, wo die WeiBen schwarz werden und 
die Schwarzen noch schwarzer, und wo innerhalb 
der 40 Tage Gelenke sich von Gelenken trennen. 
Es fallen aus die blonden Haare, es schwinden 
die schwarzen Augen, und Trennung erleiden der 
Rumpf und die Haut.« Klagelied aus Kephalonia 
(> Totenbrauche, — Zahi 40) 


Die gegensdtzlichen Vorstellungen, daB die 
Toten einerseits weit weg in der Unterwelt 
hausen, andererseits als lebendige Leichname 
in den Grabern wohnen, sind im Volksglauben 
miteinander verquickt. Als personifizierte Ge- 
stalt erscheint der Hades nirgendwo mehr 
(— Charos). 


Der Platz des Hades im orthodoxen 
Christentum 

Nach orthodoxer Auffassung steigen die Ver- 
storbenen in den Hades hinab, hausen dort in 
einem Zwischenzustand bis zur Wiederkunft 
Christi; sie ahnen etwas voraus von ewiger Se- 
ligkeit oder Abgleiten ins Dunkel. Die Fiirbit- 
te der Lebenden kommt den Toten zugute, oh- 
ne da jedoch Leistungen der Lebenden mit 
Erleichterungen fiir die Toten »verrechnet« 
wiirden. Gott erhért die Gebete aus Gnade. — 
Das Purgatorium (reinigendes Fegefeuer) wird 
von der Orthodoxie abgelehnt. 

Die Heiligen ruhen, nach —- Johannes Damas- 
zenus, in der Hand Gottes: »... Der Tod der 
Heiligen ist eher ein Schlaf als Tod ...«, sie 
kénnen bei Gott Fiirbitte fiir die Lebenden 
einlegen und aus ihrem Zwischendasein her- 


Hiinde 


aus durch Wunder auf der Erde eingreifen 
(» Georg). Den Herrscher der Unterwelt, 
auf den Christus bei seiner -- Auferstehung 
(— Ostern) tritt, wird in Beischriften teils als 
Hades, teils als —> Charos, teils als Satan 
(-» Teufel) bezeichnet. Das apokryphe Niko- 
demus-Evangelium nennt die Totenwelt wie 
ihren Beherrscher Hades. 


Hande 
TA XEIPIA 


Ta chéria 


Gesten auf byz. Bildern haben genau fest- 
gelegte Bedeutungen. Handhaltungen, die nur 
vage »Gestimmtheiten« ausdriicken, sind sel- 
ten. 


In den Mittelmeerlandern sind Handzeichen, die 
das gesprochene Wort unterstreichen oder ersetzen, 
traditionell starker verbreitet als im Norden. Asiati- 
sche Kulturen verfiigen iiber einen reichen »Wort- 
schatz« an religidsen Gesten (Mudras), Gebete, die 
mit den Fingern ausgeformt werden (Buddhadar- 
stellungen). 


Segensgestus Christi 
»Wenn du die segnende Hand malst, so verbinde 
- nicht die drei Finger miteinander, sondern verbinde 
den Daumen und den, der neben dem Mittelfinger 
ist (Ringfinger), wodurch dann der gerade Finger, 
der Zeigefinger und die Biegung des Mittelfingers 
den Namen J 5 andeuten: Der Zeigefinger bezeich- 
net das J, der gekriimmte (Mittelfinger) aber, der 
neben ihm ist, das S (das gekriimmte byz. groBe 
Sigma). Der Daumen aber und der Ringfinger, wel- 
che kreuzweise miteinander verbunden sind, und 
die Biegung des kleinen Fingers daneben deuten 
den Namen Ch S an. Denn die Querstellung des 
Daumens, der mit dem Ringfinger ist, zeigt deri 
Buchstaben Ch, der kleine Finger, der die krumme 
Gestalt hat, deutet das S an, wodurch der Name Ch 
S gebildet wird. Darum wurden durch géttliche Vor- 
sehung vom Weltenschépfer die Finger der mensch- 
lichen Hand in solcher Weise geformt, deren nicht 
mehr und nicht weniger notwendig sind, um diesen 
Namen zu kiinden.« Ermenia (Malerhandbuch vom 
Berge Athos) 


Die charakteristische Fingerhaltung der rech- 
ten Hand, die die Abktirzung des Namens Je- 
sus Christus formt, kommt bereits auf Mosai- 
ken: des 6.Jh.s vor (Metamorphosis Christi, 
Apsis Katholikon, Sinai, 565/66; San Vitale 


ἰΞΞΡ ΣΤ tex rica ANS Sat 


Die Rechte des Kuppelpantokrators in Daphni (Ende 
11. Jh.) formt die Christusgeste. 


und Sant’Apollinare, in Classe, Ravenna, 
Mitte 6.Jh.). Anfanglich ist die Fingerhaltung 
nicht immer von der Zweifingergeste (zwei 
Naturen Christi) klar zu unterscheiden. Ab 
mittelbyz. Zeit zeigen alle Christusabbildun- 
gen deutlich die Christusgeste. Mit ihr voll- 
zieht Christus seine Wunder, mit ihr deutet 
der Verkiindigungsengel auf die Gottesmut- 
ter. Sie wird von Heiligen und Propheten, von 
Geistlichen beim Segnen geformt. 


Bekreuzigung . 

Die orthodoxen Christen bekreuzigen sich 
dreimal (Trinitat), wenn sie an einer Kirche 
vorbeikommen, wenn sie eine Ikone kiissen, 
auch bei bestimmten Héhepunkten der Litur- 
gie: Die Rechte tippt an die Stirn, schwingt im 
Bogen nach unten vor die Brust, beriihrt dann 
—im Gegensatz zur rémisch-katholischen Pra- 
xis — erst die rechte und dann die linke Schul- 
ter. Die Hand selbst bildet dabei eine Dreiheit 
aus Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger 
(Trinitatszeichen), wahrend Ring- und kleiner 
Finger angewinkelt bleiben. 


Die Dreifinger-Bekreuzigung wurde 1653 vom russi- 
schen Patriarchen Nikon verfiigt. Daraufhin spalte- 
ten sich die Altglaubigen von der Orthodoxie ab; sie 
halten an der zuvor tiblichen Zweifinger-Bekreuzi- 
gung mit gestrecktem Daumen und Mittelfinger fest 
(Hinweis auf Christi gdttliche und menschliche 
Natur). 


145 


- Hand Gottes 


Das Verhiillen der Hinde 

Spatestens um 300 unter Diokletian ist der ur- 
sprtinglich orientalische Brauch, die Hinde 
mit seinem Gewand, einem besonderen Man- 
tel oder Tuch zu verhiillen, wenn man dem 
Herrscher etwas zu geben oder etwas von ihm 
zu empfangen hatte, am rémischen Hof einge- 
fiihrt worden. Die Geste, die auch die Kleider- 
mode (Tawlion an der Dalmatika + Gewan- 
der) beeinfluBte, betonte den Abstand zwi- 


schen Kaiser und Volk. Den Kaiser mit blo8en . 


Handen zu beriihren konnte das Leben ko- 
sten. Wie anderes aus dem Kaiserkult, wurden 
die »verhiillten Hande« in christlichen Huldi- 
gungsszenen tibernommen — zundchst in die 
- Anbetung Christi durch die drei Weisen 
(Sarkophag um 320, Vatikan, Museo Pio Chri- 
stiano ex Lat 121, 1). Auf mittel- und spatbyz. 
Bildern verhiillen die diakonierenden Engel 
ihre Haénde (-5 Geburt Christi, — Taufe Chri- 
sti); hier wird angespielt auf die Diakone, die 
in der Liturgie die Engel verkérpern und die 
heiligen Gaben mit verhtillten Handen anfas- 
sen. (Gleichsetzung des neugeborenen bzw. 
getauften Christus mit den Abendmahlsgaben, 
der Engel mit den Diakonen.) 


Vergleichbar mit dem Verhiillen der Hinde 


sind ; 

sy das Verhiillen der Gaben mit Tiichern, dem Aér 
(—> Proskomidie), 

vr das Ausbreiten des Antiminsion (> Altar), be- 
vor die Gaben auf den Tisch gestellt werden, 

xx das Ausbreiten von kostbaren Tiichern bei Pro- 
zessionen mit Reliquiensarkophagen (> Einzug in 
Jerusalem). Das Heilige darf nicht in Beriihrung 
kommen mit dem Profanen — der Haut des Men- 
schen oder der nackten Erdoberflache. 


Auf 8ρᾶϊ- und postbyz. Bildern der — Heim- 
holung Maria schlagt ein Engel einem Frevler 
die Hiande ab. Dieser hatte versucht, das To- 
tenlager der Gottesmutter dadurch zu entwei- 
hen, daB er es mit bloBen Handen anfaBte. 


Wangenstiitze als Geste der Trauer 

Johannes der Evangelist unter dem Kreuz, 
stiitzt die rechte Wange seines geneigten Kop- 
fes mit der rechten Handflache ab — eine Geste 
intensiver Trauer. Die trauernde Gottesmut- 
ter zieht ihr Gewand zusammen, als ob sie fré- 
stelte (> Hand Gottes, -> Oranten). 


146 


Hand Gottes 
TO XEIPI TOY @EOY 


To chéri tou Theoti 


Verkérpert das Wirken Gottes. In seiner Ge- 
stalt als Vater und Schépfer darf Gott selbst 
nicht abgebildet werden. 


Gottes Hand im Alten und Neuen Testament 
»O Herr, sende Deine Hand herab aus der Hohe 
Deiner himmlischen Wohnung und stirke mich zu 
diesem mir bevorstehenden Dienst, auf da8 ich un- 
gerichtet vor Deinem furchtbaren Thron stehe, und 
das unblutige Opfer darbringen mége.« Priester vor 
der Schénen Pforte bei der Vorbereitung auf die Ein- 
kleidung fiir die Liturgie. 


Im AT ist die starke Hand Gottes bildhafter 
Ausdruck seines machtvollen Wirkens. Die 
Ekstase der Propheten wird durch Gottes 
Hand verursacht: »Da seine Hand tiber mich 
kam ...« Jes. 8, 1, »... da fiel die Hand Gottes 
auf mich.« Ez. 8, 1 


Im NT versteht Christus sein eigenes Wirken 
als Fingerzeig Gottes: 


»So ich aber durch Gottes Finger die Teufel austrei- 
be, so kommt das Reich Gottes ja zu euch!« Luk. 
11, 20 

Der Finger hat die Welt gemacht: 

»Wenn ich sehe, die Himmel Deiner Finger Werke, 
den Mond und die Sterne, die Du bereitet hast ...« 
Ps. 8, 4 

und der die Gesetzestafeln beschrieben: 


»... gab er (Gott) ihm (Mose) zwei Tafeln des 
Zeugnisses: die waren steinern und beschrieben mit 
dem Finger Gottes.« 2. Mose 31, 18 


Darstellungen der Hand Gottes 

Auf spatjiidischen (Dura Europos, Syrien, ca. 
245 n.Chr.), frithchristl. und byz. Darstellun- 
gen vertritt die Hand Gottes den undarstellba- 
ren Gott selbst. Bereits auf den ersten christl. 
Miinzen reicht die Hand Gottes Kaiser Kon- 
stantin den Siegeskranz oder streckt sich ihm 
bei seiner Apotheose (> Himmelfahrt) aus’ 
dem Himmel entgegen. Auf Elfenbeintafeln 
um 400 greift die Hand nach der Rechten des 
zum Himmel auffahrenden Christus oder ver- 
wehrt dem -—> Abraham seinen Sohn zu opfern 
(auch auf Sarkophagen, Mosaik, San Vitale, 
Ravenna, Mitte 6. Jh.). Im 4. und 5. Jh. ist die 


Hase 


Hand als Reprasentation Gottes austauschbar 
mit dem Engel des Herrn. Vom 6.Jh. an er- 
scheint Gottes Hand iiber der —> Taube Chri- 
sti, bei der — Verklarung (Apsis, Sant’Apolli- 
nare in Classe, Ravenna, 6.Jh.), spater auch in 
—> Verkiindigung und der —> Kreuzigung. Jetzt 
nimmt sie die Form der Christusgeste an. . 
Den Texten des AT entsprechend wird Gottes 
Hand abgebildet bei der Ubergabe der Geset- 
zestafel an Mose (Sarkophage 4. und 5. Jh.), 
bei der —- Hesekielvision (Giilliider, Kirche zu 
den drei Kreuzen). In spat- und postbyz. Zeit 
erscheint die hinweisende Hand Gottes inner- 
halb eines als Kreissegment ausgebildeten 
Himmels in der rechten oberen Ecke von Iko- 
nen. Ein mittelbyz. Sondermotiv ist die groB 
aufgefaBte, die Christusgeste vollziehende 
Hand vor einem Kreuz inmitten eines Sternen- 
himmels (Osios Lukas, Anfang 11.Jh., Yilanli 
Kilise, Ihlara). 


Hase 


O AATOC 
O lagés 


Symboltier mit mehrschichtiger Bedeutung, 
verbunden mit dem Mond, dem Ablauf der 
Zeit, der Vergdnglichkeit. Hat auch zu tun mit 
Fruchtbarkeit, Sinnlichkeit, Liisternheit und 
Luxus. 


Hase — Mond — Zeit 

Dunkle Flecken im Mond (Mare) werden u.a. 
in Europa, Indien, China und Altmexiko als 
Hase (bzw. als Kaninchen) gesehen. Seiner 
Verbindung zum Mond und seines schnellen 
Laufes wegen wird der Hase zum Sinnbild der 
verganglichen Zeiten. Die eilt dahin und lauft 
sich tot, wie der Hase im Marchen vom Swin- 
egel — ein Motiv, das schon auf griech. Vasen 
(5.Jh. v.Chr.) den »Wettlauf« zwischen Son- 
nen- und Mondjahr beschreibt (—> Ostern). 
Hasen auf altchristl Sarkophagen sind ein 
»memento mori«x. Ihr reicher Kindersegen 
macht die Hasen zum Symbol der Fruchtbar- 
keit. Aus traditioneller béuerlicher Sicht sind 
Tod und Fruchtbarkeit, Winter und Sommer, 
Saat und Ernte nur zwei verschiedene Seiten 
einer Medaille. 


148 


sat 


ἢ 
ASE 


‘sera faiahls ΔΩ ἢ PLATA 3% Acad i 846, 


ey eit ie) 8Ogod tae 166 ἐν 


Hasen im Weinlaub trinken aus der Mondschale. 
Relief aus Konya (Ikonium), Inneranatolien, 
ca. 8.Jh., Archéologisches Museum Istanbul. 


Hasen in Verbindung mit Weinlaub in Tier- 
friesen auf byz. Bildern (Géreme, Eustachios- 
Kirche, Mitte 12.Jh.; Héhle Nahe Aufstieg zu 
Goreme Shakli Kilise; AuRenrelief Achtamar, 
1. Viertel 10.Jh.) geben immer noch Ratsel 
auf. Aufschliisse liefert die Interpretation ei- 
nes Reliefs, das in der ostanatolischen Stadt 
Konya aufgefunden wurde — vermutlich aus 
dem Umfeld des — Ikonoklasmus. 
Deutungsschicht 1: Zwei Hasen trinken aus ei- 
ner Mondsichelschale: In Mittelamerika wie in 
Stidostasien wird der Viertelmond als Becher 
fiir heiliges Wasser (Tirtha, das getrunken wird) 
angesehen. In Griechenland war die Mondgét- 
tin Selene die Tauspenderin, in Indien der 
Mond der Becher des Géttertrankes Soma. 
Die Weinstécke hinter den Hasen weisen auf 
den Inhalt des Mondbechers hin ~ den Wein 
der — Eucharistie. Auf dem Kopf unter ihnen 
sprieBt eine Ahre heraus durch die Mondscha- 
le hindurch — Sinnbild des eucharistischen Bro- 
tes, das als neuer —> Lebensbaum Erde und 
Unterirdisches mit dem Himmel verbindet. 
»Die jungfrauliche Erde gebar Adam, das Haupt 
der Erde. Die Jungfrau gebar heute Adam (den ° 
zweiten Adam Christus), das Haupt des Himmels.« 
Ephrém der Syrer, Proph. XUI, 14 


Der Kopf ist als Verstorbener zu verstehen, 
der aufersteht wie das Weizenkorn: 


»Es sei denn, daB das Weizenkorn ... 
bringet es viele Frucht.« Joh. 12, 24 


erstirbt, so 


Heilige 


Er reprasentiert zugleich den neuen Adam, 
der begraben wurde und auferstand, und den 
alten, der durch Christus der Auferstehung 
teilhaftig wird. 


Das Symbolbild bringt das Mysterium des Abend- 
mahls mit einem Gestirn zusammen — was gut in 
eine Zeit paBt, die Christus mit der Sonne, die Apo- 
stel mit den Monaten und die Taufe mit Jahresan- 
fang und Sonnenwende (—> Taufe Christi) in Bezie- 
hung setzt. Da das Abendmahl im Dunkeln stattfin- 
det, liegt es nahe, dieses Mysterium dem Mond zu- 
zuordnen (die Muttergottes, dem —> Mond verbun- 
den, gewinnt nach der Uberwindung des Ikonoklas- 
mus groBe Bedeutung fiir die Eucharistie). 


Deutungsschicht 2: Die aufsprieBende Ahre 
wirkt schon von der 4u8eren Form her phal- 
lisch, sie schieBt aus einem mannlichen Kopf 
hervor und zielt direkt auf die Mondsichel. 
Der Mond, in Asien wie in Griechenland 
weiblichen Geschlechtes, steht in Beziehung 
zur weiblichen Sexualitét. Hasen sind Sinnbil- 
der der Sinnlichkeit. In der Antike war ihr 
Fleisch ein Aphrodisiakum. Der Wein ist Chri- 
sti Blut. Blut gilt in nahezu allen Religionen 
als Konzentrat gefahrlicher weiblicher Kraft 
(— Darstellung Christi im Tempel). Irendus 
weist in seiner Schrift »Gegen die Haresien« 
(2.Jh.) mit Abscheu auf eine gnostische Sekte 
hin, die ein Abendmahl mit Sperma und Men- 
struationsblut feiert. Extreme Praxis einer ex- 
tremen Sekte! Subtiler kommt die Zuordnung 
des Abendmahlsblutes in den Kaisermosaiken 
in San Vitale, Ravenna, Mitte 6. Jh., zum Aus- 
druck: Theodora spendet einen kostbaren 
Abendmahlskelch, Justinian einen Diskos fiir 
das Brot. 


Deutungsschicht 3: Der Hase als Fruchtbar- 
keitssymbol spielt mit der aufkeimenden Ahre 
an auf die zyklische Wiederkehr von Saat und 
Ernte, Tod und Wiedergeburt. 


Hasenbilder mit oder ohne Weinranken wei- 
sen auf die Verkniipfung der Eucharistie mit 
der Astralebene, der Vegetation und der Auf- 
erstehung hin. 


Lagos — Logos — lagnos 

Wegen seiner Namensdhnlichkeit — Lagos -- 
soll der Hase auch als Hinweis auf das géttli- 
che Wort Christus — Logos — zu verstehen sein. 


Der negativen Bewertung des Hasen als »wol- 
liistig« durch einige Kirchenvater liegt m.E. 
eine volksetymologische Ableitung von »la- 
gnos« — wollistig, geil—zugrunde. 


Heidenchristliche Kirche 


HEKKAHCIA TQN EONQN 
Ekklisfa ton ethnén 


Friihchristlich-allegorische Frauengestalt, ver- 
tritt die heidenchristliche Gemeinde, dem 
Paulus zugeordnet (~ Peter und Paul, > 
Kranz). Im Westen entwickelte sich daraus die 
Personifikation der Ekklesia (Kirche). Gegen- 
stiick ist die Allegorie der judenchristlichen 
Gemeinde, dem Petrus zugeordnet, Vorbild 
fiir die westliche Personifikation der Synagoge 
(Santa Sabina, Rom, Anfang 5.Jh.; Santa Pu- 
denziana, Ende 4. Jh.). 


Heilige 

OLATIOI 

1 Ajii 

Im Gnadenzustand Verstorbene, die im Lichte 
Gottes leben. Wie die Gottesmutter kOénnen 
sie von Menschen gebeten werden, Fiirbitte 
bei Gott einzulegen. Manche Heilige greifen 
bei Notlagen in die Menschenwelt ein, voll- 
bringen Wunder (-> Georg). 


Kalender der Heiligen (Minolojion) 

Der 1. Fastensonntag, Sonntag der Orthodoxie 
(— Bild), ist Gedenktag der Heiligen. Das Mi- 
nolojion weist aus, da8 jedem Tag im Jahr 
mehrere mannliche oder weibliche Heilige zu- 
geordnet sind. Kirchen feiern den Tag ihres 
Namenspatrones mit einem Fest (Panijiri). 
Seine Ikone wird ausgelegt, sein Name im 
Gottesdienst genannt. Fiir alle Orthodoxen ist 
der Tag ihres Namensheiligen ihr gr6Btes per- 
sOnliches Jahresfest. 


Heilige — Vermittler zwischen Gottes- und 
Menschenwelt 

Die Kirche umfaBt die Lebenden und die Ver- 
storbenen (— Hades). Die Heiligen, auch sie 
siindige Menschen, hat Gott aus Gnade schon 
in ihrem Leben der géttlichen Natur teilhaftig 


149 


Heimholung Marié 


werden lassen. Wie im geweihten Wasser (—> 
Taufe Christi) wird in ihnen der vergéttlichte 
Zustand vorweggenommen. 

Als verbindende Zwischenglieder zwischen 
der g6ttlichen und der menschlichen Welt sind 
sie in mittel- und spatbyzantinischen Kirchen 
an den Wanden aufgereiht — umgeben die 
Lebenden, die den untersten Rang in der 
(— himmlischen Hierarchie einnehmen, dem 
die Heiligen einst selbst angehérten. Die Hei- 
ligen gliedern Zeit und Raum — Kirchenjahr 
und Kircheninneres. 


Die Bilder der Heiligen 

Die byz. Heiligen haben eindeutige Namens- 
beischriften, nur selten Attribute. Ihre — Ge- 
wander sind eine Identifizierungshilfe. Im Kir- 
chenschiff, den Glaubigen zundchst, werden 
die Martyrer und Bekenner mit dem Kreuz in 
der Hand abgebildet, sowie die Kriegerheili- 
gen (-5 Demetrios, > Georg). Priesterheilige 
besetzen das Allerheiligste. Die groBen Kir- 
chenvater und Liturgen umgeben in der Apsis 
den Altar. 

Apostel, Evangelisten und Propheten stehen 
iiber ihnen, sind als Weissagende oder Zeugen 
des Heilsgeschehens in die Gewélbezone zwi- 
schen die Bilder der Heilsereignisse des NT 
entriickt. 


»Herr unser Gott, Du hast erschaffen den Men- 
schen nach Deinem Bilde und Gleichnis. Nachdem 
er entweiht worden ist, durch die Ungehorsamkeit 
des Ersterschaffenen (Adam), hat Du es (das Bild) 
erneuert durch das Menschwerden Deines Christus, 
der arinahm die Gestalt eines Knechtes und seiner 
Erscheinung nach erfunden wurde als ein Mensch. 
So hast Du zuriickgefiihrt Deine Heiligen zur ur- 
spriinglichen Wiirde und indem wir Dein Abbild 
fromm verehren, ehren wir die Heiligen, die Dir 
Bild und Gleichnis sind. »Stillgebet bei der Weihe 
einer Heiligenikone. 


Im Kloster Warlaam, Meteora (1548 und 66) 
tragen alle Heiligen (Martyrer, Eremiten, 
Krieger) das Antlitz Christi: Von seiner Be- 
stimmung her ist der Mensch als Gottes Bild 
gedacht (1. Mose 1, 27) und in der kiinftigen 
vergottlichten Welt wird er zum Bild des 
fleischgewordenen Gottes. 


150 


Die Versammlung aller Heiligen um Christus, in der 
Mitte Konstantin und Helena mit dem wahren Kreuz, 
naive Ikone. Kykladeninsel Andros, 20. Sh. 


Heimholung Maria 


H KOIMHCIC THC Q@EOTOKOY 
I kimisis tis Theoté6kou 


Tod der Muttergottes im Kreise der Apostel. 
Christus holt ihre Seele in den Himmel. 

Der Festtag liegt am Ende des Kirchenjahres, 
die bildliche Darstellung der Heimholung Ma- 
ria findet sich am 4uBersten Ende des Kirchen- 
schiffes an der Westwand (austauschbar gegen 
das —> Endgericht). 


Fest der »Entschlafung Marié« 
und Volksbrauchtum 


»Auferstehe, Herr, zu Deiner Ruhe, Du und die’ 
Lade Deines Heiligtums.« Ps. 131, 8 (132, 8). 


Die — Bundeslade ist Typus der Gottesmutter 
— Maria, der Vers gilt daher als prophetischer 
Hinweis auf ihre Heimholung. 

Das gré8te Marienfest und letzte Hochfest (-» 
Festtagskalender) im am 1.September begin- 


Heimholung Maria 


nenden Kirchenjahr (im Westen bezeichnet als 
»Marientod«, »Marié Heimgang« oder »Him- 
melfahrt Maria«), wird seit Anfang des 7. Jh.s 
in Konstantinopel am 15. August gefeiert. 


1821 am 25.Marz, dem Tag der — Verktindigung 
Maria — hatte der Metropolit Jermanos von Patras 
als Signal fiir den Beginn der griech. Volkserhebung 
gegen die Osmanenherrschaft das Lawaron aufge- 
richtet (eine Altardecke, bestickt mit der Heimho- 
lung Maria, heute in einem Kloster bei Kalawrita). 
Am 15. August des gleichen Jahres wurde auf Tinos 
(Kykladen) eine wundertatige Marien-Ikone aufge- 
funden. 


Beide J ahrestage werden in Griechenland, beson- 
ders in Tinos, festlich begangen. Die Marine entsen- 
det ein Schiff zur Insel. 


Die Pilgerscharen auf Tinos 


vv feiern ein religidses und zugleich nationales Fest. 
Die Gottesmutter ist Schutzheilige Griechenlands, 
das Fest der Verkiindigung Maria heute National- 
feiertag. 

x erhoffen vom Gnadenbild der Gottesmutter 
Heilung ihrer Leiden und Gebrechen oder wollen 
ein Geliibde einlésen. Vor allem Frauen laufen am 
15. August in Tinos barfu8 vom Hafen zur Kirche 
oder steigen die Treppe nach oben auf Knien hoch. 
Die Pilger drangen sich um die »nicht von Handen 
gemachte« Ikone (—> Ikonenwunder), um sie zu kiis- 
sen, ihr eine Weihegabe (ex voto) anzuhangen 
(Weihegabe, Nachbildung einer Person oder eines 
erkrankten Gliedes in Silber oder Goldblech). 
Kranke verbringen die Nacht vor dem 15. in der 


Kirche (+ Kosmas und Damian). Am Morgen nach 


der Liturgie trigt der Bischof, gefolgt von Honora- 
tioren und Marinesoldaten, die Ikone in einer feier- 
lichen Prozession rund um den Ort. 

Kranke Pilger legen sich vor der Ikone auf den Weg, 
damit sie tiber sie hinweggetragen werde. 

Auf Paros findet in der Ekatontapyiani-Kirche eine 
ahnliche Zeremonie statt. Mancherorts wird auch 
die Bahre der Gottesmutter, tiber und tiber mit Blu- 
men bedeckt, durch die StraBen getragen (Elassona, 
Insel Patmos, Kassiopi auf Korfu) -- unverkennbar 
eine Ubernahme der Zeremonie um den Epitaphios 
am Karfreitag (Grablegung Christi, - Passionszy- 
klus), ἡ 


Der Kern des Heimholungs-Motives 

Die Gottesmutter ist gerade verstorben, liegt 
ausgestreckt — ihr Kopf meist nach rechts ge- 
wandt ~ auf einer Liege. Um sie herum die 12 
Apostel, die Marias Wunsche entsprechend, 
durch die Luft aus allen Teilen der Welt zu 


Heimholung der Gottesrnutter, Kloster Panajia 
Mawrotissa bei Kastoria. 


ihrem Totenbett getragen wurden — je nach 
Uberlieferung in Jerusalem oder Ephesus. 
Hinter ihr steht Christus in einer Mandorla, im 
Arm ihre Seele in der Gestalt eines straff ge- 
wickelten kleinen Kindes. 


Die Wiedergabe der toten Seele als Wickelkind 
kniipft an die uralte Gleichsetzung von Toten, die 
auch gewickelt werden, und Ungeborenen an (Krip- 
pe = Wiege — Altar, -» Geburt Christi). Die byz. 
Tradition setzt den Tod Marias voraus, im Gegen- 
satz zum rémisch-katholischen Dogma der leibli- 
chen Aufnahme Marias in den Himmel. 


MaBgebend fiir das Bildmotiv sind auf alteren 
syrischen Vorlagen aufbauende Predigttexte 
der Kirchenvater des 7. und 8. Jh.s (Modestus 
von Jerusalem, Homilien des Johannes von 
Thessaloniki, Andreas von Kreta, Germanos 
von Konstantinopel, Johannes Damaszenus). 


Der theologische Hintergrund: Maria war das 
Werkzeug der Menschwerdung Gottes — und sie ist 
auch der erste Mensch, bei dessen Tod deren Be- 
deutung fiir die Menschen sichtbar wird — die Ver- 
géttlichung des Menschen nach seinem Tod. Als 
siindiger Mensch kann sie nicht selbst zum Himmel 
auffahren wie Christus; ihr Sohn holt sie heim. 


Entstehung und weitere Ausgestaltung 

der Heimholung 

Ob ein Relieffragment aus dem 6.Jh. (Bolnis- 
Kapanakci-Basilika, Georgien) gegentiber der 
Himmelfahrt Christi das dlteste Bild der 
Heimholung Maria darstellt, ist umstritten. 
Die Uberlieferung verbreitet sich um 600, das 
Bildmotiv erscheint um 900, unmittelbar nach 
dem Ende des Bilderstreites. Auf einem Fres- 
ko in einer winzigen Héhlenkirche (A’aci Alti 


151 


Hesekiel-Vision 


Kilise, Ihlara, 10. Jh.) greift Christi Hand nach 
dem gedffneten Mund der liegenden, nach 
links blickenden Gottesmutter und entnimmt 
ihm die Seele, die sie gerade aushaucht. (Vor- 
stellung vom Lebensodem als ‘Trager der See- 
le; »Atem« ist verwandt mit dem Sanskrit- 
Wort »Atman« = Hauch, Seele.) 

Vom 10. bis 12. Jh. reicht Christus Marias See- 
le mit temperamentvollem Armschwung (G6- 
reme, Shakli Kilise, 11.Jh.) einem der beiden 
Engel zu, die tiber ihm schweben und sie mit 
verhiillten —» Handen in Empfang nehmen 
(Matorana, Palermo, 1143; Elfenbeinevange- 
liar Otto III., Ende 10. Jh.). ; 

Das Motiv wird jetzt haufig neben oder gegen- 
iiber der + Himmelfahrt Christi angeordnet. 
Aus der Apostelschar um die mit gekreuzten 
Armen — Geste des Betenden, Haltung des 
Verstorbenen (— Totenbriéuche) — lang ausge- 
streckte Gottesmutter heben sich heraus: Pe- 
trus, mit weiBem, gekrauseltem Bart, die 
Wange auf die rechte Hand aufstiitzend, meist 
links vom Lager; Paulus mit schwarzem Bart 
und Halbglatze, neigt sich tiber Marias FiBe; 
Johannes, als gealterter Mann mit weiBem 
Bart, sitzt hinter Maria und halt sein Gesicht 
an ihre Wange (wie der jugendliche Johannes 
auf Abendmahlsbildern an die Christi). 

Ab dem 13.Jh. halt Christus die Marienseele 
in beiden verhiillten Handen oder in der Arm- 
beuge, kann auch die Rechte zur Christusgeste 
erheben (Sopocani, 1265, Serbien, Panajia 
Mawrotissa bei Kastoria). 

Ab spatbyz. Zeit umgibt ihn eine mehrschalige 
Mandorla, angefiillt mit Engeln, oft bekrént 
mit einem —> Cherubim. Die Seelenfigur wie 
die Engel werden durch ihre weiB-blasse Er- 
scheinung als AngehGrige der Welt des Un- 
sichtbaren charakterisiert (Chora-Kirche, 
Konstantinopel, 1315-1321, Festbildikonen an 
Bilderwanden). 

Oft ist eine Sterbekerze (-9 Geburt Maria) ab- 
gebildet, und Petrus schwingt am Totenbett 
das WeihrauchfaB (-» Totenbrauche). Der 
Duftrauch soll der Seele den Weg nach oben 
bahnen. 

Klagefrauen ziehen ins Bild mit ein, Kirchen- 
vater versammeln sich in priesterlichen Ge- 
wandern um das Sterbelager: Basilius, Gregor 
der Theologe, Johannes Chrysostomos, auch 
Johannes Damaszenus. Spat- und postbyz. 


152 


Fresken quellen iiber vor Figuren: Christus 
wird von der Mandorla des — brennenden 
Dornbusches umgeben, mitunter angefiillt mit 
roten Cherubim. Maria ist nach westlichem 
Vorbild als winzige Erwachsene ausgebildet, 
manchmal mit Fliigelchen (Totenseelen als 
Végel, - Adler, > Pfau). Zusiatzlich wird di- 
rekt tiber dem Kopf Christi eine thronende 
Mutter Gottes im Kreisnimbus ahnlich dem 
des Himmelfahrtsnimbus Christi von zwei En- 
geln nach oben zur Paradiesespforte getragen 
(Kloster Warlaam, Meteora, 1548). Engel tra- 
gen auf Wolkenteppichen die Apostel »aus 
den vier Ecken der Erde« (Liturgie Abendgot- 
tesdienst) herbei. 


»Die Hand der Uneingeweihten soll in keiner Weise 
beriihren die beseelte Lade Gottes ...«. Liturgie des 
Festes Maria Tempelgang. 


Vor dem Sterbelager kauert mit ausgestreck- 
ten Handen der Fanatiker Athonius: Das win- 
zige Figiirchen will die Allheilige entweihen. 
Ein Engel ziickt sein Schwert oder hat dem 
Frevler bereits die Hande abgehackt, die sich 
noch an das Lager klammern. Fiirbittend hebt 
die Liegende ihre Rechte, um Athonius zu hei- 
len und zu bekehren (~ Hinde; — Bundes- 
lade als Typus Marias nach 2. Sam. 6, 6-7). 


Hesekiel-Vision 
TA OPAMATA TOY IIPO®HTH 
TEZEKTHA 


Ta ordmata tou Profiti Jesekifl 


Bedeutender — Prophet, sagte im babyloni- 
schen Exil den Untergang Israels voraus. Die 
Schilderung seiner Gottesschau (Buch Hese- 
kiel des AT), seine endzeitlichen Prophezeiun- 
gen hatten erhebliche Auswirkungen auf die 
jiidische und christl. + apokalyptische Litera- 
tur sowie auf byz. Darstellungen von Gottes- 
visionen. 


Prophet des Exils im AT 
Gegen 608 wird Jojakim vom Agypterkénig — 
Necho als K6nig iiber Israel eingesetzt. Er un- 
terwirft sich 605 Nebukadnezar 11., der Necho 
geschlagen, fallt dann wieder von den Babylo- 
niern ab. Deshalb entftihrt Nebukadnezar 597 
Jojakim und die gesamte Oberschicht, auch 
Hesekiel, nach Babylon. Der Vasallenkénig 


Hesekiel-Vision 


Nebukadnezars, Zedekia, konspiriert mit 
Agypten (Ez. 17, 15). 589-87 belagern die Ba- 
bylonier Jerusalem, zerstéren Stadt und Tem- 
pel, fiihren die Bevélkerung in die babyloni- 
sche Gefangenschaft. 538 nimmt der Perserk6- 
nig Kyros (Kores) Babylon ein und 148t die 
Juden heimkehren. 

Hesekiel schaut nach Jojakims Entfiihrung 
und vor der Babylonischen Gefangenschaft 
Visionen der g6ttlichen Herrlichkeit (Ez. 1). 
Zunachst verkiindet er in ekstatischen Zustan- 
den (»... da fiel die Hand des Herrn auf mich«, 
Ez: 8, 1) (= Hand Gottes) seinen bereits im 
Exil weilenden Landsleuten den Untergang 
Rest-Israels als Strafe fiir die Vereunreinigung 
des: Tempels durch fremde Géotterbilder und 
Kulte. Mit einem Ziegelstein als Modell fiir 
Jerusalem spielt er die Belagerung und Erobe- 
rung der Stadt durch. Nach dem Fall (Ez. 33, 
2) weissagt er die Wiederkehr Davids als des 
gerechten Konigs, ein neues > Jerusalem und 
einen neuen — Tempel, in dem Gott weilt. 


Der Verfasser der Offenbarung Johanni (+ Apoka- 
lypse) iibernimmt die Bildsprache Hesekiels, meint 
jedoch die Himmelsstadt — kein irdisches Reich. 


Hesekiels Gottesschau als Vision des Kosmos 
Die Himmelsvisionen (Ez. 1, 4-28; 10, 1-21) 
schildern eine menschengestaltige Lichter- 
scheinung auf einem Thron in einem Regenbo- 
gennimbus. Um sie herum vier --ῦ Cherubim 
als Tetramorphen mit je vier Gesichtern -- 
menschen-, lowen-, stier- und adlerférmig -- 
sowie vier Fliigeln. Ihnen zugeordnet ein Sy- 
stem aus vier ineinander geschachtelten R4- 
dern — wie die Cherubim iibersat mit Augen, 
zwischen denen es blitzt und donnert. 


Die Tetramorphen sind die vier Weltenrichtungen. 
(Die Institution der vier Tetrarchen — der vier Herr- 
scher in den griechischen Kaiserreichen des Orients 
und im rémischen Reich zur Zeit Diokletians -- 
griinden sich auf vergleichbare kosmologische Vor- 
stellungen.) 

Sie bilden zugleich den bronzenen Thronwagen Jah- 
wes, der tiber den Himmel rollend den Donner er- 
zeugt. Die Augen sind Sterne (—> Pfau), die vier 
Gesichter bezichen sich auf Sternbilder. 

Hesekiels Visionen sind beeinflu8t von der Ausstat- 
tung des salomonischen Tempels: Als Thronsitz 
Jahwes gilt die mit Cherubim geschmtickte Bundes- 
lade. Zehn eherne vierradrige Kesselwagen, ge- 
schmiickt mit Lowen-, Stier- und Cherubimmotiven 


(1. Kén. 7, 27-35), lieferten kiinstlichen Donner zur 
Beschwérung von Regen. Jahwe schickt Regen oder 
versagt ihn. 


Das Visionsbild und seine Verkniipfung 
mit der Himmelfahrt Christi 


Ausschnitt aus der Hesekielvision. Fresko auf der 
Flachkuppel der Héhlenkirche zu den drei Kreuzen 
in Giiliidere, Kappadokien. Wahrscheinlich vor 
dem Bilderstreit entstanden. 


Dargestellt wird die Hesekiel-Vision vom 
5.Jh. an als knappe Zusammenfassung der > 
Himmelfahrt Christi mit seiner Wiederkehr 
(Tiiren, Santa Sabina, Rom, ca. 430). Die vier 
Tiere werden jedoch entsprechend ihrer Ab- 
wandlung nach der Apokalypse als je ein ge- 
fliigelter Stier, Lowe, Adler und Mensch aus- 
geformt, von vornherein gleichgesetzt mit den 
— Evangelisten, deren vier Schriften das 
Evangelium zu den vier Enden der Welt hin 
verbreiten. In der Apsis von Osios David 
(Thessaloniki, Ende 5.Jh.) erscheint Christus 
auf dem Regenbogen, umgeben von den vier 
Evangelistensymbolen tiber den vier Wassern 
des Paradieses, flankiert von Hesekiel und Ha- 
bakuk. Bis zum Bilderstreit (8.Jh.) wurde das 
Motiv haufig in Apsiden (Karabas Kilise, Kap- 
padokien) und Deckenwélbungen (Giilliidere, 
Kirche zu den drei Kreuzen: Tetramorphen 
mit Sonne und Mond um ein Kreuz) darge- 
stellt. Einige ikonoklastische Symbole lassen 
sich als Anspielung sowohl auf die Himmel- 
fahrt, wie die Hesekielvision auffassen (— Bil- 
derfeindliche Ornamente). Danach wird das 


153 


Himmel 


eS 


Gottvater mit dem Kreuznimbus Christi erscheint am Ende der Tage. Das Viereck bezeichnet den Kosmos mit 


seinen vier Enden. Athoskloster Xeropotamou. 


= 


Motiv aufgesogen von der Himmelfahrt Chri- —- Himmel 


sti, dem Christus — Pantokrator, auch vom 
-ὦ Endgericht (ab 12. Jh.). 

In der nachbyz. Wiederkunft Christi (Majestas 
Domini) werden Elemente der Visionen Hese- 
kiels, — Jesajas, + Daniels und der Johannes- 
apokalypse zusammengefafit (Athoskléster). 


Apsisbild Moni Thari auf Rhodos (1506): der trium- 
phierende Christus hat bereits den bis dahin — lee- 
ren Thron besetzt. Ihn umgibt eine Kosmos-Raute, 
hinter der vier Wesen hervorblicken, selbst wieder 
eingefaBt in zwei blaue Strahlen aussendende Krei- 
se. Flankiert wird die Erscheinung links von Hese- 
kiel und der Gottesmutter, rechts von Jesaia und 
Johannes dem Taufer. 


154 


O OYPANOC 


O ouranés 


Unsichtbarer Herrschaftsbereich Gottes, Auf- 
enthaltsort der Seligen nach der Wiederkunft 
Christi, symbolisch wiedergegeben durch 
Kreis (als die vollkommene Form), Kuppel, 
Baldachin, Zelt oder Paradiesesgarten. 


Kreis — Kugel — Halbkugel 

Ein komplettes Stichkappengew6lbe mit musi- 
vischer Kreuzessonne und Sternen (Galla Pla- 
cidia, Ravenna, ca. 422) oder ein Kreis mitten 
in einer Apsiswélbung (San Apollinare in 


Himmel 


Classe, Ravenna, 549) ist Darstellung des 
Himmels. Die friihchristl. Kranze mit Chri- 
stusmonogramm, Kreuz oder Lamm sind, wie 
die engelgetragenen Kreisnimben der > Him- 
melfahrt, der Regenbogennimbus des Panto- 
krators zeichenhaft verkiirzte Hinweise auf ihn 
— siehe die Scheiteldarstellung im Presbyte- 
rienkreuzgewélbe von San Vitale (Ravenna, 
vor 547): Das Lamm vor Sternenhintergrund 
im Bliitenkreis, gehalten von den vier Engeln 
der Himmelsrichtungen. 

In mittelbyz. Zeit deuten Halbkreise oben im 
Bild, von denen Strahlen ausgehen, den Him- 
mel an,.auf'spat- und postbyz. Ikonen Viertel- 
kreissegmente in der rechten oberen Bildecke, 
in denen die Hand Gottes, Christus oder auch 
Gottvater erscheint. 

In der byz. Architektur reprasentiert die 
Hauptkuppel den Himmel. Eine Kugel kann 


den Himmel (Apsisw6lbung San Vitale, 6. Jh.) 


“oder den—> Kosmos ineinen- 
: cee narra Caen 


Klosterkirche Daphni, Ende 11.Jh. 


Baldachin und Zelt als Himmel 
Baldachin und — Ciborium sind Bildzeichen 
des Himmels. Baldachinartig ist auch das 


Tuch, das die seltene frithchristl. méannliche 
Allegorie des Himmels iiber ihrem Kopf aus- 
spannt. Dariiber thront Christus (Sarkophag 
des Junius Bassus, Vatikan, 359; Buchmalerei) 
— ein richtiges Himmelszelt: 

»Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mam- 


mon, damit sie, wenn es euch schlecht geht, euch 
aufnehmen in die ewigen Zelte.« Luk. 16, 10 


Im Baptisterium der Orthodoxen (Ravenna, 
5.Jh.) stehen die Apostel (= Sternbilder) un- 
ter hochgerafften, am Scheitelreifen befestig- 
ten Stoffen des Himmelszeltes (Erinnerung an 
die Stiftshiitte fiir die > Bundeslade des AT). 
Die tippigen Textildekore auf frith- und mittel- 
byz. Mosaiken und Fresken verwandeln Ge- 
wolbe und Decken der Architektur in Bahnen 
des Himmelszeltes. 


Das Paradies 

Gleichbedeutend mit dem Himmel ist das Pa- 
radies, friihchristl. als Htigel mit vier Wasser- 
quellen (1.Mose 2), oft direkt unter einer 
Himmelskugel oder einem Himmelsnimbus, 
oder in Form von Palmen unter tippiger Vege- 
tation (San Vitale) dargestellt, mittelbyz. als 
lichtweiBer Garten mit Pflanzen (> Endge- 
richt), als > Abrahams Schof oder als himm- 
lisches > Jerusalem. 


Zusammengerollter Himmel. Motiv aus der Apoka- 
lypse des Johannes. Chorakirche, Konstantinopel, 
1315-1321. 


155 


Himmelfahrt Christi 


Himme\lfahrt Christi 
H ANAAEIWIC TOY XPICTOY 


I andlipsis tou Christoti 


»Emporhebung« Christi durch Engel in den 
Himmel. Wichtiges Motiv, angeordnet in 
hochgelegenen Teilen der Kirchenréume, hau- 
fig mit Visionsdarstellungen oder denen der 
Wiederkunft Christi verschmolzen. 


Das Himmelfahrtsfest und sein Brauchtum 
Nach seiner Auferstehung »lieS er (Christus) 
sich sehen unter ihnen (den Jtingern) 40 Tage 
lang und redete vom Reiche Gottes« Apg. 1, 3. 
Das Hochfest (-» Festtagskalender) wird am 
Donnerstag 40 Tage (—> Zahl 40) nach Ostern 
gefeiert. In apostolischer Zeit hatte das Urfest 
der Christenheit, Ostern, auch Himmelfahrt 
und Pfingsten mit eingeschlossen: die vollen- 
dete Auferstehung. Im 3.Jh. kam ein eigenes 
Pfingstfest auf, von dem sich im 4.Jh. das 
Himmelfahrtsfest abspaltete. Der Brauch der 
Griechen, zu Himmelfahrt erstmals im Jahr im 
Meer zu baden, erinnert an die gemeinsame 
Feier von Himmelfahrt und Pfingsten und den 
dabei verlesenen Evangelientext: »Wer an 
mich glaubt ... von dessen Leib werden Stréme 
des lebendigen Wassers flieBen!« Joh. 7, 38 

Die Hauser der Kiistenregionen werden mit 
Seewasser bespritzt, in den Bergen segnen die 
Papades die Herden. Himmelfahrt ist auch der 
Tag der Hirten und Herdenbesitzer. 


Das Himmelfahrtsmotiv in der Gewélbezone 
und der Kuppel ; 
»Er (Christus) fithrte sie (die Jiinger) in Richtung 
Bethanien (auf den Olberg), hob die Hande auf und 
segnete sie. Und wahrend er sie segnete, geschah es, 
da8 er von ihnen schied und in den Himmel auf- 
fuhr.« Luk. 24, 50-51 


Im oberen Bereich des zweiteiligen Motives 
wird eine Kreisaureole von vier (oder zwei) 
Engeln nach oben getragen. Der darin als 
Weltenherrscher thronende Christus hat die 
Rechte segnend erhoben, halt in der Linken 
die Schriftrolle. So wird er am Ende der Tage 
als Weltenrichter wiederkommen: 

»... da standen bei ihnen (den Aposteln) zwei weib- 
gekleidete Manner und sagten: ... dieser Jesus, auf- 
gehoben von euch weg in den Himmel, der wird 


156 


wiederkehren auf die gleiche Weise, wie ihr ihn ge- 
sehen habt, in den Himmel fahren.« Apg. 1, 10-11 


In der Mitte des unteren Teils steht frontal 
zum Betrachter gewandt, in souveriner Ruhe 
mit erhobenen —> Handen (> Oranten) Maria 
als Reprasentantin der Kirche zwischen zwei 
weiBgekleideten Engeln. 

Links und rechts von ihr je sechs Apostel, die, 
im Gegensatz zu ihr, mit ekstatischer Gestik 
zum Himmel aufblicken. Die Festtagsliturgie 
regt die Glaubigen an, sich in die Lage der 
Jiinger zu versetzen: 


»Kommt, laBt uns aufrecht stehen, die Augen und 
Gedanken, die Blicke und Gefiihle erheben ... als 


~ wenn wir auf dem Olberg stiinden und den auf Wol- 


ken getragenen Erléser schauten.« 


Olivenbiume vertreten den Olberg (El Nazar, 
Goreme, Ende 10. Jh.; Cavusin, 964; Ajia So- 
phia, Thessaloniki, ca. 1000), symbolisieren 
zugleich den offenen Zugang zum Himmel 
(—> Baum, — Berg, + Himmelsleiter). 

Die obere himmlische und die untere irdische Mo- 
tivhalfte werden auch raumlich getrennt, auf zwei 
Ikonen aufgeteilt oder an unterschiedlichen, jedoch 
tibereinander gelegenen Stellen dargestellt: Christus 
in der Kuppel bzw. im Gewdlbe, die Zuriickbleiben- 
den im Kuppeltambour bzw. an der Hochwand. So 
wird im Himmelfahrtsbild -- zugleich Bild der Wie- 
derkunft Christi (= Endgericht) — die Spannung be- 
tont zwischen der Jenseitigkeit Gottes und seiner 
Vereinigung mit der Welt. Dem Motiv wird bis zum 
11.Jh. eine Vorzugsstelle reserviert: Apsis, Haupt- 
kuppel, Nebenkuppel, Hochwand iiber der Apsis, 
Gewiolbe, héchster Teil der Naos-Riickwand. Ab 
dem 12.Jh. nimmt der — Pantokrator — zu verste- 
hen als bildliche Kurzformel des Himmelfahrts-/ 
Wiederkunftsmotivs — die Hauptkuppel in An- 
spruch. 


Entwicklung und Ausgestaltung des 
Himmelfahrtsmotivs 

Zur Vorgeschichte und zum Umfeld des Him- 
melfahrtsbildes zu zahlende Darstellungen 
sind: 

zr die Kaiserapotheose (Consecratio) 

vr das engelgetragene Siegeskreuz (Tropaion) 
auf Sarkophagen (> Kreuz) 

¥ die feurige Auffahrt 468 --ὸ Elias 

¥ die —> Hesekielvision 

% die—> Orantin. 


Himmelfahrt Christi 


fa Sn 


Himumelfahrtsdarstellung aus der Héhlenkirche vom Taubenschlag in Cavusin, Kappado 


42 v.Chr. 181 Augustus, ankntipfend an den 
Kult um Alexander den GroBen, den ermor- 
deten Julius Caesar durch Senatsakt (Conse- 
cratio) fiir géttlich (divus) erklaren. Fir seine 
eigene Verbrennung schreibt er vor, einen Ad- 
ler — Verkérperung seiner Seele — vom Schei- 
terhaufen auffliegen zu lassen. Hauptsymbole 
auf den Kaisergedenkmiinzen sind von nun an 
Scheiterhaufen, — Adler (fiir Kaiserinnen --ὸ 
Pfau), von Genien gehaltene Ehrenkranze, an 
den Sonnenwagen erinnernde Zwei- oder 
Viergespanne (Vergéttlichung des Herrschers 
als Gestirn). Auf der letzten vom rémischen 
Senat ausgegebenen Consecrationsmiinze 
fahrt Konstantin, der Elemente des Sonnen- 
kultes ins Christentum einbrachte, auf dem 
Sonnenwagen zum — Himmel hoch, aus dem 
sich ihm die +> Hand Gottes (friiheste Darstel- 
lung!) entgegenstreckt. 

Die Sonnenwagenvorstellung wirkte sich auf 
die jtidische (Synagoge Dura Europos, 3.Jh.) 
wie die christliche Wiedergabe der Himmel- 
fahrt Elias aus. Als Typus fiir die Himmelfahrt 
Christi hat sie ihrerseits deren Darstellung be- 
einfluBt. 


= Gee 
kien. 


Die Reidersche Tafel sieht Auferstehung und 
Himmelfahrt als Einheit: 


Christus vom Grabe her kommend, schreitet direkt 
iiber eine Flanke des Olberges hinauf nach oben. 
Aus den Wolken heraus ergreift die Hand Gottes 
seine Rechte. Darunter kauern zwei Jiinger, rechts 
am Grab Wachter. 

Drei Frauen, darunter (ohne Spezereien) wenden 
sich dem — noch fliigellosen -- Engel zu, der ihnen 
seine Rechte segnend entgegenstreckt. Hinter ihm 
die konstantinische Grabkapelle tiber dem Heiligen 
Grab (2.Viertel 4.Jh.). Die Tir ist verschlossen, 
wie das Grab, aus dem der Auferstehende entwich. 
Aus der Kapelle wachst der -> Lebensbaum -- Zei- 
chen des offenen Zugangs zum Himmel. Die friich- 
tepfliickenden Seelenvégel in den Zweigen sind die 
Raben, die Elias Nahrung bringen (1. K6n. 17, 6). 


Drei Anspielungen auf die Himmelfahrt ent- 
halten die Holzreliefs von Santa Sabina (Rom, 
430, ostmittelmeerische Kistler): 


yr Auf einem Feld im unteren Teil fahrt Elia 
auf dem Feuerwagen nach rechts oben. Ein 
iiber ihm schwebender Engel zieht den an ei- 
nem Stab hangenden Propheten kraftvoll 
Richtung Himmel. 


157 


Himmelfahrt Christi 


yw In einem Feld links dartiber wird Christus 
auf einer Anhéhe von zwei tiber ihm schwe- 
benden Engeln buchstablich »nach oben ge- 
zerrt«. Vier Jiinger, darunter, kauern er- 
schrocken oder gestikulieren ekstatisch. 

vv Auf dem Felde rechts daneben, direkt tiber 
der Eliasdarstellung, triumphiert Christus in 
einem Kreisnimbus stehend. Die ihn umge- 
benden vier Fliigelgestalten sind als — Evan- 
gelisten wie als apokalyptische Tetramorphen 
(— Hesekiel-Vision) zu sehen (Kombination 
von Auffahrt und Wiederkunft). 


-ς S| 


Elfenbeinrelief, sog. Reidersche Tafel, mutmaflich 
Milano, um 400, jetzt in Miinchen, faBt Auferstehung 
und Himmelfahrt zusammen. 


Unter dem Kreisnimbus als Himmel Gottes 
der irdische Himmel mit Sonne und Mond 
tiber einer Orantin — zugleich Allegorie der 
Kirche und der Muttergottes. Petrus und Pau- 
lus (?) halten tiber sie einen Kranz mit dem 
Triumphkreuz, irdisches Symbol (-» Kreuz) 


158 


ftir den hoch iiber ihm im Himmel schweben- 
den triumphierenden Christus (Kombination 
von Symbol und Bild des Symbolisierten). 
Nahe steht dem Relief das koptische Apsis- 
fresko von Babit (5. oder 7.Jh.; Koptisches 
Museum Kairo). Im 150 Jahre spater voll ent- 
wickelten byz. Motiv sind die Inhalte der drei 
Himmelfahrtsdarstellungen miteinander ver- 
schmolzen: Christus bewegt sich nicht mehr 
selbstandig oder von Engeln gezogen nach 
oben. Dem Evangelientext entsprechend wird 
seine Mandorla von vier Engeln »aufgehoben« 
(Kastchen Sancta Sanctorum, Rom, 6.Jh.), 
mitunter auch noch von den Tetramorphen 
der — Hesekielvision (Rabula-Evangeliar, 
586). 

Bereits auf dem Relief des Prinzensarkophags 
(Konstantinopel, um 400) tragen vier Engel 
die Lichtgloriole des darin thronenden Chri- 
stus. Das bis zum Bilderstreit haufige Motiv 
eines von vier Engeln getragenen Kranzes 
oder Kreises (Bildchiffre fiir Himmel) um das 
Kreuz, das Christusmonogramm, das Lamm 
oder eine Christusbiiste, ist zeichenhafter Hin- 
weis auf den zum Himmel fahrenden und wie- 
derkehrenden Heiland (Erzbisch6fliche Ka- 
pelle, Ravenna, um 500; Lamm im Kranz in 
San Vitale, um 550). 


Christusmonogramm im Kranz, von zwei Engeln ge- 
halten, Triumphzeichen Christi und Anspielung auf 
die Himmelfahrt Christi und in seiner Nachfolge des 
bestatteten Verstorbenen. Sarkophag, Archdologi- 
sches, Museum Istanbul, 4. Sh. 


Da8 Christusmonogramme, in der Aureole oder im 
Kranz von zwei Engeln getragen, die gleiche Bedeu- 
tung haben, wird nahegelegt 


xv durch frie mittelbyz. Himmelfahrtsbilder mit 
nur zwei Engeln, 

x durch einen koptischen Grabstein (5. Jh., jetzt in 
Recklinghausen): zwei Engel ziehen eine Christus- 
biiste mit einem Kreuzsymbol vor der Brust am 
Haupthaar nach oben (wie Habakuk den — Da- 
niel). i 


Himmelsleiter 


Zeichenhaft verkiirzte Wiedergabe des triumphierend 
auffahrenden Christus in der Barbara Kilise, Gére- 
ime, Kappadokien. 


Bilderfeindliche Christen des 8. und 9.Jh.s 
(Ikonoklasten) reduzierten das seit dem 6./ 
7.Jh. voll entwickelte Himmelfahrtsmotiv zu 
einem schlichten Zeichen: Ein eucharistisches 
Kreuz im Kreis reprisentiert den Christus 
triumphans, einfache Standartenzeichnungen 
die ihn tragenden Engel (Barbara Kilise; > 
Bilderfeindliche Ornamente). 


Christus triumphans zum Himmel fahrend vor seinem 
Monogramm, A’aci Alti Kilise, Ihlara, Kappadokien, 
10. Sh. oder frither? 


Der naive Himmelfahrtschristus in der Kuppel 
der A’aci Alti Kilise (Kappadokien) ist mit ei- 
nem groben, an ikonoklastische Zeichen erin- 
nernden Christusmonogramm unterlegt (— Bil- 
derfeindliche Ornamente). 

Vom 9./10.Jh. an kristallisiert sich aus dem 
Himmelfahrtsmotiv in der Hauptkuppel die > 
Pantokratordarstellung heraus. 


Himmelsleiter 
H KAIMAE TOY IIAPAAEICOY 


I klfmax tou paradisou 


Zugang zum Himmel fiir aufsteigende Men- 
schen oder fiir herabsteigende Himmelswesen, 
in Visionen geschaut, symbolisch dargestellt 
oder als Allegorien in religidser Literatur be- 
schrieben. Himmelsleitern sind auch — Berge 
und Baume (— Lebensbaum). 


Archetypisches Oben und Unten 

Die universelle Vorstellung, da8 das Géttliche 
immer oben in unerreichbarer Hohe zu suchen 
ist, hat das Bediirfnis geweckt, eine Verbin- 
dung zwischen Himmel und Erde herzustellen, 
auf der die Menschen nach oben (Mose auf 
dem Sinai, Christus auf dem Berg der Verkla- 
rung) oder die géttlichen Wesenheiten nach 
unten gelangen kénnen, um den Menschen zu 
erscheinen. Ein Erscheinungsort ist stets heilig 
— eine Himmelspforte. Natirliche »Himmels- 
leitern« sind + Berge und Baume (—> Lebens- 
baum). Kiinstliche Berge.mit Himmelsleiter- 
funktion sind die Pyramiden Agyptens und die 
Zikkurat-Ttirme Babylons (> Turmbau zu 
Babel). 

Die Schamanen Zentralasiens und Nordameri- 
kas nutzen rituell oder ekstatisch Berg, Baum 
oder Vogelflug, um in eine andere Welt vorzu- 
dringen. 


Die Jakobsleiter und ihre Symbolik 

»Und Jesus ... sagt zu ihm: Amen, amen, ich sage 
Euch, ab sofort werdet Ihr den Himmel sehen auf- 
getan und die Engel Gottes herauf- und herabstei- 
gen tiber den Menschensohn (wie tiber eine Leiter)« 
Joh. 1, 51. 

»Wenn die heilige Pforte sich auftut, und der Vor- 
hang zur Seite geschoben wird, dann stell Dir vor, 
daB sich der Himmel 6ffnet und Engel emporstei- 
gen.« Johannes Chrysostomos 


159 


Himmelsleiter 


1. Mose 27, 11-22 berichtet tiber eine Vision 
des Enkels von Abraham: 


»Und er nahm einen Stein an dem Ort und legte ihn 
an sein Kopfende und legte sich dort schlafen. Und 
ihm tréumte: Siehe, eine Leiter stand auf der Erde, 
die riihrte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, 
die Engel Gottes stiegen herauf und herab. Und 
obenan stand der Herr ... Als Jakob aus dem Schlaf 
erwachte ... fiirchtete er sich und sagte zu sich 
selbst: Wie heilig ist diese Statte. Das hier ist nichts 
anderes als das Haus Gottes, hier ist die Pforte des 
Himmels ... Nahm den Stein, den er an sein Kopf- 
ende gelegt, richtete ihn auf als Malzeichen und goB 
— Ol darauf. Und er nannte die Statte Beth-el 
(Haus Gottes).« 


Jede orthodoxe Kirche ist Pforte des Himmels. 
Ihr Grundstein als der Stein Jakobs, auf den 
sich die Himmelsleiter stiitzt, wird bei der 
Grundsteinlegung vom Priester mit Ol geweiht 
(— Kirchenbau). 


Vom Friihchristentum an gilt die Jakobsleiter als 
Typus der Himmelfahrt Christi. Auf der Reider- 
schen Tafel (-> Himmelfahrt) klettert Christus re- 
gelrecht in den Himmel. Bei Jakobs Traum liegt das 
Gewicht eher auf dem Herabsteigen géttlicher Kraf- 
te. In Goethes Faust wirkt das Bild nach: »... wie 
Himmelskriifte auf- und niedersteigen und sich die 
goldnen Eimer reichen ...« 


Referees shad 


Die Paradiesesleiter fiir die Ménche, Trapeza 
(Speisesaal) eines Athosklosters. 


160 


Johannes Klimakos. Chorakirche, Konstantinopel, 


Dargestellt wird die Leiter zusammen mit Ja- 
kobs Engelkampf. Gottvater an der Himmels- 
pforte ist meist ersetzt durch die Gottesmutter 
(Chorakirche, Konstantinopel, 1315/21), als 
der Himmel und Erde verbindenden Pforte 
und Leiter zugleich: 


»Sei gegriiRet (Maria), himmlische Leiter, tiber die 
herabsteigt Gott! Sei gegriiBet, Brticke in der an- 
dern Richtung zum Himmel fiir die, die von der 
Erde sind!« Akathistos Hymnos (—> Maria). 


Sues) 


1315-1321. 


Himmilische und kirchliche Hierarchie 


Die Ménchsleiter des Johannes Klimakos 

Der Abt des Katharinenklosters auf dem Si- 
nai, Johannes Klimakos (7.Jh.), beschreibt in 
einer Erbauungsschrift fiir Ménche eine 30stu- 
fige, nach oben fiihrende Himmelsleiter. 

Ikone des 12.Jh.s (Sinai): 24 Ménche steigen 
von der linken unteren Ecke nach rechts oben, 
wo in einem Himmelssegment Christus die Ar- 
me nach ihnen ausstreckt. Engel in der linken 
oberen Ecke neigen sich ihnen mit verhiillten 
Handen zu. Schwarze Engel versuchen sie mit 
Fangleinen, Zangen, Pfeilen zu Fall zu brin- 
gen. Sechs Miénche klammern sich mit den Fi- 
Ben an der Leiter fest. Einer ist schon abge- 
sttirzt, aus dem Rachen eines schwarzen Rie- 
senkopfes ragen seine Beine. Einem Ménch 
ganz oben reicht Christus ein Tuch hin. Ohne 
Christi Hilfe schafft niemand den Aufstieg. 
Spat- und postbyz. Wandmalereien in kléster- 
lichen Speisesilen wie auf Athos, erweitern 
das Motiv um die Andeutung eines Klosters, 
aus dem Ménche heraus- und zur Leiter hin- 
treten. Der Héllenrachen entspricht dem Dra- 
chenkopf des — Endgerichts. Engelscharen 
greifen ein, halten erschépfte M6nche am Ge- 
wandzipfel fest. Christus ergreift den obersten 
mit der Rechten, setzt ihm einen Kranz auf 
den Kopf oder halt ein Spruchband: 


»Kommet her zu mir alle, die ihr miihselig und bela- 
den, ich will Euch erquicken!« Matth. 11, 18 


Bildbeischrift laut Malerhandbuch (Ermenia): 
»... da Du die Engelchére hast als Schutz, so kannst 
der bésen Geister Schar Du heil passieren; hast erst 


des Himmels Pforte Du erreicht, empfangst Du aus 
des Retters Hand der Tugend Kranz.« 


Johannes Klimakos hat die spatantike kosmi- 
sche Vorstellung, da8 die Totenseelen tiber 
die sieben von den damonischen Archonten 
beherrschten Planetensphéren hinaus in die 
Seligkeit klettern, ins Ethische umgedacht. 


Himmilische und kirchliche 
_ Hierarchie 


H THC OYPANIAC/ 
EKKAHCIAC IEPAPXIA 


I tis ouranfas /ekklisfas ierarchia 


Neuplatonisch beeinfluite ontologisch-kosmo- 
logische Vorstellung, sieht die unsichtbare und 


die sichtbare Welt aufgebaut aus abgestuften 
Rangordnungen. Ursprung dieser Ordnungen 
ist die géttliche Lichtausstrahlung, die sich her- 
absinkend von Stufe zu Stufe immer mehr ab- 
schwacht. Die Ranghohe einer Ordnung hangt 
von ihrer Nahe zum gottlichen Ursprung ab. 


Die pseudodionysischen Schriften tiber die 
himmilische und kirchliche Hierarchie 

Um 500 hat ein syrischer Autor unter dem Na- 
men des im NT erwahnten Dionysios Areopa- 
gita (Gedenktag 3. Oktober) Schriften »Uber 
die himmlische und die kirchliche Hierarchie« 
verfaBt. Eine grandiose Zusammenschau 
christ]. und neuplatonischer Vorstellungen hat 
als ganzheitliches Weltbild die orthodoxe Gei- 
stigkeit, Kultur und Kunst entscheidend ge- 
pragt. Die katholische Kirche hat den »Pseu- 
dodionys« immer geschétzt (Bernhard von 
Clairvaux, 11153, Hildegard von Bingen, 
+1179), der Protestantismus ihn véllig ver- 
kannt — Luther: »Fabeln«, »Hirngespinste«, 
»Truggeschichten«. 


Die areopagitische Sicht des Kosmos 

Gott ist seinem Wesen nach unbegreifbar und 
unbeschreibbar. Sein tiberstrémender Uber- 
flu8 ergieBt sich wie Sonnenlicht. Aus den 
tibergeflossenen Emanationen besteht alles, 
was existiert. Die aus dem Urgott als das Licht 
Christus entstrémende und von oben nach un- 
ten entsprechend der Entfernung vom gdttli- 
chen Urquell abgestufte Heilsordnung umfaBt 
eine obere in drei mal drei Ordnungen unter- 
gliederte Hierarchie der Unsichtbaren und 
Unkérperlichen (Engel) und eine untere sicht- 
bare Hierarchie der Kirche. Darunter noch ei- 
ne Hierarchie des Gesetzes des AT, die ihren 
Zweck erfiillt hat und von Dionys nur knapp 
gestreift wird (— Schatten). 


Die Darstellungen der Hierarchien 

auf dem Athos 

»Die Chore der heiligen Engel sind nach dem heili- 
gen Dionys, dem Areopagiten, neun, welche in drei 
Ordnungen zerfallen. Die erste Ordnung: Throne, 
Cherubim, Seraphim. 

Die Throne werden wie feurige Rader dargestellt, 
welche ringsum Fligel haben. Mitten in den Fligeln 
haben sie Augen; sie sind miteinander verschlungen 
und werden wie ein kéniglicher Thron dargestellt. 


161 


Himmlische und kirchliche Hierarchie 


co 


Ubersicht: Der Stufenbau der Hierarchien in der areopagitischen Mystik 


Christus als hervorquellendes g6ttliches Licht 


Himmilische 1, Ordnung 1. Throne Die drei Gruppen der reinen, 
Hierarchie (Kol. 1,16) 2. Cherubim beschauenden und vollendeten 
(unsichtbar, geistige 3. Seraphim Engel werden von Gott selbst 
Schau, immaterielle erleuchtet. Singen das Trisajion 
Kenntnis Gottes) (— Eucharistie) 
2. Ordnung 4. Herrschaften werden erleuchtet von der 
(Eph. 1, 21; 5. Gewalten ersten Engelordnung 
1. Kor. 15, 25; 6. Machte 
Rom. 8, 38) 
3. Ordnung 7. Firstentiimer werden erleuchtet von der 
(Rém. 8, 38) 8. Erzengel zweiten Engelordnung und 
9. Engel erleuchten die erste Ordnung 
der kirchlichen Hierarchie 
Kirchliche Hierarchie 1. Ordnung 1, Myronsalbung Vollendung 
(sichtbar, geistig-sinn- Drei» Myste- 2. Eucharistie Erleuchtung 
lich, angewiesen auf rien 3. Taufe Reinigung 
sinnlich einsehbare 
Bilder der geistigen 2. Ordnung 4. Bischéfe vollenden 
Wirklichkeit) Mysterienspen- 5. Priester erleuchten 
dende Kirche 6. Diakone reinigen 
3. Ordnung 7. Ménche werden vollendet 
H6rende Kirche 8. Gemeindemitglieder | werden erleuchtet 
9. Unvollkommene wie —_ werden gereinigt 
Bii®er, Katechoumenen 
Hierarchie Obere Ordnung Geistige Kultur der Eingeweihten vor dem Zelt der 
des Gesetzes Bundeslade 
(Alttestamentliche, 
jetzt tiberholte Welt) Untere Ordnung Dunkle Bilder (— Schatten) der Wahrheit, weit entfernt 


von den Urbildern 


Die Bezeichnungen Throne, Herrschaften, Gewalten, Machte, Fiirstentiimer werden von Paulus im 
Hinblick teils auf Engel, teils auf dimonische Machte (Astrologie) benutzt 


Die Cherubim haben einen Kopf mit zwei Fliigeln, 
die Seraphim sechs Fliigel, wovon zwei das Ange- 
sicht und die zwei anderen die FiiRe bedecken, und 
mit den zwei anderen fliegen sie und tragen in den 
Handen einen Ehrenfacher mit dieser Schrift: Hei- 
lig, heilig, heilig usw. (Eucharistie). So sah sie der 
Prophet Isaias (Kap 6, 3). 

Die zweite Ordnung, welche Regierungen genannt 
wird: Herrschaften, Krafte, Machte. Sie tragen Sti- 
charien (—> Gewdnder) bis zu den FiiRen, sie sind 
umgiirtet und haben goldgriine Orarien. In der 
Rechten haben sie einen goldenen Bandstreifen, in 
der Linken aber ein Siegel. 

Die dritte Ordnung: Fiirstentiimer, Erzengel, Engel 


162 


... Sie tragen Kriegergewander und sind mit golde- 
nen Giirteln umgiirtet, und in den Handen halten 
sie Lanzen mit Axten und SpieBe ...« Malerhand- 
buch (Ermenia) 


Abgebildet in spatbyz. Gewélbekuppeln wird 


die himmlische Hierarchie — die kirchliche ist . 


in der Priesterschaft —-in der Gemeinde und in 
den— Mysterien gegenwartig. 

Eine erweiterte Fassung der kirchlichen Hierarchie 
zeigt Christus in einem sechsstrahligen Stern, um- 
sdumt von der Schrift: »Die ganze Geisterwelt mége 
den Herrn loben, lobet ihn in der Héhe, Dir dem 
Gotte gebiihrt ein Lobgesang.« In der Rechten hilt 


Hirsch 


Ubersicht II: Das areopagitische System in der abbildenden Architektur 


Mittelbyz. Kreuzkuppel- 


Ajia Sophia, 


Baptisterium der Orthodoxen, 


kirchen (Naos) Konstantinopel, 6.Jh. Ravenna, um 450 
Christus Pantokrator hell beleuchtet Hauptkuppel mit — Taufe Christi auf Goldgrund 
als g6ttliche © (Helligkeit nimmt nach unten Kreuz, hell durch (Theophania!) 
Lichtquelle πίη ab!) . Fenster beleuchtet 
Abstufungen Gewélbezone: Erscheinun- Hauptkuppelruht auf Goldornament auf blauem 
nachunten ρθη der Gottlichkeit Christi zwei Halbkuppeln, die Grund wird nach unten hin 


(Theophanien). 

Wandzonen oben: Mensch- 

liches Wirken Jesu (Passion). 
᾿ Wandzonen halbhoch: 

Heilige, Martyrer. 

Unten im Schiff: Gemeinde 


wieder auf drei (bzw. 
zwei) kleineren Halb- 
kuppeln aufliegen 
(Kuppelkaskade) 


sparsamer, raumliche Reali- 
tat, erst als Relief und spater 
in Form von Nischenbildun- 
gen, an den acht Seiten des 
Oktagons nimmt nach unten 
hin zu 


Himmlische Hierarchie. Die neun Engelchére sind 
allerdings in Kreissektoren um Christus herum 
angeordnet, nicht in konzentrischen Kreisen. 
Athoskloster Mega Lawra. ~ 


Christi ein aufgeschlagenes Buch Joh. 18, 36: »Mein 
Reich ist nicht von dieser Welt. « 

Der Stern, hinter dem die vier Evangelistensymbole 
hervorlugen, sitzt in einem Kreisgebilde mit Sonne, 
Mond und den zwilf Tierkreiszeichen. Die davon 
ausgehendéen Achtstrahlen-Zacken formen Nischen 
fiir die Engelchére (Dochiariou, Athos, ca. 1568). 
AuBen gruppieren sich verstorbene Repradsentanten 
der kirchlichen Hierarchie: Erzvater, Propheten, 
Apostel, Bischéfe, Martyrer, rechtglaubige K6nige, 
Martyrerinnen, gottgeweihte Frauen. 


Die neun Engelchére kommen in spat- (Vene- 
dig, San Marco) und nachbyz. Zeit vor 


(Athos): Sie entfalten sich jedoch nicht kon- 
zentrisch, sondern gruppieren sich um den 
triumphierenden Christus -- auf dem Athos 
hdufig auf acht verringert. 

Die tiberzeugendste Darstellung der himmli- 
schen und kirchlichen Hierarchie verk6rpert 
sich in der Architektur des byz. Kultraumes in 
Verbindung mit dem Bildprogramm (s. Ka- 
sten). 

Auf dem H6hepunkt der Feier der Auferste- 
hung Christi (+ Ostern) wird der mystische 
Kosmos des Areopagiten rituell umgesetzt: 
Der Priester gibt das Kerzenlicht weiter an den 
Vordersten in der Kirche, und, von da aus 
wird es weitergegeben nach hinten, bis die Kir- 
che von Licht durchflutet ist. 


Hirsch 
O EAA®OC 
O élaphos 


Als Schlangentéter Bild Christi, der den Satan 
besiegt, als diirstendes Tier Symbol des Glau- 
bigen, den es nach lebensspendendem Wasser 
verlangt. 


Hirsch und Schlange 

»Der Physiologus sagt vom Hirsch, daB er der 
Schlange Feind ist. Wenn die Schlange vor dem Hir- 
schen in die Spalten der Erde fliichtet, kommt der 
Hirsch und fillt seinen Mund mit Quellwasser, speit 
es in die Erdritzen und schwemmt die Schlange her- 
aus, zertritt sie und bringt sie um ... Der Herr kam 
und verfolgte die geistliche Schlange mit himmli- 


163 


Hélle 


schem Wasser, er hatte sich verborgen in den inner- 
sten Tiefen der Erde, der Teufel. Und der go aus 
seiner Seite Blut und Wasser. Er machte zunichte 
alle unter uns verborgene teuflische Gewalt durch 
das Bad der Wiedergeburt.« 


Die Aussage des Physiologus (Schrift des 
2.Jh.s) basiert auf der Behauptung Plinius 
ἃ. A. (gest. 79 n. Chr.), der Hirsch téte Schlan- 
gen; auch auf Ps. 42, 2 als Hinweis auf Taufe 
und Eucharistie gedeutet. 


»Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so 
schreit meine Seele, Gott, zu Dir.« 


Auf Rhodos — mit dem Wahrzeichen Hirsch 
und Hindin — glaubt man, die Insel ware friiher 
von Schlangen verseucht gewesen, Hirsche 
hatten sie alle mit ihren Geweihen umge- 
bracht. 


Hirsch und Wasser 


Von Leoparden angesprungener Hirsch, 
PalastfuBboden, Konstantinopel, 6. Sh. 


Wassertrinkende Hirsche verkérpern in friih- 
‘christl. Memorienbauten und Baptisterien 
(Ravenna, Galla Placidia, Anfang 5. Jh.; Salo- 
na, Baptisterium, 5.Jh.) die nach Gott und der 
Taufe diirstenden Seele, Hirsche und Wein- 
trauben den Schrei nach eucharistischen Ga- 
ben. In mittelbyz. Zeit erscheint das Seelen- 
und Taufsymbol in Tierfriesen (Achtamar 
916-21). (In China ist der Hirsch ein Bild fiir 
Trockenheit und Dire!) 


Holle 
- Endgericht 


164 


Hochzeit 


Hochzeit zu Kanaa — Wunderspeisungen 


Ikone 
— Bild; — Ikonostase 


Ikonenabdeckung 


TO ENAYMA 
To éndyma 


Schiitzende »Zinhiillung« der Ikone; Silber- 
oder Goldblechabdeckung mit einer getriebe- 
nen Reliefnachbildung des Motivs. Gesicht, 
auch Hande oft ausgespart. Naheres > KuB. 


Ikonenweihe 
— KuB 


Ikonenwunder 


TA OAYMATA TQN EIKONQN 
Ta thdwmata ton ikénon 


Ubernatiirliche Ereignisse in Verbindung mit 
Ikonen — wunderbare Entstehung, Heilungen, 
Hilfe gegen Bedrohungen. Verursacht werden 
die Wunder von den Urbildern derer, die auf 
den Kultbildern dargestellt sind. 


Acheripiita — nicht von Handen gemachte 
Ikonen 

»Das Abbild seines allreinen Bildes bewirkte Er 
(Christus) nicht von Menschenhand geschaffen — in- 
dem er ein Tuch auf sein allheiliges Antlitz legte. Er 
libersandte dieses Abbild dem Fiirsten von Edessa 
und heilte ihn damit von der Krankheit.« Aus dem 
ersten Gebet bei der Weihe einer Christusikone 


Bedeutende wundertatige Ikonen, darunter 
die Urikonen Christi und der Gottesmutter, 
gelten als nicht von menschlichen Handen ge- 
macht. Das Abgartuch (+ Mandylion) ist die 
bekannteste Christus-Urikone. Friiheste Hin- 
weise auf eine Christus-Acheripiita stammen 
von 560 und 574: Das Bild, aufgefunden von 
einer Heidin in Kamulia, Kappadokien, »stell- 
te zwei Kopien von sich selbst her und tat viele 
Wunder«. Aus dem 8. und 9.Jh. sind Marien- 
Achiropiita bekannt. Spater wird die Urikone 
der Muttergottes auf den Evangelisten — Lu- 
kas zurtickgeftihrt. Auch Engel haben Ikonen 


Tkonostase 


gemalt, z.B. die Georgsikone im Athoskloster 
Zographou. Auf einem Feld aufgefunden wur- 
de 1821 das Gnadenbild von Tinos (> Heim- 
holung Maria). 


Tricherotisa — Panajia mit drei Handen 

Die Tricherousa von Chilandariou (Athos) gilt 
als Werk des Evangelisten Lukas bzw. als Ko- 
pie danach. Sie gehérte -> Johannes Damasze- 
nus (ca. 670--750). Der Kalif hatte ihm damals 
auf Betreiben Leos III. seine Rechte abschla- 
gen lassen, damit er keine Streitschriften ge- 
gen die Bilderstiirmer mehr verfassen k6nne. 
Die Allheilige der Ikone heftete ihm die abge- 
schlagene Hand wieder an. 

Aus Dankbarkeit stiftete ihr Johannes Dama- 
szenus eine Silberhand, die an der Ikone ange- 
bracht wurde. 

Die dritte Hand der Ikone Panajia Tripiti 
(Aghion) ist die Hand, mit der sie beim Bau 
der Kirche mitgeholfen hat. 


Ikonen, die verschwinden und wiederkehren 
Zahllos sind die Legenden iiber Ikonen, die 
sich ihren derzeitigen Aufenthaltsort selbst 
ausgesucht haben. Wahrend des Bilderstreites 
verletzte ein Soldat Leos III. in Konstantino- 
pel mit einem Sabelhieb die Panajia auf einer 
Ikone. Blut flo8 aus ihren Wangen. Zu Tode 
erschrocken zog sich der Missetater als M6nch 
auf den Athos zuriick. Dort fand er die Ikone, 
noch immer blutend, am Strand. Sie war von 
der Hauptstadt aus tibers Meer zum Athos ge- 
schwemmt worden. Zitternd trug er sie zur 
Kirche des Athosortes Karies. Dort hérte das 
Bluten auf (Ikone »Axion Esti« im Protaton, 
Karies). Die »Portaitissa«, Iwiron, wurde im 
Bilderstreit von einem Glaubigen bei Nikaa 
dem Meer tibergeben und erreichte schwim- 
mend den Athos. Die Ikone des Tsambiko- 
Klosters (Rhodos) ist von alleine aus Zypern 
entschwunden und in Rhodos wieder aufge- 
taucht. 


Ikonen als Abwehrschilder und Wunderwaffen 
Im byz. Heer wurden Ikonen, besonders die 
Panajia Odijitria (Weggeleiterin > Maria), als 
Paladion (Schutzschild) mitgefiihrt. 

626 belagerten die Awaren Konstantinopel. 
Am Vorabend vor dem Sturmangriff sang die 
Bevélkerung vor einer Marienikone aus Wachs 


in der Ajia Sophia einen 24strophigen Marien- 
hymnus und wiederholte ihn, ohne sich zu set- 
zen, die ganze Nacht hindurch. Akathistos 
Hymunos: der, bei dem man sich nicht setzt. Im 
Morgengrauen zog der Patriarch mit der Ikone 
in einer Prozession hinauf auf die Stadtmauer 
und richtete sie gegen die anstiirmenden Awa- 
ren. Plétzlich schossen Blitze und Flammen 
aus dem Bild heraus und brachten die Angrei- 
fer in Verwirrung. Die Byzantiner konnten sie 
vertreiben. 

Alexios III. aus Trapezunt (1330-90) schenkte 
die Ikone dem Heiligen Dionys (heute in dem 
vom Heiligen gegrtindeten Kloster Dionysiou, 
Athos). 


Als einst islamische Piraten sich der Insel Folegan- 
dros naéherten, nahm der Papas die Marienikone aus 
der Kimisiskirche, postierte sich an der Steilkiiste 
und richtete sie auf das erste Schiff: es ging sofort 
unter. So versenkte er Schiff um Schiff. 

Die Gottesmutterikone Phowera Prostasia hiillte 
das Athoskloster Koutloumousiou bei einem Sturm- 
angriff osmanischer Soldaten in dichten Nebel. Die 
Osmanen verirrten sich und konnten das Kloster 
nicht mehr finden. ‘ 


Ikonoklasmus 
—> bilderfeindliche Ornamente; —> Kreuz 


Ukonostase 


TO TEMITAON 
To témplon 


Trennwand zwischen Gemeinderaum und Al- 
lerheiligstem, friiher aus Stein, heute meist aus 
oft vergoldetem Holz. Mit ein bis drei Ttiren 
und Ikonen als Fenster in die unsichtbare 
Welt. 


Grenze und Verbindung zwischen der 
sichtbaren und der unsichtbaren Welt 

»Nicht um sie zu vergottlichen, haben wir sie (die 
Christusikone) gemacht, sondern damit die dem 
Bild erwiesene Ehre zu seinem Urbild emporsteige, 
um ehrfurchtsvoll Deiner Majestat vorgelegt zu wer- 
den« Aus dem 1. Gebet fiir die Weihe einer Christus- 
ikone 

Die ein- bis dreitiirige Bilderwand wird im 
Griechischen als Templon bezeichnet. 
Ikonostasion ist der Stainder, auf dem im 
Gemeinderaum Festtagsikonen  ausgelegt 
werden. 


165 


Ikonostase 


Das Templon verhiillt das Allerheiligste, spie- 
gelt aber zugleich in seinen Ikonen die gesam- 
te vergdttlichte Welt, ermdglicht somit die An- 
schauung dessen, was das vergottlichte Auge 
schauen wird. Das Templon ist eine durchlas- 
sige Wand zwischen der geistigen unsichtbaren 
Welt, symbolisiert durch den Altarraum, und 
der dinglichen Welt (dem Gemeinderaum). 

Zur Zeit des AT war die gottliche Wirklichkeit ver- 
hiillt - der Vorhang des Tempels zugezogen —, nur 


wy) 


schattenhaft (—> Schatten) in Symbolen zu erahnen. 
In der vergéttlichten Welt nach der Wiederkunft 
Christi haben die Glaubigen ungehinderten Zugang 
zu Gott, um ihn zu schauen. Gegenwartig ist die 
Welt des Géttlichen noch nicht unmittelbar zu be- 
treten, doch iiber seine Spiegelungen — die Ikonen - 
von ferne zu schauen. 


Die Verehrung vor dem Abbild -- Gebete in 
Worten, in Kiissen, Opfer von Weihrauch — 
geht aufs Abbild iiber (—> Deisis). 


Cos 


FCLEL LT 


166 


~ 


[konostase 


Aufbau der Bilderwand (Zeichnung S. 166) 
Grundschema einer griechischen Bilderwand. 


A. Letztes Abendmahl 

B. Vorhang mit Christus als Hohepriester, in der 
Hand einen Abendmahlskelch, oder mit einer 
anderen eucharistischen Szene 

C., D. Der Verktindigungsengel vor Maria 

E., F, G., H. Die vier Evangelisten oder vier 
liturgische Vater 


1. Schéne Pforte (kirchenslavisch: K6nigspforte) 
I. und Π|. Nord- und Stidtiir (in kleineren Kirchen 
ist die Siidtitr entbehrlich),; auf den Vorhangen 
Erzengel oder Diakone 


IV. und V. -- Deisis -- Christus zwischen der furbit- 
tenden Muttergottes und dem fiirbittenden Johannes 
dem Téaufer — beide auf je einem Drachen oder Wal- 
fisch stehend. 

1. Christusikone 

2. Marienikone 

3. Ikone Johannes des Taufers 

4. Ikone des Heiligen, dem die Kirche geweiht ist 
a)—n) Zwélf Ikonen des —> Festtagszyklus, zusdtz- 
lich 13. Auferstehungsikone (—> Ostetn) oder zwolf 
Ikonen einschlieBlich Auferstehungsikone. Die Fest- 
bildreihe ist je nach Platz oder theologischer Absicht 
stark verktirzt oder ausgeweitet. 


Russische Bilderwande sind hoch, 

griechische breit 

Griech. Bilderwande enthalten nicht so viele 
Ikonen-Range iibereinander wie russische. 
Meist erhebt sich tiber der Festbildreihe sofort 
das Kreuz mit der Deisis, wahrend die Russen 
die Deisis durch die zw6lf Apostel zu einer 
Bilderreihe erweitern und zusdtzliche Bildran- 
ge mit den Propheten, den Patriarchen, und 
oft noch russischen Heiligen aufsetzen. In gro- 
Ben griech. Kirchen wird das Templon verbrei- 
tert: so die Ikonostase der Athanasios-Basilika 
in Dimotikon (Thrakien) aus zwélf Gliedern 
mit zw6lf Hauptbildern (unter denen — eine 
Seltenheit! - Szenen aus dem Heiligen Land; 
-Ὁ Jerusalem); Festbildreihe erweitert auf 25 
Ikonen. Patriarchatskirche Fanari, Konstan- 
tinopel (17.Jh.) - Templon mit drei Festtags- 
bildreihen iibereinander mit tiber 70 Ikonen. 
In kleinen Kirchen haben Bilderwande meist 
nur eine Tiir, allenfalls zwei Hauptbilder 
(Christus und Maria), drei bis vier Festtags- 
ikonen. 


Historische Entwicklung der Abtrennung 

des Allerheiligsten vom Gemeinderaum 

Die Abgrenzung des Altarraumes gegeniiber 
dem Naos setzte, laut Eusebios (339-40) im 
4.Jh. ein. Es galt das reliquiensiichtige Volk 
vom — Altar abzuhalten. Die niederen Chor- 
schranken und Vorhange spielten schon eine 
Rolle im Ritus, wurden — im Hinblick auf den 
Jerusalemer Tempelvorhang — symbolisch ge- 
deutet. , 


Steintemplon aus Kappadokien. 


Einfache Formen von Chorbriistungen, auch 
tibermannshohe Chorabschliisse aus Stein mit 
einem Durchgang in der Mitte aus dem 9. bis 
12. Jh. haben sich in Kappadokien erhalten. 
Vorbildlich fiir die Weiterentwicklung waren 
die mit Silberblech verkleideten Chorschran- 
ken in der Ajia Sophia — nach Paulus Silenta- 
rios (562) geschmiickt mit dem Bild Christi 
zwischen Engeln, Darstellungen der Prophe- 
ten und Apostel. Die Liturgie war im 7. bis 
8.Jh. weitgehend ausgebildet; wegen ihrer Be- 
deutung innerhalb des Ritus muB sich die 
Ikonostase zu der Zeit allgemein durchgesetzt 
haben. 


167 


Isaak 


In RuBland, wo die Kirchenbauten bereits ab der 
2. Halfte des 12. Jh.s zum turmartigen Héhenwachs- 
tum tendierten, entwickelten sich im 14.Jh., beein- 
flu8t durch Theophanes den Griechen und seinen 
Schiiler Rubliev, die typisch russischen Hoch-Ikono- 
stasen, eine Parallelentwicklung zum gotischen Flt- 
gelaltar (Anfang 13. Jh.). 

Wahrend es im Westen die Chorschranken, tiber die 
man hinwegblicken konnte, zulieBen, da® der 
Hochaltar selbst zum wichtigsten Bildtrager wur- 
de, tibernahm im Osten diese Funktion die Bilder- 
wand. 


Eine Besonderheit stellen die nachbyz. mit 
Fresken (anstatt mit Tafelbildern) geschmiick- 
ten steinernen Bilderwande in der Mani (Pelo- 
ponnes) und auf Agina dar. 


Bilderwand einer Kirche auf Chios. 


Isaak 


Erzvater, Sohn —> Abrahams, Vater Jakobs. 


Jakob 


Erzvater, Sohn Isaaks, Enkel—> Abrahams. 
— Himmelsleiter. 


168 


Jerusalem 
TA TEPOCOAYMA 


Ta Jerosolyma 


Hauptstadt des Volkes Israel, Ort des Tempels 
und des Kénigspalastes (Stadt Davids). Heili- 
ge Stadt fiir Juden, Christen und Muslims. Das 
himmlische Jerusalem der Christen ist Bild des 
Himmelreiches. 


Heilige Stadt der Juden 

Von David um 1000 v. Chr. den Philistern ab- 
genommen, zur Hauptstadt des GroBreiches 
Juda — Israel gemacht, wurde Jerusalem von 
Salomo um 975 durch den Bau des —-> Tempels 
und des K6nigspalastes aufgewertet. 

Die Stadt Davids — nach dem AT auf dem Berg 
Morija gelegen, wo —> Abraham Isaak opfern 
wollte — ist bis heute der Orientierungspunkt 
der jtidischen Religiositét. Zum Passahfest 
wiinscht man sich: »Niachstes Jahr in Jeru- 
salem.« 

Dereinst wird der endzeitliche David als Mes- 
sias von dort aus die Welt beherrschen. Das 
nach der ersten Zerstérung 578 von Hesekiel 
in der babylonischen Gefangenschaft visionaér 
geschaute neue Jerusalem (— Hesekiel- 
Vision), erwartet in weltlich aufgefaBter Heils- 


. zukunft, trug mit seinen dreimal vier Toren, 


entsprechend den zwélf Stémmen Israels, als 
Grundri®quadrat die Ziige eines kosmografi- 
schen Modells. Die Weltbeschreibung des Bu- 
ches Henoch (Kap. 34 u. 36, 2.Jh. v.Chr., in 
der dthiopischen Bibel enthalten) spricht von 
drei Toren an den Enden der Welt im Westen, 
Norden, Stiden und Osten; das Allerheiligste 
im Tempel hatte eine quadratische Grund- 
flache. 


Heilige Stadt der Christen 

Wahrend die Judenchristen an Jerusalem und 
am Kult im Tempel bis zu seiner Zerst6rung 
im Jahre 70 festhielten, wandten sich die Hei- 
denchristen noch vor Entstehung des NT einer 
vergeistigten Heilsstatte zu: 


»Und er (der Engel) fiihrte mich auf einen hohen 
Berg und zeigte mir die groBe Stadt, das heilige Je- 
rusalem, herniederfahren aus dem Himmel von 
Gott ... Und sie hatte eine grofe und hohe Mauer 
und zw6lf Tore und auf den Toren zwélf Engel, und 


Namen darauf geschrieben, namlich der zwélf Ge- 


Jesaias 


schlechter der Kinder Israels. Vom Morgen drei 
Tore, von Mitternacht drei Tore, von Mittag drei 
Tore, vom Abend drei Tore ... und die Stadt liegt 
viereckig und ihre Lange ist so groB wie ihre Breite« 
Offbg. Joh. 21, 10 ff. 

»... Nicht ndémlich haben wir hier eine Stadt, 
die uns bleibt, sondern die zukiinftige suchen 
wir.« Hebr. 13, 14 ; 
Anfang 4.Jh. wurde mit dem rémischen Reich 
Jerusalem christlich. + Konstantin lieB an den 
wichtigsten heilsgeschichtlichen Erinnerungs- 
stétten Kirchen errichten, deren Bildmotive 
maBgeblich wurden fiir die byz. Kunst. 451 
wurde Jerusalem Sitz eines Patriarchen. 


Nach der islamischen Eroberung Anfang 7. Jh. blieb 
Jerusalem ein wichtiges Pilgerziel. Nachdem der 
Fehlschlag der Kreuzztige die r6m.-kath. Welt dazu 
zwang, sich mit dem Verlust des irdischen Jerusalem 
abzufinden, schuf man in den Chéren der gotischen 
Kathedralen sinnbildliche Darstellungen des himm- 
lischen Jerusalem. 


Die leuchtenden Farbglasfenster der Chére 
erschienen als die edelsteingeschmiickten 
Grundsteine der Stadt nach Offbg. Joh. 21, 
19-21. 


Heilige Stadt der Muslims 

Mohammed wurde vom Ort des Allerheilig- 
sten des Tempels in Jerusalem auf dem Him- 
melspferd Burak in den Himmel entriickt, um 
von Allah den Koran zu empfangen. Wenig 
spater, 637, eroberte der Kalif Omar die Stadt. 
Um 700 wurde der muslimische »Felsendom« 
an der Stelle des Tempelallerheiligsten er- 
richtet. 


Abbildungen und Bildzeichen fiir Jerusalem 
Bereits auf Elfenbeintafeln des 4. Jh.s steht ein 
Teil der Stadt — der konstantinische Kuppel- 
bau tiber dem heiligen Grab — fiir das Ganze. 
In Santa Pudenziana, Rom (4.Jh.) bildet das 
irdische Jerusalem mit dem kreuziiberragten 
Golgatha in der Mitte, Typus der Himmels- 
stadt, den Hintergrund einer Anbetung Chri- 
sti. Auf dem Triumphbogen von Santa Maria 
Maggiore (Rom, 1. Halfte 5. Jh.) steht Jerusa- 
lem (= Ursprungsort der Judenkirche) auf der 
rechten Seite, gegentiber Bethlehem, aus dem 
die Weisen (= Vorboten der Heidenkirche) 
heraustreten. 

Bildkiirzel des heiligen Grabes erscheinen auf 
Pilgerflaschchen des 6. Jh.s (> Ol). 


Kurzzeichen fiir Jerusalem, Fresko in Osios Lukas, 
bei Stiri in Phokis. 


In mittel- und spatbyz. Zeit wird Jerusalem 
von einem Mauerring umgeben. Allegorische 
Darstellungen — Frau unter Torbogen mit Bei- 
schrift Jerusalem -- kommen vom 9. bis 11. Jh. 
vor. Jerusalem bildet eine »Kulisse« fiir ein 
heilsgeschichtliches Geschehnis (z.B. -- Ein- 
zug in Jerusalem). Als Fresken erscheinen 
vom 12.Jh.‘an Bildktirzel in “Ziermedailions 
der Ornamentik (Osios Lukas). Modernere 
Drucke mit den wichtigsten Pilgerstaétten der 
Stadt finden sich tiberall in griechischen Kir- 
chen und Haushalten (Umsetzungen davon in 
Malerei z.B. unterste Templonzone: Athana- 
sioskirche Dimotikon). 


Kronleuchter als Himmlisches Jerusalem 

Die Kronleuchter in der Mitte des Naos gelten 
als Planetenbahnen (—> Kirchengebaude), wer- 
den zugleich als »himmlisches Jerusalem« ge- 
deutet — besonders wenn sie mit zw6lf torahn- 
lich geformten Kleinikonen der Apostel ge- 
schmiickt sind. 


Jesaias 
OTIPO®HTHC HCAIAC 


O profitis Isafas 


Bedeutender Prophet, nach dem das erste pro- 
phetische Buch des AT benannt. Seine Vision 
Gottes wird von der orthodoxen Kirche aufge- 
faBt als Typus der Erscheinung Gottes in der 
Eucharistie und in der Liturgie rituell nach- 
vollzogen. 


169 


Jesaias 


Druck mit den wichtigsten Pilgerstitten Jerusalems und der weiteren Umgebung. 


Martyrium des Jesaias 

Erster der vier groBen Propheten (sein Tag ist 
der 9. Mai), lebte in der 2. Halfte des 8. Jh.s in 
Jerusalem unter den Kénigen Ahas, Hiskia 
und Manasse. Uber seinen Tod berichtet die 
jiidisch-apokryphe Schrift »Das Martyrium des 
Jesaia«. 


»Der Prophet Jesaia ist an einen Baum gebunden. 
Zwei Soldaten zersigen ihn mit einer Baumsage. 
Und der Kénig Manasse sitzt ihm gegentiber auf 
einem Throne. Viele Hebraer sind neben ihm. 
Ringsherum stehen Gétzenbilder und Altére.« Ma- 
lerhandbuch (Ermenia) 


Eucharistische Deutung der Berufungsvision 
Dargestellt wird sie in spat- und postbyz. Zeit 
in Nebenkuppeln oder auf Schildbogen. Die 
Malerhandschrift vom Berge Athos beschreibt 
die Darstellung der Berufung: 

»Ein Haus, in ihm viele Wolken und Licht. In der 
Mitte sitzt Christus auf einem hohen und erhabenen 
Throne wie ein Kénig, mit der Rechten segnet er, 
mit der Linken halt er ein Blatt und sagt: Wen wer- 


170 


de ich senden und wer wird gehen zu diesem Volke? 
(Jes 4, 5). Um ihn herum sechsfliigelige Cherubim, 
welche rufen und sprechen: Heilig, heilig, heilig ist 
der Herre Zabaoth, die ganze Erde ist voll Herrlich- 
keit. Auf der rechten Seite der Ikone der Prophet 
Isaias, allein, zitternd. Es heift in einem Blatte: O, 
ich ungliicklicher, da ich, ein Mensch seiend, und 
unreine Lippen habend, den Kénig, den Herm Ze- 
baoth gesehen habe mit meinen Augen. (Jes. 4, 7) 
Vor ihm halt ein Engel mit seiner Rechten eine koh- 
letragende Zange und bringt sie zu seinem Munde. 
Mit der Linken halt er ein Blatt, auf dem steht: 
Siehe, dies hat Deine Lippen beriihrt und nimmt 
hinweg Deine Ubertretungen, und reinigt Deine 
Siinden. -- Auf der linken Seite der Ikone steht 
(nochmals) der Prophet Isaias, mit Furcht, und 
(man) liest in einem Blatte: »Siehe, hier bin ich, 
sende mich.« (Jes. 4, 3) 


Die Vision wird jedesmal wahrend des grofen 
Einzugs der — eucharistischen Gaben neu ver- 
gegenwartigt, sobald der Chor den Cherubim- 
Hymnus anstimmt und sich dabei geistig in die 
Schar der Cherubim wandelt. Der Abend- 
mahlsl6ffel (-» Altar) wird zur Zange mit gli- 


Johannes Chrysostomos 


hender Kohle, die die Lippen der Empfangen- 
den reinigt (Lawis als Beiname der Gottesmut- 
ter —> Maria). 


Einzeldarstellungen des Jesaias 
und ihre Zuordnungen 


ot vi 


Jesaias aus der Prophetenreihe in der Kuppel der 
Pammakaristoskirche, Konstantinopel 14. Sh. 


Ab spatbyz. Zeit halt Jesaia haufig als Attribut 
die Kohlezange in Handen. Wegen seiner 
Weissagung: »Siehe eine Jungfrau wird 
schwanger werden und wird einen Sohn gebd- 
ren, den wird sie heiBen Emmanuel.« (Jes. 7, 
14) wird der Prophet bereits in die alteste Ma- 
riendarstellung in der Priszilla~-Katakombe 
(Rom, 3.Jh.) einbezogen. In mittelbyz. Zeit 
steht er dicht bei der — Geburt Christi, wird 
auch den Hirten zugestellt. Seinen Platz unter 
der — Wurzel Jesse verdankt er Jes. 11, 1-2: 
»Und es wird eine Rute aufgehen von dem 
Stamm Isais ...« 


Spaét- und postbyz. Attribut Jesaias ist die 
Kohlenzange. 


Johannes Chrysostomos 


O ATIOC IRANNHC O XPYCOCTOMOC 
O ajios Jodnnis o Chrysostomos 


Bedeutender Kirchenvater, sehr beredsam 
(»Goldmund«) und liebevoll. Seinen Namen 
tragt die meistbenutzte der beiden griech. 
Liturgien. 


Leben des Johannes Chrysostomos 

Geboren zwischen 344 und 345 in Antiochien 
(sein Tag ist der 13. November). Erhielt eine 
Ausbildung als Rhetoriker, zog sich 372 als 
Einsiedler in die Wiiste zuriick, war dann Pres- 
byter in Antiochien, wurde 398 zum Patriar- 
chen von Konstantinopel berufen. MitreiBen- 
de Predigten und groBe Herzensgiite trugen 
ihm die Freundschaft der Bevélkerung und die 
Feindschaft einfluBreicher H6flinge, beson- 
ders die der Kaiserin Eudoxia, ein. Zu der 
Zeit stritten sich die Theologen um die Lehre 
des Origines von der Apokatastasis Panton, 
der Gesamterlésung der Welt einschlieBlich des 
Satans. Theophilos, der Patriarch von Alex- 
andrien, verfolgte seit 399 die Originisten. 
Chrysostomos war Anhanger der antiocheni- 
schen Schule (—> Basilios; Gregor von Nyssa) — 
sie verfocht die sympathischen Gedanken des 
Origines. Als er 50 aus Alexandrien geflohene 
originistische Ménche aufnahm, kam 403 
Theophilos nach Konstantinopel und erreichte 
auf einer Synode die Absetzung des Patriar- 
chen (404). Eine empérte Menschenmenge 
lieB die erste Ajia Sophia von 360 in Flammen 
aufgehen und erzwang die Riickkehr des Chry- 
sostomos auf den Patriarchenstuhl. Wenig spa- 
ter schickte ihn Kaiser Arkadios endgiiltig in 
die Verbannung. Er starb 407 in Comana am 
Pontus. Nach seiner vollen Rehabilitierung 
wurden seine Gebeine 438 feierlich nach Kon- 
stantinopel tiberfiihrt (Gedenktag der 27. Ja- 
nuar). 


Nachwirkungen des Chrysostomos 

»Wer fromm ist und Gott liebt, genieBe dieses gute 
und glanzende Fest ... Hat einer gearbeitet von der 
ersten Stunde an, nehme er heute seinen gerechten 


171 


Johannes Damaszenus 


Lohn entgegen. Kam einer nach der dritten Stunde, 
feiere er mit nach Herzenslust. Erscheint einer nach 
der sechsten Stunde, sollen ihn keine Zweifel qua- 
len: Er wird nicht zu Schaden kommen. Wenn einer 
sich verspatet bis zur neunten, soll er ohne Zégern 
dazukommen. Erschien aber einer erst in der elften, 
habe er keine Angst wegen der Verspatung; der 
Herr namlich ist groBmiitig, er nimmt den Letzten 
an, wie den Ersten ... Kommet alle in der Freude 
unsres Herrn ...« Osterpredigt des Johannes Chry- 
sostomos zum AbschluB der Osterliturgie 


Die anrtihrende Osterpredigt ist wahrschein- 
lich das einzige authentische Sttick des Chryso- 
stomos innerhalb der nach ihm benannten Li- 
turgie — wichtig ftir die orthodoxe wie fiir eini- 
ge orientalischen Kirchen. Sein reichhaltiger 
schriftlicher Nachla8 besteht aus Predigten 
und Bibelexegesen. Bei ihm finden wir (PG 
62, 29) das friiheste Zeugnis fiir die Gleich- 
setzung des Altarraums mit dem Himmel 
(— Himmelsleiter, + Pfau). 


Johannes Chrysostomos in bischéflichem Ornat, 
Goldmosaik, Osios Lukas, um 1000. 


Johannes Chrysostomos im Bilde 

Abbildungen des Heiligen betonen asketische 
Ziige: spitzen Mund, hohe Stirn mit Schlafen- 
locken, Stirnglatze, braunlichen, kurzen, bis- 
weilen schiitteren Bart. Tragt ein Bischofsge- 
wand — bis in mittelbyz. Zeit ein helles Phelo- 


172 


nion, spater das Polystawrion (~ Gewéander) 
mit viereckigem Halsausschnitt und locker ge- 
schlungenem Omophorion. Man findet ihn in 
Seitennischen, dicht unter dem Gewdlbe 
(friihbyz.) oder in der unteren Zone des Apsis- 
rundes (ab mittelbyz. Zeit) mit anderen Litur- 
gen und Kirchenvatern den Altar umstehend 
(— Basilios, - Eucharistie, --ὁ Heimholung 
Maria). 


Johannes Damaszenus 
OIQANNHC O AAMACKHNOC 


O Joannis o Damaskinés 


Bedeutendster Verteidiger der Ikonen und ih- 
rer Ehrung wahrend des Bilderstreites (Ikono- 
klasmus, 8./9.Jh.), Verfasser einer bis heute 
giiltigen orthodoxen Glaubenslehre, hat die 
Theologie des Bildes entscheidend gepragt. 


Leben des Johannes Damaszenus 

Der von der Ostkirche als der letzte ihrer Kir- 
chenvater und der gréBte ihrer Kirchenlehrer 
bezeichnete Johannes Damaszenus (4. Dezem- 
ber) wird um 676 im sarazenisch beherrschten 
Damaskus geboren. Der Vater Sergios Man- 
sur, vornehmer Abkunft, Christ und dennoch 
in hoher Stellung am Hofe des Kalifen Abdul 
Malek tatig, nutzt Vermégen und Einflu8, um 
von sarazenischen Piraten versklavte Christen 
freizukaufen. Einer davon, der Ménch Kos- 
mas, unterrichtete Johannes und seinen Adop- 
tivbruder in Rhetorik, Dialektik, Philosophie, 
Theologie, Naturgeschichte, Astronomie und 
Musik. Johannes wollte Ménch werden, wurde 
aber vom Kalifen gen6tigt, ein Regierungsamt 
anzunehmen. In mehreren aufsehenerregen- 
den Schriften wandte er sich gegen die bilder- 
stiirmischen Edikte des byz. Kaisers Leon III. 
von 726 und 730. 

Leon lie8 einen Brief mit gefalschter Unter- 
schrift des Damaszeners anfertigen: danach 
hatte der ihm angeboten, Damaskus den By- 
zantinern auszuliefern. Die Falschung sandte- 
der Kaiser dem Kalifen und erreichte, daB der 
»verfluchte Giinstling der Sarazenen, verrate- 
rische Bildanbeter« und »Verfalscher Christi« 
in Ungnade fiel. Wenig spater rehabilitiert, 
zog er sich in das Sabas-Kloster bei Jerusalem 
zurtick, widmete sich der Schriftstellerei und 


Johannes der Téufer 


Charakterisierung des Damaszeners 
auf Abbildungen 


Johannes Damaszenus in der Heimholung Marié, 
Chorakirche, Konstantinopel, 1315-1321. 


der Neuordnung der Liturgie. Zwischen 753 
und 787 verstorben. 

Als Greis mit gespaltenem Bart wird der Da- 
maszener haufig in das Kirchenvatergefolge 
von —> Basilios und —> Chrysostomos in der 
untersten Zone des Apsisrunds eingereiht. 
Text auf Schriftrolle: »Nimm unser Abendge- 
bet anl« Als Verfasser dreier Homilien tiber 
die — Heimholung Maria wird er den mit den 
Aposteln das Totenbett der Gottesmutter um- 
ringenden Liturgen und Kirchenvater zuge- 
sellt. 


Wichtige Schriften 
‘Zu den Werken des auch Chrysorhoas (Gold- 
flu8) genannten gehéren: 


yy Zwolf Festtags-Homilien (Predigten). 

yy Das Sammelwerk »Quelle der Erkenntnis« (Piji 
Gnéseos). Die 1000 Kapitel des 3. Teils »Genaue Dar- 
legung des orthodoxen Glaubens« sind bis zum heuti- 
gen Tag die Grundlage der orthodoxen Dogmatik. 
w Drei Briefe fiir die Bilder: »Verteidigende (apolo- 
getische) Worte gegen die die heiligen Ikonen Durch- 
einanderwerfenden« (Diawallontas =Teufel). 728-730 
entstanden, Grundlage der Bildertheologie. 

τς Liturgische Hymnen und Troparien fiir die Li- 
turgie. 

ἐπ »Warlaam und Joasafat« (Barlaam et Joasaph), 
erbaulicher, in Indien spielender Roman, nimmt 
Elemente der indischen Buddhalegenden auf und 


deutet sie christlich-dogmatisch; von groBer Wir- 
kung im Mittelalter. 


Joasafat soll von Boddhisattva abgeleitet sein). 


Johannes der Theologe 
— Apokalypse, — Apostel, > Evangelisten 


Johannes der Taufer 
O IRANNHC O IIPOAPOMOC 


O Jodnnis o prédromos 


Prophetengestalt des NT, Vorldufer (= Pro- 
dromos) Christi, taufte Christus, bevor dieser 
sein Offentliches Wirken begann. Angesehen 
als wiedergekehrter Prophet — Elias. 


Johannes, der Vorlaufer im Neuen Testament 
»So hat es angefangen mit der frohen Botschaft von 
Jesus Christus als dem Sohn Gottes! Wie die Pro- 
pheten geschrieben haben: Siehe, ich lasse meinen 
Engel (Boten!) vor Dir (Christus) hergehen, der 
Deinen Weg vor Dir vorbereitet. Und: Die Stimme 
eines laut Schreienden in der Wiiste bereitet den 
Weg des Herrn vor, sorgt dafiir, daB Dein Pfad gut 
begehbar ist — so war nun Johannes in der Wiiste, 
taufte und kiindete die Taufe (als Ausdruck) des 
Sinneswandels (Bue) zur Vergebung der Stinden... 
Johannes aber war gehiillt in Kamelhaar mit einem 
ledernen Giirtel um die Hiifte und nahrte sich von 
Heuschrecken und wildem Honig.« Mark. 1, 1-6 


Nach spftjtidischer Vorstellung sollte ein Vor- 
laufer, der wiederkehrende -- Elias, den -er- 
warteten Messias ankiindigen. Johannes wirk- 
te etwa 27/28 ἢ. Chr. als asketischer Prediger, 
spendete die Taufe, um die Stindigen vor Be- 
strafung beim Hereinbrechen der Endzeit zu 
retten. Joh. 1, 29 zufolge hat er auf Christus 
hingewiesen: »Siehe, das ist Gottes + Lamm, 
das der Welt Stinde trigt.« Die — Taufe Christi 
durch Johannes ist der Beginn des 6ffentlichen 
Wirkens Jesu. Um 29/30 nahm Herodes Anti- 
pas Johannes gefangen. Der hatte sein Ver- 
haltnis mit Herodias, der Frau seines Bruders, 
getadelt. Salome, Herodias Tochter, fihrte 
dem Herodes anlaBlich eines Gelages zu sei- 
nem Geburtstag einen Bauchtanz vor. Hellauf 
begeistert davon, stellte er ihr einen Wunsch 
frei. Sie lie® sich Johannes’ Kopf auf dem 
sprichwGrtlich gewordenen silbernen Tablett 
prasentieren. 


173 


Johannes der Taufer 


So hat man sich den Tanz der Salome vorzustellen. 
Bei Hochzeitsfeiern muslimisch-makedonischer Ein- 
wanderer in Inneranatolien feuern noch heute einzel- 
ne Zigeunerinnen mit Handzimbeln Mannergruppen 
zum Bauchtanz heraus. Spdtr6misches Relief, Argos, 
Museum. 


Festtage und Brauchtum um Johannes 

Am Namenstag (7. Januar), dem Tag nach der 
Taufe Christi, bespritzen sich die Leute in 
thrakischen Dérfern gegenseitig mit Wasser, 
bis sie vOllig durchweicht sind. In ostrumeli- 
schen Gegenden, z.B. in Achialos, wurden 
friiher die neuverheirateten Manner unter Mu- 


174 


sikbegleitung zum Strand gebracht und ins 
Wasser geworfen. Der Geburtstag des Taufers 
(24.Juni — im Westen Johannistag) fallt mit 
der Sommersonnenwende zusammen (Ende 
der Periode der sich verlingernden Tage), wie 
der Geburtstag Christi mit der Wintersonnen- 
wende (die Tage werden wieder linger): Jo- 
hannes beendet die Ara des AT, —> Christus 
leitet die des NT ein. Von friihchristl. Zeit an, 
als man biblische Gestalten und Ereignisse mit 
den Gestirnen gleichsetzte (= Apostel), wur- 
de die Umkehr der Sonne (in siidlichere Bah- 
nen) als Symbol der Aufforderung des Johan- 
nes zur Bue gesehen. 


In Nenita auf Chios sammeln sich die Leute nach 
dem Kirchgang auf den Dreschplatzen (Alonia) und 
imitieren in einem Tanz die Riickwendung der Son- 
ne. Johannisfeuer, auch in Griechenland tiblich, 
sind Sinnbilder der Sonne. Der Sprung dariiber be- 
deutete in der Antike Entstihnung durch die reini- 
gende Kraft des Feuers — Johannes entstihnte durch 
Eintauchen ins Wasser. 


Die Ereignisse nach Johannes Geburt (apo- 
kryphes Protevangelium des Jakobus) werden 
in Bildfolgen des > Marienzyklus, seltener auf 
Nebenbildern seiner Ikone dargestellt: Flucht 
der Mutter Elisabeth mit dem Kind vor Hero- 
des in einen Berg, Ermordung des Vaters Za- 
charias im Tempel. Am Tag der Enthauptung 
(29. August) versuchen die’ Kyprioten am 
Himmel ein Gebilde in Form des Johannes- 
hauptes auf der Silberschale vor der aufgehen- 
den Sonne zu beobachten. Die Griechen mei- 
nen, daB das Schwert den K6rper des Johan- 
nes so zum Erzittern gebracht habe, da da- 
durch alle mit Zittern verbundenen Krankhei- 
ten — Fieber, Schtittelfrost, Malaria — entstan- 
den seien. Dagegen kann nur der Verursacher, 
Johannes »der Fiebrige«, helfen. Erkrankte ge- 
loben, ihm am 29. August Ol, Kerzen, einen 
Hahn oder eine Ziege zu opfern. 


Um eine antike Saule in der Kirche »des Johannes 
von der Sadule«, Athen, wickeln Fieberkranke eine - 
rote Schnur, mit der sie ihre eigene Kérperlange 
ausgemessen haben. Das »K6rpermaf« — eine ent- 
sprechend zugeschnittene Schnur — reprasentiert 
den Menschen selbst. Mit Ausnahme des metri- 
schen Systems sind alle Mae von Kérperteilen — 
FuB, Elle, Spanne — abzuleiten. Sich abzumessen ist 
ein verbreitetes sympathetisches Heilverfahren. 


Jonas 


Am Gedenktag der Hinrichtung mtissen schwarze 
Trauben, Feigen, Beeren gemieden werden — des 
Taufers Blut hat sie dunkel gefarbt (Johannisbee- 
ren!). In Chios wird dann kein Messer angefaft, das 
Brot wird gebrochen. 


Die Ikone des Vorlaufers 


Johannes in der Wiiste. Fresko in der Shakli Kilise 
bei Géreme, Kappadokien. 


»Wie werden wir Dich nennen, o Prophet? Einen 
Engel, einen Apostel oder einen Martyrer? Einen 
Engel, denn Du lebtest als kérperloses Leben, einen 
Apostel, denn Du lehrtest die Vélker, einen Marty- 
rer, denn Dein Haupt wurde fiir Christus abgeschla- 
gen« Esperinos (Abendgottesdienst) 29. August 


Fiir die Ostkirche ist Johannes nach Maria der 
gréBte Mensch, nach Wladimir Losky auch 
oder Gipfel der Heiligkeit im alten Bund« und 
Urbild des altchristl. Eremiten und Martyrers. 
Auf griech. — Ikonostasen — nicht immer auf 
russischen — ist seine Ikone rechts neben der 
Christi angebracht. 

Johannes wird meist in Halbfigur mit langem, 
sehr schmalem Gesicht, breiter Nase, langem, 
zerzaustem Haar und einer Haarstraéhne vor 
dem Mittelscheite] dargestellt, mit zottigem 
Bart, haarigem Felliiberwurf oder blutrotem 
Mantel, eine Schale (eucharistischer Diskos) 
mit seinem Kopf in der Hand haltend (mit 
Heiligenschein, postbyz. auch Kreuznimbus). 
Sein Martyrium ist als Prafiguration des Op- 
fertodes Christi sowie des Abendmahles zu 
verstehen. Auffiallig sind seine groBen, dunk- 
len, seit dem 13.Jh. tiblichen Fliigel: Markus 
nennt ihn »Angelos«, was sowohl Bote wie En- 


gel bedeutet. Zudem ist Johannes Vorlaufer 
der Eremiten und Ménche, die ein weltabge- 
wandtes, »engelgleiches« Leben fiihren. Auf 
manchen Ikonen steht der Gefliigelte ganzfi- 
gurig inmitten einer bréunlichen gebirgigen 
Wiistenlandschaft, flankiert vom Diskos und 
einem Busch, dem »die Axt und die Wurzel 
gelegt ist« (+ Taufe Christi). Die Rechte voll- 
zieht die Christusgeste, die Linke halt ein 
Schriftband. 


Szenische Darstellungen 

Oben auf jeder Bilderwand bildet »der Vor- 
laufer« (Vertreter des AT) zusammen mit Ma- 
ria (Kirche bzw. NT) die Fiirbitt-Gruppe der 
— Deisis. Auf frithchristl. Sarkophagen er- 
scheint er, verstarkt ab 5.Jh., innerhalb der 
—> Taufe Christi (Motiv im Kuppelscheitel von 
Baptisterien). Seine Berufung durch einen En- 
gel in der Wiiste, sein Leben als Asket er- 
scheint in Eremitenkirchen (Shakli Kilise, G6- 
reme, 11.Jh.). Als Vorléufer Christi selbst 
im Hades, wo er den Verstorbenen predigt, 
hat er einen festen Platz im Auferstehungsbild 
(— Ostern). Ikonen und Fresken mit seinem 
Martyrium sind meist postbyzantinisch. 


Jonas 


OTIPO®HTHC I2NAC 

O prophitis Jonas 

Von Jahwe zum Prophetenamt berufene Ge- 
stalt des AT wird auf der Flucht vor dieser 
Aufgabe von einem Seeungeheuer verschlun- 
gen, nach drei Tagen wieder ausgespien. Im 
NT wird das Ereignis als typologisches Vorbild 
von Tod und Auferstehung Christi gewertet, 
daher haufige Darstellung in der friihchristl. 
Sepulkralkunst. 


Berufung des Jonas und Prophetenamt im AT 
Das ins 3. Jh. v. Chr. datierte Buch Jonas (AT) 
berichtet tiber den im 8.Jh. im Nordreich le- 
benden — Propheten. Jonas flieht auf einem 
Schiff vor dem Auftrag Gottes, der Stadt Nini- 
ve den Untergang zu verkiinden. In Seenot ge- 
raten, ermitteln die Schiffsleute mit dem Los 
den, dem sein Gott so ziirnt — Jonas. Er selbst 
ermuntert sie, ihn ins Meer zu werfen -- und 
der Sturm verstummt: 


175 


Joseph von Agypten 


»Aber der Herr bestimmte einen gro8en Fisch Jonas 
zu verschlingen. Und Jonas war im Leib des Fisches 
drei Tage und drei Nachte. Und Jonas betete zum 
Herrn, seinem Gott im Leib des Fisches. Und 
sprach: 

Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst und er ant- 
wortete mir, ich schrie aus dem Bauch der Hdlle, 
und Du hértest meine Stimme . ..« Jona 2, 1-3 

Vom Untier an den Strand gespien, begab sich 
Jonas nach Ninive. Als die Bewohner hérten, 
da ihre Stadt in 40 Tagen untergehen solle, 
taten sie BuBe in Sack und Asche, so da Gott 
»seinen EntschluB bereute«. Jonas argerte sich 
maBlos tiber die Verschonung Ninives. Daher 
lieB Gott in einer Nacht einen gewaltigen Fla- 
schenkiirbis-Strauch (laut griechischem AT) 
aufwachsen, und Jonas streckte sich in dessen 
Schatten aus. Doch ein »Wurm« stach den 
Strauch, Ostwind fegte die abgestorbenen Re- 
ste hinweg. Auf die Beschwerde des Prophe- 
ten hin belehrte ihn Gott, daB es doch viel 
schlimmer gewesen ware, eine ganze Stadt mit 
120000 Menschen und vielen Tieren zu ver- 
nichten. 


Frihchristliche und byzantinische 
Darstellungen 


Nr. 119, 290-300 n. Chr. 


Jonasdarstellungen sind die haufigsten Motive 
in der friihchristl. Sepulkralkunst. 60 Kata- 
kombenmalereien (friiheste Lucinagruft um 
220) und 90 Sarkophage sind allein aus Rom 
und Ostia bekannt: Meereswurf oder Jonas 
wird dem Ungeheuer ins Maul geschoben, das 
Ausspeien und die Ruhe unter dem Kiirbis- 
strauch — einzeln als Bildserie oder zu einer 
Kompositdarstellung zusammengezogen. Jo- 
nas ist jung, bartlos und nackt, der Fisch ein 


176 


mythisches Seeungeheuer mit Raubtierzahnen 
und Drachenleib. 

»Denn so wie Jona drei Tage und drei Nachte in des 
groBen Fisches (des Kitos) Bauch, also wird des 
Menschen Sohn drei Tage und drei Nachte mitten in 
der Erde sein.« Matth. 12, 40 


Das Verschlingungsmotiv ist Prafiguration des 
Todes und der Auferstehung Christi, des Ster- 
bens und Erléstwerdens der Glaubigen. Ande- 
re typologische Bildkiirzel werden beigesellt — 
die Auferweckung des —» Lazarus, —> Noah in 
der Arche, die Taube (hebraisch Jonah = Tau- 
be!) entsendend. Des Jonas Verweilen im 
Meer, die Sintflut selbst sind Prafigurationen 
der — Taufe. 

»Eingefangen, aber nicht festgehalten wurde im In- 
neren des Ungeheuers Jonas: Dein Vorbild trug er, 
des Leidenden und dem Grab Ubergebenen, indem 
er aus dem Schlafraum im Tier heraussprang.« 
6. Ode der Liturgie des groBen Freitag 

In mittel- bis postbyz. Zeit beliebt ist die Aus- 
spei-Szene: Jonas steigt Kopf voraus in voller 
Kleidung aus dem Kitos-Rachen (Athos Do- 
chiariou 1586). Als Einzeldarstellung unter 
den — Propheten ist Jonas alt, bartig, kahl- 
k6épfig; er hat im Fischbauch die Haare ver- 
loren. 

Die Flaschenkiirbisbaum-Szene — in der frii- 
hen Sepulkralkunst gro® und auffallig gestal- 
tet, oft durch bukolische Hirtenmotive (Para- 
dies!) erweitert — steht fiir die ewige Ruhe des 
in Gott Verstorbenen. 


Joseph von Agypten 


OIQCH® ΑΠΟ TON AITYTNTO 
O Josif apo ton Egypto 


Joseph, Sohn Jakobs, Urenkel —> Abrahams, 
ist seiner Leiden wegen Typus Christi. Seiner 
Schénheit wegen, die Potiphars Frau reizte, ist 
er fiir den islamischen Mystiker Maulana 
Dschelaleddin Rumi Vorbild Allahs als des 
idealen Geliebten. , 
Die orthodoxe Liturgie nennt ihn als Vorbild 
der Standhaftigkeit gegeniiber Verlockungen 
der Welt. 

Eine Flachkuppel in der Vorhalle von San 
Marco (Venedig, 12.Jh.) greift in einer Folge 
konzentrisch umlaufender, ineinander ver- 


Kaiser 


zahnter Szenen die Josephsmotive aus der Tra- 
dition der friihbyz. Bibelillustration auf: 


¥ Joseph traumt, da8 sich seine elf Briider als 

Sterne bzw. Getreidegarben vor ihm vernei- 
en. 

"ἢ Seine aufgebrachten Briider verkaufen ihn 

iiber Sklavenhandler nach Agypten. 

zr Im Palast des Pharao halt ihn das Weib des 

Potiphar am Mantel fest. Er sucht das Weite. 

yr Durch falsche Beschuldigungen ins Ge- 

fangnis geraten, deutet er den Traum eines 

mitgefangenen Mundschenks und den eines 

Backers. © 

vr Der Pharao la8t Joseph auf Veranlassung 

des Mundschenks rufen, damit er ihm seine 

Trdéume von den sieben fetten und den sieben 

mageren Kiihen, den sieben vollen und den 

sieben armseligen Garben klare (sieben fette 

und sieben magere Jahre!). 

yr Der Pharao setzt Joseph als Statthalter ein, 

schenkt ihm einen goldenen Wagen. 

yx Josephs Briider kommen, um wahrend der 

Hungerperiode Getreide zu erbitten, erken- 

nen ihn aber nicht. 

w Joseph 148t im Gepack des Jiingsten einen 
Silberbecher verstecken. Er gibt sich ihnen zu 
erkennen. 

¥ Sein Vater Jakob zieht nach Agypten. 

x Jakob segnet seine beiden Enkel. 


Josua 


OIECOYC 

O Iesotis 

»Die Heiden besiegend, brachte Josua die Sonne 
zum Stehen; Du hast sie verborgen als Du nieder- 
warfst den Fiirsten der Finsternis.« Liturgie vom 
Karfreitag. 

Nachfolger des Moses, in griech. Schreibweise 
namensgleich mit Jesus, fiihrt die Hebréer 
tiber den Jordan ins gelobte Land — deshalb 
Typus Christi. 

Als Greis mit abgerundetem-Bart tragt er 
Kriegerriistung und Krone und halt ein Szep- 
ter. Szenische Darstellungen in mittel- und 
spatbyz. Illustrationen des Oktateuchs (= Zu- 
sammenfassung der ersten acht Biicher des 
AT). 


Judenchristliche Kirche 


H EKKAHCIA ΤΩΝ EK TON IOYAAIQN 
J Ekklisfa ton ek ton Judiion 


Frihchristl. weibliche Allegorie (Mosaik, San- 
ta Sabina, Rom) steht fiir die judenchristl. Ge- 
meinde, ist dem Petrus zugeordnet (— Peter 
und Paul, > Kranz). Im Westen wurde daraus 
die verschleierte Figur der Personifikation der 
Synagoge. © 


Kaiser 


O AYTOKPATQP 
O awtokrator 


Herrscher, verstand sich als der Statthalter 
Gottes, wird im Laufe der byz. Geschichte 
mehr und mehr zu einem verkleinerten Abbild 
des Kosmokrators Christus. Die Hofhaltung 
Christi stellte man sich als kosmische Uberstei- 
gerung des Hofzeremoniells im kaiserlichen 
Palast vor. Von Konstantin an tragen Kaiser 
und Kaiserinnen einen Nimbus. 


Der Kaiser als Abbild und als Vasall 

des Allherrschers 

Im spaten rémischen Kaisertum galten ver- 
storbene Kaiser als G6étter. Bei der Verchrist- 
lichung der Reichsidee hat Konstantin die 
Stellung des Kaisers herabgestuft, sich selbst 
den Aposteln zugeordnet. Das byz. Herrscher- 
tum wurde nach und nach zur Ikone géttlicher 
Herrschaft. 


Gleichzeitig fiihlte sich der Kaiser als erster Diener 
Christi. 

Die byz. Auspragung des Christentums lediglich als 
Disziplinierungsideologie fiir die Untertanen anzu- 
sehen hiefie, die byz.-neuplatonisch gefarbte, aufs 
Jenseits gerichtete Geistigkeit der damaligen Zeit 
mit der Elle unseres materialistischen Zeitgeistes zu 
messen. Der Weltenherrscher hat den irdischen 
Herren Autoritat verliehen, ihnen zugleich Grenzen 
gesetzt. Die byz. Herrscherdarstellungen sprechen 
eine deutliche Sprache: 


vy Kaiserdarstellungen in Kirchen sind selten, hau- 
figer nur in der Ajia Sophia in Konstantinopel. 

vx Der Abbildungsmafstab des Kaisers ist stets 
kleiner als der des Weltenherrschers. 

vx Die Stellung des Kaiserpaares zu Christus ist 
deutlich untergeordnet. Kaiser und Kaiserin flan- 
kieren Christus, nicht wie Maria und Johannes in 


177 


Kaiser 


der Deisis ihm, sondern nahezu frontal dem Be- 
trachter zugewandt. 

ve Kaiser werden grundsatzlich nur an zweitrangi- 
ger Stelle dargestellt (in San Vitale, Ravenna, an 
den Seitenwanden des Presbyteriums; in der Ajia 
Sophia auf der Galerie; Ausnahme: zwei Ltinetten 
iiber Hauptportalen der Ajia Sophia). 


Christus. Ajia Sophia, Konstantinopel. 


¥ Die Selbstdemiitigung eines Kaisers ist tiber der 
Kaisertiir vor der inneren Vorhalle zur Ajia Sophia 
im Mosaik verewigt: Leon VI. fleht Christus in 
Proskynese um Vergebung fiir seine Tetragamie an 
- den von der Orthodoxie verbotenen Abschluf ei- 
ner Viertehe. Er ging sie ein, um seinen mit einer 
Geliebten gezeugten Sohn als Thronerben zu legali- 
sieren. (Andere Deutung fiir den Knienden: Basi- 
lios I., 867-886, Leons Vorginger, tut Bufe fiir die 
Mitbeteiligung am Mord an Michael III.). 

vr Auf Elfenbeintafeln -- z.B. des 10. Jh.s — setzt 
Christus dem Kaiser bzw. Kaiserpaar die Krone aufs 
Haupt. 

vr Mehrere alternde Kaiser beschlossen ihr Leben 
als Ménche. In spatbyz. Zeit wird oft ein und diesel- 
be Kaisergestalt nebeneinander in vollem Ornat und 
als biiender M6nch dargestellt. 


vr Kaiser und Kaiserinnen werden stets nur in ihrer — 


Funktion abgebildet 

a) als Stifter. Sie bieten Christus ein Kirchenmo- 
dell, Gold oder eine Stiftungsurkunde dar, auch 
kostbares Abendmahlsgerat (San Vitale) -- entrich- 
ten ihm ihren Tribut, so wie-die von ihnen abhangi- 
gen Potentaten ihnep-fribut entrichten; 

-b) als Vertreter Christi in kaiserliches Purpur ge- 
kleidet. SieVerstehen sich als lebendige Ikone, hin- 
weisend auf das groBe Urbild Christus. 


178 


Bilder zeitgendssischer Kaiser in der 
Ajia Sophia 


Die kaiserliche Kirche Ajia Sophia ist beson- 
ders reich an Kaiserbildern. Heute noch zu se- 
hen sind, auSer Leon VI., auf der Empore ein 
weiterer Kaiser und zwei Kaiserpaare. Ver- 
mutlich war ein drittes Paar der grofen frag- 
mentarisch erhaltenen Deisis (Mitte 54) zu- 
geordnet. Die Briider Fossati hatten bei ihren 
Restaurierungsarbeiten 1847-49 eine unter 
dem osmanischen Verputz verborgene Dar- 
stellung Johannes II. Palaiologos voriiberge- 
hend freigelegt. Kaiser und Kaiserinnen tru- 
gen ihre eigenen Kostiime, Kronen und Insi- 
gnien (keine Reichskleinodien, wie im Heili- 
gen Rémischen Reich Deutscher Nation). Sie 
konnten Insignien verschenken — so als Zei- 
chen besonderer Huld oder aber als Zeichen 
der Begnadigung das von ihnen getragene En- 
kolpion. Dennoch haben sie Krone und Insi- 
gnien als ihnen von Christus oder der Gottes- 
mutter verlichen aufgefaBt (Christus setzt 
Konstantin VII. 913-959 die Krone aufs 
Haupt, Elfenbein, Moskau). Vor Betreten des 
Hauptschiffes der Ajia Sophia mute der Kai- 
ser Krone und Schwert in der »Vorhalle der 
Krieger« ablegen. Kaiser, in spatbyz. Zeit 
auch andere hohe Wiirdentrager, halten als 
Vasallen Christi Geschenke in Handen — Kir- 
chenmodelle, Geld fir Stiftungen, Stiftungs- 
urkunden. 


vw Zoe mit der Stiftungsurkunde und Konstan- 
tin IX. mit der Geldbérse (Apokombion) flankieren 
Christus. 


ὑπο 


Kaiserin Zoe und ihr Gatte Konstantin LX. Empore 
Ajia Sophia, Konstantinopel, 1028/39 und nach 1043. 


Kaiser 


Zoes liebliches Gesicht verrat nicht, daB sie, Jung- 
frau bis zum 50.Lebensjahr, drei Ehemanner und 
eine ungeklarte Zahl von Liebhabern verschli® und 
zu der Zeit 65jaéhrig war. Bei der Veranderung der 
ersten Fassung (1028-1039), bei der das Gesicht ih- 
res ersten Gatten in das ihres dritten umretuschiert 
wurde (nach 1042), hat man vermutlich an ihrem 
Kopf nicht viel verindert. Doch werden ihr groBe 
politische Fiihrungskraft und frauliche Schénheit bis 
ins hohe Alter nachgesagt. Ihre Stiftungsurkunde 
bezieht sich auf ein Georgskloster innerhalb der 
Stadt. 

ve Johannes, II. und Irini - mit Apokombion bzw. 
Stiftungsurkunde — flankieren die Gottesmutter mit 
dem Immanouilknaben. 

Kaloyannis (der gute Hannes) mit dem Kamelaw- 
kion auf dem Kopf, zeichnete sich durch Giite aus. 
Zusammen mit seiner mildtatigen ungarischen Frau 
stiftete er das Pantokratorkloster (um 1220, auf 
einer Anhéhe neben dem Atatiirk-Boulevard gele- 
gen). Stereotype Darstellungsweise mit portraithaf- 
ten Elementen. 

vr An einer abgelegenen Stelle der Nordempore 
halt Kaiser Alexander (912-913) die Akakia und die 
Sphaira. 

Das Bild entstand innerhalb der 13 Monate zwi- 
schen seiner Krénung und seinem weinseligen Tod; 
es zeigt ihn mit Y-formig geschlungenem Loros 
(> Gewander). 


Darstellungen historischer Kaiser 

in der Ajia Sophia 

An herausragender Stelle in der Vorraum-Liinet- 
te hinter dem Stidportal ein Mosaik (890-920): 
Konstantin (rechts), Griinder Konstantin- 
opels, gestorben 337, iiberreicht der Gottes- 
mutter ein Modell der Stadt, Justinian (links), 
Erbauer der Ajia Sophia, gestorben 565, ein 
Modell der Kirche. , 


Die Gottesmutter selbst ist die schéne Tiir, die 
»Orea porta« — so wird diese Tiir, so wird auch die 
Mittelpforte der Bilderwand genannt: durch sie 
kommt das géttliche Heil in die Welt. Prafiguriert 
wird Maria durch den Tempel zu Jerusalem, den die 
Ajia Sophia ersetzt. Maria ist gleichzeitig Reprasen- 
tantin der christl. Kirche. 

So thront die Muttergottes in der Apsis und so muB 
ihr Bild als Vorankiindigung dessen, was den Glau- 
bigen in der Kirche erwartet, iiber dem Hauptportal 
aufscheinen. 


Von allen Kaiserpaaren am haufigsten abge- 
bildet wird Konstantin und Helena. 


Entwicklung des byzantinischen Kaiserbildes 
Konstantin selbst hat sich noch im antikem Stil 
als Statue darstellen lassen (Kopf einer Kolos- 
salstatue, Palazzo dei Conservatori, Rom), auf 
Miinzen als r6mischer Imperator. 

Letzter erhaltene Statuenkopf ist eine Por- 
phyrplastik auf der Aufengalerie von San 
Marco in Venedig ~ wahrscheinlich Justinian I. 
(Mitte 6. Jh.). 

Nachrichten iiber Statuen reichen bis gegen 
800 (Konstantin IV., Irene). Nach dem Bilder- 
streit des 8./9.Jh.s gab es nur noch flachige 
Kaiserdarstellungen. 


Konstantin lie® sich auch als Drachentéter abbilden 
(— Drache), er schaffte das Opfer vor der Kaiser- 
statue ab. Kaiser und Kaiserinnen werden selbst zu 
Opfernden, die dem Weltenherrscher Christus ihren 
Tribut darbringen. Friihestes Beispiel: Justinian I. 
und Theodora (San Vitale, Ravenna, Mitte 6.Jh.; 
-» Hase). 

Urspriinglich nur mit ornamentalem Goldmosaik 
ausgestattet, ist die Ajia Sophia bis zum Ende des 
Bilderstreites bildlos geblieben. Das Mosaik tiber 
der Schénen Pforte mit Konstantin und Justinian als 
eines der ersten Kaiserbilder in der Ajia Sophia an- 
gebracht, entstand wenig spdter als Vorbild aller 
weiteren Darstellungen kaiserlicher Stifter. 


Bezeichnend fiir die byz. Denkungsart: Histo- 
rischen Gestalten wurden die Ztige lebender 
Herrscher — z.B. Konstantins VII.'- verliehen 
(K6nig Abgar von Edessa auf einer Ikone des 
Katharinenklosters auf dem Sinai). Auch Er- 
zengel tragen kaiserliche Gewander und Insi- 
gnien (> Engel; -> Gewander). 


oe ee fi ἐν ἀρ Θ αὶ : ΕΤΟΥΣ ΡΟΣ ΠΤ τὶ 
Kaiserin Zoe (Ausschnitt). Mosaik. Ajia Sophia, 
Konstantinopel. 


179 


Kaiser 


Ubersicht: Kaiserliche Insignien 
I. Kaiserliche Kostiime 


a) sog. Triumphalkostiim (friih- bis spatbyz.) 

~ Loros: breite, edelsteinbesetzte, um den 
Kérper gewickelte oder gehangte (Y-Loros) 
Stola. Ab friihbyz. Zeit anstelle eines toga- 
ahbnlichen Gewandstiickes getragen (— Ge- 
wander, — Konstantin). 

— Tunika (-» Gewdnder) mit reicher Verzie- 
rung. 


(Fortsetzung) Ubersicht: Kaiserliche Insignien 


— Krone (Fortsetzung): Plattendiadem (aus be- 


weglichen Einzelplatten): Ende 5. bis Anfang 
7. 5h. 


— Diademreif: sog. Sternmma, Reif mit Perlen- . 


saum, perlgerahmtem Stirnjuwel, Perlschnur- 
Pendilien, die hinter dem Ohr herabfallen 

(ab 2, Halfte 4. Sh.). 

Kronenartige kaiserliche Helme, geschmiickt 
mit einem Pfauenfederbusch: in Abbildungen 


zwischen 313 (konstantinische Mtinzpraégung) 
und 1050/60 (Gunthertuch, Bamberg) fafsbar. 
Kamelawkion (persisch »das zum Kopf gehé- 
rige«), Kombination Kronenhaube mit Dia- 


- Dibetesion ab spatbyz. Zeit Sakkos: eine Abart 
der antiken und frithchristl. Dalmatika (der spat- 
byz. Sakkos verdeckt auf Bildern die Tunika). 

~ Kaiserliche Schuhe: purpurfarbene verzierte 


Stiefeletten. 
— Krondiadem und entsprechende Insignien. 


dem, erwahnt Anfang 7. Jh., in mittel- und 
spatbyz. Zeit haufig dargestellt. 


— Szepter: In konstantinischer Zeit tibliches 


b) 


Sog. militérisches Friedenskostiim 
(frith- und mittelbyz.). 


- Tunika— bis zum 7.Jh. knielang, dann Κηδ- 


chellang (sog. Skaramangion). 


~ Zoni: Girtel zum Skaramangion. 
— Purpur-Chlamys: Umhang (-9 Gewdnder), 


zusammengehalten tiber der rechten Schulter 
von einer Fibel. Ab Ende 4. Jh. (ihre An- 
nahme zusammen mit Krone und Purpurstie- 
feln bezeichnet den Beginn der Herrschaft 
eines Kaisers). 


— Hosen (Tsouwia). 
- Schuhe (Tsankia). 
- Kronendiadem und entsprechende Insignien. 


c) Kriegskostiim (friihbyz. spater nur vereinzelt 


dargestellt) 


— Purpur-Chlamys (Feldherrnmantel). 


-- goldener Panzer: ausgefiihrt als Muskelpanzer 


mit muskelstiitzenden Schienen (Paradepan- 
zer) oder als Schuppenpanzer, aus dem sassa- 
nidischen Persien des 3. Jh.s stammend. Beide 
spater mit einem Gorgonaion (abschreckende 
Fratze) versehen. 


- Helm mit Diadem. 
— Stiefel. 
~ Kampfinsignien: Schwert, Lanze, Schild. 


iI. 


Kaiserliche Insignien 


~ Krone: In der Antike Lorbeerkranznachbil- 


180 


dung in Gold, in spatrémischer Zeit (Galienus 
260-268), vor allem seit Konstantin, Diadem 
mit Bindung hinter dem Kopf. 

Schlichtes Banddiadem (konstantinische 
Zeit): mit Edelsteinen und Perlen besetztes 
Diadem bzw. perlengesdumtes Diadem mit 
Stirnjuwel (konstantinische bis friihbyz. Zeit). 


Adlerszepter wurde vom 5. Jh. an vom Kreuz- 
szepter abgelést (lateinisches Kreuz tiber sei- 
nem oberen Ende, ab 7.Jh. gelegentlich mit 
zwei Balken), nach 1025 -- vom Lawaron zu- 
riickgedrangt — nur noch auf Miinzen. Ein- 
fache Stabszepter sind selten, lange waren 
wahrend der gesamten byz. Epoche, kurze 
nur im 4. Jh. tiblich. 


- Lawaron (Labarum): Mit dem Christusmono- 


gramm (— Kreuz) verzierte Kaiserstandarte 
(Gunthertuch, Bamberg 1050/60), hervorge- 
gangen aus dem Christusmonogramm, das die 
Truppen Konstantins 312 auf ihren Schildern 
anbrachten. Bei der Ausrufung des Freiheits- 
kampfes 1821 wurde eine Altardecke als La- 
waron aufgerichtet (> Heimholung Mariae). 


~ Sphaira: Reichsapfelahnliche Kugel, die der 


Herrscher in der Linken halt, wird auch als 
Polos (Himmelskugel) bezeichnet, in der Lite- 
ratur als Symbol des Himmels wie der Erde 
beschrieben. Nachweisbar auf Kaiserbildern 
zwischen dem 5. und dem Ende des 12. Jh.s in 
drei verschiedenen Formen: 

a) mit Ornamentik, die sie als Himmelskugel 
ausweist, 

Ὁ) mit einer kleinen Statue der Siegesgéttin 
(Viktoria, konstantinisch), 

c) mit Kreuz (ab 5. Jh.). 

Die Kugel, die wohl nicht nur, wie vermutet, 
auf Abbildungen existiert hat, findet sich hau- 
fig als Erzengelsphaira, in mittelbyz. Zeit mit 
der auf die + Proskomidie (> Brot, 

- Eucharistie) hinweisenden Aufschrift 

IC XP NIKA 

Jesous Christos Nika. Dies weist die Kugel als 
kosmisches Symbol aus (kosmologischer Cha- 
rakter der Proskomidie). 


(Fortsetzung) Ubersicht: Kaiserliche Insignien 


— Mappa/Akakia: Urspriinglich war die Mappa, 
ein Tuch oder locker gefiilltes Stoffsackchen, 
Signaltuch zur Eréffnung von Spielen, vom 
4.Jh. an. Insignie des Kaisers (auch von Kon- 
suln). Nach dem Bilderstreit (Michael IIT.) 
gewandelt zu einem mit einem Tuch umwik- 
kelten buchrollenahnlichen, mit Staub gefiill- 
ten Beutel (Kaiser Alexander, Ajia Sophia, 
Konstantinopel 912), der »Akakia«; soll auf 
die Demut des Kaisers und seine Sterblichkeit 
hinweisen. ' 

-- Enkolpion (Pectorale): groBes Schmucksttick 
mit eingelegter Reliquie, an einer Kette vor 
der Brust getragen, meist kreuzf6rmig, einen 
Splitter des heiligen Kreuzes bergend (trag- 
bare Stawrothek). 

- Schwert (Spathi) und Schild (Skoudarion): 
Vom Gefolge des Kaisers ihm vorausgetra- 
gen, stellten in der friihbyz. Zeit wichtige 
Kaiserinsignien dar. Bis 602 war die Schild- 
erhebung zusammen mit der Kettenkrénung 
(Torques) durch das Heer vor der Krénung 
durch den Patriarchen Bestandteil des kaiser- 
lichen Krénungszeremoniells — Erinnerung an 
Wahl, Schilderhebung und Akklamation des 
Kaisers durch das Heer (Julian 360, Valenti- 
nian 364). 

- Lanze: Spatestens seit dem 5. Jh. kaiserliche 
Insignie. Auf Darstellungen tiberreicht die 
Gottesmutter dem Kaiser (Leon IV., Elfen- 
bein, Berlin) Lanze und Sphaira, oder Engel 
verleihen ihm Lanze und Krone (Cod. Gr. 17, 
Bibl. Maz. Venedig). 


Die Reichsinsignie bedeutete vermutlich die 
heilige Lanze, mit der Christi Seite durch- 
bohrt worden ist und bezog sich auf die + Eu- 
charistie (— Proskomidie), wie Sphaira und 
Standarte mit dem Dreimal-Heilig. 


+ Kirchengebaude 
H EKKAHCIA 
Tekklisia 


Schauplatz des in der byz. — Liturgie immer 
wieder neu heraufbeschworenen heilsge- 
schichtlichen Dramas. Kirchengebaude und 
Kirchenjahr — heiliger Raum und heilige Zeit — 
bilden dadurch, da der Kirchenraum (ab 
1000) zum Trager der Bilder des > Festtags- 
zyklus geworden ist (> Kirchenjahr), eine un- 
auflésliche Einheit. 


Kirchengebéude 


Abbildender Charakter der 
Kreuzkuppelkirche 

Das orthodoxe Kirchengebadude hat darstel- 
lenden Charakter. Als raumliche Ikone ver- 
bildlicht sie wie die zweidimensionale Ikone 
das, was sie darstellt, nicht auf illusionistische, 
sondern auf symbolische Weise. 

Symbolische Deutungen durch verschiedene 
orthodoxe Autoren: 


1. Die Kreuzkuppelkirche ist der Kosmos — 
das Kuppelrund der Himmel, das Quadrat des 
Naos (Schiff) die Erde. 

Der FuBboden (Ajia Sophia: gemaserter Mar- 
morboden; Kirchen in Rhodos; an Wellen 
erinnernde Zackenmuster aus schwarzen und 
weiBen Kieseln) versinnbildlicht die Unter- 
welt: der Urozean, auf dem die Kirche als Ar- 
che schwimmt. Laut lokaler Uberlieferung be- 
stehen die Hauptportale der Ajia Sophia aus 
dem Holz der Arche Noah. Im Innenraum ent- 
falten sich die Bilderwelten, Emanationen der 
von Christus —> Pantokrator als Lichtquelle 
abgestrahlten Lichtstrahlen (> Himmlische 
und kirchliche Hierarchie). Nach Maximus 
dem Bekenner (Konstantinopel) gibt die 
Kreuzkuppelkirche den aus unsichtbaren und 
sichtbaren Wesenheiten zusammengesetzten 
Kosmos wieder, indem sie eingeteilt ist in das 
— den amtierenden Priestern vorbehaltene — 
Allerheiligste hinter der Bilderwand und das 
Kirchenschiff, das allen Glaubigen offensteht. 

2.Da die Kreuzkuppelkirche selbst die Ver- 
sdhnung zwischen Himmel und Erde bewirkt 
(wie Christus), ist sie Darstellung der himmli- 
schen Kirche als des mystischen Leibes Christi. 
3. Die mégliche Unterteilung in Allerheiligstes 
und Schiff bedeutet die zwei Naturen Christi, 
der gleichzeitig wahrer unsichtbarer Gott und 
wahrer sichtbarer Mensch ist (Simeon von 
Thessaloniki). 

Die Zweiteilung weist auch auf den Menschen 
hin, bestehend aus der unsichtbaren Seele und 
dem sichtbaren Leib (Simeon von Thessalo- 
niki). 

4. Die Zweiteilung weist auf die Trinitét hin, 
weil diese ihrem Wesen nach (Ousia) unzu- 
ganglich, ihrer Wirkung nach aber erkennbar 
ist. 

5. Altarraum und Schiff stehen im gleichen 
Verhaltnis zueinander wie Himmel und Erde -- 


181 


Kirchengebaude 


was auch ftir die Beziehung zwischen Kuppel- 
rund und Naos-Quadrat gilt. 

6. Die mégliche Unterteilung in drei Teile — 
Vorhalle, Schiff und Allerheiligstes — repréa- 
sentiert die drei Teile des Tempels zu Jerusa- 
lem (auch die Unterteilung der Stiftshiitte) in 
seiner neuerschaffenen himmlischen Form 
(Hebr. 9 --» Schatten). 

7. Die Dreiteilung wird ebenso als Hinweis auf 
die Dreifaltigkeit verstanden wie auf die drei 
Engelordnungen der himmlischen Hierarchie: 


»... Der gdttliche Tempel (ist) ... ein Bild dessen, 
was auf Erden, was im Himmel und was tiber dem 
Himmel ist, der Narthex ist ein Abbild dessen, was 
auf Erden ist, das Schiff des Himmels; das aber, was 
iiber dem Himmel ist, verk6rpert der allerheiligste 
Altarraum.« Simeon von Thessaloniki 


8. Die Kirche entspricht der Dreiteilung des 
Gottesvolkes in Priester, denen das Allerhei- 
ligste offensteht, in getaufte Glaubige, denen 
das Hauptschiff zuganglich ist und in Unge- 
taufte, die Katechumenen, die den Taufunter- 
richt in der Vorhalle erhalten. 

9. Die Kirche nimmt das kiinftige Reich Gottes 
vorweg und ist nach Johannes Damaszenus 
Bild des kommenden Guten. 


Deutungen der Ausstattungsdetails 
einer Kirche 


Grundstein, der bei der 
Einweihung gesalbt wird: 


1. Jakobs Opfertisch, FuB8punkt der ~ Himmels- 
leiter, Ort, wo das vom Himmel ausgehende Gatt- 
liche auf die Erde hinabsteigt. 

2. Christus als der Eckstein, auf dem die Kirche 
ruht. 

3. Jungfrau Maria, die der Grundstein, Ort der 
Vereinigung Gottes mit den Menschen ist. 


FuBboden aus Marmor mit Maserungen 
(den sog. Strémen): 


1. Flu8 Jordan. 

2. Unterwelt (Urozean), die durch die > Taufe 
Christi vergéttlicht ist. 

Die Kirche ist die Arche, die auf dem Unheils- 
meer schwimmt. 


Altar: 


1. Grab Christi. 
2. Krippe Christi. 


182 


Pfeiler der Kirche: 


Hierarchen, Martyrer, Asketen (zwei mal sechs 
Pfeiler oder Séulen: Apostel). 


Leuchter: 


Sterne. 


Zentraler Kronleuchter: 

Planetenbahnen, Tierkreiszeichen, Apostel. 
Solea, Stufe zwischen Schiff und 
Allerheiligstem: 

Feuriger FluB (1. Kor. 3, 12-15), der die Werke der 
Menschen priift. 

Ambon fiir die Schriftverlesung: 


Stein, der von Christi Grab gew4lzt, auf dem der 
Engel saB und die frohe Botschaft der Auferstehung 
verkiindete (der Diakon auf dem Ambon wird bei 
der Verlesung des Evangeliums zum Engel). 


Bilderwand (Templon): 


Trennwand zwischen der sichtbaren und der 
unsichtbaren Welt (--» Ikonostase; —> Schatten). 


KIRCHENBAUSYSTEM 
Zweiteilung des Dreiteilung des 
Kirchenraumes i) Kirchenraumes 

Zuging- Symbolik nach 


lich fir © Symeon von 
Thessaloniki 


Priester Oberhimmlische 


Unsichthare Welt _ 
nung 
(Gott, Engel) Gottes, 
entspricht im AT Himmel ber 
der Bundeslade den Himmeln 
Sichtbare Welt 
(Menschen) Gliubige Paradies, ver- 
entspricht dem Heiligtum gottlichte Welt - 
des Tempels zu Jerusalem -- Naos oben Himmel, 
unzuginglich und unein- (Hauptschiff) unten Erde 
sehbar fiir die Anhanger (verklarte, 
des Alten Bundes nach ΜΝ 9 gerechtfertigte, 
dem AT, zuginglich jedoch sichtbare Welt) 
fiir die Glaubigen (NT) 
Narthex Katechou- —Stindige Welt 
(Vorhalle) menen (jetziger 
(Tau€- Zustand) 
anwarter) 
1. Pforte symbolisiert Chri- 
stus: »Ich bin die Pforte. 
Wer durch mich eintritt, 


der wird gerettet wer- 
den.« Joh, 10,9. (Im 
Tympanon der Pforte ist 
in der Regel der Christus 
Pantokrator dargestellt.) 

2. Eingang in das Reich 
Gottes. 


Kirchengebdude 


Pamakaristoskirche Fetije Dschami, Konstantinopel, 1310-1320. 


183 


Kirchengebdude 


Plan A: Grundschema einer Fiinf-Kuppel-Kreuz- Plan B: Schema des Reliquienkreuzes Justins IL., 


kuppelkirche (z. B. untergegangene Apostelkirche, 6.Jh. Der Vergleich mit dem GrundriB der Kreuz- 
Konstantinopel, 6. Sh.; San Marco, Venedig, kuppelkirche (links) verdeutlicht die Ahnlichkeiten 
11. Jh.). in der Anordnung der Kreisfelder. 


Plan C: Grundschema einer Fiinf-Kuppel-Kreuzkup- Plan D: Rechter Fligel eines Zweifliigel-Tragaltir- 
pelkirche mit zusdtzlicher Kuppel tiber der Vorhalle chens (Diptychon) aus dem Athoskloster Chilanda- 


(z. B. Ajios Theodoros — jetzt Kilise Cami —in riou (zweite Halfte 13. Jh.). Die Quadrat- und Kreis- 
Konstantinopel, 12. Jh.). Der Grundrif ist mit dem flachen enthalten Emaille-Darstellungen. (Der linke 
Schema des Tragaltirchens (rechts) zu vergleichen! Fligel ist nach dem gleichen, allerdings auf dem 


Kopf stehenden Schema angelegt.) 


184 


Kirchenjahr 


Weitere Darstellungsfunktionen der 
Kreuzkuppelkirche 


yx Orthodoxe Kirchen sind geostet, weisen 
mit dem Chor auf die aufgehende Sonne hin, 
die Christus als das Licht der Welt symboli- 
siert, und mit der 4uBeren Vorhalle auf den 
Westen, deutbar als Reich der Finsternis. ἡ 


»Weil nun Gott ein geistig Licht und Christus in den 
Schriften Sonne der Gerechtigkeit und (Sonnen-) 
Aufgang genannt hat, darum ist ihm der Aufgang 
zur Anbetung geweiht. ... Und dann sagt auch die 
Schrift (1. Mose 2, 8): Und Gott der Herr pflanzte 
ein Paradies gegen Morgen und setzte den Men- 
schen hinein, den er gebildet — und nach der Uber- 
tretung vertrieb er ihn und siedelte ihn gegentiber 
an... am Untergang namlich. Auf der Suche nach 
dem alten Vaterland (im Osten) und dorthin schau- 
end, beten wir Gott an. Auch das mosaische Zelt 
(Sitftshiitte) hatte den Vorhang und den Stihnealtar 
gen Aufgang ... Auch in dem beriihmten Tempel 
Salamos war die Pforte des Herrn gen Aufgang gele- 
gen!« Johannes Damaszenus in seiner Glaubens- 
lehre 


Das Gebéude ermdglicht dem Menschen die 
Orientierung im Raum. Die Kreuzarme wei- 
sen in alle vier Himmelsrichtungen. 


ve In der Kreuzkuppelkirche kommt das 
mannliche und das weibliche Prinzip in seiner 
Dualitét wie in seiner Verbundenheit zum 
Ausdruck -- als Pantokrator und als Gottesge- 
bdrerin, welche die beiden architektonischen 
hochrangigen Platze im Kircheninneren beset- 
zen (--Ὁ Pantokrator; —> Maria). 

¥ Die Bilderwand umspielt das Problem der 
Trennung und Vereinigung — trennt und verei- 
nigt gleichzeitig die sichtbare und die unsicht- 
bare Welt (—> Ikonostase). 


Die Abgrenzung des menschlichen Selbst gegen die 
Umwelt und die Durchlassigkeit dieser Abgrenzung 
~ die es tiberhaupt erst ermdéglicht, mit der Umge- 
bungswelt Verbindung aufzunehmen -- ist ein Kardi- 
nalproblem der Persénlichkeitsentwicklung. Fiir 
den Menschen ist eine véllige Abkapselung ebenso- 
wenig heilsam wie ein vdlliges VerflieBen mit der 
Umwelt. Eine Trennwand ist ebenso ndétig wie de- 
ren Durchlassigkeit. Schiff und Allerheiligstes bil- 
den symbolisch das menschliche BewuStsein — In- 
nenwelt und Aufenwelt — mit dem sie verbindenden 
Wahrnehmungsvermégen -- ab; letzteres repriésen- 
tiert durch die Bilderwand. Im Gegensatz zur west- 
lichen Kultur wird nicht die AuBenwelt, sondern die 


Innenwelt als das Bedeutendste angesehen — die Be- 
wertung ist umgestiilpt, was sich bei raéumlichen 
Darstellungen in der umgekehrten Perspektive (das 
Gottnahe gro8, das Gottentfernte klein) spiegelt. 


Auffallig die Ahnlichkeit mancher Kirchen- 
grundrisse mit + Kreuzsymbolen und Gliede- 
rungen von Stawrotheken bzw. Evangeliaren. 


Kirchenjahr 
TO EOPTOAOTIKO ETOC 


To eortolojiké étos 


Beginnt im September mit dem Hauptfest der 
—> Geburt Maria und endet im August mit der 
— Heimholung Maria; besteht aus zahlreichen 
unbeweglichen Festen und den beweglichen 
des Passions-, Oster-, Pfingstzyklus (— Fest- 
tagskalender). 


Gliederung der Zeit durch das Kirchenjahr 
Mit seinen Festen verbindet es die einzelnen 
Phasen des géttlichen Wirkens mit dem alltag- 
lichen Leben, mit den Gestirnen, mit der Zeit, 
es gliedert und heiligt sie, macht ihre beunru- 
higende Unendlichkeit iiberschaubar. Ganz 
ahnlich verbindet der — Kirchenbau an heils- 
geschichtlich bedeutsamen Statten die Heils- 
geschichte selbst mit dem taglichen Leben. 
Kirchenbauten sind heilige Landmarken, die 
die beunruhigende Ausdehnung des Raumes 
gliedern und seinen bewohnbaren Teil abstek- 
ken (> Elias). Die Festtagsbilder verkniipfen 
— auf die Liturgie bezogen — heilige Zeit und 
heiligen Raum zu einer Einheit. 

Die wichtigsten Festtage wurden in der 
1. Halfte des 4. Jh.s unter > Konstantin in der 
Hauptstadt eingefiihrt. Gleichzeitig haben er 
und seine Mutter die wichtigsten heilsge- 
schichtlichen Staétten im Heiligen Land mit 
Kirchenbauten markiert, deren Form und 
Ausstattung die kirchliche Kunst des byz. Rei- 
ches pragen sollten. Mit Sinn ftir die Notwen- 
digkeit eines neuen Orientierungssystems hat- 
ten Konstantin und Helena damals, als die an- 
tike Religiositét sich aufléste, das christ]. Le- 
ben an einen orientierenden Rahmen in Zeit 
und Raum gebunden, den Grundstein zu ei- 
nem System gelegt, das tiber 1100 Jahre den 
Bestand des Reiches sicherte. 


185 


Kirchenjahr 


Rituelle Erneuerung heilsgeschichtlicher 
Ereignisse 

Die Gottesdienste erinnern nicht an langst 
Vergangenes, sondern verlebendigen im jahr- 
lichen Zyklus dramatisch die heilsgeschicht- 
lichen Ereignisse — die Ankunft Christi in der 
Welt, sein Leiden, Opfer, seine Auferstehung 
und Auffahrt. All dies wird jedes Jahr, in we- 
higer ausgepragter Form jeden Sonntag, durch 
symbolische Handlungen im Gottesdienst aus 
ferner Vergangenheit in das Jetzt zuriickgeru- 
fen und vom Glaubigen als Gegenwart miter- 
lebt. Ein Vorgeschmack der Ewigkeit wird im 
Drama der Liturgie in die Gegenwart vorge- 
zogen — so wie das Kircheninnere wahrend der 
— Liturgie zu einem bereits vorab vergéttlich- 
ten Teil der Welt wird. 


Bauerliches und liturgisches Jahr 

Das zyklische Kirchenjahr mit seinen wieder- 
kehrenden Festen entspricht der Denkweise 
und Erfahrung des bauerlichen Menschen, der 
es so erlebt wie den sténdig sich wiederholen- 
den Zyklus von Saat und Ernte, Werden und 
Vergehen. Die griech. Bauern und die aus 
dem Bauernstande hervorgegangenen Papa- 
des haben ihr mit dem Wachstum der Pflanzen 
und Friichte und der Aufzucht von Tieren eng 
zusammenhangendes Brauchtum an die Fest- 
tag-Gottesdienste angekntipft und so das land- 
wirtschaftliche mit dem Kirchenjahr verzahnt. 
Saat und Ernte weisen hin auf Tod und Aufer- 
stehung, wie Tod und Auferstehung auf Saat 
und Ernte. Die Tendenzen dazu sind im NT 
angelegt. Christus und seine Jiinger entstam- 
men einem bauerlichen Umfeld. 


Sonnen- und Mondjahr 

Das Kirchenjahr hangt mit seinen beweglichen 
Festen am Sonnen-, mit seinen unbeweglichen 
(iiber -> Ostern) zugleich am Mondjahr. Jeder 
Tag — in den Kléstern werden, soweit méglich, 
dreizehn traditionelle, Tag und Nacht gliedern- 
de Gottesdienste abgehalten — wird durch Ta- 
gesheilige und heilsgeschichtliche Ereignisse 
aus beiden Zyklen bestimmt, und da sich der 
bewegliche Zyklus von Jahr zu Jahr ver- 
schiebt, andert sich auch jedes Jahr die Kom- 
bination von Tagesheiligen bzw. Heilsereig- 
nissen. 


186 


2G: BS 
bet it Aaa το, κε τς Rouen a 


i 


raat ἨΔ Les 


Die Jahrestage der Heiligen werden im Minolojion 
aufgezahlt. Osios Lukas, nach 1000. 


w Die Gedenkanlasse des feststehenden Ka- 
lenders fiir das ganze Jahr sind im Minolojion 
verzeichnet, das auch im Jeratikon, dem 
Handbuch des Priesters, enthalten ist. 

yw Die von Ostern abhangigen Gedenkanlasse 
sind fiir die Fasten- und Osterzeit im Triodion 
~— fiir die Fastenzeit im Fastentriodion, fiir 
Ostern bis Pfingsten im Blumentriodion ent- 
halten. Im Anschlu8 an Pfingsten bilden je 
acht Sonntage eine Einheit, die die acht Wo- 
chen vor und nach Ostern spiegelt, sich standig 
wiederholend bis zur nachsten Fastenzeit. Je- 
de Woche innerhalb der Achtheit steht unter 
einem andern liturgischen Ton. Die dem Ach- 


‘terrhythmus folgenden Gottesdienstanweisun- 


gen stehen im Achtton-Buch »Ochtdichos« 
(Triodion und Ochtoichos gehéren in die 
Hand des Kantors). 


Ein aktueller Jahresweiser (Imerolojion) wird in 
griech. Sprache von der Metropolie in Bonn heraus- 
gegeben (erhiltlich in griech. Ortsgemeinden). 


Die Wochentage als Gedenktage 


Sonntag: ‘Tag des Herrn, der Auferstehung 
Christi 

Montag: Tag der kérperlosen Machte 
(Engel) 

Dienstag: ‘Tag des Vorlaufers 
(Johannes der Taufer) 

Mittwoch: ‘Tag des Kreuzes 


(und Gedachtnis des Verrates) 


Kirchenvdter 


Donnerstag: Tag der Apostel, des Heiligen 
Nikolaus und der Kirchenvater 


Freitag: Tag des Kreuzes 
Samstag: ‘Tag der tibrigen Heiligen 

und der Verstorbenen. 
Kirchenvater 


OI ITATEPEC THC EKKAHCIAC 
I patéres tis Ekklisias 


Geistliche Lehrer haben die Liturgie geschaf- 
fen, die orthodoxe Dogmatik formuliert oder 
‘mitgestaltet. Sie gehdren zwei verschiedenen 
-geistigen Strémungen, den Schulen von Antio- 
‘chia und Alexandria, an. 


Theoiogie, Christologie und Anthropologie 
der Kirchenvater 

Zu ihrem Kern werden drei (Antiochener) 
oder vier (drei Antiochener, ein Alexandri- 
ner) aus der 2.Hialfte des 4.Jh.s gerechnet. 
Den erweiterten Kreis schlieBt im 8.Jh. — Jo- 
hannes Damaszenus ab; er hat die Uberliefe- 
rungen der Antiochener in seiner Glaubens- 
lehre zusammengefaBt. 

Im christologischen Streit um die Lehre von 
den zwei Naturen Christi stehen Antiochener 
und Alexandriner in einem dogmatischen und 
auch menschlichen Gegensatz zueinander. Die 
groBherzigen Antiochener heben die mensch- 
liche Natur Christi hervor, die aggressiveren 
verbissenen Alexandriner betonen einseitig 
seine Géttlichkeit. 


Weitere Entwicklungen: Ab 428 spaltet sich von der 
antiochenischen Richtung die nestorianisch-persi- 
sche Kirche ab (Maria hat Christus, nicht Gott, ge- 
boren), nach 451 von der alexandrinischen die mo- 
nophysitische Kirche der Kopten und Armenier 
(Christus hat nur eine géttliche Natur). 

Die Orthodoxen bekannten sich auf dem Konzil zu 
Calcedon (451) zu dem einen Christus, vollkomme- 
ner Gott und vollkommener Mensch, d.h. zu seinen 
zwei Naturen, die weder miteinander vermischt 
noch véllig voneinander getrennt, sind. Inzwischen 
haben sich die Gegensatze zwischen der orthodoxen 
und den orientalischen Kirchen verschliffen. Sie be- 
handeln sich heute gegenseitig nicht mehr als Hare- 
tiker. 

Die Christologie der Kirchenvater ist Basis ihrer 
Lehre vom Menschen (Anthropologie). Das Ver- 
einigtsein des Menschensohns mit Gott gilt als Vor- 
bild fiir die Bestimmung des Menschen, sich my- 


stisch mit Gott zu vereinigen. Die Vermensch- 
lichung Gottes erméglicht die Vergéttlichung des 
Menschen. 


Ubersicht: Kirchenviter der Orthodoxie 


Dreiergruppe (30.Januar) Vierergruppe 
- — Basilius der GroBe, -- Basilius 
Kappadokien, gest. 379 — Gregor der Theo- 


— Gregor der Theologe loge 
(von Nazianz), Kap- — Johannes Chryso- 
padokien, gest. 389 stomos 


- Athanasius, Pa- 
triarch von Alex- 
andrien, gest. 373 
oder 

- Kyrillos von Alex- 
andrien, gest. 444 


- — Johannes Chryso- 
stomos, Antiochia, 
gest. 407 

Alle aus dem Patriarchat 

von Antiochia 


Zum erweiterten Kreis gehdren 


— Gregor von Nyssa, Kappadokien, gest. 395 
— Sabas, Kappadokien, gest. 532 

— — Ephram der Syrer, gest. 377 

— Kyrillos von Jerusalem, gest. 386 

- — Johannes Damaszenus, gest. ca. 750 

— Papst Sylvester, Rom 314-335 


Lebensbeschreibungen von Kirchenvatern 


x Gregor der Theologe, Freund des —> Basi- 
lius, Priester bei Nazianz, Inneranatolien, 
380-383 Patriarch von Konstantinopel. Zieht 
sich enttéuscht von den Intrigen der Haupt- 
stadt nach Kappadokien zuriick, widmet sich 
der Hymnendichtung. Bedeutender Redner 
und Schriftsteller. VerfaBte eine Schrift tiber 
die Dreieinigkeit, mit Basilius zusammen die 
Philokalia (Bliitenlese aus Origines). 

yx Gregor von Nyssa, Inneranatolien. Bruder 
des — Basilios, mit ihm und Gregor von 
Nazianz zu den drei grofen Kappadokiern 
gerechnet. Vertrat seinen antiochenischen 
Standpunkt (zeitweise durch Kaiser Valens 
verfolgt) auf dem Konzil von Konstantinopel 
381 und der Synode von 394, VerfaBte tiefsin- 
nige theologische Schriften. Dargestellt mit 
braunlichem, eckig-breitem Bart. 

xx Athanasios, ab 328 Metropolit von Alex- 
andrien. Heftiger Gegner der Arianer. Deswe- 
gen von Kaiser Konstantios verfolgt, muBte 
insgesamt fiinfmal flichen. Von grofem Ein- 
flu8 fir Einsiedlerwesen und Ménchtum seine 
Lebensbeschreibung des Antonios, des Be- 
grtinders des Eremitentums. 


187 


Konstantin und Helena 


ye Kyrill, Patriarch von Alexandrien, gest. 
444, Setzte auf dem Konzil von Ephesus mit 
Klauen und Zahnen die Verurteilung des Ne- 
storios durch. Es ging. um Anerkennung Ma- 
rias als Gottesgebarerin (Nestorios: Christoto- 
kos; Kyrill: Theotokos). Dargestellt mit der 
typischen kreuzverzierten Kopfbedeckung des 
alexandrinischen Patriarchen (> Gewdnder). 
vv Kyrill von Jerusalem, Verfasser wichtiger 
Katechesen iiber die Mysterien des Christen- 
tums, bedeutender Vertreter der liturgischen 
Mystik. 

vy Sawas (Sabas). Geb. in Kappadokien, 
griindete nach ihm benanntes Kloster bei 
Bethlehem. Hatte zuletzt die Oberaufsicht 
liber sieben Einsiedlerverbande, tiber das ge- 
samte Ménchtum Palastinas. 

ve Papst Sylvester, im Osten verehrt, weil er 
Kaiser Konstantin vom Aussatz befreit und ge- 
tauft haben soll. Tragt die papstliche Kamilaw- 
ka (-> Gewander). 


Kirchenviiter im Apsisrund um den Altar. Ajios 
Nikolaos Orphanos, Thessaloniki, Anfang 14. Sh. 


Die Kirchenvater um den Altar 

in der unteren Zone des Apsisrundes 

In der altchristl. Basilika saB die Priesterschaft 
auf abgestuften Sitzbankreihen — dem Syn- 
thronon -- im Apsishalbrund um den Altar. Ih- 
ren Platz nimmt von der Mitte der mittelbyz. 
Zeit an die nunmehr bildlich dargestellte 


188 


Gruppe der Kirchenvater ein. Sie umsteht in 
der untersten Zone des Apsiszylinders den Al- 
tar. (Zuvor — im 9. und 10.Jh., z.T. auch spa- 
ter -- waren die Kirchenvater in hochgelegenen 
Wandnischen unter dem Gewdélbe nahe dem 
Allerheiligsten untergebracht worden.) 

Die Kirchenvater treten auch als Zweier- oder 
Sechsergruppe, meist aber als Vierergruppe 
auf — links jedoch nach rechts gewandt vor ei- 
nem schmalen Mittelfenster Chrysostomos vor 
Athanasios, rechts nach links blickend Basilios 
vor seinem Bruder. In groBen Apsiden ist die 
Gruppe vergré8ert (bis zu zwei Vierergrup- 
pen). Vom 9.Jh. an tragen die Kirchenvater 
das mit Kreuzen tibersate Phelonion (Poly- 
stawrion; > Gewander). Die Dreiergruppe er- 
scheint auch, frontal dem Betrachter zuge- 
wandt, auf Ikonen. Ab spatbyz. Zeit werden 
die Kirchenvater in folgende szenische Dar- 
stellungen eingebunden: -- Heimholung Ma- 
ria, Kirchenvaterkommunion (— Eucharistie), 
Tod einzelner Kirchenvéter (Ephrim, Chry- 


sostomos) inmitten ihrer Anhanger und 
Freunde. 
Konstantin und Helena 


O KQNCTANTINOC KAI H EAENH 
O Konstantinos kei Eléni 


R6mischer Kaiser (306-337) mit Kaiserinmut- 
ter. Konstantin beendete die Christenverfol- 
gung, filhrte das Christentum als Staatsreligion 
ein und erhob 328 Konstantinopel zur Haupt- 
stadt des rémischen Reiches. Das Mutter- und 
Sohn-Paar — Vorbild christlichen Herrscher- 
tums — wird in der griechischen, russischen und 
armenischen Kirche als heilig verehrt. 


Namenstag und Brauchtum um Konstantin 
und Helena 

In den Konstantinskirchen finden am 21. Mai 
Feste (Panijiria) mit Prozessionen statt. Vor 
den Kirchen wird getanzt, gegessen und ge- 
trunken. 

In Kosti/Thrakien und einigen Orten Makedoniens 
finden die Anastendria — Feuertinze — statt: Mitglie- 
der der Bruderschaft der Anastenarites tanzen auf 
einem Platz bei der Konstantinsquelle nahe Kosti 
mit bloBen FiiBen, in den Handen Konstantinsiko- 
nen oder ein Evangelienbuch, tiber gliihender Holz- 
kohle — angeregt von einer Trommel, einer einsaiti- 
gen Fidel und einem thrakischen Dudelsack. Die 


Konstantin und Helena 


von Konstantin besessenen Trancetanzer befragen 
die Konstantinsikone und geben Prophezeiungen 
von sich. Am 1. Abend des achttigigen Festes wird 
ein vom Priester ausgewahlter schwarzer dreijahri- 
ger Stier geopfert, sein rohes Fleisch und seine 
Haut, aus der Sandalen gemacht werden, erhalten 
die Dorfbewohner. Die urspriinglich im heute ttirki- 
schen Ostthrakien beheimatete Sitte wird als Chri- 
stianisierung eines Dionysosritus betrachtet. Strabo 
erwahnt die Kapnowatd (Rauchganger) bei den ge- 
dischen Thrakern. 


Leben und Wirken Konstantins 

Konstantin, 306 nach dem Tode seines Vaters 
von.den Truppen in Britannien zum Mitkaiser 
ausgerufen, Verehrer des sol invictus (unbe- 
siegliche Sonne), verwaltete als einer von vier 
Herrschern den Reichsteil Gallien und Britan- 
nien. 

An der noch von Diokletian eingeleiteten 
Christenverfolgung, 311 durch den Duldungs- 
akt des ranghéchsten Augustus endgiiltig be- 
endet, beteiligt er sich nicht. 312 schlagt Kon- 
stantin bei Rom an der Milvischen Briicke 
Maxentius, bis dahin Herrscher iiber Italien 
und Afrika. Nach der Eusebius zugeschriebe- 
nen Vita Konstantins ist dem Kaiser vor der 
Schlacht tiber der Sonne ein Lichtkreuz er- 
schienen mit der Inschrift: »Touto Nika« (Mit 
diesem Siege!). Nach Laktanz hat Konstantin 
aufgrund eines Traums seinen Soldaten ein 
Christusmonogramm auf ihren Schildern an- 
bringen lassen. Konstantin wendet sich dem 
Christentum zu, ]4Bt sich selbst als sol invictus 
darstellen (Miinzen, Statuen). Im Christus- 
monogramm verschmelzen Kreuz- und Son- 
nensymbol. 321 fiihrt er den Sonntag (dies so- 
lis) als Feiertag ein. Das sog. Lawaron, eine 
Standarte mit Christusmonogramm, setzte er 
324 in Adrianopel (Edirne) ein bei seinem Sieg 
tiber den letzten Konkurrenten Licinius, den 
Beherrscher des Ostens. Nunmehr Alleinherr- 
scher, verlegt er seine Residenz nach Byzanz 
und weiht die Stadt 328 zum »neuen Rom« 
(Konstantinopel). Als sakrale Mitte der Stadt 
gilt die Porphyrsaule mit einer Kolossalstatue 
Konstantins als Helios. Bereits 325 lieB er das 
Erste Okumenische Konzil nach Nikda einbe- 
rufen, spricht sich gegen Arius aus (Christus 
der erstgeschaffene Mensch, nicht der erstge- 
borene Sohn). Nachdem Konstantin 326 seine 
Frau Fausta und seinen dltesten Sohn Crispus 


aus nicht néher bekannten Griinden hat hin- 
richten lassen, tritt seine Mutter Helena in den 
Vordergrund — spiirt Reliquien auf, griindet 
zahlreiche Kirchen. Erst kurz vor seinem Tode 
laBt sich Konstantin taufen (337). Bestattet 
wird er in einem Mausoleum, verbunden mit 
der von ihm gegriindeten Apostelkirche, zwi- 
schen je sechs Gedenkstelen fiir die Apostel zu 
beiden Seiten des Sarkophages: er will teil- 
haben an den Gebeten zu Ehren der Apostel. 
Noch heute lautet Konstantins Beiname Isa- 
postolos (Apostelgleicher). Helena starb ein 
Jahr vor ihm und ist in Rom im Helenamauso- 
leum (Tor’ Dignattara) bestattet, Vorbild fiir 
die konstantinische Apostelkirche und die 
Grabkirche in Jerusalem. Konstantin XI. Pa- 
laiologos hie& der letzte byz. Kaiser, der am 
29.5.1453 vor der Stadt im Kampf gegen die 
Tirken fiel. 


Darstellungen von Konstantin und Helena 


Das Kaiserpaar mit dem heiligen Kreuz. 
Osios Lukas, bei Stiri in Phokis, nach 1000. 


Kaiser und Kaiserinmutter erscheinen einzeln 
an Pilastern mit dem Kreuz oder einer Schrift- 
rolle in der Hand, ab Ende des Bilderstreites 
meist zu zweit, zwischen sich das ‘wahre Kreuz 
Christi, das Helena bei einer Pilgerfahrt nach 
Palastina gefunden. Die Tracht der Kaiserin 
enthalt einen schildartigen Aufsatz (Thora- 
kion) — einen lederversteiften Teil ihres Loros 
(— Kaiser) mit dem Bild des heiligen Kreuzes. 
Das nicht vollig entratselte Bekleidungsdetail 
tragen auch Kaiserinnen des 10. und 11. Jh.s. 


189 


Kosmas und Damian 


In Konstantinopel, Rom und Alexandrien hat Kon- 
stantin Kirchen fiir Martyrer - Heroen des Christen- 
tums — gegriindet, in Palastina zusammen mit Hele- 
na die Stétten der Theophanien mit christlichen 
Kultbauten markiert: die Geburtskirche in Bethle- 
hem (—> Geburt Christi), die Eleonakirche an der 
Statte der >» Himmelfahrt auf dem Olberg, Basilika 
fiir die Trinitét im Hain zu Mamre (— Pfingsten), 
Auferstehungskirche mit Grabgedenkstatte (335). 
Ein Kreuz am Jordan an der Stelle der — Taufe 
Christi hat er vermutlich errichtet. Die mit diesen 
Statten verbundenen Ereignisse (— Kirchenjahr) 
sind bereits in konstantinischer Zeit in der Haupt- 
stadt festlich begangen worden. 

Uber der schénen Pforte der Ajia Sophia ist er zu- 
sammen mit Justinian als Stifter, der Christus hul- 
digt, wiedergegeben (—> Kaiser). In den Bruder- 
schaftsréumen der Anastenarites in Kosti soll es mit 
Gléckchen behangte Ikonen geben, die Konstantin 
und Helena als Tanzende zeigen. 


Kosmas und Damian, 
die Silberverachter 


OI ANAPLYPOI KOCMAC KAI 
AAMIANOC 
I anarjiri Kémas ke Damiands 


Zwei Briider aus Agea in Kilikien (Klein- 
asien), die als Arzte ihre Patienten unentgelt- 
lich behandelten. Da das auch im 3.Jh. unge- 
wohnlich war, bekehrten sie viele zum Chri- 
stentum. Damian mute sich einmal gegen- 
liber seinem Bruder verantworten: Er hatte 
drei Eier von einer geheilten Frau angenom- 
men, um sie nicht zu kranken. Da das Minolo- 
jion (— Kirchenjahr) fiir sie zwei Gedenktage 
— den 1.Juli und den 1.November -- enthailt, 
wird angenommen, es hatte zwei Arztepaare 
gleichen Namens gegeben. Der doppelte Ge- 
denktag kommt wohl dadurch zustande, daB 
die beiden an unterschiedlichen Tagen unter 
Diokletian den Martyrertod erlitten. Die bei- 
den Anarjiri, die das Silber ablehnen, werden 
auf Ikonen und an Kirchenwdnden jugendlich 
und vornehm gekleidet wiedergegeben, mit 
zartem Flaumbart, Salbenbiichse und einem 
Léffel in der Hand. Auf einigen Ikonen — Arz- 
te-Ikonen sind ein wichtiges hausliches Hilfs- 
mittel gegen Krankheiten aller Art -- wird ih- 
nen der Martyrerarzt Panteleimon zugeord- 
net. Ihr Kult hat sich vom 6.Jh. an ausgebrei- 
tet, nachdem sie dem erkrankten Kaiser Justi- 


190 


nian im Traum erschienen und ihn von einer 
Krankheit geheilt hatten. Traumkonsultatio- 
nen, oft in drei Nachten hintereinander, sind 
keine Seltenheit. Noch heute iibernachten Er- 
krankte in Kirchen von Kosmas und Damian 
oder anderen heiligen Arzten, um zu gesunden 
oder entsprechende Traumanweisungen zu er- 
halten (Antike: Heilschlaf Kranker in Tem- 
peln des Asklipios). 


~ Kosmos 


O KOCMOC 
O késmos 


Das wohlgeordnete All. Die Geistigkeit der 
Orthodoxie ist kosmisch orientiert, auf das All 
hin, das einst vergéttlicht werden wird. Die 
Heilsgeschichte wird gesamtkosmisch aufge- 
faBt -- Sonne, Mond und Sterne sind in die 
Ereignisse um Geburt, Tod und Auferstehung 
Gottes einbezogen. Die Geistigkeit der West- 
kirchen ist demgegentiber eschatologisch, auf 
den Ablauf der Zeit hin ausgerichtet. 


Kosmos — unterschiedliche und 
widerspriichliche Wortbedeutungen 


w Kosmos -- die irdische und in Schuld ver- 
strickte Welt, im Gegensatz zu Gott stehend. 
Im NT bei Matthaus, Markus und Lukas. 

yx Kosmos — ehemals in Finsternis versunke- 
ne Welt, die durch Christus besiegt ist und sich 
in einen verg6ttlichten Kosmos verwandelt. 
Johannes und Paulus betonen die Aufnahme 
des Kosmos ins Reich Gottes, die Theologie 
des 5. und 6.Jh.s, seine Umwandlung in eine 
gottliche Welt. (Wandel in der Ausdruckswei- 
se, von einer hebrdischen Begrifflichkeit, die 
vom Gegensatzpaar Himmel und Erde aus- 
geht, hin zu dem fiir die griechisch sprechende 
Welt verstandlicheren Begriff Weltall). 

yr Kosmos als eine der drei verschiedenen 
Welten — dem unteren Kosmos (Totenwelt), 
mittleren Kosmos (Menschenwelt) und dem 


‘oberen Kosmos (Welt Gottes). 


ye Kosmos wird noch gebraucht in der Bedeu- 
tung von Schmuck und Ordnung (urspriinglich 
der geordneten Menschenwelt, der von Men- 
schen bewohnbaren Welt, im Gegensatz zum 
Chaos), auch als Menschheit, im Neugriechi- 
schen als »die Leute«. . 


Kranz 


Allegorische Darstellungen des Kosmos 

Als alter Kénig mit Krone und zw6lf Schrift- 
rollen, Reprasentationen aller Reiche dieser 
Welt (— Zahl 12), erscheint der Kosmos auf 
Bildern von —> Pfingsten: als Gruppe von 
zwolf Kénigen — bei Platzmangel weniger — bei 
der --ὸ Versuchung Christi; Nachwirkung der 
alten jiidischen Vorstellung der Welt als Qua- 
drat mit vier mal drei Toren, der Gesamtre- 
prdsentation der auserwahlten Menschheit 
durch die zw6lf Stémme Israels. 


Symbolmodelle des Kosmos 


Orphanos, Thessaloniki, Anfang 14. Jh. 
Zu den Kosmossymbolen gehéren: 


1. Das Kreuz selbst — vor allem in seiner Form 
als Kreuz im Kreis — mit seinen vier in die 
Haupthimmelsrichtungen weisenden Balken. 
Die ostorientierte Kreuzkuppelkirche ist ein 
kosmografisches Modell (> Kirchenbau; — 
Himmilische und kirchliche Hierarchie; — 
Evangelisten). 

2. Die zum Abendmahl vorbereiteten, Gaben, 
die in der — Proskomidie von Priester und 
Diakon als ein Modell der vergéttlichten Welt 
aufgebaut werden. Der Stempel auf dem 
Abendmahlsbrot Jesus Christos Nika erscheint 
auf dem Kosmosmodell, das die Erzengel in 
Handen halten, der Sphaira (> Eucharistie). 
3. Der — Mariengiirtel umschlieBt den Leib 
der Panajia, als Schutzgiirtel die Mauer Kon- 
stantinopels und den gesamten Erdkreis, sym- 
bolisiert die Umgrenzungen des Alls (auch 
Maria Platytera, > Maria, die Allheilige). 


4. Die heilige Stadt, ein aus dem AT tiberkom- 
menes Weltbildsymbol (— Jerusalem; — 
Tempel). 


Mikrokosmos — Makrokosmos — Entsprechung 
Die wichtigsten orthodoxen Riten stellen eine 
Vereinigung des Menschen mit dem Kosmos 
her — die Wasserweihe (—> Taufe Christi), die 
-» Eucharistie. Verschieden groBe Kosmos- 
modelle sind ineinander verschachtelt -- das 
Kosmosmodell Proskomidie innerhalb des 
Kosmosmodells Kirche, umgriffen vom gétt- 
lichen Kosmos. Das Bestreben, Verbindung 
zwischen dem Einzelmenschen und dem Kos- 
mos zu schaffen, driickt sich im Verstirnen hi- 
storischer heilsgeschichtlicher Persdnlichkei- 
ten aus, in der Gleichsetzung Christi mit der 
Sonne, der Apostel mit den Tierkreiszeichen. 
Die groBen Ektenien im Gottesdienst bezie- 
hen in ihre Fiirbitte den gesamten Kosmos ein 
(— Deisis). 


Kranz 


O CTE®ANOC 
O stéphanos 


Reifen aus Blattern oder Bliiten, natitirlich oder 
in Gold nachgebildet, getragen als Schmuck, 
Zeichen der Gottgeweihtheit, verlichen als 
Siegestrophae oder Tribut; der Goldkranz ist 
Vorlaufer des Kronenreifens! 


Wettkampfzeit der kaiserzeitlichen 

Antike 

Die rémischen Kaiser und ihre christl. Nach- 
folger bestanden darauf, zur Sanierung der 
Staatskasse als Geschenk von auswartigen Ge- 
sandtschaften, von ‘Tributpflichtigen, von 
Stadten und Gebieten des Imperiums bei Jubi- 
laen Kranze aus reinem Gold (aurum corona- 
rium) entgegenzunehmen. 

Kranze aus Zweigen oder Blumen — Lorbeer 
stand nur den verg6ttlichten Kaisern zu — wur- 
den als Schmuck bei Festen, als Zeichen der 
Gottgeweihtheit bei Opferzeremonien getra- 
gen. Opfertiere wurden bekranzt, wie in Grie- 
chenland heute noch zu festlichen Anlassen 
geschlachtete Tiere. Vor allem galt der Kranz 
als die Siegestrophde bei sportlichen Wett- 
kampfen — mit denen dann Paulus die Miihen 
des Christenlebens vergleicht: 


191 


Kranz 


»... Die in den Schranken laufen, die laufen. alle, 
aber nur einer erhalt das Kleinod ... Wer da kampft, 
enthalt sich aller Dinge, jene damit sie einen ver- 
ganglichen Kranz empfangen, wir aber einen unver- 
ganglichen ...« 1. Kor. 4, 24-25. »Ich habe einen 
guten Kampf gekampft ..., jetzt ist mir zugeteilt der 
Kranz der Gerechtigkeit, den mir an jenem Tag der 
Herr, der gerechte Kampfrichter, geben wird.« 
2. Tim. 4, 7-8 (auch 1. Petr. 5, 4; Offobg. Joh. 2, 10). 


Der Kranz als Kreis, Zeichen der Vollkom- 
menheit, in Beziehung gesetzt zum Himmels- 
rund, wird Sinnbild des errungenen himmli- 
schen Heils (-5 Himmelfahrt Christi). 


Kranz als Tribut und Ehrengabe im friihen 
Christentum 


ἐγ τη 


Ein Magier iiberreicht dem Christuskind einen Gold- 
kranz als Tribut. Sarkophag um 320, Vatikan Museo 
Pio Christiano, ex Lat. 121, 1 


Ab konstantinischer Zeit tiberreichen die Wei- 
sen aus dem Morgenland dem Christkind ei- 
nen Goldkranz — wie einem Kaiser als Tribut. 
Die ersten Darstellungen tauchen auf Sarko- 
phagen (vatikanische des 4., ravennatische des 
5.Jh.s) auf; daher ist auch an eine Anspielung 
auf den Ehrenkranz des in Christo Verstorbe- 
nen zu denken. In Santa Pudenziana (Rom 
384-399) reichen die Allegorien der Juden- 
und der Heidenkirche dem Christus-Kosmo- 
krator den Kranz zu, auf ravennatischen Sar- 
kophagen des 5.Jh.s bringen — Petrus und 
Paulus das Kranzgold mit verhiillten - Han- 
den dar. 


Kranzférmige Krone des Lebens als Lohn 

der Heiligen 

Die musivischen Apostelreigen in Ravenna 
(Baptisterium der Orthodoxen, Mitte 5., Bap- 
tisterium der Arianer, Ende 5.Jh.) empfangen 


192 


ihren Goldkranz des Lebens wie die Martyrer 
und Jungfrauen in Sant’Apollinare Nuovo 
(nach 500) von Christus; méglicherweise rei- 
chen sie ihn nach dem Vorbild der 24 Altesten 
der Offenbarung 4, 4 und 10 ihm als dem allein 
wiirdigen wieder zurtick. In San Vitale (548) 
verleiht Christus den Kranz an den heiligen 
Vitalis. Nach dem 12./13.Jh. strecken die 
Hand Gottes oder Engel Martyrern, entschla- 
fenen Heiligen, auch der Gottesmutter Kranz 
oder Krone aus dem — Himmel entgegen. 


Kranz- und diademgesiumte Symbole und 
Bilder 

Umkranzte Symbole Christi - Monogramm, 
Kreuz, Lamm -- treten unter Konstantin im 
2. Viertel des 4. Jh.s zunachst auf Sarkophagen 
auf. Ab 5.Jh. schwebt der himmelfahrende 
Christus selbst in einem von apokalyptischen 
Tieren oder Engeln getragenen Kranz nach 
oben (Rom, Santa Sabina, ca. 432, --- Him- 
melfahrt). Auf einem Relief darunter halten 
Petrus und Paulus einen Kreuzkranz tiber Ma- 
ria (als der Kirche). Die Rahmungen der run- 
den Taufmedaillons in den Baptisterien Ra- 
vennas sind Goldreifen — im Baptisterium der 
Arianer mit kaiserlichen Goldlorbeerblattern 
verziert. 

Der Himmelsreif in der Apsis Sant’ Apollinare 
in Classe (Mitte 6.Jh.) tragt die gleiche Juwe- 
lenzier wie die Golddiademe zeitgendssischer 
Herrscher (— Kaiser). , 


Die mit Symbolen oder mit dem himmelfahrenden 
Christus besetzten Kranze werden von zwei oder 
vier Engeln (oder Evangelistensymbolen) getragen. 
(In der Kaiserzeit hielten engelahnlich gefliigelte 
Viktorien dem Kaiser einen Kranz hin). In San Vi- 
tale zeichnet sich trotz tippiger Verwendung des 
Kronenkranzes im Dekor deutlich die im 6. Jh, ein- 
setzende Verdrangung des Goldkranzes durch den 
— Nimbus (Kranz aus Licht) unter dem Einflu8 der 
areopagetischen Lichtmystik (-> Himmlische und 
kirchliche Hierarchie) ab. 


Der Dornenkranz (o stephanos ex akanthon) 
wird auf frithchristl. Sarkophagen vor allem als 
Triumphkranz Christi aufgefaBt. 


Die Dornenkrone auf friihchristlichen 
Sarkophagen 

»... Jesus sehen wir durch das Leiden des Todes 
gekr6nt mit Preis und Ehre ...« Hebr. 2, 9. 


Kreuz 


Auf einem Sarkophag (um 340, Lateran) be- 
kranzt ein Soldat den leidenden Christus mit 
Lorbeer anstatt mit Dornen. Vom 11.Jh. an 
kommt die Dornenkrone auf szenischen Dar- 
stellungen vor (Christi Gefangenfiihrung, El- 
mali Kilise, Gdreme, 12. (?) Jh.) oder als Zu- 
behér des Kreuzes bei der Kreuzerhéhung 
bzw. Kreuzanbetung (Hochzeitskranz, --Ὁ 
Wunderspeisungen). 


Kreuzdarstellung in der Prothesisnische der Ajia Irini 
bei Malona, Rhodos. ᾿ 


Kreuz 
O CTAQPOC 


O stawros 


Marter- und Hinrichtungsinstrument fiir Ver- 
urteilte ohne rémisches Biirgerrecht, als To- 
desgeriist Christi Symbol des Christentums, 
kann Christus selbst représentieren. Auf viel- 
fache Weise zeichenhaft dargestellt, nimmt es 
zahlreiche Nebenbedeutungen an, wird auch 
kosmologisch interpretiert. 


Bedeutungsvielfalt des Kreuzeszeichens 
in den Kirchen des Ostens 


Besondere Kreuzgedenktage: 


yx Mittwoch und Freitag jeder Woche. 

vy GroBer Freitag (Karfreitag —> Kreuzi- 
gung). 

vr Anbetung des Kreuzes (Proskinisis) am 
dritten Fastensonntag der Passionszeit. 

vx Kreuzprozession (Proodos) am 1. August. 
yy — Kreuzerhéhung (Hochfest). 


Das einfache Kreuz ohne Korpus (Darstellun- 
gen des Gekreuzigten — Kreuzigung) ist Bild 
des historischen Kreuzes (gefunden von Kon- 
stantin und Helena), theologisches Heilszei- 
chen fiir die Uberwindung des Todes durch 
das Instrument des Todes selbst — »Christ ist 
erstanden von den Toten, den Tod mit dem 
Tode zertretend ...« (~ Ostern) — und es un- 
terliegt dariiber hinaus einer Vielzahl von 
Deutungen. 


Johannes Damaszenus zahlt in seinem »Abschnitt 
vom Kreuz« auf: 


x (Geistiges) Zeichen auf der Stirn, an dem die 
Christen kenntlich sind, so wie die Juden an der 
Beschneidung. 

vy Schild gegen Teufel und Damonen. 

vx Waffe gegen den Teufel. 

yw Siegel, das den Christen verschlie&t, damit der 
Bése nicht in ihn eindringe. 

x Halt und Stiitze der Schwachen. 

vx Hirtenstab, an dem sich die Schafe (Christen) 
orientieren. 

yw Anfiihrer derjenigen, die sich zum Christentum 
bekehren. 

¥ Symbol Christi selbst. 

yy Baum (Holz), durch den das Leben in die Welt 
kommt -- , Gegenstiick zu jenem Paradiesesbaum, 
der den Tod brachte. 


yy Ordnender Halt des gesamten Weltalls. 


Das Kreuz als Kosmogramm und Lebensbaum 


Kosmogramm 


Die vier Ecken der Welt, an denen sich die 
vier Winde (Griechenland, Judentum) oder 
die vier Weltenwachter (Indien, China) auf- 
halten, ergeben miteinander verbunden ein 
Kreuz. 

Auch wenn die vier Endpunkte und die Mitte 
dazwischen durch Punkte markiert werden, 
entsteht eine kreuzadhnliche Figur, die man ge- 


193 


Kreuz 


legentlich in der anikonischen Kunst Kappa- 
dokiens findet: 


Fiinf-Punkte-Kreuz. 


Die Welt zu erschaffen bedeutet, das Weltterrito- 
rium kreuzweise abzustecken — Wachtergottheiten 
kreuzférmig aufzustellen (Stidostasien), das All 
kreuzweise abzufahren (Afrika, Dogon). Die Agyp- 
ter und afrikanische Stémme sehen die Welt als 
Himmelsgewélbe, das iiber vier Pfeilern und einer 
Mittelsdule gespannt ist (> Ciborium). Das rémi- 
sche Castrum mit seinen sich kreuzenden, von Siid 
nach Nord und von Ost nach West verlaufenden 
StraBen gilt als Abbild des Kosmos (Kreuze im 
Kreis werden als Weltensymbole empfunden. Kim 
Namura, Psychologin, sieht das Innenbild eines 
Fiinf-Punkte-Kreuzes im BewuBtsein als Ausgangs- 
basis fiir den Erwerb der Raumerfahrung durch den 
Menschen an (-9 Zahl 4 und 5)). 


Die 6stlichen Kirchen betrachten Christi Op- 
fer am Kreuz als kosmisches Geschehen: »Gott 
wurde Mensch und hat damit die Menschenwelt 
vergottet.« (Ganz im Gegensatz zum Prote- 
stantismus, dem es um individuelle Erlésung 
geht; Luther: »Wie bekomme ich einen gnadi- 
gen Gott?«) 


194 


Konsequenterweise betonen sie die ,kosmische 
Bedeutung des Kreuzes: 
yr Bevorzugt dargestellt wird das griech. Kreuz — 


oft im Kreis — mit vier gleichlangen Armen — die 
vollkommenste Form des Kosmoszeichens. 


‘Die Kreuzkuppelkirche selbst ist ein Kosmosmodell 


(— Kirchenbau, — Kosmos). 

yx Apokryphe Apostelgeschichten, spater beschrei- 
ben die Kirchenvater das Kreuz als die Grundstruk- 
tur des Kosmos: 

»Was es aber wirklich ist (das Kreuz), an und fiir 
sich betrachtet und auf uns bezogen, es ist das, was 
alle Dinge in Grenzen halt ...«. Johannesakten 
(apokryph), friihe 2. Halfte 2... 

»Denn vierfach unterteilt sind die Stiicke des Kreu- 
zes, so da jedes auf die vier Teile der Welt gerich- 
tet ist.« Basilius der GroBe, im 4.Jh. (PG 30, 557) 
»Was ist die Eigenart des Kreuzes anderes, als die 
Quadratform der Welt?« Hieronymus, gest. 420 (PL 
30, 638) 

»Nichts ohne dieses Zeichen kann in der Welt beste- 
hen oder ein Ganzes bilden.« Justinus der Martyrer, 
gest. 165 


Lebensbaum 


Wie das horizontal angelegte Kreuzmodell 
wird auch das senkrecht aufgestellte Kreuz 
kosmologisch verstanden als Verbindung zwi- 
schen Himmel und Erde. Die Deutung des 
vertikalen Kreuzbalkens als Symbol des von 
oben nach unten wirkenden Gottes und des 
Horizontalbalkens als das des menschlichen 
Wirkens taucht (vor 200) in den apokryphen 
Petrusakten auf. Der gekreuzigte Petrus 
spricht (Vers 38): 


»Was ist Christus denn (anderes), denn das Wort, 
(der) Schall Gottes? So das Wort ist dieses gerade 
senkrecht aufgerichtete Holz, an dem ich gekreuzigt 
bin; Schall aber ist der Querbalken, die Menschen- 
natur (darstellend); der Nagel aber, der an dem ge- 
raden Holz den Querbalken in der Mitte zusammen- 
halt, das ist die Bekehrung und Umkehr des Men- 
schen.« 

In den Johannesakten (Vers 99) heiBt es: 

»Das Kreuz ist es also, das das All durch das Wort 
(den Logos) befestigt ...«. . 

Noch deutlicher wird Johannes Damaszenus in sei- 
ner Glaubenslehre: 

»Macht aber ist das Wort vom Kreuz, entweder weil 
uns die Macht Gottes, als das Siegeszeichen tiber 
den Tod, dadurch offenbar wird, oder weil, wie die 
vier Enden des Kreuzes durch das mittlere Zentrum 
gehalten und verbunden sind, so durch die Macht 


Kreuz 


Ubersicht I: 


a) Alttestamentliche typologische Vorbilder 
des Kreuzes (nach Johannes Damaszenus) 


— Baum des Lebens (J. Mose 2 τι. 3). 

~ Die tiberkreuzten Hande Jakobs beim Segnen 
seines Sohnes (1. Mose 48, 14). . 

~ Moses’ Stab, mit dem er eine Kreuzbewegung 
machte, um das Rote Meer zu teilen (2. Mose 
14, 16) und 

—~ ein weiteres Mal, damit sich das Meer iiber dem 
Heer des Pharao schlieBe (14, 26). 

— Stab Gottes, den Mose hochhielt, um den Sieg 

» Israels iiber die Amalekiter zu gewahrleisten 

(2. Mose 17, 9-11) (-.» Oranten). 

- Der Baum, der, in bitteres Wasser getan, es zu 
SiiBwasser wandelt (1. Mose 15, 25). 

~ Der Stab Mose, der den Felsen spaltet, so daB 
Wasser heraussprudelt (2. Mose 17, 8). 

— Der bliihende Stab Arons, mit dem Gott ihn als 
Priester erwahlte (2. Mose 17, 17-23). 

— Die eherne Schlange, die Mose an einem Stab 
hochhielt, und die alle durch Schlangenbisse 


Verletzten heilte, die darauf sahen (2. Mose 21, 9). 


Gottes, die Héhe und Tiefe, Lange und Breite, das 
heiBt, alle sichtbare und unsichtbare Schépfung zu- 
sammengehalten wird.« 


Tn dieser Funktion wird das Kreuz zum Baum 
des Lebens im Paradies (> Lebensbaum): 


»Du bist Gottes Mutter, das geheimnisvolle Para- 
dies, welches unbearbeitet hat hervorsprieBen las- 
sen Christus, durch den des Kreuzes lebenbringen- 
der Baum auf Erden gepflanzt worden ist.« Liturgie 
vom Sonntag der Kreuzerrichtung 


Die Passionsliturgie vergleicht die Kreuzigung 
mit der Schépfung: 


»Dich, der Du die gesamte Erde hast aufgehangt 
zwischen den Wassern (den unterirdischen und den 
oberirdischen), schauend aufgehangt tiber der Scha- 
delstatte, wurde die Schépfung von starkem Lichte 
geblendet.« Liturgie vom Roten Donnerstag. »Deine 
lebensspendende Seite (Seitenwunde Christi), Herr, 
die aufsprudelt als Quelle Edens, trankt Deine Kir- 
che, Christus, als dem verniinftigen Paradies, und 
sie (die Quelle) verteilt sich von dort in die Quellur- 
spriinge der vier Evangelien, den Kosmos bewas- 
sernd, die Schépfung erfreuend und die Vélker ge- 
treulich unterrichtend Dein K6nigtum zu vereh- 
ren.« Akolouthia vom Roten Donnerstag abends 


— Der Ausspruch Mose (5. Mose 28, 66): »Sehet 
Euer Leben (schwebend) aufgehdngt vor Euren 
Augen. « 

— Der Ausspruch Jesaias (65, 2): »Ich reckte meine 
Hande aus den ganzen Tag zu einem ungehor- 
samen Volk ...« 


b) Natiirliche Kreuzessymbole 


— Segelmast. 

— Achtstrahliges Spinnennetz (Christusmono- 
gramm). 

- Achtkammriger Granatapfelquerschnitt 
(Christusmonogramm). 

— Flugbild der Végel (Tertullian und andere). 

— Mensch mit ausgebreiteten Armen 
(— Cranten). 

— Kreuz aus Nasen- und Augenlinie im mensch- 
lichen Gesicht (Justinus, der Apologet, Mitte 
2. Jh.; einzelne Symbolfiguren in der anikoni- 
schen Kunst Kappadokiens). 

- Buchstabe T, im hebrdischen Alphabet der 
letzte: Taw (das Gotteszeichen). 


Frithchristliche und byzantinische 
Kreuzeszeichen 


1. Griechisches Kreuz 


Die haufigste Kreuzesdarstellung des christl. 
Ostens, auch in Ormnamenten. Bevorzugte 
GrundriBform mittel- und spatbyz. Kirchen. 
Das Sich-Bekreuzigen mit dem griech. Kreuz 
(— Hande) war bereits um 150 tiblich. Die 
Offenbarung erwéhnt das Versiegeln, das 
Schlagen eines kleinen Kreuzeszeichens vor 
der Stirn. 


Vorbild im AT ist das Schutzzeichen, das Hesekiel 
auf Anweisung Gottes in Form des Zeichens »Taw« 
auf die Stirn ausgewahlter Manner machen sollte 
(Hes. 9, 4). Das Lammblutzeichen, das die Juden 
beim Auszug aus Agypten ἅδε die Tiiren ihrer 


195 


Kreuz 


Hauser schrieben, um den Todesengel abzuhalten 
(1. Mose 12, 13-22), wird als Taw gedeutet. Im alten 
Orient z.B. bei Babyloniern und Hethitern war das 
Kreuz Symbol des Sonnengottes. Hesekiels Taw 
war vermutlich ein Gotteszeichen. 


Alle Griechen erhalten bei der Taufe ein gol- 
denes griech. Kreuz, das sie niemals ablegen. 
Die aus felsigem Grund herausgehauene Ge- 
orgskirche in Lalibela, Athiopien (13.Jh.?), 
hat die Form eines griech. Kreuzes. 

2. Lateinisches Kreuz und Taukreuz 
(Antoniuskreuz) 


ἡ 


Das im Westen verbreitete lateinische Kreuz, 
Basisgrundri8 | abendlindischer Kirchen, 
kommt in nachbyz. Zeit auf Grabern, Ge- 
denkmalern und als Anhanger vor. Das Anto- 
niuskreuz dient in frithchristl. Zeit zur Darstel- 
lung des Schacherkreuzes. 

3. Radkreuz 


Griech. Kreuz in nimbusahnlicher Scheibe. In 
friihchristl. Zeit auch im Lorbeerkranz (als 
Triumphzeichen tiber Maria-Ekklesia, Santa 
Sabina, Rom, ca. 432). Wird sehr haufig im 
Dekor verwandt. Deutungen: Sieg des Kreu- 
zes tiber den Kosmos, Kreuz im Siegeskranz 
bzw. Nimbus. 

4. Andreaskreuz 


196 


Nach der Legende Hinrichtungskreuz des 
Apostels Andreas. Im Osten, auch im Nim- 
buskreis, in Ornamenten verbreitet. Als Kreuz 
im Quadrat auf Prosphorenstempeln der 
orientalischen Christen (> Brot, > Proskomi- 
die). Mitunter zur Darstellung des Schacher- 
kreuzes (> Kreuzigung) verwendet. 

5. Petruskreuz 


Kreuz des Petrus, der seinem Wunsch gema8 
kopfiiber gekreuzigt wurde (apokryphe Petrus- 
akten). Nur in Verbindung mit seinem Marty- 
rium dargestellt. 

6. Gabelkreuz 


Kreuz fiir die Schacher in frithchristl. und byz. 
Darstellungen. Im Westen auch Lebensbaum- 
kreuz. 

7. Staurogramm 


Verbindung des Rho (griech. R) mit einem 
aufrecht gestellten Chi (griech. CH) zum Mo- 
nogramm Chr (Christus). Ab 200 bekannt. 


Kreuz 


8. Christogramme 


Ab friihkonstantinischer Zeit (ca. 313) kom- 
men die vorher unbekannten Christusmono- 
gramme auf — als Kombination des Kreuzes, 
des Sonnenzeichens und der Anfangsbuchsta- 
ben Christi. Das Christogramm wird von —> 
Konstantin als Siegeszeichen und Standarte 
(Lawaron) verwendet (— Kaiser); im 4. und 
5.Jh. ist es haufig umkrénzt oder auf einer 
Scheibe dargestellt, gegen Ende des 4. Jh.s mit 
geschweiften Monogrammenden. Ab dem 
6.Jh. wird die achtstrahlige Form ohne Rho- 
Schleife bevorzugt, auch ins Ornamentale um- 
gesetzte achtstrahlige Naturformen (— Gra- 
natapfel). In mittelbyz. Zeit bilden die Son- 
nenkreuze SchluSpunkte fiir Ornamentstrei- 
fen, die sich im Scheitel von Gewdélben kreu- 
zen. Das Achtstrahl-Gestirn 1a8t sich auch als 


Stern von Bethlehem verstehen. Das Mono- 
gramm im Kreis ist haufig von Alpha und 
Omega flankiert (~ ABC). 

9. Kreuz mit geschweiften Enden 

und Gemmenkreuz 


Ab 2. Hialfte 4.Jh. breiten sich die geschweif- 
ten Formen des gold- und des edelsteinverzier- 
ten Kreuzes aus (Santa Pudenziana Apsis, 
Rom, Ende 4.Jh.; Sant’Apollinare in Classe, 
Ravenna, Mitte 6.Jh.). Im Schnittpunkt der 
Arme ein Christuskopf, spaéter auch ein Kai- 
serportraét. Griechisch geschweifte Kreuze im 
Rad mit diagonal davon ausgehenden Strahlen 
erinnern an das Sonnenkreuz. 

Das Symbol gibt das von Konstantin und Hele- 
na aufgefundene Heilige Kreuz in Jerusalem 
wieder, spielt auf dessen Gold- und Edelstein- 
fassung an. 

Auch die Staurotheken — Reliquienbehdlter in 
Kreuzesform oder mit Kreuzdekor — fiir die 
Kreuzessplitter waren aus Edelmetall, reich 
mit Gemmen verziert. 


197 


Kreuz 


Die Bilderstiirmer ersetzten bildliche Darstellungen 
in den Apsiden und Kuppeln durch das geschweifte 
bzw. Gemmenkreuz (Konstantinopel,. Ajia Sophia; 
Thessaloniki, Ajia Sophia; erhaltenes Schweif- 
enden-Kreuz, Konstantinopel, Ajia Irini, Apsis, 
8.Jh.?). Die Bilderfreunde ersetzten nach ihrem 
Sieg 842 die Gemmenkreuze an den architektoni- 
schen Hauptpunkten durch Darstellungen der Mut- 
ter Gottes, der Himmelfahrt und des Pantokrator. 
Die Kunst des 9. bis 15.Jh.s kennt ebenfalls mit 
Gemmen verzierte Kreuzessymbole, das typische 
geschweifte Gemmenkreuz verschwindet von der 
2. Halfte des 9.Jh.s an. Das »wahre Kreuz aus Jeru- 
salem« erhalt die Form des Patriarchenkreuzes. 


Das Kreuz im — Nimbus Christi ist ab Ende 
4. Jh.s bis in spatbyz. Zeit das Gemmenkreuz. 
10. Kreuz mit verbreiterten Enden 
(Tatzenkreuz) 


In bildlos ornamentierten Kirchen (ikonokla- 
stische und armenische Kirchen Kappado- 
kiens, 8. bis 10. Jh.) viel verwendete Abwand- 
lung des griech. Kreuzes, auch im Scheitel von 


Kuppeln. Vermutlich abgeleitet aus dem ge- " 


schweiften Kreuz, in seiner gespaltenen Form 
aus dem Gemmenkreuz. 


198 


11. Malteserkreuz oder lateinisches Kreuz 
mit acht Punkten (Tropfenkreuz), 
Gabelkreuz ὴ 


Haufig zunachst auf Pilgerampullen aus Pala- 
stina (6.Jh. — Ol), dann in anikonisch orna- 
mentierten Kirchen Kappadokiens (ikonokla- 
stisch, westsyrisch-jakobitisch —> bilderfeind- 
liche Kunst) und in Achtamar (armenisch, 
10.Jh.). Die Altesten bekannten Gabelkreuze 
— besser Zweigkreuze — sind auf koptischen 
Geweben (4.Jh.) erhalten. Deutung: Die vier 
Aste sind die > Evangelisten, die acht Zweige 
bzw. spater Punkte die restlichen acht - Apo- 
stel. Die Ubergangsstufe vom Gabel-Zweig- 
Kreuz zum Kreuz mit acht Punkten bilden 
m.E. aus Edelsteinen gelegte Kreuze auf 
Bucheinbanden und Reliquiaren, bei denen 
die Zweige durch Juwelen dargestellt werden. 


Kreuz 


In spatbyz. Zeit verkiimmern die Punkte zu 
bloBen dekorativen Anhangseln. 


tr Das Gabelkreuz stellt eine Kombination des 
wahren Kreuzes Christi als Juwelenkreuz mit dem 
achtstrahligen Christusmonogramm dar. 

+ Die acht Punkte kénnten urspriinglich Osen fiir 
Kreuzumspannungen (Glockenspielkreuze Absatz 
26) gewesen sein. 


12. Eucharistisches Kreuz im Kreis, 
eucharistische fiinf Punkte 


Vier Kreise, Punkte, auch Quadrate zwischen 
den Kreuzarmen oder um einen Mittelpunkt 
symbolisieren (ab ca. 800, vielleicht schon 700) 
die fiinf Prosphoren des Abendmahls (—> Eu- 
charistie). Das Kreuz steht fiir das erste — 
Brot als das »Lamm« selbst, die Punkte fiir die 
vier restlichen Brote (zum Gedachtnis der 
Gottesmutter, der Heiligen, der Lebenden 
und der Verstorbenen). Da aus den fiinf Bro- 
ten in der — Proskomidie ein Kosmogramm 
aufgebaut wird, weist das Zeichen, wenn es 
vom Kreis (Diskos als Erdkreis) umgeben, 
auch auf den Sieg des Kreuzes Christi als Ur- 
sprung der Eucharistie tiber den Erdkreis hin: 


x Vier Punkte um das Kreuz herum erscheinen auf 
Abbildungen des eucharistischen Brotes (Apostel- 
kommunion, Ajia Sophia Ochrid 11.Jh.) als Chiffre 
fiir die Silben »Jesus Christus siegt: »IC XP NIKA 


yy Auf byz. Prosphorenstempeln sind seit 800 die 
vier Silben »Jesus Christus siege« mit eucharistischer 
Bedeutung iiblich; erstmalig auf Brotstempeln in 
Zypern um 600. 

vy Um ein Reliefkreuz im Kreis sind vier kleine 
Kreise gruppiert, die Prosphorenbroten gleichen 
(Kappadokien, Giilliidere, Kirche zu den drei Kreu- 
zen Anfang 8. Jh.). 

vx Vier Abendmahlsbrote umgeben ein Kreuz 
(Fresko) in einer Prothesisnische (Kappadokien, 
Ihlara, Yilanli Kilise, Mitte 11. Jh.). 

ze Vier Abendmahlsbrote auf einem gemalten An- 
timinsiontuch umgeben einen Kreis mit dem Kopf 
Christi als dem eucharistischen Lamm. Malereien 
liber Prothesisnische (Shakli Kilise, Gédreme, Kap- 
padokien, 11.Jh.; ahnlich: Antiminsion in Prothe- 
sisnische, Barbara Kilise, So’anli, ca. 1006). 

vr Die Punkte im Kreuz sind auch auf Decken tiber 
dem eucharistischen Altar appliziert, umgeben von 
den vier Winkeln, die das Heilige Grab bedeuten 
(— Altar, Homilien des Chrysostomos, Athen, Na- 
tionalbibliothek, Codex 211). 


Eine ornamentale Fiinf-Punktegruppe kommt 
als Hinweis auf die fiinf Prosphoren haufig 
vor: : 

a) in den Kreuzarmen des — Nimbus Christi 
(πε Edelsteine); Ὁ) als Variante der drei 
Sterne auf dem Maphorion der Gottesmutter 
(finf kreuzartig angeordnete Goldpunkte, 
zwischen 1000 und 1400); c) als Dekor bei 
Kreuzigungsdarstellungen (Fufbrett am 
Kreuz, Shakli Kilise, Gdreme, 11. Jh.); 4) auf 
Evangelienbiichern und Staurotheken (Grup- 
pen von fiinf Edelsteinen). 


Die byz. Proskomidie hat ihre heutige Form etwa im 
Jahre 700 erhalten. Zeitlich stimmt das mit dem 
Aufkommen der Zeichen tiberein. Méglicherweise 
sind die vier Punkte zugleich als die vier Evangelien 
aufzufassen, die in allen vier Teilen der Welt ver- 
breitet werden. Friihe koptische Kreuzkreise mit 
Punkten auf Geweben, datiert Ende 4.Jh., sind 
ebenfalls kosmologisch zu verstehen als die vier 
Evangelien und als die vier Teile bzw. Enden der 
Welt, in die die frithchristl., byz. und koptischen 
Prosphoren zerteilt werden. 


13. Liegende Kreuze mit Punkten im Quadrat: 


199 


Kreuz 


MAN 
DXb<bx] 
\ BI 


In den orientalischen Kirchen verwendeter 
Ornamentbaustein. Kleinste Einheit fiir die 
Aufteilung der Prosphoren in viele Einzelstiik- 
ke — bei den Kopten in zwélf (= Apostel, die 
vier inneren Stiicke entsprechen den Evangeli- 
sten), bei den Athiopiern in 13 (Christus und 
zwolf Apostel). Ein Tonstempel mit fiinf Qua- 
draten (entsprechend den fiinf Broten der —> 
Wunderspeisung) wurde in Kulb, Nordsudan 
(9. bis 11. Jh.) gefunden. 

Die liegenden Kreuze bezeichnen jedes Stiick 
als Christus selbst (Kreuz und gleichzeitig 
Buchstabe Chi), die vier Punkte weisen auf 
Christi in vier Teile gebrochenen Ké6rper hin 
(— Bilderfeindl. Kunst). In Kappadokien sind 
die Grade von Kuppeln (wahrscheinlich west- 
syrisch-jakobitischer Kirchen) mit diesem Zei- 
chen ornamentiert. In der Kuppel erscheint 
also Christus in seiner eucharistischen Gestalt. 
14. Sog. Jerusalemer Kreuz 


tle ΙΧ 


Das Kreuz, umgeben von vier Andreaskreu- 
zen auf byz. Prosphorenstempeln vor 700, so- 
wie auf nestorianischen Stempeln. AuBerdem 
besteht das Lamm-Mittelteil des koptischen 
Kurban (Opfer = Prosphora) aus einem Kreuz 
im Quadrat mit vier liegenden Kreuzen zwi- 
schen den Armen. Eucharistische Bedeutung. 
15. Tropfenkreuz 

Kreuz mit fiinf Kreisen im Schnittpunkt und 
an den Enden der Kreuzarme, kommt als Al- 
tarkreuz und Kreuzdekor auf Evangeliaren 


und Staurotheken vor. Die Kreise enthalten - 


200 


Νὰ: 


meist Biisten: der Mittelkreis Christus (oder 
einen Kaiser), die AuBenkreise, die vier Evan- 
gelisten oder Heilige. Auf der Rtickseite einer 
mittelbyz. Staurothek (Konstantinopel um 
1000, im Schatz von San Marco Nr. 75) sind 
die Kreise als Prosphoren ausgebildet und die 
vier eucharistischen Silben Jesus Christus siege 
zwischen die Kreuzarme verteilt. Bei spateren 
Altarkreuzen werden diese Tropfen selbst und 
techteckige oder trapezfoérmige Flachen auf 
den Kreuzarmen zu Bildtrigern fiir Festtags- 
Bilddarstellungen in Goldemaille (Athos 
Ajiou Pawlou, 1.Hialfte 13.Jh.). Auf Wand- 
malereien ist das Tropfenkreuz selten. 

16. Dreizinken-Gabelkreuz 


ase 


Haufig in der anikonischen Kunst Kappado- 
kiens. Die zwolf Spitzen des - lebensbaum- 
ahnlichen Ornamentes bedeuten die zwélf 
Apostel. Ein Dreizinken-Gabelkreuz mit zu- 
satzlichen Andreaskreuzen tragt ein undatier- 
ter westsyrisch-jakobitischer Prosphorenstem- 
pel (Agypten). Die Siegel moderner westsyri- 
scher Prosphoren sind ahnlich. Auf eucharisti- 


Kreuz 


sche Siegel anspielende rote Zeichnungen fin- 
den sich in Kirchen von Goreme (Medaillon- 
kirche; Yilanli Kilise). 

17. Patriarchenkreuz ohne und mit 

FuRbrett 


Das Kreuz mit Titulus (+ Kreuzigung), gele- 
gentlich auch mit FuBbrett, wird nach dem Bil- 
derstreit zum »wahren Kreuz«, gehalten von 
— Konstantin und Helena, als Applikation auf 
der Tracht der Kaiserin zuweilen mit euchari- 
stischen vier Quadraten zwischen den Kreuz- 
armen. Setzt sich Anfang 10.Jh. gegeniiber 
dem gew6hnlichen Juwelenkreuz durch, auch 
auf Evangeliaren und Staurotheken (Limbur- 
ger Staurothek von 965). 

18. Sog. russisches Kreuz 


Das FuBbrett Christi ist schrag angeordnet, 
weist vom Gekreuzigien aus gesehen nach 
rechts oben zum Schiacher, der mit ins Para- 
dies eingeht. Bei den Russen steht das Kreuz 
siegreich tiber dem Halbmond und das Fu8- 
brett gilt auch als Waage, die den Islam als zu 
leicht befindet, das Christentum triumphieren 
148t. Ohne Halbmond bereits vom 10. Jh. an in 
Byzanz bekannt (El Nazar, Géreme; Ajiou Ni- 
kolaou Orphanou, Thessaloniki, Anfang 
14.Jh.). 

19. Widerkreuz 

Gibt Titulus, FuBbrett und die zwei Handbret- 
ter, auf die nach friihen Darstellungen (Santa 
Sabina, Rom, ca. 432) die Hande Christi auf- 
genagelt wurden, in schematisierter Form wie- 


der. Kann in grober Ausfiihrung auch Vereinfa- 
chung des Dreizinken-Gabelkreuzes (—> Kreuz 
16) sein (Yilanli Kilise, Ihlara, Mitte 11.Jh.). 
20. Kruckenkreuz 


In Kappadokien als fliichtig gemaltes Zeichen 
zu finden, Vereinfachung des Gabelschweif- 
kreuzes (Absatz 11). 

21. Lebensbaumkreuz 


Das baumartige oder griin bemalte Kreuz 
kntipft an die Lebensbaumsymbolik an (Kreuz 
= Paradiesesbaum). Aus Kreuzen auf Stauro- 
theken und Sarkophagen sprieSen unten Trie- 
be heraus und winden sich im Bogen nach 
links und rechts oben (Marmorschranken Sant’ 
Apollinare Nuovo, Ravenna, 6.Jh.). Aus iko- 


201 


Kreuz 


noklastischen Decken-Gew6élbekreuzen wach- 
sen unten Weinranken heraus, die das Kreuz 
in ornamentales Zweigwerk einspinnen — Hin- 
weis auf die Eucharistic und das Verhaltnis 
zwischen Christus und seinen Anhangern. »Ich 
bin der Weinstock, ihr seid die Reben.« Joh. 
15,5 

22. Menschenfischerkreuz 


Vom Querbalken des Kreuzes hangen Angel- 
ruten mit Fischen herab. Die Fische sind die 
Glaubigen, die der Seelenfischer Christus zu 
ihrem eigenen Heile fangt (— Fisch). An einer 
frithen Darstellung in der Domitilla Katakom- 
be hangen zwei Fische an den Haken zweier 
Angelschniire (ahnelt Ankerkreuz). Ikonokla- 
stisch ist ein Menschenfischerkreuz des 8.Jh.s 
mit Gemmen, in Meereswogen stehend -- Wie- 
dergabe eines Vortragekreuzes mit angehang- 
ten Fischlein, zur Wasserweihe verwendet. 

23. Vortrage- und Einsteckkreuze 


202 


Die spitz zulaufenden Stabe unter Kreuzen — 
haufig in bildlos ornamentierten Kirchen Kap- 
padokiens — werfen Deutungsprobleme auf: 


vy Haltegriffe, um die Kreuze als Standarten zu 
tragen? 

vr ErdspieBe, um die Kreuze einzustecken? (Auf 
einer syrischen Silberschale, Leningrad, Eremitage, 
2. Halfte 6.Jh., steckt ein engelflankiertes Gem- 
menkreuz in einer winzigen Kugel, die durch Sterne 
als Himmel gekennzeichnet wird.) 

vr Kreuz als Waffe zu verstehen, mit der Christus 
Tod und Teufel durchbohrt? (Auf Auferstehungs- 
bildern halt Christus eine Lanze mit kleinem Kreuz- 
knauf; — Ostern.) 


24. Astralkreuzsymbole 


a) Apostel-Tierkreis. Die Enden eines Kreu- 
zes mit einem Christussymbol im Schnittpunkt 
ragen tiber den Erdkreis hinaus in den Himmel 
mit zw6lf bliitenahnlichen Gestirnen — den 
zwolf — Aposteln, die als Reprasentanten der 
Tierkreiszeichen die Christussonne umgeben 
(Kirche zu den drei Kreuzen, Giilltidere, Kap- 
padokien, 8.Jh.) — eine zeichenhafte Verein- 
fachung der Apostelkreise in den Kuppeln der 
ravennatischen Baptisterien. 
b) Planetensphaérenkreuz. Im Kuppelraum 
einer Héhlenkirche in Kappadokien (Kizil 
Cukur, Uziimlii Kilise, friihikonoklastisch?) Ὁ 
ragen Kreuzarme aus einer rétlichen Sonnen- 
scheibe hervor, durchstoBen die sieben kon- 
zentrisch darum herumliegenden Planeten- 
spharen. Auferster Kreis von den Apostelge- 
stirnen besetzt, den Rest der Kuppel erfiillt ein 
— Pfauenaugenornament, in dem die Allheili- 


Kreuz © 


ge zwischen Engeln thront. Nach antiker und 
friihchristl. Vorstellung muBten die Seelen der 
Verstorbenen, die sieben Planetensphdren 
durchwandern. Das Kreuz Christi macht deren 
damonische Herrscher unschadlich. Im an- 
schlieBenden Langsraum weist ein Weinran- 
ken-Gemmenkreuz an der Decke den euchari- 
stischen Pfad zum Himmel. 

25. Das Henkelkreuz (Ankh) 


Kreuz der Kopten, auch im Friihchristentum 
und bei den Byzantinern bekannt, abgeleitet 
von der égyptischen Hieroglyphe Ankh (= Le- 
ben). Die Kopten sehen den Henkel oben als 
Kopf, schufen Christusbilder mit einem Chri- 
stuskopf oder -brustbild und darunter einem 
Kreuz als Kérper. Pilgerflaschen Palastinas (5. 
und 6. Jh.) stellen eine Christusbiiste tiber dem 
Kreuz dar. Der Gekreuzigte selbst wird -- zu- 
nachst nur in Palastina -- stehend mit recht- 
winklig ausgebreitetem Arm als eine zum 
Kreuze geronnene menschliche Figur abge- 
bildet. 

26. Kreuz mit Umspannung fiir Glocken 


Koptische, nubische und athiopische Kreuze 
werden mit Schntiren, an denen Glocken hin- 
gen, umspannt, als Glockenrasseln verwendet. 
Einige Kreuze aus der bildlosen Kunst Kappa- 
dokiens lassen deutlich Umspannungen erken- 
nen. In den Seitenschiffgew6lben der Ajia So- 
phia in Konstantinopel schimmern unter Gold- 
mosaikornamenten umspannte und geschweif- 
te Kreuze hervor. 


27. Regenkreuz 


Von rotfigurigen Kreuzen, u.a. in der Medail- 
lonkirche (um 850), Géreme, gehen Streifen 
nach unten aus. 

Interpretationsméglichkeiten: 

Wasser der — Taufe und/oder Wasserweihe 
(— Wunder am Meer). Die Kirche enthdailt 
Graber (Taufe als Absterben) und unter dem 
Eingang eine in den Boden eingelassene 
(Tauf?)-Tonne. 

Eucharistisches Blut aus der Seitenwunde 
Christi. 

- Ol, das iiber das »wahre Kreuz aus Jerusa- 
lem« gegossen, von den Glaubigen aufgefan- 
gen wurde. 

28. Geisterkreuz 


203 


Kreuz 


Einfaches Kreuz mit heiliger Lanze und Ysop- 
schwamm (in ausgearbeiteter Form meist tiber 
dem -» leeren Thron dargestellt), wird als 
Holzkreuz vor Klosterpforten (Athos, Iwiron) 
oder gemalt am Eingang der Kirche (Meteora 
Roussanou) angebracht. Uberhauft mit unter- 
schiedlichen Buchstabenkombinationen zur 
Damonenabschreckung, darunter immer die 
Kurzform (— Proskomidie) fiir Jesous Chri- 
stos nika und -- mit Bezug auf den Schadel 
Adams, der Basis des Kreuzes -- TK IIT 
(Touto kraénion parddissos jégone, »Dieser 
Schddel wurde zum Paradies«). Barbarakir- 
che, So’anli (1006): ein Kreuz tiber dem Ein- 
gang mit der auch dem Athoskreuz eigenen 
Inschrift: Φ X ® Π = Phos Christou Phane 
Pasin (Licht Christi scheine allen). 


29. Armenisches Kreuz 

Malteserkreuz im Kreis, in der anikonischen 
Kunst Kappadokiens haufig, kommt auch in 
der armenischen Kunst des 10.Jh.s vor (Rit- 
zung auf Kapitell in der Klosterkirche d’Hagh- 
pat, ahnlich ein Reliefkreuz in Achtamar). 


Ubersicht II: Historische Entwicklung des Kreuzeszeichens und der Kreuzigung 


Periode 


Darstellung 


Friihchristentum, 
bis 313 


Kreuzeszeichen mit der Hand tiber 
Stirn oder Kérper geschlagen, verein- 
zelte Darstellung einfacher Kreuze 


Bedeutung 


Kreuz als Siegel im Sinne einer Bestati- 
gung, da8 Gott einen Menschen erwahit 
hat; Kreuzeszeichen als Symbol Christi 


Kreuz als sonnenhaftes Siegeszeichen, 
Lichtsymbolik, Kreuz ist kaiserliche Stan- 


Triumphales Kreuz als heilende Reliquie, 
als Pilgerziel, als Spender von Sekundar- 
reliquien (Ol); der Gekreuzigte als gétt- 


Bildliche Darstellungen gelten offiziell 
(unter dem Einflu8 des Islam) als unver- 
einbar mit der christlichen Religion. 
Kreuze kénnen aber biblische Gestalten 
und auch Geschehnisse symbolisch dar- 
stellen. In den Kuppeln erscheinen Pros- 
phorensymbole: Christus als das eucha- 


Das Triumphkreuz verliert seine heraus- 
ragende Stellung -- Altarkreuzen wird 
noch diese Form verliehen. Bisweilen 


Friihkonstan- Haufige Darstellung des Christusmono- 
tinisch, ab 313 bis gramms bzw. Sonnenkreuzes 
zum 6. Jh. darte (Lawaron) 
2. Halfte 4.1}. Goldkreuz mit geschweiften Enden und 
bis zum Gemmenkreuz, gibt das in Jerusalem 
Bilderstreit (mit aufgefundene wahre Kreuz wieder; 
Nachwirkungen friitheste Darstellung der Kreuzigung licher Todestiberwinder 
bis zum 10. Jh.) (ca. 432): Christus steht aufrecht und 
hat die Augen gedffnet 
(Gelegentlich Das Kreuz, insbesondere das Gemmen- 
bereits in vor- kreuz, verdrangt bei den Ikonoklasten 
ikonoklastischer alle Bilder. Uppige Kreuzornamentik. 
Zeit) 726-787 In nichtorthodoxen Hoéhlenkirchen wer- 
und 813-842 den abstrakte Kreuzdarstellungen in ab- 
strakten Scheinarchitekturen (rot oder 
rot und griin) bis ins 11. Jh. hinein 
dargestellt ristische Brot 
Nach dem Sieg In Apsiden und Kuppeln wird das 
der Bilderfreunde Kreuz durch bildliche Darstellungen er- 
ab Mitte 9.1}. setzt. Das Gemmenkreuz verschwindet, 
bis gegen 1000 gemmengeschmiickte Kreuzornamentik 


204 


bleibt weiterhin bestehen. Das wahre 
Kreuz aus Jerusalem wird als Patriar- 
chenkreuz dargestellt. Kreuzigungs- 
szenen: Der eben Verstorbene mit ge- 
senktem Haupt oder Lanzenstichmotiv. 
Bekleidung Lendenschurz 


wird noch in der Apsis anstelle des Kreu- 
zes die Kreuzigung (Tokali Kilise 10. Jh.) 
dargestellt. Im Rahmen von Bildserien 
erscheint Christus als der fiir die Welt 
Leidende 


Kreuzerhéhung 


Ubersicht II (Fortsetzung): Historische Entwicklung des Kreuzeszeicheris und der Kreuzigung 


Periode . Darstellung 


Bedeutung 


Ab 1000 bis 

zum Raubzug der 
Lateiner (1204 
Pliinderung Kon- 


stantinopels) der Seitenwunde 


Ab Ende 13. Jh. 
bis zur 


Gegenwart krént jede Bilderwand 


Kleine dekorative Kreuzdarstellungen 
~z.B. das Sonnenkreuz— an architek- 
tonisch wichtigen Stellen. Kreuzigungs- 
szenen: Blut und Wasser quellen aus 


— Deisis, Muttergottes und Johannes 
der Taufer, anbetend unter dem Kreuz, 


Kreuzerhéhung tber die 

gesamte Welt 

H TIANKOCMIOC YWQCIC TOY TIMIOY 
CTACPOY 


I pankésmios fpsosis tou timiou stawrou 


Ehrenfest des Kreuzes (14. September), basie- 
rend auf der Auffindung des »wahren Kreuzes« 
durch Helena (— Konstantin und Helena), be- 
tont den kosmischen Charakter des Kreuzsym- 
bols. 


Liturgie am Festtag der Kreuzerhohung 
Liturgie und Brauchtum vom Hochfest der all- 
kosmischen Erhéhung des verehrungswiirdigen 
Kreuzes dokumentieren die kosmische Aus- 
richtung des orthodoxen Christentums. Im 
Morgengottesdienst tragt der Priester auf dem 
Kopf eine Schale mit einem in Basilikum -- in 
RuBland Kornblumen — gebettetem Kreuz in 
den Ostteil der Kirche. Wahrend Diakon und 
Chor 100 Kyrie Eleison singen, beugt er sich 
langsam, das Kreuz festhaltend, je dreimal 
nach Osten, Westen, Stiden, Norden und noch- 
mals nach Osten. 

Neukonstituierung der Vergdttlichung des 
kreuzférmig nach den Himmelsrichtungen hin 
angelegten Kosmos (verkleinertes Modell > 
Kreuzkuppelkirche). Gegen Ende des Gottes- 
dienstes pflanzt der Priester das Kreuz in der 
Mitte -- dem Schnittpunkt der Kreuzarme -- 
auf. Dort bleibt es zur Verehrung durch die 
Gemeinde bis zur Nachfeier am nachsten 
Samstag stehen. 


Der liturgisch eucharistische Charakter 
der Kreuzigung, frither angedeutet, wird 
stark betont 


Intensivierung der Beziehung der Liturgie 
(Fiirbittektenien) zu Kreuzigung und 
Eucharistie 


Volksbrauchtum am Kreuzestag 

Verbunden ist das Kreuzesfest — ein strenger 
Fastentag, weil Evangelien zum Karfreitag 
verlesen werden -- mit Ernte, Jahreszeiten und 
Schiffahrt. 

Am 14.September beginnt der griech. Winter, 
Sommergewohnheiten wie der Nachmittags- 
schlaf oder das spate Abendessen (Dilino) 
werden aufgegeben. Die Seeleute vermeiden 
es, lange Fahrten anzutreten: »Am Kreuzesta- 
ge kreuze deine Segel und binde deine Taue 
fest« (Sprichwort). Die Masten der Segelschif- 
fe gelten als Erscheinungsform des —> Kreu- 
zes, das —> Schiff als Symbol der Kirche. Die 
Bauern lassen Samen aller Art vom Priester in 
der Kirche segnen und mit Weihwasser be- 
sprengen, um sie ihrem Saatgut beizumengen. 

Weil sich Christi Leib am Kreuz im Brot ver- 
k6rpert, steht im Zentrum des Kreuztags- 
brauchtums der Sauerteig: der vorjahrige muB 
aufgebraucht sein, der neue wird mit Weih- 
wasser angemacht, zum Fermentieren tiber 
Nacht mit geweihtem Basilikum versetzt. 40 
Tage darf davon nichts auBer Haus abgegeben 
werden. Die Kreuzerhédhung bedeutet die 
Neuerschaffung der Heilsordnung eines neuen 
landwirtschaftlichen Jahres. 


Die Kreuzerhéhung im Bild 

Die Architekturdetails im Hintergrund deutet 
die konstantinische Auferstehungskirche (Ci- 
borium mit Ollampe) und das heilige Grab als 
Abendmahlsaltar an. Helena hatte bei ihrer 


205 


Kreuzigung Christi/Karfreitag 


Meteora, Moni Warlaamm, 1552. 
»Ein Tempel und darinnen ein Ambo (Predigtpult), 
auf demselben der heilige Makarios von Jerusalem, 
der Patriarch, der das ehrwiirdige Kreuz Christi héilt. 
Unter dem Ambo die heilige Helena, die Kaiserin, 
und mit ihr viele hohe Beamte und eine Menge Vol- 


kes, das hierauf schaut und die Hand emporhdlt« 
(Malerhandbuch). 


Pilgerreise nach Jerusalem kurz vor Ende ihres 
Lebens (gestorben 336) das Kreuz Christi ge- 
funden und in Jerusalem aufgestellt. Manch- 
mal stlitzen zwei Diakone den kreuzeshalten- 
den Priester -- Gewicht und Bedeutung des 
Kreuzes unterstreichend. Neben der Kaiserin- 
mutter steht mitunter-—» Konstantin. 

Haufige Erganzungen: Nach Johannes Chry- 
sostomos hat Helena in einer Hohle drei Kreu- 
ze unter einem Erdhtigel auf Golgatha ent- 
deckt. Christi Kreuz war an der Aufschrift (Je- 
sous Nazaraos Wasilews Juddon) zu erkennen, 
nach anderer Uberlieferung daran, da® ein 
Toter auf einer Bahre am Kreuz vorbeigetra- 
gen, lebendig geworden ist. 


Rund um den Fundort ist Basilikum gewachsen. 
Deshalb verteilt der Priester am 14. September Basi- 
likumstrauBchen. Das wiirzig duftende »kénigliche 
Griin« (K6nig Christus!) fehlt in keinem griech. 
Vorgarten. Wegen seiner Beziehung zum Kreuz 
wird es in manchen Gegenden als Speisewiirze ge- 


206 


mieden. Ein Sud daraus hilft gegen Bauchkrampfe 
und nervése Magenleiden. 


Geschichte des »wahren Kreuzes« 

Seit 335 wurde in Jerusalem alljahrlich das von 
Helena aufgefundene Kreuz am 14. September 
auf einer Anhdéhe aufgestellt. 614 findet die 
feierliche Zeremonie der Aufrichtung erstmals 
in Konstantinopel mit dem dorthin verbrach- 
ten Kreuz statt. 628 erobert Kaiser Heraklios 
das heilige Kreuz von den Persern zuriick, 
fiihrt es im Triumphzug nach Konstantinopel 
(anstatt der Erstaufstellung wird auch die 
feierliche Wiederaufrichtung durch Heraklios 
dargestellt). Ab 633 verbleibt das Kreuz in 
Jerusalem. Nach dem Bilderstreit kommt die 
einfachste Fassung der Kreuzaufrichtung auf: 
das Kreuz zwischen — Konstantin und Hele- 
na. Die voll ausgebildete Auffindungsszene er- 
scheint ab spatbyz. Zeit an Kirchenwanden 
und auf Ikonen. 


Eine frithe symbolische Darstellung 

der Kreuzauffindung 

»Schon ist das Weltall erfiillt mit Splittern vom 
Kreuzesholz.« Kyrill von Jerusalem meint (374 
n.Chr.) damit, daB sich die Kreuzsplitter bei 
ihrer Ausbreitung geheimnisvoll vermehren 
und die haltgebende Struktur des Weltalls 
bilden. 

Das sternschnuppenartig aus der Himmelszo- 
ne herabstoSende Kreuz in der sog. Parousie- 
Darstellung auf der Holztiir von Santa Sabina 
(Rom, ca. 432) spielt mehrdeutig auf die > 
Himmelfahrt, die Parousie, und zugleich dar- 
auf an, da} Christus seiner Kirche das wahre 
Kreuz geschenkt. Die Tatsache, daB die Holz- 
tiire eine der friihesten Darstellungen der 
— Kreuzigung enthalt, legt diesen Schlu& 
nahe. 


Kreuzigung Christi /Karfreitag 


H CTAYPOCIC/H ΜΕΓΆΛΗ 
TIAPACKEYH 
1 Stawrosis/I Megéli Paraskewi 


Hinrichtung Christi, Héhepunkt seiner —> Pas- 
sion. Byz. Kreuzigungsdarstellungen sind als: 
Hinweise auf die > Eucharistie zu verstehen. 
In der Feier des Abendmahls werden die Pas- 


Kreuzigung Christi/Karfreitag 


Beweinung Christi. Epitaphios-Tuch, Ajios Phanourios, Rhodos 


sion, werden Tod und Auferstehung — Christi 
immer neu vergegenwartigt. 


Liturgie und Brauchtum vom Karfreitag 

»Statt Manna Galle, statt Wasser Essig; anstatt mich 
zu lieben, habt ihr mich ans Kreuz genagelt.« Kar- 
freitagsliturgie 

Der »grofe Freitag« vor Ostern ist der ernste- 
ste BuB- und Fastentag. Strengglaubige neh- 
men den ganzen Tag tiber nur drei Schluck mit 
Ruf vermengten Essig zu sich — Christus ist am 
Kreuz mit Essig getraénkt worden. Vom Abend 
des Palmsonntag bis in die Osternacht ist sin- 
gen, musizieren, spielen, Unterhaltung unter- 
sagt. Mancherorts schweigen die Glocken. 
Vom »roten Donnerstag« an ruht, abgesehen 
von Festvorbereitungen, jegliche Arbeit, viele 
léschen das Herdfeuer. Die urspriinglich frtth- 
morgens am Freitag gefeierte vierstiindige 
Akolouthia der Leidensstationen des Herrn 
mit der Lesung von zw6lf Abschnitten aus den 


vier Evangelien tiber Passion und Kreuzigung 
ist mittlerweile auf den Donnerstagabend vor- 
verlegt: Nach der sechsten Lesung erscheint 
der Papas mit dem Kreuz, an dem Christus in 
Gestalt einer Ikone (UmriBausschnitt seiner 
Figur) hangt, unter der Nordttir der Bilder- 
wand und pflanzt es dann vor ihr auf. Ein Dor- 
nenkranz und Blumenschmuck wird daran be- 
festigt, Kerzen davor entziindet. 


»Der angesehene Joseph nahm herunter vom Holz ἡ 
Deinen allerheiligsten Kérper, wickelte ihn mit aro- 
matischen Krautern in ein reines Leinen und bestat- 
tete ihn in einem neuen Grab.« Gesang zu Beginn 
der Epitaphios-Liturgie vom Karfreitagabend 

Am Karfreitag geht es um die Kreuzabnahme: 
Wiahrend des Morgengottesdienstes in der 
schwarz ausgekleideten Kirche wird der Papas 
gewissermaBen zu Joseph von Arimathia, 
wenn er den Leib des verblichenen Christus 
vom Kreuz abnimmt, ihn in ein Tuch hiillt und 


207 


Kreuzigung Christi/Karfreitag 


in das Allerheiligste eintritt. Das leere Kreuz 
wird ihm nachgetragen. Nachmittags dann 
Vorbereitungen fiir den abendlichen Grab- 
legungsgottesdienst (Epitaphios): Vor der Bil- 
derwand wird die Ajia Trapeza, der ciborien- 
liberwélbte heilige Tisch (—> Altar), aufge- 
stellt; darauf das Leichentuch, in das der Kér- 
per des Heilands gehiillt war. Der Papas 
schreitet aus dem Allerheiligsten heraus, das 
- Epitaphiostuch mit der aufgestickten Bewei- 
nung Christi, den toten Leib représentierend, 
hoch tiber seinen Kopf gebreitet. 

Es folgt eine Prozession — Kinder, Kirchendie- 
ner mit Kerzen und dem Kreuz, Psalmodisten 
umschreiten dreimal den heiligen Tisch. Dann 
vollzieht der Priester die Grablegung, breitet 
das Epitaphiostuch auf dem Tisch aus, legt das 
aufgeschlagene Evangelium darauf. Frauen 
der Gemeinde tibernehmen symbolisch die 
Liebesdienste, die die Frauen am Grabe der 
sterblichen Hiille des Heilands erwiesen; sie 
schmiicken den Epitaphiosschrein mit weien 
und violetten, mancherorts roten Bltiten, bis 
er unter einem Blumenmeer versinkt. Spiter 
halten Pfadfinder, Schiiler, auch Matrosen 
oder Soldaten wie die Wachter des Pilatus Wa- 
che am Grab, in der jetzt véllig unbeleuchte- 
ten Kirche. 

Den Nachmittag iiber kiissen Glaubige das 
Epitaphion, jedes seiner vier Ecken, opfern 
Rosen- und Limonenbliitenblatter — kriechen 
auch reumlitig »unter dem Grab Christi« hin- 
durch. 


»Myrrhetragerinnen kommen mit Myrrhe und brin- 
gen sie Dir Christus, bereitwillig. Eile herbei, alle 
Schépfung, mit Grabgesangen begleiten wir den 
Schépfer. Als Tote den Lebenden zu salben, eilen 
wir uns, den Salbentragerinnen zuzugesellen.« 


Sobald im abendlichen Epitaphiosgottesdienst 
die Myrrhentragerinnen erwahnt werden, 
schiitten Frauen und Madchen Schalen mit 
duftenden Bliitenblattern tiber dem heiligen 
Grab aus. Bei Einbruch der Dunkelheit ergrei- 
fen vier Manner das Epitaphion, formen den 
Kern einer Kerzenprozession durch den Ort. 
In den Stadten spricht der Priester an allen 
Platzen und StraBenkreuzungen ein Gebet, in 
den Dérfern vor den vielen kleinen Kirchen. 
Zuletzt wird das Epitaphion zum Friedhof ge- 
bracht und tiber die Graber hinweggetragen: 


208 


»Als Du hinunterstiegst zum Tod, erhelltest Du den ἢ 
Hades mit dem Blitz Deiner Gottheit; und als Du 
die Toten aus dem unterirdischen Reich erwecktest, 
da schrien alle Machte des Himmels: Christus, Le- 
bensspender, unser Gott, Ehre sei Dir!« Epitaphios- 
Liturgie 

Zurtick zur Kirche:" Vor dem Portal halten die 
Trager das Epitaphion hoch, die Glaubigen 
gehen der Reihe nach gebtickt darunter hin- 
durch, werden zu den Toten in der Unterwelt, 
die Christus bei seiner Auferstehung mit nach 
oben nimmt: 


»Als man Dich ins Grab legte, weltenformender 
Christus, wurde des Hades Verankerung erschiittert 
und die Griifte der Sterblichen aufgetan.« 


Mancherorts ztinden junge Manner Feuer an, 
um die roh gefertigte Puppe des Judas, aufge- 
hangt an einem Galgen, zu verbrennen (ein 
Totenbaum im Kontrast zum — Kreuz als Le- 
bensbaum!): 


»Heute 1aBt Judas den Lehrer im Stich und emp- 
fangt den Teufel. Des Geizes Leidenschaft blendete 
ihn, er fallt aus dem Lichte, der Verfinsterte.« Ako- 
louthia des Leidens 


Das Kreuzigungsbild in knapper Form 

»Der das All zusammenhalt wurde auf das Kreuz 
erhéht und die ganze Schépfung klagt, diesen er- 
blickend, wie er nackt auf dem Holze hangt; die 
Sonne verbarg ihre Strahlen und die Sterne legten 
ihren Glanz ab, die Erde aber wurde von tiefer 
Furcht erschiittert, das Meer floh und die Felsen 
zetrissen; viele Grabmaler aber taten sich auf und 
die Kérper der heiligen Manner erhoben sich. Un- 
ten st6hnte der Hades ...« Epitaphiosliturgie 


Die Kerndarstellung: Christus am Kreuz zwi- 
schen Maria (meist links) und Johannes, dem 
Apostel (rechts) vor einfarbigem blauem oder 
goldenem Hintergrund (Kloster Daphni, Ende 
11.Jh.; Osios Lukas, Anfang 11.Jh.), Marias 
Rechte weist auf Christus hin, Johannes stiitzt 
sein Haupt mit der Rechten ab (Trauergeste; 
—> Hande) oder wischt sich eine Trane aus 
dem Auge. Haufige Beischrift: 

»Siehe, das ist Dein Sohn, siehe, das ist Deine Mut- 
ter!« Joh. 19, 26 


Beide ziehen mit der Linken ihre Gewander 
enger um sich. Auf dem obersten der drei 
Kreuzquerbalken die Inschrift (Jesus von 


Kreuzigung Christi/Karfreitag 


Mosaik aus der Vorhalle. Osios Lukas, bei Stiriin Phokis, nach 1000. 


Nazareth Konig der Juden — Selbstaussage 
Christi im ProzeB) oder aber die Abktirzung 
IC XP. An das FuBbrett sind -- im Gegensatz 
zu abendlandischen Darstellungen ab dem 
spiten Mittelalter — beide FiiBe jeweils einzeln 
festgenagelt. Ab mittelbyz. Zeit ist Christus 
bereits verstorben, sein Haupt gesenkt, die 
Augen geschlossen. Aus der Seitenwunde 
kommt ein roter und ein heller Strahl heraus: 


»Und einer der Soldaten stach mit seiner Lanze in 
die Seite, und sofort kam heraus Blut und Wasser« 
Joh. 19, 34 


Das wird rituell nachvollzogen, wenn der Prie- 
ster vor dem Abendmahl, auch schon bei des- 
sen Zurtistung, im Kelch Wein und Wasser 
vermenst: 


»Zwar von der Erde genommen, l48t Du entquellen 
der Rettung Wein, lebensspendender Weinstock, 
ich rihme Dein Kreuz und Deine Leiden.« Epita- 
phiosliturgie 


Das Blut der Seitenwunde fangt haufig die Pa- 
najia (mittelbyz.) mit einem Krug (-9 Geburt 
Christi) auf, das Blut aus den Handen sam- 
meln Engel mit einem Kelch (spat- und post- 
byz.), das Blut aus Christi FiBen traufelt her- 
ab auf den Schadel Adams, oft in einer Héhle 
(= Totenwelt) am Hiigel Golgatha (Schadel- 
statte), der Basis des Kreuzes. 

Christus, der zweite Adam, der das Leben 
bringt durch seinen Tod, hangt tiber dem Gra- 
be des ersten Adam, der den Tod in die Welt 
brachte (— Ostern). Die rote -- Sonne und 
der blaBblaue —> Mond — beide mit Gesichtern 


209 


Kreuzigung Christi/Karfreitag 


Kreuzigung. Fresko in der Klosterkirche Panajia Mawrotissa bei Kastoria, postbyzantinisch. 


als géttliche Wesenheiten wiedergegeben — 
flankieren das obere Kreuzende, kennzeich- 
nen Christus als Weltenherrscher, wie sie auf 
Triumphbildern rémischer Kaiser deren Herr- 
schaftsanspruch tiber den Kosmos dokumen- 
tierten. 


Die Gestirne verloren ihren Schein, als Christus 
nach Joh 19, 30 »... das Haupt neigte und den Geist 
aufgab«, Die Schépfung ist tédlich getroffen, wenn 
der Schdpfer stirbt. AuBerdem: Christus selbst ist 
»die Sonne der Gerechtigkeit«. Mit ihr stirbt jedes 
kosmische Licht. 


Seine duBerste Verkiirzung und Verdichtung 
erfahrt das Kreuzigungsmotiv in der —> Deisis. 


Die Kreuzigungsdarstellung in szenisch 
ausgebauter Form 

Auf den episch breiter ausgemalten Kreuzi- 
gungen (Shakli Kilise, Géreme, 9. Jh.; El Na- 
zar, Carikli Kilise, Karanlik Kilise; Kastoria, 
Panajia Mawrotissa; Athos, Esphigmenou) ge- 


210 


sellen sich zu Maria die Myrrhentragerinnen 
(Auferstehung —> Ostern). Hinter Johannes 
tritt der Ekatontarchis (Hundertschaftsfihrer) 
Longinos, Befehlshaber des Hinrichtungskom- 
mandos, deutet mit Christusgebarde (> Han- 
de) auf den Verstorbenen: »Dieser Mensch 
war tatsichlich Gottes Sohn.« Mk 15, 39. Ein 
kleinfiguriger Kriegsknecht links vom Kreuz -- 
Longinus — sticht mit einer Lanze Jesus in die 
Flanke. 

Ein zweiter halt Essigeimer und Stab mit dem 
essiggetrankten Schwamm. (Der Essig war 
Wiederbelebungsmittel, sollte die Qualen der 
Hingerichteten verlangern.) Mitunter ist der 
FuBbalken gebrochen (Carikli Kilise, Gére- 
me), sind an den Querbalken besondere Bret- 
ter ftir die Hinde angebracht (Tokali Kilise, 
Géreme, Anfang 10.Jh.). Kommen die Scha- 
cher am Kreuze dazu, hangt links von Chri- 
stus, der reuige Gestas (— Paradies), rechts 
der unbuBfertige Dimos. 


Kreuzigung Christi/Karfreitag 


Als Hintergrund ist mitunter die Landschaft der 
Umgebung abgebildet, etwa kappadokische Erd- 
pyramiden. (Shakli Kilise, Goreme, 9.Jh.; Carikli 
Kilise), hdufiger architektonische Andeutungen des 
Tempels von Jerusalem. Apsis von der Tokali Kili- 
se: Ein Rif durchzieht den Tempelvorhang, Hin- 
weis auf Christus als den neuen Tempel, der den 
alten ablést. »Der Du den Tempel Gottes zerbrichst 
und baust ihn neu in drei Tagen, hilf Dir selbst! Bist 
Du Gottes Sohn, so steige herab vom Kreuz ... 
Aber Jesus schrie laut und verstarb. Und siehe, der 
Vorhang des Tempels zerrif$ in zwei Stiicke von 
oben bis unten hin.« Matth. 27, 40ff. 


Historische Entwicklung des 
Kreuzigungsbildes 

Unumstrittene Kreuzigungsdarstellungen gibt 
es seit Anfang des 5.Jh.s, Kreuzsymbole schon 
vom 3.Jh. an. Konstantin hatte 100 Jahre zu- 
vor den Weg freigemacht, indem er die Kreu- 
zigungsstrafe abschaffte. Bald darauf wurde 
das »wahre« Kreuz in Jerusalem aufgefunden 
(— Konstantin und Helena; --Ὁ Kreuzaufrich- 
tung). 


Eine Glasstreifenaufschmelzung auf einer 
Glasflasche — Kreuz zwischen Andreaskreuzen 
—in rémischen Katakomben des 4. Jh.s gefun- 
den, wird als Christus zwischen den Schaéchern 
gedeutet. Auf dem Holzrelief der Tiir von 
Santa Sabina, Rom (um 432) steht Christus mit 
offenen Augen zwischen halb so groBen Scha- 
chern auf der unteren Rahmenleiste vor einer 
dreiteiligen Architektur mit Spitzgiebeln, alle 
drei mit Lendenschurz bekleidet, die Unterar- 
me ausgebreitet. Die Hande erscheinen deut- 
lich angenagelt, von den Kreuzen sind jedoch 
nur kleine Abschnitte unter den Handen, den 
FiiBen, bei den Schachern auch tiber den K6p- 
fen zu sehen. Nicht das Kreuz halt den K6r- 
per, sondern Christus halt das Kreuz. Auf dem 
altesten Kreuzigungsbild (Elfenbeinpyxis, um 
420, Britisches Museum) tritt das Marterin- 
strument hinter der straffen, frontal ausgerich- 
teten und selbst als Kreuz in Menschengestalt 
wirkenden Figur vollig zuriick. Links daneben 
baumelt Judas vdllig haltlos an einem Baum. 


Ende des 6, Jh.s erscheint der Gekreuzigte als 
der Weltenherrscher mit sieghaft senkrecht 
ausgebreiteten Armen, angetan mit dem 4r- 
mellosen, bis zu den FiiBen stark herabfallen- 
den Colobium (—> Gewander), bartig, mit weit 
gedffneten Augen (Kastchen, Sancta Sancto- 
rum, Rabular Evangeliar). Ab Anfang 8. Jh. 
geben die Bildergegner Christus nur noch als 
ornamentales Triumphkreuz wieder. 


Deckengemiéilde in der Uziimlii Kilise. 
Kizil Cukur, 8.1}. 


Unmittelbar nach dem Bilderstreit im 9. Jh. 
beginnt die siegreiche Partei der Bildervereh- 
rer den leidenden Christus mit geschlossenen 
Augen, geneigtem Kopf und S-férmig ge- 
schwungenem K6rper herauszustellen. Der 
Patriarch Michael I. Kerularios betonte, man 
hére jetzt damit auf. Die mittelbyz. Darstel- 
lungsweise entspricht der nun endgiiltig durch- 
gesetzten Zwei-Naturen-Lehre, da8 namlich 
Christus menschliche und géttliche Natur zu- 
gleich in sich vereinige. 


Das Kreuz halt zwar jetzt den Kérper, doch kann 
man es sich immer noch wegdenken: Der Leichnam 
hielte sich von selbst als der auf einem Podest er- 
héhte Christus, ergeben leidend, demnach die Ar- 
me segnend ausgebreitet als Gott — oft umschwebt 
von Engeln. In Byzanz bleiben der bis zur Unkennt- 
lichkeit zermarterte Leib Christi und die abgriindige 
Verzweiflung in seinem Gesicht unbekannt. Anders 
in der westlichen Kunst, wo in der Spatgotik (Mat- 
thias Griinewald) und Friihrenaissance die Uberbe- 
tonung des leidenden Menschen einsetzt — eine 
theologische Str6mung vorbereitend, die nur noch 
das Historische an Jesus anerkennt. 


211 


Kugel 


Kugel 


— Himmel, — Kaiser 


Kub 


TO ®IAI/TO ®PIAHMA 
to fili/to filima 


Ausdruck inniger Zuneigung zu Gott, den Hei- 
ligen und den Mitmenschen. 


Der KuB im Gottesdienst 

»Liebe den Herrn, Deinen Gott, mit all Deinem 
Herzen und all Deiner Seele ... und Deinen Nach- 
sten wie dich selbst.« Matth. 22, 38-40 


In der »gro&en Woche« ziehen die Menschen 
am Epitaphios vorbei, um mit dem Epita- 
phiostuch den Leichnam Christi zu kiissen. In 
der Osternacht, nach dem Ruf Christus ist auf- 
erstanden und dem Auferstehungsgesang, fal- 
len sich die Menschen in die Arme, ktissen 
einander und drangen sich anschlieBend wie- 
der um das Epitaphion, um die jetzt dort auf- 
liegende Auferstehungsikone -- und mit ihr 
den auferstandenen Christus selbst — zu ktis- 
sen. In der allsonntaglichen — Liturgie der 
Glaubigen kii®t der Priester Christus in Ge- 
stalt der Abendmahigerate und die Mensch- 
heit, vertreten durch den mitzelebrierenden 
Diakon oder weitere Priester auf die Schulter. 
Bei BegriiBung und Abschied ist unter Grie- 
chen und orthodoxen Slaven der WangenkuB 
tiblich. 


Das Kiissen der Ikonen und Reliquien 

Auf dem Umweg tiber die Ikonen und Reli- 
quien wird dem Verstorbenen wie dem aufer- 
standenen Christus Verehrung und Zuneigung 
bekundet. Jeder Ikonenku8 wiederholt den 
ésterlichen Kuff, auf bildhaft sinnfallige Art 
die Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen 
ausdriickend. Die tiberzeugendste Darstellung 
der Liebe zwischen Gott und Mensch ist die 
Marienikone der Panajia Glykophilousa (> 
Maria). 


KuB und Ikonenabdeckung 
Folge der innigen Liebkosungen: die Ikonen 
werden schnell abgentitzt. Von mittelbyz. Zeit 


212 


an hat man die viel verehrten wundertatigen 
Ikonen mit einer Abdeckung aus Silber- oder 
Goldblech, das in einer getriebenen Relief- 
arbeit den Bildinhalt nachformt, geschtitzt. 


In RuBland hat sich vom 15./16.Jh. an die Herstel- 
lung von Treibreliefabdeckungen zu einem eigen- 
standigen Kunsthandwerk entwickelt (Gilde der 
Basmanschtschiki). 

vr Die Teilabdeckung (russisch Basma) laBt die Fi- 
guren der Heiligen frei. 

vr Die Totalabdeckung (russisch Oklad oder Riza) 
1aRt nur das Inkarnat -- Gesicht und Hande -- frei. 
Bei russischen Ikonen mit Reliefabdeckung hat man 
vielfach nur noch das Inkarnat gemalt (Dodulomoje 
Pischmo), bei griech. Ikonen beschrankt man sich 
auf die Ausschmiickung der Heiligenscheine mit 
Edelmetallblech. 


Die edelsteingeschmiickten Ikonenabdeckun- 
gen erinnern an die kostbaren, oft mit Ikonen- 
motiven geschmiickten Fassungen der Reli- 
quien, auch an Staurotheken (Behalter von 
Splittern des heiligen Kreuzes, > Kreuzerhé- 
hung, —> Konstantin). 


Lamm 
O AMNOC/TO APNION 


O 4mnos/to arnion 


Als unschuldiges Opfertier Sinnbild des lei- 
denden Christus -- auch gesiegeltes, Christus 
reprasentierendes Mittelteil der eucharisti- 
schen Prosphora! 


Das altchristliche und friihchristliche 
Lamm-Symbol 

»Und ich sah, da8 aus Juda eine Jungfrau geboren 
wurde ..., und aus ihr ging ein unbeflecktes Lamm 
hervor ..., und alle wilden Tiere bestiirmten es, und 
das Lamm besiegte sie und vernichtete sie, dai sie 
zertreten wurden.« Die Testamente der zw6lf Pa- 
triarchen 11, 19, jiidische, christlich tiberarbeitete 
apokryphe Schrift, 1. Jh. v. bis 1. Sh. n. Chr. 


Das meistverwendete tiergestaltige Symbol 
des frithen Christentums, weist hin auf Rein- 
heit (weiBe Wolle), Unschuld (als Neugebore- 
nes), Opfer (meist verwendetes Opfertier), 
Schutzbediirftigkeit (Behtitung durch Hirten). 
Alle diese Bedeutungen sind durch zahlreiche 
Texte im AT und NT vorgegeben; das Parado- 
xon des siegreichen Lammes wird lediglich in 


Lamm 


einem christl. Einschub der Testamente der 
zwoélf Patriarchen, und in der Apokalypse 
(5, 6; 13, 8) genannt. Das Lamm kann symbo- 
lisieren: 


yr den durch Christus geretteten Gladubigen. 
Lammtrager (friihchristl. Sepulkralkunst, — 
Christus) sind versinnbildlichte Gebete um die 
Rettung der Seele des Verstorbenen. Auf ei- 
nem Mosaik des guten Hirten (Galla Placidia, 
Ravenna, Anfang 4.Jh.) blicken alle sechs 
Lammer zu Christus auf. 

. ¥ die zwélf Apostel. Zwélfergruppen von 
Lammern reprasentieren immer Christi Jiinger 
(Apsis, Sant’Apollinare in Classe, Ravenna, 
6.Jh.; Triumphbogen 7.Jh.; Dom, Triumph- 
bogen, Parenzo, 6.Jh.). 

τ die drei Lieblingsjiinger Petrus, Jakobus 
und Johannes — wenn drei Lammer einem 
Triumphkreuz in der Mandorla zugeordnet 
sind (> Verklérung; Sant’Apollinare in Clas- 
se, Ravenna, 6.Jh.). 

vv Petrus und Paulus, wenn zwei Lammer 
Christus flankieren, der in menschlicher Ge- 
stalt oder als drittes, oft mit Nimbus versehe- 
nes Lamm erhéht auf einem Paradieshiigel 
liber vier Quellen steht. Das Motiv auf Sarko- 
phagen des 5.Jh.s (sog. Sarkophag Konstan- 
tius III., Galla Placidia, Ravenna) stellt eine 
Umsetzung der im ausgehenden 4.Jh. haufig 
dargesteliten Dreiergruppe »Christus bei der 
Ubergabe des Gesetzes an Petrus und Paulus 
auf dem Paradiesesberg« ins Symbolische dar. 
yr Die vier Evangelisten als Vierergruppen 
von Limmern (traditio legis im Nischengew6l- 
be (Santa Costanza, Rom, Mitte 4. Jh.). 

ἈΞ Christus selbst. Als sein Typus im AT gilt 
das Passahlamm, das die Juden vor dem Aus- 
zug aus Agypten schlachteten (2. Mose 12, 3; 
29, 38). Das »Lamm Gottes, das der Welt Sitin- 
de tragt« (Joh. 1, 29, 36) erscheint tiber dem 
Paradieshiigel mit vier Quellen, einzeln oder 
zwischen Apostel-Lammern auf Sarkophagen 
oder Katakombenfresken vom 4.Jh. an. Das 
Christuslamm tragt Monogramm- oder Kreuz- 
nimbus oder wird von einem groBen stehenden 
Kreuz hinterfangen (Ravennatische Sarkopha- 
ge, 5.Jh.). Im 5. und 6.Jh. wird es vom 
Triumphkranz umgeben (im Mosaikgewélbe 
des Presbyterions von San Vitale; - Himmel- 
fahrt). 


Das Lamm zwischen den 24 Altesten der Apokalypse. 
Athos, Kloster Esphigmenou, postbyzantinisch. 


Abkehr vom Lamm-Symbol in 
friihbyzantinischer Zeit 

»Gebrochen und zerteilt wird das Lamm Gottes, ge- 
brochen, aber nicht geteilt, allezeit gegessen und 
niemals aufgezehrt, sondern heiligt, die daran teil- 
nehmen.« Liturgie der Gldubigen nach Johannes 
Chrysostomos 


Das gestempelte Stiick des Abendmahlsbro- 
tes, das in den Leib Christi verwandelt wird, 
heiBt »Lamm« (> Proskomidie). Die bildliche 
Wiedergabe Christi in der Form eines Lammes 
ist ab Ende des 7. Jh.s verp6nt: 


»Auf einigen Darstellungen der hochzuverehrenden Ὁ 
Ikonen wird ein Lamm gezeigt, auf das des Vorlau- 
fers (des Taufers) Finger weist, was fiir ein Sinnbild 
der Gnade gehalten wird, genauso, wie das Lamm 
des Gesetzes (das Passahlamm des AT) darstellt das 
wirkliche Lamm, namlich Christus, unsern Gott. 
Wiewohl wir zwar die alten — Schatten und Bilder 
als der Kirche iiberlieferte Sinnbilder und Andeu- 
tungen der Wahrheit mit Liebe annehmen, ziehen 
wir jedoch die Gnade und Wahrheit selbst (ihren 
Symbolen) vor, indem wir sie als Erftillung des Ge- 
setzes (des AT) anerkennen. Damit also wenigstens 


213 


Lazarus 


im Bilde diese Erfiillung allen Augen vorgestellt 
werde, verordnen wir, da® von nun an auf den Iko- 
nen statt des ehemaligen Lammes, das Lamm, das 
die Siinde der Welt auf sich nimmt, naémlich Chri- 
stus, unser Gott, in menschlicher Gestalt wiederge- 
geben werde.« Regel 82, beschlossen vom Trullani- 
schen Konzil (691-692) 


Diese Verordnung driickte eine generelle Ab- 
kehr von der sinnbildlichen Darstellung aus, 
die abgesehen vom Lamm, auch die Tiersym- 
bole der —» Evangelisten oder die > Taube des 
Heiligen Geistes betraf. Tiersymbole sollten 
nur noch dort erscheinen, wo sie in der Schrift 
ausdriicklich erwahnt werden (— Taufe Chri- 
sti). Weiterhin zulassig war es, Christus als eu- 
charistisches Lamm im Opfer Abels (San Vita- 
le, 6.Jh., Sant’Apollinare in Classe, 7.Jh., Ra- 
venna) darzustellen. In nachbyz. Zeit er- 
scheint das apokalyptische Lamm aus den Vi- 
sionen des Johannes (--. Apokalypse). 

Seit dem 17.Jh. wird unter der Einwirkung 
westlicher Kunstrichtungen das Darstellungs- 
verbot von Tiersymbolen nicht mehr konse- 
quent befolgt. 


Lazarus 


O AAZAPOC 
O Lazaros 


Freund Christi, verstorben und von Christus 
auferweckt. Das Ereignis zusammen mit dem 
Einzug nach Jerusalem am Wochenende vor 
Ostern gefeiert, wird als Hinweis auf Christi 
Auferstehung angesehen. 


Brauchtum um den Lazarussamstag 

Die Auferweckung des Lazarus, friiher als ei- 
genes Hochfest (-» Festtagskalender) began- 
gen, ist heute mit dem Palmsonntag (— Ein- 
zug in Jerusalem) eng verbunden. Man feiert 
die »Vorauferstehung«, weil die Auferwek- 
kung des Lazarus bildhaft die Auferstehung 
Christi vorwegnimmt, so wie der Einzug in Je- 
rusalem den Triumph Christi »auf dem Throne 
im Himmel sitzend, wie auf dem Fiillen auf 
Erden« (Festtagsliturgie). Im apokryphen Ni- 
kodemusevangelium schilt Hades, als der auf- 
erstandene Christus in die Totenwelt vor- 
dringt, den Satan: 


214 


»Vor kurzem hatte ich einen Toten mit Namen 1.8: 
zarus verschlungen, und bald darauf hat ihn einer 
von den Lebenden (Christus) allein durch das Wort 
gewaltsam aus meinem Inneren heraufgezogen. Ich 
glaube, daB das der gewesen ... Wenn wir den hier 
aufnehmen, so fiirchte ich, das wir auch wegen der 
iibrigen (Toten, die noch im Hades sind) in Gefahr 
geraten. Bei allen, die ich bisher verschlungen habe, 
beobachte ich, daB sie unruhig sind, und ich habe 
Schmerzen im Bauch. Mir scheint, der Lazarus, der 
mir da unlangst entrissen wurde, ist kein gutes Vor- 
zeichen.« 


Umzug des Lazaros: Junge mit weifem langem 
Hemd und Palmwedel, umgeben von einer 
Madchenschar, am Samstag vor Palmsonntag in 
Embonas, Rhedos. 


Die Dorfjugend zieht herum, zeigt ein Aufer- 
weckungsbild vor und singt dazu »Lazarakia«. 
In Innergriechenland, Makedonien und Thra- 
kien weisen 10- bis 12jaéhrige Madchen einen 
hdlzernen Waschstampfer, geschmtickt mit 
farbigen Tiichern, als den »Lazarus« vor, wor- 
in manche ein phallisches Symbol, angeregt 
durch hellenistische Friihlingsriten, um Ado- 
nis sehen. In Rhodos begleiten Madchengrup- 
pen einen Lazarus-Jungen. In Zypern ziehen 
Jungen von Haus zu Haus und fiihren die Auf-: 
erweckung als Singspiel vor: Ein Junge legt 
sich reglos nieder und wird mit gelben Bltiten 
zugedeckt — ahnlich wie das Epitaphion mit 
gelben und violetten (> Kreuzigung). Beim 
Ruf »Lazarus, komm heraus!« taucht er aus 
dem Blumengrab auf. 


Lazarus 


Auferweckung des Lazarus. Moderne Darstellung im 
spdtbyzantinischen Stil. Alte Metropolis, Rhodos. 


Das Lazarus-Motiv 

»Da sagte ihnen Jesus frei heraus: Lazarus ist ge- 
storben ... Nun wollen wir zu ihm ziehen. Da 
sprach Thomas zu den Jiingern: LaBt uns mitziehen, 
um mit ihm zu sterben. Maria, als sie dorthin kam, 
wo Jesus war, fiel zu seinen FiiRen und sprach zu 
ihm: Herr, wirest Du hier gewesen — mein Bruder 
ware nicht gestorben. Und Jesus gingen die Augen 
liber ... da wurde Jesus nochmals inwendig zornig 
und ging zum Grabe. Es war eine Gruft und daritber 
ein Stein. Jesus sprach: Hebt den Stein ab. Doch 
Maria, die Schwester des Toten, sagte: Herr, er 
stinkt schon, denn er ist vier Tage gelegen. Da ho- 
ben sie den Stein ab ... da rief er (Jesus) mit lauter 
Stimme: Lazarus, komm heraus. Und der Verstor- 
bene kam heraus, gebunden mit Grabttichern an 
FiBen und Handen, verhiillt mit einem Schwei8- 
tuch. Jesus sagte zu ihnen: Lést ihn und laBt thn 
gehen.« Joh. 11, 14ff. 


Der zeitlich ausgedehnte Ablauf des Gesche- 
hens wird in einem Bilde »vergleichzeitlicht«. 
Hinter Christus steht (oft) der vorlaute, bart- 
lose Thomas oder der bartige Petrus. Maria 
und Martha werfen sich vor Christus zu Boden 
(Proskynese). Christus, als das géttliche Wort 
mit der Schriftrolle in der Linken, vollzieht mit 
der segnenden Rechten den Christusgestus 
(—> Hinde). Uber den Frauen erhebt sich der 


felsige Grabhtigel mit einem. Tor, oft gesaumt 
mit einer kunstvollen Zierleiste. Im dunklen, 
héhlenartigen Inneren (Anspielung auf die 
Totenwelt) steht aufrecht der in Leinenbinden 
eingeflochtene Lazarus (Ausdruck der Unbe- 
weglichkeit: stramm gewickelt sind Tote und 
Kleinkinder; - Geburt Christi). Mitunter 
steht Lazarus auch in einer Grube. Ein Helfer 
hat den Grabdeckel — gleicht einem Sarko- 
phagdeckel — abgehoben, ein anderer macht 
sich daran, mit der Linken Lazarus’ Binden 
aufzuwickeln, mit der Rechten halt er sich die 
Nase zu oder pret ein Sttick Kleidung vors 
Gesicht, drastischer Hinweis auf die Verwe- 
sung: Lazarus lag vier Tage im Grab, entspre- 
chend der --Κ Zahl 4, Zahl des Irdischen und 
Menschlichen. Christus selbst erstand nach 
drei Tagen, entsprechend der ~ Zahl 3, Zahl 
des Géttlichen. Laut Johannes hat bereits 
Christus die Auferweckung als Hinweis auf 
seine eigene Auferstehung und auf die der von 
ihm Erlésten verstanden: 


»... Martha: Ich weiB wohl, daB er in der Auferste- 
hung am jiingsten Tag auferstehen wird! ... Jesus: 
Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an 
mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stiirbe!« 


In der Wandmalerei ist die Auferweckung das 
letzte Bild des Wunderzyklus Christi, und das 
erste des Passionszyklus. Infolge der liturgi- 
schen Verflochtenheit der Themen werden die 
Auferweckung und der Einzug gerne neben- 
einander angeordnet. Als Tafelbild kommt das 
Bild haufig in der Festbildreihe der Bilder- 
wand vor. 


Das Lazarusmotiv in der frithchristlichen 
Sepulkralkunst . 

Die Auferweckung ist vermutlich das allerer- 
ste NT-liche Motiv in der frithchristl. Sepul- 


kralkunst. Bereits auf Katakomben-Sarkopha- ἡ 


gen des 2. Jh.s wird der segnende Christus dem 
in Tiicher gewickelten Lazarus gegentiberge- 
stellt, und zwar als Hinweis auf die —-> Aufer- 
stehung Christi, die selbst vor dem 4.Jh. nicht 
vorkommt. Auf einem Relieffragment (Kon- 
stantinopel, Archéologisches Museum) be- 
schwort ein lebhaft, fast tanzerisch ausschrei- 
tender Christus, die Rechte ausgestreckt, in 
der Linken eine Art von Zauberstab haltend, 
die »Lazaruspuppe«, die, wie damals tiblich, 


215 


Lebensbaum 


unter einer Art Adikula steht (4.Jh.). Maria 
und Martha geraten schon ab 4.Jh. ins Laza- 
rusmotiv, das bereits vom Ende des 6.Jh.s an 
voll ausgebildet ist. 


Auferweckung des Lazarus — Ausschnitt aus einem 
friihchvistlichen Sarkophag (Ende 4. bis Anfang 
5. Sh.) im Archéologischen Museum Istanbul. 


Lebensbaum (Holz des Lebens) 


TO ZYAON THC ZQHC 
To X¥lon tis sois 


Sinnbild des Lebens, als — Himmelsleiter 
Verbindungsweg zwischen Himmel und Erde, 
wie der — Berg Mittelpunkt und Achse der 
Welt. Die Bedeutungsvielfalt, die mit dem Le- 
bensbaum verbunden, ist auf das Kreuz als das 
eigentliche Holz des Lebens tibertragen wor- 
den. 


Baum als Himmelsleiter der Jager und 
Hirtenvélker 

Baume dienen als Leitern zum Hochklettern, 
Zufluchtsorte bei Gefahren, Schattenschirme 
und Spender von Friichten. Ftir die Jagerkul- 


216 


turen Asiens und Nordamerikas waren Berge 
wie Baume, oder auch wie Fliigel, Aufstiegs- 
und Abstiegsmittel, um von der Ebene der 
Menschenwelt auf eine andere dariiber- oder 
darunterliegende hintiberzuwechseln. Meister 
darin, ekstatisch oder rituell, tiber den Steig- 
baum die Etagen der dreistufigen Welt zu 
wechseln, die Seelen der Verstorbenen zu fiih- 
ren, Hilfsgeister nach oben oder unten zu ent- 
senden, sind die Schamanen. (Schamanistische 
Vorstellungen sind in Gesamtasien, in Euro- 
pa, dem nérdlichen Amerika und Australien 
verbreitet.) Bei den altorientalischen Pflan- 
zenkulturen steigen Gottheiten tiber den Him- 
melsleiterbaum herab. 


Altes Testament — Jahwe erscheint 

im Schatten der Baume 

Im AT erscheint Jahwe unter Baumen — dem 
Abraham im Hain More (1. Mose 12, 6-7) und 
im Hain Mamre (Engelbesuch — Pfingsten) 
unter Steineichen. Moses sieht den Engel des 
Herrn im — brennenden Dornbusch. Jahwe zu 
David: 


»Und wenn Du das Rauschen iiber den Wipfeln der 
Maulbeerbaume streichen hérst, dann beeile Dich, 
denn der Herr ist ausgezogen vor Dir her, um das 
Heer der Philister zu schlagen.« 


Der Baum als kosmographisches Modell 

Der durch die drei Welten aufsteigende Baum 
ist selbst auch Weltenmodell (-» Kosmos). 
GroBe Reiche und deren Herrscher identifi- 
zieren sich mit dem Kosmos. Nebukadnezar 
trdumte: 


»... Es stand ein iiberaus hoher Baum mitten in 
meinem Land. Gro8 und michtig wurde er und 
reichte bis in den Himmel, und er breitete sich aus 
bis ans Ende der ganzen Erde. Seine Aste waren 
sch6n und trugen viele Friichte, davon alles zu essen 
hatte. Alle Tiere auf dem Felde fanden Schatten 
unter ihm, und die Végel unter dem Himmel safen 
auf seinen Asten...«. Dan. 4, 7-9 


Vor allem repraésentieren die beiden Paradie- 
sesbéume, der Baum des Lebens (die Leiter" 
zum Leben) und der Baum der Erkenntnis 
(die Leiter nach unten zum Tode), zwei gegen- 
satzliche Aspekte des Weltenbaumes. Nach 
christl. Auffassung steht der Baum des Lebens 
auf einem — Berg bzw. einer Hochebene, dem 
Paradies, und unter ihm entspringt der Was-. 


Lebensbaum 


serstrom, der sich in vier Fliisse, die die ganze 
Welt umflieBen, aufteilt. 


Baume in antiken Grabgarten 

Den Griechen galten verschiedene Baumarten 
bestimmten Gottheiten als heilig -- der Lor- 
beer dem Apollo, der Weinstock dem Diony- 
sos, die Eiche dem Zeus. Gotteserscheinungen 
spielten sich vorzugsweise unter den entspre- 
chenden Baumen ab — an ihrem Fue wurden 
Wein und Ol gespendet, Tieropfer darge- 
bracht, Lichter aufgestellt. Als spater Stein- 


, tempel mit Baumen nachgebildeten Saulen . 


(die jonische Saule entspricht der Dattelpal- 
me) aufkamen, hat man dennoch im Tempel- 
bereich angelegte Baumgarten erhalten, so der 
Athena geweihte Olivenhaine auf der Akropo- 
lis und in Lindos. 


Die Baume der antiken Grabgarten, die in friih- 
christl. Zeit als vegetabilische Reliefs auf Sarkopha- 
gen fortleben, kénnen sich tiberlagernde Bedeutun- 
gen haben: 


vr Der Baum dient als Himmels- bzw. Hadesleiter 
fiir Verstorbene. 

vy Er symbolisiert in der Antike die Garten der Se- 
ligen, bei den Christen das Paradies. 

τ Immergriines steht fiir das ewige Leben, der 
Weinstock fiir das Blut Christi und fiir die Kirche, 
Palmen fiir den Triumph des Kreuzes. ~ 

yx Zypressen und andere spitz zulaufende Baume 
(im islamischen Bosnien z.B. Pappeln) sind phalli- 
sche Siegeszeichen der Zeugungskraft tiber den 
Tod. 


Das christliche Lebensbaumkreuz 

In der Sarkophagkunst vom 4.Jh. an und spa- 
ter in der Wandmalerei wird das Lebensbaum- 
kreuz (von dem frische Triebe, oft Weinreben 
ausgehen) als Bringer des Lebens gesehen im 
Gegensatz zum todbringenden Paradiesbaum: 


»Durch das Holz verlor Adam seine Heimat im Pa- 
radies, Durch das Holz bekam der Schacher seine 
Heimat im Paradies. Denn jener verletzte (den Ap- 
fel schmeckend) das Gebot des Schépfers, der Mit- 
gekreuzigte aber bekannte Gott, den verborgenen. 
Gedenke auch unser, Erléser, in Deinem Kénig- 
reich.« Liturgie von groBen Freitag 

In byz. Darstellungen tauchen »Himmelslei- 
terbaéume« in Verbindung mit himmlischen Er- 
scheinungen auf: Anna, der Mutter Marias, 
wird die Geburt des Kindes (> Marienzyklus) 


Lebensbaumkreuz in der Yilanli Kilise Ihlara, 
Kappadokien. 


unter einem Lorbeerbaum verktindet. Bei der 
Himmelfahrt Christi stehen die Apostel unter 
Olbdumen. In einem neugriech. Volksmar- 
chen aus der ParnaBgegend schlaft Alexander 
der GroBe unter einem Baum am Meer ein 
und erwacht vor der Insel der Seligen. 


»... Und da, wo sich Christus hinstellte ... wuchs 
ein goldener Baum, und da, wo er erschien, ein gol- 
denes Zypref&chen, in der Mitte hatte es das Kreuz, 
auf der Spitze das Evangelium und im Gezweig die 
Engel, Erzengel, und unten an seinem Wiirzelchen 
eine kristallene Quelle, da steigt das Rebhuhn hin- 
ein, zu netzen seine FiiRe, um zu bespriihen (mit 
geweihtem Wasser) unsern Hausherrn, der viele 
Jahre leben soll.« Kalanta, Heischelied, zum Neuen 
Jahr 


Wird in der Jahresumbruchzeit das Oberste zu un- 
terst gekehrt, damit aus dem Chaos die Ordnung 
eines neuen Jahres wiedergeboren werden kann, 
dann beschwort man den Baum aus der Kalanta als 
Himmelsleiter. Die géttlichen Krifte sollen herab- 
gelockt, die zerstérerischen (Kalikanzeri, -> Geburt 
Christi) von der Erde vertrieben werden. 

In Sinope am Pontus hat man am Heiligen Abend 
einen groBen Olivenzweig (Olive ist der Baum der 


217 


Lebensspendende Quelle 


Gottesmutter) mit Trockenobst und Apfelsinen ge- 
schmiickt und ihn auf dem Weihnachtsbrot aufge- 
pflanzt. In ganz Griechenland wird zwdlf Tage lang 
vom Weihnachtsabend an im Herd ein dicker Block 
aus wilden Birnen- oder Kirschbaumholz in Glut ge- 
halten. Fiir Ephraim den Syrer (4.Jh.) ist Christus 
selbst der Neujahrs-, Lebens- und Weltenbaum: 
»Der erste Tag, der Ursprung und Anfang (Schép- 
fungstag) gleicht einer Wurzel, die alles heraussprie- 
Ben l4Bt. Viel riihmenswerter noch als er ist der 
(Geburtstag) unseres Erlésers, der (baumgleich) in 
den Erdkreis gepflanzt ist. Sein Tod namlich ist wie 
die Wurzel im Erdreich und seine Auferstehung wie 
das Haupt (die Krone), die in den Himmel (reicht). 
Nach allen Himmelsrichtungen (erstrecken sich) sei- 
ne Worte, gleichsam seine Zweige — und sein Leib 
ist wie Frucht fiir die, die ihn essen.« 

(-> Stern, — Zahl 6). 

Der Lebensbaum ist das beliebteste Motiv der griech. 
volkstiimlichen Stickerei. 


Lebensspendende Quelle 


H ZQOAOXOC TIHTH 
I Zoodéchos pijf 


Die Gottesmutter, dargestellt als Brunnen. 
Aus ihr kam Christus -- Verkérperung des hei- 
lenden Wassers (Weihwasser, Taufe). 


Quellen mit heiligem Wasser 

Ajiasma (das Geheiligte) hei&t das Bespren- 
gen mit Weihwasser, wie auch das aus Quellen 
vor oder in Kirchen stammende Wasser, be- 
niitzt als Heilmittel gegen Krankheiten. Na- 
men von Kirchen mit heiligem Wasser sind 
»Brunnen der Allheiligen«, »Goldquelle«, »Le- 
bensspendende Quelle«. 


Darstellungen der Muttergottes als Quelle 

Auf Tafelbildern ragt der Oberkérper der 
Gottesmutter, Christus Immanouil haltend, 
ins rote Maphorion gekleidet, aus einem vier- 
teilig-kleeblattférmigen Taufbeckenkelch her- 
vor. Der Kelchfu8 steht in einem kleeblattfér- 
mig oder quadratisch ummauerten Wasserbek- 
ken. Aus dem oberen Kelchteil flieBen vier 
Wasserstrahlen aus vier Léwenkopfwasser- 
speiern — die Stréme des Paradieses (> Le- 
bensbaum; 1. Mose 2, 10-14) -- in das untere 
Becken. Kénige, Bischéfe und Volk, Repra- 
sentanten der Menschheit, drangen sich dar- 
um, schépfen daraus, tauchen darin ein, Kran- 


218 


Einfaches Brunnenrelief im Kloster Zoodéchos Piji 
bei Batsi, Andros. 


ne iB fie ἷ Ἑ 


ende Quelle. 


I Zoodochos Piji— die lebensspend 
Kirche der Panajia, Lindos, 1779 


Leerer Thron 


Leerer Thron, von dem aus die AusgieBung des Heiligen Geistes erfolgt. Osios Lu 


ke werden geheilt. Das lebensspendende Was- 
ser spielt auf Taufe, Weihwasser, Wasserwei- 
he an, ist zugleich Metapher Christi selbst. 

Das Motiv geht zuriick auf das Ajiasma des 
von Leo I. (457-474) errichteten Heilbades 
bei der Wlachernenkirche in Konstantinopel 
(sparliche Reste in der Nahe des Golden Horn 
am ndérdlichen Ende der Landmauer): Quell- 
wasser rann aus den erhobenen Handen eines 
marmornen Muttergottes-Bildes in ein Bek- 
ken. Erstmals erscheint das Motiv auf spatbyz. 
Wandmalereien in Mistra, verbreitet sich auf 
Fresken und Tafelbildern in postbyz. Zeit, 
nachdem das Heiligtum in Konstantinopel zu 
verfallen begann (ab 1453). Auf spaten Ikonen 
halten zwei Engel eine Krone tiber Maria. Zu 
Bildzeichen verkiirzte Ritzungen oder Flach- 
reliefs finden sich direkt tiber einigen Ajiasma- 
Brunnen (Kloster Zoodéchos Piji bei Batsi, 
Andros). 

Wundertitige Ikonen der Gottesmutter sind 
von dariiber gehingten Perlenschntiren und 
anderen Weihgaben (Tamata) fast zugedeckt 


ay EES Ἔσο 


kas, nach 1000. 


(lebensspendendes Wasser im Marchen; --Ὁ 
Teufel). 


. Leerer Thron 
(bereitstehender Thron) 
HETOIMACIA 


Tetimasia 


Herrschersitz, bereitgestellt fiir den am Ende 
der Tage wiederkehrenden (= Parousie) und 
die Weltherrschaft antretenden Christus: dar- 
gestellt als > Altar oder > Bundeslade. 


Der leere Stuhl als Reprasentation | 
des Herrschers 

Hochstehende Personen unterstrichen im al- 
ten Orient wie im spdtrémischen Reich ihre 
Stellung dadurch, da8 sie sich auf einen ihnen 
vorbehaltenen Stuhl setzten. Je héher der 
Rang, desto héher der Sitz. Ein Podest sorgte 
dafiir, daB der Kopf des Sitzenden die vor ihm 
Stehenden tiberragte. Die Thronsitze orienta- 
lischer Herrscher wie spater auch rémischer 


219 


Liturgie/Gottesdienst 


Kaiser konnten nur tiber einen ein- oder mehr- 
stufigen FuRschemel erklommen werden. Im 
AT ist der Thronsitz Jahwes der »hohe und 
ethabene Stuhl« (Jes. 6, 1 sowie Hes. 1, 26; 
Dan. 7, 9). Jesus nennt den Himmel Gottes 
Stuhl und die Erde seiner FiiRe Schemel 
(Matth. 5, 34u. 35). Die byz. Liturgie hebt den 
»tiberhimmlischen Thron Gottes« hervor. 


Der Sitz eines Regenten vertritt als bildhafte Be- 
zeichnung das Herrschertum selbst — »der heilige 
Stuhl«, Persiens »Pfauenthron«. Leere Throne wur- 
den in Gerichtssalen fiir den rémischen Kaiser be- 


reitgehalten, fiir einen Gott, der die Menschen be- . 


sucht, hat es sie in Babylon (> Turmbau zu Babel), 
in Altkreta, Kleinasien und Griechenland (Thron 
Apollos in Amyklai) gegeben. Die -- Bundeslade 
im Allerheiligsten des salomonischen Tempels war 
der Sitz, auf dem Jahwe unsichtbar thronte. 

»Auf daB das Ende unseres Lebens christlich 
schmerzlos, ohne Schaden und friedlich sei, und wir 
dereinst vor dem furchtbaren Richterstuhl Christi 
eine gute Rechenschaft zu geben vermégen, la8t uns 
den Herrn bitten.« Liturgie der Glaubigen 


Der Etimasie-Stuhl wird teils als Thron, teils 
als Bundeslade wiedergegeben, in jedem Fall 
mit FuBschemel. Obenauf liegt in Vertretung 
Christi — als Logos — das aufgeschlagene Evan- 
gelium tiber einem antiminsionahnlichen Tuch 
(— Altar; -> Eucharistie). 


Bildliche Darstellungen der Etimasie 
Ab der Jahrtausendwende kommt die Etimasie vor 
1. als Zentrum des Endgerichtes, angeordnet unmit- 
telbar unter dem zur zweiten Wiederkunft von En- 
geln im Nimbus herbeigetragenen Christus. Darge- 
stellt ist - verehrt von Adam und Eva — der Thron 
(Athoskléster) oder die Bundeslade (Chorakirche, 
Konstantinopel, 1315-1321) mit zwei Cherubim 
(entsprechen den zwei Ehrenfachern auf dem Altar) 
oder der Altar mit Kreuz, Leidenswerkzeugen und 
Abendmahisbrot (entsprechen der bei der — Pros- 
komidie verwendeten heiligen Lanze und dem 
Schwamm). Der Abendmahlsaltar in der Apsis und 
der leere Thron sind ein und dasselbe Symbol — die 
Eucharistie nimmt die endgiiltige Wiederkehr Chri- 
sti vorweg. Auf dem Altar kann die Taube des Hei- 
ligen Geistes sitzen. 
2. Allein fiir sich, als Bildkiirzel der endzeitlichen 
Wiederkunft Christi und zugleich der Eucharistie. 
3. Als Zentrum der AusgieBung des Heiligen Gei- 
stes tiber die + Apostel zu — Pfingsten. Auf dem 
Thron tiber dem Evangelium sitzt die Taube des 
Heiligen Geistes, von der die Flammenzungen aus- 
gehen. 


220 


In Bischofskirchen steht hinter dem Altar der »obe- 
τες — namlich himmlische — Thron (i ἅπο kathedra). 
Nimmt der Bischof wahrend des »kleinen Einzuges« 
(— Liturgie) darauf Platz, stellt er symbolisch die 
Einnahme des Thrones durch Christus dar. 


Vorformen der Etimasie-Darstellung 

Die fritheste bekannte Vorform des leeren 
Thrones findet sich auf dem Triumphbogen in 
Santa Maria Maggiore (Rom, um 537/540). Im 
Baptisterium der Arianer in Ravenna (um 
500) schreiten die die Taufszene umgebenden 
Apostel auf einen Thron mit dem Gemmen- 
kreuz zu. (In friihchristl. Zeit hat das Kreuz 
oft Christus selbst reprasentiert. Daher ist der 
Kreuzthron auch Bildktirzel des kaiserlich 
thronenden Christus -- mit Gemmenkreuz zwi- 
schen vier Evangelistensymbolen in Santa Pu- 
denziana, Rom, vor 400.) Im Baptisterium der 
Orthodoxen (Ravenna, Mitte 5.Jh.) umgibt 
die apostelumwandelte Taufszene in der Kup- 
pel ein Ring musivischer Scheinnischen (in Pa- 
villons des Paradiesgartens) mit abwechselnd 
vier Thronen, besetzt mit je einem kleinen 
Kreuz und darunter dem eucharistischen Brot 
in Form eines kleinen Fiinfkreis- + Kreuzes, 
und vier Altéren mit aufgeschlagenem Evan- 
gelium — Bild der durch Christus als Wort (vier 
Evangelien) und als eucharistische Gabe be- 
herrschten vier Enden der Welt (> Evangeli- 
sten; > Kosmos; —> Zahl 4). 


Liturgie /Gottesdienst 


H ΘΕΙ͂Α AEITOYPIIA 

I thia litourjia 

Auf die — Eucharistie als Zentrum hin ausge- 
richteter dreiteiliger Gottesdienst. Dramati- 
sche Vergegenwartigung der Heilsereignisse 
des Neuen Testaments und der kiinftigen Ver- 
gottlichung der Welt. Die Teilnehmer werden 
in die symbolisch dargestellten Heilsereignisse 
als Mitwirkende und Miterlebende einbezogen 
(Aufbau und Ablauf — Proskomidie, > Eu- 
charistie). 


Liturgie = Proskomidie + 

Liturgie der Katechumenen + 

Liturgie der Glaubigen 

In Gemeindekirchen findet »der géttliche 
Dienst« an allen Sonn- und Festtagen morgens 


Liturgie/Gottesdienst 


gegen 9 Uhr statt -- nur am Heiligabend, Epi- 
phanias, dem »Roten Donnerstag« und dem 
»Grofen Freitag« sowie der Feier der Oster- 
nacht als —> eucharistische Abendgottesdien- 
ste. In Kléstern wird nach Méglichkeit die Li- 
turgie, neben anderen Stundenandachten, tag- 
lich abgehalten. Die géttliche Liturgie, der die 
meisten Weihehandlungen an- oder eingeglie- 
dert wird, umfaBt: 


# Die Proskomidie: Vorbereitung der Abend- 
mahlselemente durch Priester und Diakon im 
Nordteil des Allerheiligsten; bereits anwesen- 
de Gemeindeglieder kénnen sie héren, nicht 
sehen. ᾿ 

Voraus geht der Ritus des ~ Gewander-An- 
legens, fiir alle sichtbar vor der Bilderwand. 

te Die Liturgie der Katechumenen: Urspriing- 
lich fiir Taufanwarter und BiBende, die mit 
dem Worte belehrt, vor Beginn der Euchari- 
stie die Kirche verlassen mu8ten. Im Mittel- 
punkt das géttliche Wort: Der Einzug des 
Priesters und Diakons mit dem Evangelien- 
buch zum Altar symbolisiert das Erscheinen 
des géttlichen Logos als Mensch auf der Erde, 
auch den Beginn der dffentlichen Predigttatig- 
keit Christi. 

Heute verflieBen Liturgie der Katechumenen 
und Liturgie der Glaubigen zu einem einheit- 
lichen Bestandteil des Gottesdienstes (Ablauf 
—> Eucharistie). 

τς Die Liturgie der Glaubigen: Der groBe Ein- 
zug — die Ubertragung der eucharistischen Ga- 
ben vom Nordteil des Allerheiligsten tiber das 
Schiff durch die Schéne Pforte zum Altar — 
symbolisiert den Gang Christi zu seinem Lei- 
den und Sterben (-» Einzug in Jerusalem). Die 
Verteilung des Abendmahls versinnbildlicht 
Christi Tod und Auferstehung (Ablauf — Eu- 
charistie). 


Die Liturgien nach Chrysostomos, Basilios 
und Gregor 

Die Liturgien bestehen aus festen Textblécken 
und gema& den Anldssen des Kirchenjahres 
wechselnden Lobpreisungen — Kontakia, Tro- 
paria, Prokimena (— Kirchenjahr). Die ortho- 
doxe Standard-Liturgie, benannt nach — Jo- 
hannes Chrysostomos, entstand in Konstanti- 
nopel. Zehnmal im Jahr -- Weihnacht, Basi- 
liustag/Neujahr, Epiphanias, den Sonntagen 


der Fastenzeit (auRer Palmsonntag), am »Ro- 
ten Donnerstag« und am »Grofen Freitag« 
(Karfreitag) — wird statt dessen die von — Ba- 
silios dem Groen verfaBte Klosterliturgie 
Kappadokiens gefeiert. 

Die Liturgie der vorgeweihten Gaben — ver- 
mutlich von Papst Gregor wahrend seines 
mehrjahrigen Aufenthaltes als papstlicher Le- 
gat in Konstantinopel verfaBt — wird mittwochs 
und freitags in der groBen Fastenzeit (> Pas- 
sionszyklus) und am Montag bis Mittwoch der 
Karwoche gefeiert: Wort-Gottesdienst und 


- Abendmahl mit am vorausgegangenen Sonn- 


tag vorgeweihten Gaben. Der Trauercharak- 
ter dieser Tage 148t keine Weihung der 
Abendmahiselemente zu. Die auf den Apostel 
Jakobus zuriickgefiihrte Jakobusliturgie wird 
lediglich in Jerusalem, am Tag des Apostels 
und am Sonntag nach Weihnachten begangen. 


In der Liturgie flieBen Text, kultisches Handeln, der 
Kirchenraum und sein Bildprogramm, die Ikonen 
und der Gesang zu einem alle Sinne ansprechenden 
kultischen Gesamtkunstwerk zusammen. 

Die Ablehnung aller Musikinstrumente fiir den got- 
tesdienstlichen Gebrauch hat zu einem hohen Ni- 
veau des Chorgesanges beigetragen. Der polyphone 
Gesang der Russen hat von der italienischen Oper 
starke Impulse erhalten. Komplexer und musika- 
lisch anspruchsvoller ist der einstimmige byz. Ge- 
sang. Seine komplizierten Tonarten sorgen fiir eine 
ungewohnliche Tonalitat. 


Der Charakter der orthodoxen Liturgie 
— i 


Klosterkirche von Dochiariou, Athos. 


221 


Liturgie/Gottesdienst 


Die Liturgie ist 
1. eucharistisch-sakramental 
Die géttliche Liturgie, auch die Stundenan- 
dachten kreisen um das Zentrum der Abend- 
mahlsfeier. 
2. abbildend und vergegenwartigend 
Die Riten stellen Héhen und Schwerpunkte 
der heilsgeschichtlichen Ereignisse symbolisch 
dar. Das Erscheinen Christi in der Welt, sein 
Leiden und Auferstehen werden auf geheim- 
nisvolle Weise in der Gegenwart erneut voll- 
bracht. 
3. dramatisch 
Liturgie bedeutet heiliges Spiel der Heilsge- 
schichte, in dem Christus der eigentlich Han- 
delnde ist. Er verkérpert sich als Opfer, als das 
Lamm (in den Opfergaben) und gleichzeitig 
als der Hohepriester, der das Opfer darbringt 
(im Priester). Dieser fiihlt sich lediglich als das 
Werkzeug fiir das Handeln Gottes. Die Glau- 
bigen selbst verwandeln sich je nach AnlaB in 
die Apostel (> Himmelfahrt), in die trauern- 
den Frauen am Grabe (— Kreuzigung, —> Pas- 
sionszyklus), in den Chor der Engel, Erzengel 
und Cherubim. 
4, dogmenhaltig 
Die orthodoxe Lehre wird weniger durch Re- 
den als durch anschauliches rituelles Tun in- 
nerhalb der Liturgie verbreitet: 
τς die Trinitdtslehre: Gott ist in sich ein Wesen und 
4uBerst sich dennoch in dreien, als Vater, Sohn und 
Heiliger Geist. Die wesentlichen Gesinge werden 
dreimal gesungen, der Altar dreimal umrundet, das 
Segenszeichen dreimal geschlagen. 
ve die Zwei-Naturen-Lehre: Christus ist gleichzei- 
_tig wahrer Gott und wahrer Mensch. Die Poesie der 
liturgischen Gesénge lebt von dieser Paradoxie: 
»Der Du das Erdenrund festhaltst und festgehalten 
wirst vom Grab, la& Dich herbei, das Menschliche 
loszulésen von seinem Sturz in den Hades und uns 
in Unsterblichkeit zu verlebendigen, als unsterbli- 
cher Gott.« 
5. mystisch-geheimnisvoll 
Der Papas bringt das Opfer dar — zugleich am 
Altar der sichtbaren Kirche und am »iiber- 
himmlischen, unsichtbaren Altar« Gottes (> 
Altar; —> Jesaias; -> Eucharistie). 
6. allvereinigend 
Die Eucharistie nimmt die Verschmelzung des 
Glaubigen mit Gott und der gesamten vergétt- 
lichten Welt vorweg. Gort wurde Mensch, da- 
mit der Mensch Gott werde. 


222 


7. kosmisch 

Die liturgischen Gebete umschlieBen die ge- 
samte Welt, alle Lebenden und Toten, das 
Sichtbare und Unsichtbare (—> Deisis; > Pros- 
komidie; —» Kosmos; —» Brot; - Taufe 
Christi). 

8. volkstiimlich 

Die kirchliche Liturgie und das volkstiimliche 
Festtreiben mit Brotverteilung, Gastmahlern, 
Tanz und Gesang verzahnen sich in Griechen- 
land derart, da8 die Nahtstellen kaum auszu- 
machen sind. 


Volkstiimliches Brauchtum hat die Liturgie berei- 
chert, liturgische Bedeutungen haben volksttimli- 
ches Brauchtum tiberlagert. Unter der Glasglocke 
der 400 Jahre langen tiirkischen Fremdherrschaft 
haben sich kirchlicher Kult und bauerlich-symboli- 
sches Brauchtum gegenseitig gestiitzt und durch- 
drungen. 


9. schichteniibergreifend 

Die Teilnahme an der Liturgie, die zur Identi- 
fizierung mit den heiligen Gestalten und zum 
Miterleben der Ereignisse auffordert, macht 
Freude. Die mit dem Festtagskalender wech- 
selnde Dramatik ergibt eine Spannung, die 
den Bauer oder Fischer ebenso fasziniert wie 
den Intellektuellen. Die reichhaltige Symbolik 
kann jeder fiir sich, entsprechend seinen Fa- 
higkeiten, erschlieBen. 


Ubersicht: Wichtige liturgische Begriffe 


Doxologie  Lobpreis Gottes, vom Priester 
gesungen, beginnt mit dem Wort 


Doxa = »Ehre«... 


Bittgebet (Litanei). Der Diakon 
fordert zum Gebet fiir die Lebendi- 
gen, die Toten, die Regierung, die 
Priesterschaft, fiir den Frieden usw. 
auf. Der Chor antwortet mit »Kyrie 
eleison« (Herr erbarme Dich). 
Zum Abschlu8 spricht der Diakon 
eine Lobpreisung, in die die Got- 
tesmutter, als Personifikation der 
Fiirbitte (— Deisis), eingeschlossen 
wird 


Ektenie 


Antiphonon Psalmodie, vom Chor gesungen. 

Es sind Bibeltexte: Psalmen oder 
Prophetenworte aus dem AT, Selig- 
preisungen aus der Bergpredigt des 


NT (Makarismen) 


Léwe 


| (Fortsetzung) Ubersicht: 
Wichtige liturgische Begriffe 


Gebet, das der Priester leise wah- 
rend des Antiphonongesanges am 
Altar vollzieht. Endet oft mit ei- 
nem laut vom Priester gesungenen, 
allgemein gehaltenen Lobpreis 
(doxa patri) 


Stillgebet 


Psalmahnliche Lobpreisdichtung 
(Ode) aus friihbyz. Zeit 


Dichtungen, vom Chor gesungen, 
beziehen sich auf das Festereignis 
des Tages bzw. den Heiligen des 
Tages, stellen das liturgische 
Gegenstiick dar zu den Ikonen des 
Tages, aufgelegt rechts hinter dem 
Eingang im Kirchenschiff auf ei- 
nem Pult (an bestimmten Festtagen 
vor der Bilderwand). 

Der Chor tibernimmt, wie der des 
antiken Dramas, die Rolle von Be- 
obachtern der Ereignisse, spricht 
die Empfindungen von Teilneh- 
mern aus — der Jiinger, der Myr- 
rhentrégerinnen, Christi selbst, der 
Gottesmutter. Die Kontakien fas- 
sen das Gedenkereignis des Tages 
kurz zusammen 


Hymnos 


Kontakion, 
Troparion 


Prokimenon Psalmvers des Tages vor der Epi- 
stellesung. Wechselgesang zwi- 
schen Lektor und Chor 


»Dreimalheilig« (Sanktus): Lob- 
gesang des Chores, begleitet von 
einem Stillgebet des Priesters, 
gesungen unmittelbar nach dem 
kleinen Einzug: 

»Heiliger Gott, heiliger starker, 
heiliger unsterblicher, erbarme 
Dich unser ...« 


Trisajion 


Cherubim- 
hymnus 


Lobgesang des Chores — gemein- 
sam mit dem Chor der Cherubim 
um Gottes Thron — wahrend des 
»groBen Einzugs« (Cherubim- 
einzug) 


Wichtigster eucharistischer Litur- 

gieteil zwischen Glaubensbekennt- 

nis und Austeilung des Abendmah- 

les, umfaBt 

- Danksagung 

- Anamnese (vergegenwartigendes 
Erinnern) des historischen 
Abendmahls, in dessen Verlauf 


Anaphora 


(Fortsetzung) Ubersicht: 
Wichtige liturgische Begriffe 


die Einsetzungsworte gesprochen 
wurden (»Nehmet hin und esset 
..., nehmet hin und trinket ...«). 
Bedeutet die Darbringung des 
Opfers (Christus als das Lamm) 
an Gott 
~ Epiklese, Bitte um den Heiligen 
Geist, der als Gegengabe fiir die 
Darbringung des Opfers Brot 
und Wein in Leib und Blut Chri- 
sti wandeln mége 


Lowe 


C AEQN 

O léon 

»Wie ein Léwe, Retter, entschlaéfst Du nach dem 
Fleische, wie das L6wenjunge erhebt sich der Tote, 
ablegend des Fleisches Alterung.« Aus der Oster- 
liturgie 

Der Physiologos (2.Jh.) erwahnt unter Beru- 
fung auf 1. Mose 49, 9, daB die L6win ihr Jun- 
ges tot gebiert und drei Tage bewacht, bis der 
Léwenvater kommt, es anblast und so zum Le- 
ben erweckt. Auf Wandmalereien und Reliefs 
vertritt der hauchende Léwe Gott, der den 
Jungléwen Christus auferweckt. Schon im NT 
ist der Léwe einerseits Symbol Christi -- »Es 
siegte der Lowe aus Juda« Offbg. Joh. 5, 5 -, 
aber auch des Satans (2. Tir. 4, 17, 1. Petr. 
5, δ). 


Venezianischer Léwe aus Nawplion. Die zahlreichen 
Léwen an der Burgmauer der Stadt und der Feste 
Palamidi forderten die dort unter Kénig Otto 1833 
gelandeten Bayern dazu heraus, einen bayerischen 
Léwen aus einem Felsen der Vorstadt Pronia heraus- 
zumeifeln. 


223 


Lukas, der Evangelist 


»Die Zeit mangelte mir, um zu erzahlen iiber Gi- 
deon und Barak und Simson und Jephtat und David 
und Samuel und den Propheten, die mittels Gott- 
vertrauen Kénigtiimer iiberwunden ..., die Rachen 
der Lowen verstopft haben.« Hebr. 11, 32-33 


Die Léwenkémpfer des AT sind im NT Typus 
Christi, der den Satansl6wen erlegt — darge- 
stellt wird meist Simson. — Daniel in der Lé- 
wengrube kntipft an die altorientalischen Vor- 
stellungen vom K6nig als Herrscher iiber die 
wilden Tiere an. Salomons Thron der Weisheit 
war von zwei Lowen flankiert; byz. Throndar- 
stellungen greifen das auf, vermehren die An- 
zahl der Léwen auf zwoélf — die zw6lf Stémme 
Israels vertretend (Christus auf Lowen und 
Drachen tretend; — Drache). 

Sonstige Léwendarstellungen: Der Eremit Je- 
rasimos (lateinisch Hieronymus) entfernt ei- 
nen Stachel aus der Pfote eines Lowen (Niko- 
laos Orphanos, Thessaloniki, Anfang 14. Jh.). 
Bei der Bestattung der heiligen Maria Agyp- 
tika in der Wiiste hilft ein Lowe. Der Fitigel- 
léwe ist Zeichen des > Evangelisten Markus 
und Stadtwappen Venedigs. Das Léwenrelief 
an einer Felswand in einer Vorstadt von Nau- 
plion stammt von den Bayern — Erinnerung an 
die Landung Ottos, Sohn Ludwig I. von Bay- 
ern, des ersten Kénigs der Hellenen nach den 
Freiheitskriegen (1834). 


Lukas, der Evangelist 
— Apostel, - Evangelisten, —> Bild,» NT 


Martyrer und Martyrium 


OI MAPTYPEC KAI TA ΜΑΡΤΎΡΙΑ ΤΩΝ 
I martires ke ta martiria ton 


Verfolgte und Blutzeugen um ihres Glaubens 
willen. Wurden nach Abschlu der Verfol- 
gungszeit — nach 311 — zu Vorbildern der Ere- 
miten und Asketen. 


Bekenner und Martyrer als Nachvoliziehende 
des Leidens Christi 

Der GroB8teil der ostkirchlichen — Heiligen 
sind Bekenner (verfolgt, aber nicht umge- 
bracht) und Blutzeugen — Opfer 


xv der rémisch-kaiserzeitlichen Christenver- 
folgungen ~ mit Unterbrechungen bis 311/312. 


224 


+ von im NT erwahnten Bluttaten, z.B. > 
Johannes der Taufer, sein Vater Zacharias 
(5.September; — Marienzyklus). 

ye von Verfolgungen durch auslandische 
nicht-christl. Potentaten. 

ye von Auseinandersetzungen mit abweichen- 
den christl. Strémungen, vor allem mit den 
Bilderstiirmern (der Bekenner Theophanes 
dokumentierte in einer Weltchronik die erste 
Phase des Bilderstreites). 


Das Martyrertum, als Nachvollzug des Kreu- 
zestodes Christi verstanden, hat Kult und 
Kunst der Kirche, in deren Zentrum ohnehin 
schon der leidende und sterbende Gottmensch 
steht, entscheidend gepragt. 


Mairtyrer, ein Kreuz in der Hand. 
Chorakirche, Konstantinopel, 1315-1321. 


Bedeutung des Martyrerkultes nach dem Ende 
der kaiserzeitlichen Verfolgungen 

Wiahrend der Verfolgungszeit standen die 
Christen und die Welt in einem klaren Gegen- 
satz zueinander. Die Herrscher waren Statt- 
halter des Satans. Unter > Konstantin wurden 
die bislang verfolgten Christen immer mehr in 
die Welt integriert. Es galt, neue Wege zu 
suchen, ihr zu entfliehen — notfalls bis in die 
Wiiste. Das versuchten zunachst in Agypten 
die Begriinder des Anachoretentums -- (erster 
Einsiedler war Antonios, vermutlich noch vor 
300) -- und des Ménchtums (Pachomios, ca. 
312). Zur gleichen Zeit begann man, unter- 
stiitzt von staatlicher Seite, die heilige Zeit des 


Mandylion/Heiliger Ziegel 


- Kirchenjahres und den heiligen Raum der 
Kirche (.-» Kirchengebaude) mit dem Blut der 
Martyrer zu verbinden. 


ἧς Zeit: Jeder Tag des Jahres ist dem Gedenken 
eines oder mehrerer Martyrer, Bekenner, Eremiten 
gewidmet. 

ve Raum: Die nach 300 aufkommenden oberirdi- 
schen Martyrergriber, Martyrien (Gedenkkapellen 
ohne Grab) und Baptisterien (Taufe als Durchgang 
durch den Tod —> Taufe Christi) bildeten mit ihrem 
turmartig aufragenden Mittelraum und den vier 
Kreuzarmen die Kreuzform, aus der sich die byz. 
Kreuzkuppelkirche (aber auch die Form der mittel- 


τς alterlichen abendlandischen Kirchen) herausentwik- 


' kelte. Jeder orthodoxe oder katholische — Altar ist 
symbolisch auch als Grab zu verstehen. 


Martyrerbilder ziehen in die Kirchen ab An- 
fang 6.Jh. ein — als Medaillons (Ravenna, Erz- 
bischéfliche Kapelle, ca. 560), als Prozessio- 
nen heiliger Frauen und Manner (Ravenna, 
Sant’ Apollinare Nuovo, Mitte 6. Jh.). 

In mittelbyz. Zeit iibersden Martyrerdarstel- 
lungen Gewélbegurtbogen und Pfeiler, in 
spatbyz. die tiefergelegenen Wandteile des 
Naos und der Vorhallen. Martyrer (> Hei- 
lige) halten ein Kreuz in Handen. Sie sind 
kenntlich an Namensbeischriften (=~ ABC). 
Leidensszenen finden sich, symbolisch ver- 
fremdet, in friihchristl. Zeit (Laurentios, dem 
Feuerrof zuschreitend, Galla Placidia, Raven- 
na, ca. 422). In nachbyz. Zeit fiillen drastische 
Marterszenen — abgehauene nimbierte K6épfe 
rollen durchs Bild — die Vorhallen der Kirchen 
(Meteora, Athos, serbische, bulgarische und 
rumanische Kléster). ; 

Im Westen, der Nachtseite des kosmographischen 
Modelles (~ Kirchengebaude) breiten sich die 
Schattenseiten aus -- Grausamkeiten an Martyrern, 
auch die Qualen der Verdammten (—> Endgericht). 
In der Haufung grausiger Bilder spiegelt sich die 
Situation der orthodoxen Christen — Verfolgung und 
Unterdriickung durch lateinische und muslimische 
Eroberer. 


Mandylion / Heiliger Ziegel 
TO MANAYAION KAI TO KEPAMEION 


To mandylion ke to keramién 


Tuch und Ziegelstein mit dem Abbild Christi, | 


Urtyp der nicht mit Handen gemachten Iko- 
nen (-9 Ikonenwunder). 


Das nicht mit Handen gemachte Bild Christi 
des armenischen Kénigs Abgar von Edessa 
Das Mandylion, ein groBes Taschentuch mit 
dem Gesichtsabdruck Christi, hat Christus der 
Uberlieferung zufolge mit einem Antwort- 
schreiben an den armenischen K6énig Abgar 
von Edessa gesandt (~ Gewander, --ὁ Chri- 
stus). Es hat wahrend einer Belagerung Edes- 
sas durch die Perser seine Echtheit und Wun- 
derwirksamkeit durch Ubertragung des Chri- 
stuskopfabdruckes auf einen Ziegel (kera- 
mi6én) erwiesen. 944 wurden Brief, Mandylion 
und Keramion nach Konstantinopel tiberftihrt, 
1204 haben es die Lateiner geraubt. Aufbe- 
wahrt in der Sainte Chapelle in Paris, ist es 
wihrend der Franzésischen Revolution ver- 
schollen. 

SchweiBtuch der Veronika 

Im Westen hat das Abgartuch (Christuskopf 
ohne Dornenkrone) die Veronika-Legende 
des 11.Jh.s angeregt: Veronika hat ihr Tuch 
dem kreuztragenden Christus auf der Via do- 
lorosa gereicht. Darin hatte sich sein Antlitz 
mit der Dornenkrone abgebildet. Ihr Name ist 
eine Personifizierung von »Vera Ikon« (wah- 
res Bild). 


Keramién, Fresko in einer Kirche in Kastoria. 


Als Wandmalerei kommt das Mandylion seit 
dem 11.-12.Jh. vor, ab spatbyz. Zeit wird es, 
wie das Keramion, im untersten Rand des 
Kuppeltambours oder im Schildbogen tiber 
der Hauptapsis dargestellt. 


Se aoe ERE 


Mandylion. Ajios Nikolaos Orphanos, Thessaloniki, 
Anfang 14. Sh. 


225 


Maria, die Allheilige 


Das eucharistische Velum — Ursprung des 
Mandylion Wandbildes 

In Kappadokien (Shakli Kilise, Géreme, 
11.Jh.; Barbara Kilise, So’anli, Anfang 
11. Jh.) finden sich stark zerstérte Darstellun- 
gen tiber Prothesisnischen: Gemaltes Tuch mit 
Christuskopf zwischen vier Broten oder Wein- 
gefaBen. Christus selbst ist also als das Lamm, 
das fiinfte eucharistische - Brot wiedergege- 
ben. Diese Darstellung des eucharistischen 
Velum (Unterlagetuch fiir die Gaben auf dem 
Antiminsion des --Ὁ Altars); bzw. die Interpre- 
tation des Abgartuches als Velum ist eine Ant- 
wort auf die These der Bilderfeinde, das eu- 
charistische Brot sei das einzige legitime Bild 
Christi. 


Maria, die Allheilige 
HTIANATIA 


I Panajia 


Mutter Christi, hat in der orthodoxen Kirche 
vielfaltige, auch eucharistische, symbolische 
Bedeutung. Am haufigsten auf Ikonen darge- 
stellte heilige Gestalt. Bilderwande enthalten 
neben der Ikone Christi und Johannes des 
Taufers eine Ikone der »Hausherrin« — links 
neben der schénen Pforte, auf der Frauenseite 
der Kirche. Marien- und Christusikonen wer- 
den vor der Einkleidung zum Gottesdienst 
(— Proskomidie) vom Priester begriiBt. 


Muttergottes als Behaltnis der 

eucharistischen Gaben 

Gegentiber dem mannlichen Gott wird die 
Menschheit vertreten durch eine Frau, die vor- 
bildhaft als Erste Zutritt zu der den Glaubigen 
verheiBenen Welt hat (-5 Heimholung Ma- 
riae). Christus hat seinen menschlichen Leib 
aus ihr geformt. Weil dieser Leib gleichzeitig 
der als Brot und Wein genossene eucharisti- 
sche Leib ist und Maria ihn in sich getragen hat 
(Platytera), gilt sie als Miturheberin der Eu- 
charistie — bildlich als Léffel (> Altar), der 
das in Wein getauchte Brot in sich birgt (> 
Bundeslade). Ihr allein ist die zweite der fiinf 
Abendmahlsprosphoren (> Brot, —-> Prosko- 
midie) geweiht. ; 

In der spatbyz., an eucharistischen Riten be- 
sonders interessierten Epoche schlagt das 
Dunkelblau ihres Maphorions um in das Pur- 


226 


pur bzw. Rot des eucharistischen Blutes. 
Gleichzeitig beginnt man in der Apsisw6lbung 
direkt unter dem Bilde der Mutter Gottes die 
Aposteleucharistie darzustellen. 


Die drei Sterne auf ihrem Mantelkopftuch (--Ὁ Zahl 
3) sind m.E. aus dem eucharistischen Fiinf-Punkte- 
Kreuz (> Kreuz) hervorgegangen — sie weisen dar- 
auf hin, daB die Mutter, die den Gott gebar, Jung- 
frau geblieben ist 

ve vor der Geburt 

vr wahrend der Geburt 

¥ und nach der Geburt. 


Jungfrau, Mutter und Braut 

Die Mutter ist zugleich Braut, Christi, als die 
ihm angelobte Personifikation seiner Kirche. 
Maria umfa8t alle Méglichkeiten des Weib- 
lichen, das in ihr verklart wird (> Maria zwi- 
schen Engeln). Bildprogramm und Architek- 
tur der Kreuzkuppelkirche stellen in der Ma- 
rienapsis und in der Christuskuppel gleichzei- 
tig Gegensatz und Vereinigung des mdann- 
lichen und des weiblichen Prinzips dar, voraus- 
weisend auf die endzeitliche mystische Ver- 
einigung Christi und seiner Braut, der Kirche. 


Die Entstehung der Marienverehrung 72.100 
im Osten 

Die Marienverehrung hat sich von Syrien aus 
westwarts verbreitet, was ihre Kleidung, das 
syrische Mantelkopftuch, das Maphorion, ver- 
rat. Von der friihen Kirche wurde die Abwer- 
tung Marias zur bloBen Menschenmutter be- 


Benennung »Theotokos« (Gottesgebédrerin) 
iiber Arius, der ihr nur den Namen Christusge- 
barerin zubilligen wollte. Doch galt es auch, 
Bestrebungen abzuwehren, aus Maria eine 
Gé6ttin zu machen: Orientalisch-christl. Stré- 
mungen bekannten sich zu einer Dreieinigkeit 
von Vater, Sohn und Mutter Maria. So abwegig 
ist die Gleichsetzung Maria — Heiliger Geist 
nicht: Im Hebraischen und Aramaischen (der 
Sprache Jesu) ist »ruach« (= Geist) weiblich. 
Im Koran klingt die Einschaétzung Marias als 
dritte géttliche Person nach: 


»Und sie (Maria), die ihren Scho8 keusch hielt, und 
in die wir bliesen von unserem Geiste, und die wir 
nebst ihrem Sohne zu einem Zeichen machten fiir 
die Welt.« 21. Sure, Vers 91 (auch 23. Sure, Vers 52) 


Maria, die Allheilige 


Auch die Darstellung Marias als »Thron der 
Weisheit« (5. 228) erinnert an die gnostisch- 
christ]. Tradition: Nach Paulus wird die Weis- 
heit Gott durch den Geist offenbar (1. Kor. 2, 
6-10). 


Wechselwirkung zwischen Theotokien 
(Marienhymnen) und Ikonen 

Abgesehen von Darstellungen in Szenen des 
— Marienzyklus entstanden in Byzanz und in 
RuBland einige hundert ec Casa al- 


gegriffen, auch auf die bildliche Darstellung 
zurtickgewirkt. 

In Kirchenraéumen findet sich die Panajia 

ye in der Wélbung der Hauptapsis, der zweitwich- 
tigsten Stelle der Kirchenarchitektur (nur die Bild- 
typen Wlacherniotissa bis Periwleptos) meist zwi- 
schen zwei Engeln (— Maria zwischen Engeln), 

xr im Portaltympanon, 

vy in Nebenapsiden und Konchen, 

% in (spaitbyz. Nebenkuppeln, umgeben von 
Engeln oder Vorvatern. 


Alle wichtigen Marienwandbilder haben ihren 
Beinamen abgeleitet von einer Besonderheit 
der Ikone selbst (Tricherousa = Dreihdndige, 
-» Jkonenwunder), vom Aufenthaltsort der 
Ikone (Panajia skiadeni in Moni Skiadi, Rho- 
dos), von einem mit dem Bild zusammen- 
hangenden Wunder oder sonstigem Ereignis 
(— Ikonenwunder), von einer Vorbildikone in 
einer anderen Kirche (Wandbild Panajia Skia- 
diotissa, Allheilige von Skiadi, in Ajios Jiorgios 
o wardas, Apolakkia, Rhodos). 


Haupttypen von Marienikonen 
Mariendarstellungen in bedeutenden Kirchen, 
besonders denen von Konstantinopel und dem 
Heiligen Land, waren die Vorbilder fiir die be- 
deutendsten Ikonentypen. Die Namenszuwei- 
sungen folgen den griechisch-orthodoxen Be- 
nennungen. Bezeichnungen in der kunstge- 
schichtlichen und theologischen Literatur des 
Westens weichen davon mitunter ab. 


‘1. Panajia Wlacherniotissa (Allheilige aus der 
Apsis der Wlachernenkirche in Konstantino- 
pel): Frontal stehend, ohne Kind, mit zum Ge- 
bet erhobenen Handen (> Oranten) vor ein- 
farbigem Grund. Schon die Orantin der Holz- 


Ubersicht: Beinamen der Gottesmutter 


Ἴ 


Die aufgefiihrten Namen kommen als Bestand- 
teile von Figurenbeischriften, von Kirchen- oder 
Klosternamen vor. In Hymnen wird dariiber hin- 
aus eine Vielzahl spezieller Anredeformen ge- 


braucht -- Ζ. Β. Nimphi animphewti, »ungefreite 
Braut«, oder Apirdgamos, »der Ehe Unerfahrene« 


Panajia 
Theotékos 
Ajiparthénos 


Eleotisa 
Odijitria 
Gorgoypékoos 
Periwleptos 
Kyria ton angélon 
Pantanassa 
Panachréntos 
ο Ypsildtera ton 
ouranon 
Platytéra ton 
ourandn 
Zoodéchos piji 
Glykophilotsa 
Galaktotrophotisa 
Phowera Prostasia 


Amartélon Sotiria 
Paramythia ton 
Thliwoménon 
Panton Chara 
Portaitissa 
Tricherotisa 
Pammakéaristos 
Ebi ton Piston 


᾿ Lebensspendende Quelle 


Allerheilige 
Gottesgebarerin 
Immerjungfrau 
Barmherzige 
Weggeleiterin 
Schnellerhérende 
Bewunderte 
Herrin der Engel 
Allherrschende 
Allunbefleckte 
Hohere als die Himmel 


Umfassendere als die 
Himmel 


Zartlich Kiissende 

Mit Milch Nahrende 

Beschiitzende, die Furcht 
erzeugt 

Rettung der Stinder 

Trost der Betriibten 


Freude aller 

Pfértnerin 

Dreihandige 

Allselige 

Hoffnung der Verauendea 
(Glaubigen) 


Gestalt des AT 
Jakob 
Moses 
Aaron 


— Gideon 
— David 
— Salomon 
— Jesaias 


—> Jeremias 
— Hesekiel 
— Daniel 


Habakuk 


Zacharias 


Typologische Hinweise auf die Gottesmutter 
in Zitaten von Vorvatern und Propheten 


Typos fiir die Gottesmutter 


— Himmelsleiter 

—> brennender Dornbusch 
blithender Stab 
(Marienzyklus) 

nasses Fell 

—> Bundeslade 

Lager des K6nigs 

Zange fiir Feuerkohle’ 

(= eucharistischer L6ffel) 
Jungfrau 

Tor Gottes 

geistiger Berg, von dem ein 
Stein gerissen wird 

dicht bewachsener schattiger 
Berg | 
siebenflammiger Leuchter 


227 


Maria, die Allheilige 


τὰν in Santa Sabina (Rom, ca. 432) bedeutet, 
im Gegensatz zu den noch unbestimmten Or- 
antinnen der friiheren Sepulkralkunst, die 
Gottesmutter. In spateren Bildern der > Him- 
melfahrt Christi erscheint Maria im Oranten- 
gestus. In der Wlachernenkirche (Bau um 450, 
Entstehungszeit des Apsisbildes unbekannt) 
ist aus der Orantin endgiiltig die fiirbittende 
Gottesmutter, Vorlaéuferin der Maria der > 
Deisis, geworden. Die Muttergottes als Fiirbit- 
tende herauszustellen, hatte im 5.Jh. auch den 
Sinn, Bestrebungen abzuwehren, sie anzube- 
ten oder, wie die Sekte der Philmarioniten, als 
Géttin zu verehren. Das Wlacherniotissa-Mo- 
tiv wurde tibernommen als Relief (Nord-Fas- 
sade San Marco, Venedig), in Goldemaille 
(zwei Bucheinbande im Schatz San Marco, Be- 


resford-Hope-Kreuz, vor 1000, im Victoria( 


und Albert Museum, London), in Apsiden 
(Murano bei Venedig, 14.Jh.; Periblewtos- 
Kirche, Ochrid, 1295, Peckaja Patriarchia Peé, 
Mitte 13.Jh.). Ab 1000 wird die Orantengeste 
mehr und mehr zuriickgenommen: die erhobe- 
nen Arme sinken — bis die Handflachen nach 
vorne offen vor der Brust stehen. 


Irene. Empore der Ajia Sophia, um 1120. 


2. Panajia Nikopiia (die Siegbringende): steht 
frontal, fast axialsymmetrisch mit dem Kind 
vor der Brust vor einfarbigem Grund. Die 
Hande fassen den Christus Emmanouil ganz 
vorsichtig. Er halt -- auf allen Marienikonen- 
typen — als der Logos (das mitteilende Wort 
Gottes) in seiner Rechten die Schriftrolle. Die 
‘Nikopiia geht auf das Apsismotiv in der Ma- 
rienkirche zu Bethlehem zuriick. Benannt ist 
sie jedoch nach einer im Kaiserpalast Konstan- 
tinopels aufbewahrten und auf Feldztigen mit- 
gefiihrten Ikone (— Ikonenwunder, Akathi- 


228 


stos Hymnos). Nach der Vertreibung der Per- 
ser und Awaren vor den Mauern Konstanti- 
nopels,626, wird die Marienkrone zum Garan- 
ten und Zeichen des Sieges (wie zuvor das 
konstantinische Lawaron). Deshalb erscheint 
auf der Kaiserempore der Ajia Sophia die Ni- 
kopiia zwischen Johannes II. Komnenos und 
Irene, deshalb gibt der Patriarch Germanos 
von Patras 1821 das Signal zum Freiheitskampf 
mit einer Marienstandarte (~ Kaiser, -Heim- 
holung Maria). Darstellungen auf Elfenbein- 
tafeln des 10. und 11.Jh.s zusammen mit flan- 
kierenden Engeln und in Apsiden (San Marco, 
Venedig, 12.Jh., Ajios Dimitrios, Mistra, 
13.Jh.: die tiberlange Maria auf einem Erd- 
kreissegment durchwachst Unterwelt, Welt 


_. und Sternenhimmel.) 


3). Panajia Kadthedra tis ajias Sophias (Thron 
der heiligen Weisheit): Frontal sitzt die Gottes- 
mutter mit dem Emmanuelknaben auf dem 
Scho auf einem mit dem kaiserlichen Oval- 
kissen bedeckten Thron. Dessen Perl- und Ju- 
welenornamentik erinnert an die Verzierun- 
gen der Kaiserdiademe. Maria selbst verkér- 
pert den Thron der heiligen Weisheit (>So- 
phia), der Thron »Salomos« (AT) ist ein Ty- 
pos von ihr. Nach I. Kén. 10, 18-20 hat er eine 
runde Lehne, ist von zwei L6wen flankiert und 
steht auf sechs Stufen (Santa Sabina, Rom, ca. 
432: Anbetungsszene mit Maria tiber sechsstu- 
figem Podest). Nach Konstantin Porphyroge- 
netos (6.¥8.) stand im Kaiserpalast von Kon- 
stantinopel ein Thron Salomos (Vorbild des 
Kaiserstuhls im Dom zu Aachen). Die kirch- 
lichen und gottesdienstlichen Einrichtungen, 
von denen der Kaiser seine Legitimation be- 
zog, hatten ihre weltliche Entsprechung im 
Kaiserkult: Christus thronte auf seiner Mutter 
als dem Weisheitsthron und der Kaiser als 
weltlicher Reprasentant Christi regierte von 
Salomons Thron aus. Die Panajia Kathedra in 
der Apsis der Ajia Sophia entstand wohl vor 
dem Bilderstreit, wurde dann durch ein Kreuz 
ersetzt und 867 wieder erneuert. Als Vorberei- 
tung auf die Apsis thront im Tympanon iiber ἢ 
der Innenpforte des Haupteinganges (Stid- 
west) die Allheilige zwischen Konstantin und 
Justinian. (Weitere Apsisdarstellungen: Ajia 
Sophia, Thessaloniki, 11. Jh., Osios Lukas, ca. 
1000). Der Bildtyp, bereits im 7.Jh. auf Zy- 
pern verbreitet (~Maria zwischen Engeln), 


Maria, die Allheilige 


Die Allheilige des Thrones der heiligen Weisheit 
in der Kirche zur heiligen Weisheit. 
Konstantinopel, 867. 


heiBt in RuBland »Muttergottes von Zypern«. 
Fritheste Darstellung der zwischen den Engeln 
Thronenden auf einer Goldmiinze (Ende 
6. Jh., jetzt in Washington). 

(WeiBes Tuch — Mariengiirtel) 

4. Panajia Platytera (die Allheilige Umfang- 
reichere, éntsprechend der liturgischen Ma- 
rienhymne »Umfangreicher als der Himmel ist 
Dein SchoB«): 


»Und wahrend er (Christus) wohnt im SchoB®e sei- 
ner Mutter, wohnten in seinem Schofe alle Ge- 
schépfe ... 

Wahrend der 30 Jahre, die er weilte auf Erden, wer 
nur lenkte da all die Gesch6pfe? 


Platytera. Fresko in der Apsiswélbung einer Kirche 
in Kastoria, postbyzantinisch. 


Seine Macht hat jene (Maria) umfangen, die ihn 
umfing. 

Denn z6ge sich zuriick seine Macht, so sttirzte das 
Allin sich zusammen ... 

Denn wahrend er am Kreuze hing, erweckte er Tote 
zum Leben. 

Hat das sein Kérper getan oder sein unsichtbarer 
Wille? 

So auch hat, wahrend er ganz und gar (kérperhaft) 
wohnte im Leib seiner Mutter, sein unsichtbarer 
(kérperloser) Wille das All versorgt.« 
Zugeschrieben —> Ephrédm dem Syrer. 

Vor der Brust der als Orantin ganz- oder halb- 
figurig stehenden, seltener sitzenden, Allheili- 
gen eine Nimbusscheibe (Clipeus = Schild) 
mit der Halbfigur des ebenfalls frontal wieder- 
gegebenen Emmanuelknaben. Maria ist haufig 
von einem weiteren gro8en Nimbus umschrie- 
ben. Der nach dem Vorbild rémischer Reliefs 
von Verstorbenen und Ahnen frei vor ihr 
schwebende Clipeus lést das Problem, sie 
gleichzeitig mit Kind und als Betende mit er- 
hobenen Handen darzustellen. Erstmalig auf 
einer Pilgerflasche des 5. Jh.s (vermutlich Wie- 
dergabe einer palastinensischen Monumental- 
darstellung -- Ol) abgebildet, nimmt das Mo- 
tiv rasch eine tiefere theologische Bedeutung 
an: Maria tragt den Herrn des Kosmos in sich, 
wird zu Gottes Bundeslade, Zelt, Wagen, 
Tempel und zur sichtbaren Kirche — als — Kir- 
chengebéude wie auch als Gemeinde —, die 
den unsichtbaren Christus in ihrem Mutterleib 
enthalt; vergleiche das Weihnachtslied: »Den 
aller Weltkreis nie beschloB (umschlieBen 


kann), der liegt jetzt in Marien Schof.« 


229 


Maria, die Allheilige 


Die slavische Bezeichnung fiir die Platytera 
Znamenie (Muttergottes des Zeichens) basiert 
auf Jes. 7, 14 (in Matth. 1, 23 zitiert): 


»Darum wird der Herr selbst euch geben ein Zei- 
chen: Siehe, eine Jungfrau wird eine Leibesfrucht 
empfangen und einen Sohn gebaren, den werden sie 
Emmanuel heifen.« 


Wird das Medaillon von einem feuerroten > 
Cherubim getragen, unterstreicht das die eu- 
charistische Symbolik der Platytera als Abend- 
mahlsléffel (> Altar, Jes. 6, 1-7). Bisweilen 
ist der Emmanuel ohne Clipeus freischwebend 
vor die Orantin gesetzt (Katakombe Cimiterio 
Maggiore; Rom, Anfang 4.Jh.; Palaiachéra, 
Aighina, Apsis, 14.Jh.; Athos Koutloumou- 
siou, kretisch, Mitte 16. Jh.). 

5. Panajia Chalkopratia (aus der Chalkopratia- 
kirche, Konstantinopel, stammend oder Ajio- 
soritissa, nach dem Sordés, dem Schrein mit ih- 
ren Kleidern neben der Kirche): Halbfigur im 
Halbprofil ohne Kind. Die Rechte ist etwas 
angehoben, die Linke befindet sich in Brust- 
hdhe. Aus der spaéteren Form der Wlachiotissa, 
die mit verhaltener Fiirbittgeste sich zur Seite 
wendet und ihre Gestik noch zuriicknimmt 
(11.Jh.), entsteht der Typus der Chalkopratia. 
Angeblich schon im 6.Jh. bekannt, ist er ab 
dem 11.Jh. nachzuweisen. Die Chalkopratias 
ist die Ubergangsform zwischen der fiirbitten- 
den Orans und der Fiirbittenden in der > 
Deisis. 

In der Variante der Paraklitis (Bittenden) 
zieht Maria mit der Linken ihr Manteltuch zu- 
sammen — Ausschnitt aus der > Kreuzigung, 
siche Ikone 14.Jh., Meteora, Moni Metamor- 
phoseos. 

6. Panajia Odojitria (die Weggeleiterin, Preis- 
name aus einem Theotikon), bertihmte Ikone 
vom Kloster Odigon, Konstantinopel: Stehend 
oder als Halbfigur halt die Gottesmutter den 
Emmanouilknaben in der linken Armbeuge, 
weist mit der Rechten auf ihn als »den Weg, 
die Wahrheit und das Leben«. (Joh. 14, 6) Das 
Kind, die Logosrolle in der Linken, erhebt die 
Rechte zum Segensgestus. Bei Ikonen bis zum 
12. Jh. nimmt Maria eine frontale Haltung ein, 
blickt durch den Betrachter hindurch. Das 
Kind sieht traumverloren in die Ferne. Spater 
wendet sie sich -- unter dem Einflu8 der Eleot- 
sa-Ikonen — mehr und mehr dem Kinde zu, 


230 


Odojitria aus der Vorhalle von Osios Lukas, 
um 1009. 


blickt mit geneigtem Kopf besinnlich nach un- 
ten. Mutter und Kind schauen sich niemals an, 
blicken immer aus dem Bild heraus. Die Odiji- 
tria (mit Varianten) ist der verbreitetste Ma- 
rienikonentyp. Die Urikone im Odigon-Klo- 
ster wurde seit mittelbyz. Zeit dem Apostel 
Lukas zugeschrieben. In Antiochien entstan- ἢ 
den, im 5.Jh. nach Konstantinopel gekom- 
men, wurde die »Weggeleiterin« im Kriege 
dem byz. Heer als Schutzschild vorangetragen. 
Bei der Wiederaufstellung der heiligen —> Bil- 
der nach dem Bilderstreit als erste [kone auf- 
gestellt, hat man sie 1204 vor den Lateinern 
verstecken kénnen. 1453 zerstérten die Jani- 
tscharen nach der Eroberung der Stadt, was 
ihnen an Ikonen in die Hinde fiel. Die Ur- 
ikone teilte nach dem Historiker Dukas das 
Schicksal des Mantels Christi: 


»Einer dieser Gottlosen schwang seinen Krumm- 
sdbel und mit seinen unreinen Fingern teilte er das 
Bild mit dem daranhaéngenden Schmuck in vier Tei- 
le. Alsbald wurden sie verlost, und nachdem sie 
auch die tibrigen Gerate geraubt hatten, zogen sie 
davon.« 


Je eine getreue Nachbildung der Ur-Odijitria 
wird in den Athoskléstern Xenophontos und 
Grigoriou (Odijitria Pantanassa) aufbewahrt. 


Maria, die Allheilige 


7. Panajia Periwleptos (die Bewunderte): Bild- 
liche Zwischenlésung zwischen dem hierati- 
schen Odijitria-Typ und den »humanen Iko- 
nen« der Eleousa (friiheste Darstellung in der 
Periwleptos-Kirche, Ochrid, ca. 1295; Peri- 
wleptos-Kirche, Mistra, Mitte 14. Jh.). 

8. Panajia Dexiakratousa (die mit der Rechten -- 
das Kind —haltende): Spat- und nachbyz. seiten- 
verkehrte Odijitria, stehend, halbfigurig, gele- 
gentlich auch sitzend. Weniger hieratisch steif; 
Mutter und Kind kénnen Blickkontakt haben. 
(Chorakirche, Konstantinopel, 1315-1320; 
Ajia Agathi, Rhodos, linke Apsisdiole; Ikone 
Tricherousa, Athos Chilandariou, 14. Jh.). 


i 
aA 


Eleousa. Tokali Kilise, Kappadokien, Ende 10. Jh. 


9. Panajia Eleousa (die Erbarmende): Halbfi- 
gurige Gottesniutter, driickt das Kind mit der 
Rechten odey Linken fest an sich, neigt den 
Kopf zu ihm hin. Auf alteren Bildern blickt sie 
mehr zum Betrachter hin, auf jiingeren auf das 
Kind, das sich mit beiden Handen an ihrem 
Hals festklammert. Die alteste Eleousa (Ende 
10. Jh.) schmiickt eine Nische der Tokali Kilise, 
Goreme. 

Die beriihmteste Eleousa ist die »Muttergottes 
von Wladimir«, aus Konstantinopel, um 1000 
(Tretjakow-Galerie in Moskau). Vom 16. Jh. 
an verdichten russische Eleousa-Ikonen das 
Motiv auf die Wiedergabe der beiden gro 
aufgefaBten, eng aneinandergeschmiegten 
Kopfe und auf die streichelnden Hande der 
Gottesmutter. 


10. Panajia Glykophilotisa (die StiBkiissende): 
Die Mutter driickt das Kind, das nach ihrer 
Wange greift, fest an sich und kiiBt es, im Aus- 
druck noch inniger als die Eleousa. Soweit be- 
kannt, sind die erhaltenen Glykophilousa-Iko- 
nen alle nachbyzantinisch. Vorlaufer des Moti- 
ves sind angeblich nicht mehr erhaltene Ma- 
riendarstellungen des christl. Orients. 

11. Panajia Pelagonitissa (die Pelagonische = 
die aus Bitolij, Makedonien, stammende): Sehr 
bewegte Abart der Glykophilotisa. Die Hal- 
tung von Mutter und Kind ist unwirklich ver- 
dreht: Sie erhebt den Blick zum Betrachter, 
kiiBt das Kind, halt sein rechtes Bein mit der 
Linken fest. Ihre Rechte ist erhoben, wie die 
der Odijitrija. Das Kind, in Rtickenansicht, 
dreht den Kopf angestrengt um, blickt den Be- 
trachter intensiv an. Der Reiz des in Makedo- 
nien vom Maler Makarios (Anfang 14. Jh.) ge- 
schaffenen Bildes liegt im Kontrast zwischen 
dem hieratisch strengen Blick zum Betrachter 
und dem zartlichen Verhdltnis von Mutter und 
Kind, in Verbindung mit einer tibersteigerten 
eckigen K6rpersprache. 

Das Motiv soll als antibogumilische (Gegner 
der Bilder und Marienverehrung) Propaganda 
konzipiert worden sein. (Ikonen: Zyia, Maze- 
donien, Sinai, Katharinenkloster, Athos’ Do- 
chariou). 

12. Panajia Galaktotrophotisa (die mit Milch 
ndhrendé); Die hieratischer Stellung in sich 
versunkene Gottesmutter — mit reichverzier- 
tem k6niglichem Maphorion und einer K6- 
nigskrone — neigt nur wenig den Kopf und faft 
mit der Rechten ihre aus dem Kleid geschliipf- 
te Brust und driickt sie dem saugenden Emma- 
nouil entgegen. Der stiitzt die Brust mit der 
Linken ab. In den oberen Ecken der Ikone je 
ein Engel mit einem Tuch tiber den Handen. 
Die sparlichen byz. Galaktotrophousa-Bilder 
(Athos Grigoriou, ab Mitte 15.Jh.) wurden 
angeregt durch koptische Ikonen. In Agypten 
ist das Motiv vom 6. Jh. an nachgewiesen; Vor- 
bild war die den Harpokrates nahrende Isis 
(Fresko von Karganis, 3. Jh.). 

13. Panajia tou pathous (Allheilige des Lei- 
dens): Das Kind sitzt auf einer Hand der Got- 
tesmutter, die es mit der anderen umfaft, den 
Kopf neigt, traurig in sich versunken. Wie In- 
sekten umschweben die beiden zwei winzige 
Engel mit den Leidenswerkzeugen. Der linke 


231 


Maria, die Allheilige 


halt Kreuz und Dornenkrone in verhiillten 
Handen, der rechte Lanze und Schwamm. Das 
Kind mit Logosrolle, die Linke erschrocken 
nach Gewand oder Hand der Mutter ausstrek- 
kend, sieht zum Kreuz hin. Der slavisch »stras- 
naja« genannte Typ erscheint zuerst auf serbi- 
schen Fresken (Lesnovo und Konce, 14. Jh.). 
Ab 1500 griechische und russische Tafelbilder. 
14. Panajia Zoodéchos Piji (--» Lebensspen- 
dende Quelle) 


Spat- und postbyzantinische Bildumsetzungen 
von Marienhymnen 

Vom 14.Jh. an werden Theotokien in Vorhal- 
len und Verbindungstrakten von Kléstern in 
breiter Ausschmiickung verbildlicht: 


% Axion esti (—> Akklamation): 


»Wahrhaft wiirdig ist es, Dich, Gottesgebarerin, se- 
lig zu preisen. Die ewig selige und fleckenlos Reine 
und Mutter unseres Gottes. Du bist geehrter als die 
Cherubim und unvergleichlich herrlicher als die Se- 
raphim, die Du unversehrt hast Gott, den Logos, 
geboren, in Wahrheit Gottesgebarerin, wir preisen 
Dich.« Marienhymnus vor der Eucharistie aus der 
-Ὦ Liturgie der Glaubigen. 

Maria im Medaillon — z.B. im Scheitel einer 
Nebenkuppel umgeben von stehenden Engeln 
in den Gew6lberippen oder im Tambour. Die- 
se halten Blatter mit den Worten des Hymnus 
(Chorakirche, Konstantinopel, 1315-1320; 
Athoskirchen). »Axion esti« ist eine auf die 
Antike zuriickgehende Akklamation. 

vx »Epi se chare ...«: »Uber Dich freue sich, 
Gnadenreiche, all die Schépfung und der En- 
gel Heer ... Sei gegriiBet, Ruhm der Engel... 
gOttlicher Tempel ... Thron des Herrn ... Pa- 
radies der Zartlichkeit ... Du des Lebens 
Holz. Sei gegriiSet, Du Sitz und Du Thron des 
michtigen K6nigs ..., die Du erftillst der Pro- 
pheten VerheiBungen ... Du nie verstummen- 
der Mund der Apostel ... Du Ruhm der Prie- 
ster und Du Altar der Bischéfe ...« Hymnus 
der in der —> Liturgie der Basilius an bestimm- 
ten Festtagen anstatt des »Axion esti« gesun- 
gen wird. 

Die Allheilige mit Christus thront tiber dem 
Himmel mit Sonne und Mond, umgeben von 
Vertretern der Engel, Propheten, Apostel, Bi- 
schéfe, Martyrer, Einsiedler, heiligen Kénige, 
Nonnen, die Textblatter halten. Darunter das 


232 


— Paradies mit ~ Abraham und dem gerech- 
ten Schacher (Athoskirchen, postbyz.). 

vw Prophitise...« 

Propheten haben Dich verktindet: Die Gottes- 
mutter, z.B. im Scheitel einer Nebenkuppel, 
ist umgeben von Propheten und Vorboten mit 
Schriftbandern. Die Texte geben ein, die typo- 
logischen Weissagungen der Propheten zusam- 
menfassendes Theotokion wieder (Pamakari- 
stos, 14.Jh., Chorakirche, Konstantinopel, 
1315-1321, Athoskléster). 


»Die Kraft des Héchsten tiberschatte dann zur 
Empféngnis die, die von keiner Ehe wufte ...« 
Illustration des Delta-Verses (4. Vers) des Akathistos- 
Hymnos. Kirche der Panajia, Lindos, 1779. 


x Akathistos-Hymnus, der »nicht im Sitzen« 
gesungen wird): An den Abenden der ersten 
fiinf Freitage der grofen Fastenzeit wird in 
den Chéretismi (Gruf-Gottesdiensten) der Hym- 
nus vor ihrer Ikone gesungen. Zur Erinnerung 
daran, da® die Odijitria-Ikone 626 die Kon- 
stantinopel belagernden Awaren in die Flucht 
geschlagen (— Ikonenwunder), wird wahrend 


Maria zwischen Engeln in der Apsiswélbung 


der Andacht eine Marienikone vom Papas, ge- 
folgt von einer feierlichen Prozession, aus dem 
Allerheiligsten heraus durch die schéne Pforte 
hindurch in den Gemeinderaum getragen und 
auf einem Stander links neben der Bilder- 
wand, auf der Frauenseite, zur Verehrung aus- 
gestellt. Die Verse 1-12 des -- Akathistos- 
Hymnos schildern die Ereignisse von der -- 
Verkiindigung Maria bis zur Darbringung im 
Tempel, die Verse 13-24 verherrlichen ab- 
wechselnd den Gottessohn und seine Mutter 
(— ABC). 

GroBangelegtere Serien und Kompositbilder 
in Vorhallen und Schiffen ab 14. Jh. (Nikolaos 
Orphanos, Thessaloniki, Anfang 14.Jh.; Ju- 
goslawien, Decani, Mitte 14.Jh.; nachbyz.: 
Athos Chilandariou, Lawra; Rhodos Lindos, 
Panajiakirche, 1779; Nebenbilder an Marien- 
ikonen). 


Maria zwischen Engeln in der 
Apsiswolbung 

H @EOTOKOCH KYPIA ΤΩΝ ATTEAQN 
I Theotokos i kyria ton angélon 


Wichtigstes Motiv fiir Apsisw6lbungen ab mit- 
telbyz. Zeit. Die Verehrung Marias kntipft an 
ein altes jtidisches Motiv an: Auf Gottes Ge- 
hei® sollten sich die Erzengel vor dem neu- 
erschaffenen Adam verneigen. 


Die Apsiswélbung als Ort der Gottesmutter 
Die Halbkuppel der Apsis kommt der héher 
gelegenen Kuppel (~ Himmel; — Kirchenge- 
baude) im Rang fast gleich, ist HGhepunkt des 
Allerheiligsten, der, oberhalb der Bilderwand 
gelegen, vom Eintretenden eingesehen wer- 
den kann. Vom 9./10.Jh. an ist die Apsis von 
der Gottesmutter mit dem Emmanuelknaben 
besetzt (nur selten ist sie allein, noch seltener 
tritt der Pantokrator an ihre Stelle). Fast im- 
mer wird sie von zwei Erzengeln flankiert, Mi- 
chael und Gabriel stehen seitlich der Wélbung 
(Ajia Sophia, Konstantinopel, Ende 9.Jh.; 
Daphni, Athen, Ende 11. Jh.), oder sie vernei- 
gen sich, in die Apsis einbezogen, tief vor der 
Gottesmutter. 


Kuppel und Apsiswélbung sind architektonisch und 
als Abbildungstriger die entscheidenden Span- 


nungspole, sie reprasentieren Himmel und Erde, 
die Eins werden in der Eucharisti. 


Ubersicht: Verhaltnis Kuppel—Apsis 


Kuppel Apsiswélbung 
Von der Blickrichtung — Blickrichtung 
Architektur vertikal nach horizontal nach 
gewiesene _ oben, gen Osten, zum 
Richtung Himmel Paradies 
Darstellung Christus Gottesgebarerin 
ab mittel- | Pantokrator 
byz. Zeit 
Kosmologie Himmel Erde 

gottliche Gemeinde, 

Welt Menschenwelt 
Symbolik —§ mannliches weibliches 

Prinzip Prinzip 

Brautigam Braut 

Inhalt Behiltnis 
euchari- eucharistische L6ffel zur 
stische Gaben Verteilung des 

Abendmahls 

Bedeutung Brot Wein 

Fleisch Blut 


Hauptapsis Ajios Nikolaos Orphanos, Thessaloniki, 
14. Sh. 


Die Verneigung der Engel vor dem neven 
Adam und der neuen Eva 

»Wiirdig ist es wahrhaftig, Dich, die Gottesmutter, 
gliickselig zu preisen ... Mutter unseres Gottes, sie, 


die erhabener ist als die Cherubim und unvergleich- 
lich herrlicher als die Seraphim ...«. 


Maria ist als heilbringende neue Eva Vertrete- 
rin des Menschengeschlechts. Die Verneigung 


233 


Mariengiirtel 


der Engel vor dem Menschen (auf der Bern- 
wardssdule in Hildesheim neigt sich Michael 
vor Adam) ist ein vorchristl. Motiv. 


»Ich (Satan) bin gegen Dich (Adam) voller Feind- 
schaft, Neid und Bitternis, denn Deinetwegen wur- 
de ich aus meiner Herrlichkeit vertrieben, die ich im 
Himmel besa mitten unter den Engeln ... Als Du 
nach dem Bilde Gottes erschaffen wurdest, brachte 
Dich Michael herbei und gebot uns, Dich in Gegen- 
wart Gottes zu ehren. Und Gott der Herr sprach: 
Hier seht ihr Adam! Nach unserm Bilde und Gleich- 
nis habe ich ihn erschaffen. Michael aber rief allen 
Engeln zu: Ehret Gottes Ebenbild, wie Gott das 
geboten hat. Und als erster neigte er sich vor ihm 
dann rief er mich: Ehre das Ebenbild Gottes! Ich 
antwortete: Ich werde nicht einen ehren, der unter 
mir steht und jiinger ist als ich. Ich bin der Alteste in 
der Schépfung; bevor er erschaffen war, war ich er- 
schaffen worden. Es ist an ihm, mich zu ehren: ... 
Wenn er (Gott) mir ziirnt, werde ich tiber den Ster- 
nen thronen und dem Allerhéchsten gleich sein. Da 
entzog uns Gott unsere Herrlichkeit.« Das Leben 
von Adam und Eva, apokryphes Buch (1. vorchristl. 
Jh.). 


Aus Wut dariiber hatte der Satan (— Teufel) 
Eva im Paradies verfiihrt. Die Engel in der 
Apsis verneigen sich vor dem Christus Emma- 
nuel als dem neuen Adam (»Und es sollen ihn 
alle Engel Gottes anbeten ...« Hebr. 1, 6) und 
der Gottesmutter als der neuen Eva. Durch 
die alte Eva kam die Siinde, die die Ebenbild- 
lichkeit des Menschen mit Gott aufhob, in die 
Welt, durch die neue Eva wurde die Ebenbild- 
lichkeit wieder hergestellt. 


Mariengirtel 


H ZQNH THC MANATIAC 
Iz6ni tis Panajias 


In Konstantinopel aufbewahrte Giirtelreli- 
quie. Der Apostel Thomas, der die - Heim- 
holung Maria ebenso bezweifelte wie zuvor die 
Auferstehung Christi, wurde aus seinem Mis- 
sionsgebiet Indien zum Olberg entriickt. Dort 
erschien ihm die Gottesmutter und tiberlie8 
ihm ihren Giirtel (nach Pseudojoseph von Ari- 
mathia). 


Der Mariengiirtel — Schutzwall fiir 
Konstantinopel 

Um 560/570 befindet sich die Giirtelreliquie 
(Feiertag 31. August) in Konstantinopel, ab 


234 


8.Jh. in der Wlachernenkirche (Palastkomplex 
der Wlachernen in der Nordwestecke zwischen 
Land- und Seemauer; Apsisdarstellung: Wla- 
cherniotissa, -- Maria). Dort lagerten bereits 
im Soros, dem heiligen Schrein, die anderen 
Kleidungsstiicke der Gottesmutter, dort spru- 
delte auch die —-> lebensspendende Quelle. 

Die Giirtelreliquie (Giirtel als Schutz vor Da- 
monen, —> Gewdnder) wirkte als Heiltum auf 
mehreren Ebenen; sie bewahrte vor Krankhei- 
ten, heilte, schiitzte, an strategisch exponierter 
Stelle aufbewahrt, als magischer Wall die Kir- 
che, den Palastbezirk und die Stadt, galt sogar 
als Schutzwall fiir die Welt. Z6ni heiBt alt- und 
neugriechisch sowohl Giirtel wie Erdgiirtel 
(als Erdkreisumgrenzung). Die Gottesmutter 
— Gegenbild zur Aphrodite mit ihrem verftih- 
rerischen Giirtel -- ist als Platytera (—> Maria) 
umfassender als der Erdkreis, kann ihn mit ih- 
rem Giirtel umfangen. 


Gottesmutter vorn Typ Thron der Weisheit mit 
Giirteltuch in der Hand. Thessaloniki, Ajia Sophia, 
Ende 9. Jh. 


Giirtel und Giirteltuch im Bild 

Die thronende oder stehende Panajia halt auf 
Apsisdarstellungen in ihrer Linken, mit der 516 
das Kind stiitzt, eine weiBe Stoffbinde (Ajia 
Sophia, Thessaloniki, Ende 9.Jh.; Monreale 
Basilika, Ende 12.Jh.; Ajia Sophia, Konstan- 
tinopel, Apsis 876, Nikopiia der Galerie, An- 
fang 12.Jh.). Die byz. Uberlieferung von der 
Ubergabe an Thomas — um 1300 yom Abend- 


Marienzyklus 


land aufgegriffen — schildert den Giirtel als 
Scharpe. Dennoch meint die Binde kaum den 
Giirtel selbst, sondern ein Giirteltuch. Auf 
Fresken (Mitte 10. bis Ende 12.Jh.) der Ka- 
thedrale von Faras (christl. Nubien) halten 
Maria und Erzbisch6fe helle und relativ kurze 
Binden in Handen. (Die Forschung bezeichnet 
sie als Manipeln — liturgische Tuchstreifen ré- 
misch-katholischer und armenischer Priester, 
bei Byzantinern und Kopten nicht iiblich, her- 
vorgegangen aus Ziertaschentiichern.) Ein 
streifenformiges weiBes Tuch benutzt die All- 
heilige, um ihre Trénen unterm Kreuz (Daph- 
ni, Athen, 11.Jh.) und bei der Grablegung 
(Serbien, MileSeva, Anfang 13.Jh.) zu 
trocknen. 

Auf Goldemailbildern (Einband, San Marco, 
um 1000, Limburger Staurothek, Mitte 10. Jh.) 
trigt es Maria am goldenen bzw. blauen Giir- 
tel. 

Zu verstehen ist das weiBe Tuch als Symbol 
der kérperlichen Unversehrtheit der »Immer- 
jungfrau«. 

DaB Taschentiicher (weil sie sich mit der kér- 
perlichen Substanz einer heiligen Persénlich- 
keit vollsaugen) und Giirtel besonders wirk- 
sam Heilkraft tibertragen, kommt im Hinblick 
auf Paulus im NT zum Ausdruck: »Man legte 
sogar die SchweiBtiicher und Schurzgurte, die 
er getragen hatte, den Erkrankten auf, und die 
Krankheiten verlieBen sie, die iiblen Geister 
fuhren aus ihnen heraus.« Apg. 19, 12 


Marienzyklus 

TA TETONOTA THC MANATIAC 

Ta jegonota tis Panajias ᾿ 

Kindheit Maria und Christi, von der Vorge- 
schichte”“der Geburt Marias bis zum Tempel- 
besuch der Heiligen Familie in Jerusalem als 
geschlossener Bilderzyklus dargestellt. 


Die Schilderungen im apokryphen 
Protevangelium des Jakobus 

Sparliche Mitteilungen in den Kanonischen 
Evangelien Matth. 1, 18-2, 23, Luk. 1, 5-2, 
40, werden vom apokryphen Protevangelium 
des Jakobus nach der Mitte des 2.Jh.s aufge- 
griffen und liebevoll ausgeschmiickt. Das bis 


heute beliebte Erbauungsbuch nennt als sei- 
nen Verfasser Jakobus, der als Christus’ dlte- 
rer Halbbruder, Sohn Josephs aus erster Ehe, 
gilt. Der Inhalt, der auch die Jugendgeschichte 
—> Johannes des Taufers umfaBt, ist sowohl in 
liturgische Texte wie in die religidse Kunst ein- 
geflossen. Einzelmotive stammen aus Uberlie- 
ferungen, die im 8./9.Jh. in ein lateinisches 
Kindheitsevangelium einmiinden (Pseudo- 
Matthdus). © 


Der Marienzyklus im Hauptschiff 

und in der Vorhalle 

Unmittelbar nach dem Bilderstreit (9. und 
10.Jh.) finden sich in den Tonnengewélben 
von Hauptschiffen (Tokali I, Géreme, Anfang 
10. Jh.) zwei bis zehn Motive aus dem Marien- 
leben, fortgesetzt durch die Wunder Christi, 
sowie den —> Passions- und Auferstehungs- 
zyklus. 

Mit der Herausbildung des Festtagskalenders 
um 1000 verbleiben nur die Motive der mario- 
logischen Hauptfeste (-9 Mariengeburt, Tem- 
pelgang, auch —> Geburt Christi, zusatzlich 
— Heimholung) im Hauptschiff. Die anderen 
Szenen werden, wie Christi Wundertaten, in 
die Vorhalle abgedringt (Daphni, Athen, 
Ende 11.Jh.; Chorakirche, Konstantinopel, 
1315-1320). 


Der Engel verheift Anna die Geburt der Maria. 
Chorakirche, Konstantinopel, 1315-1321. 


Beispiel Chorakirche: 

Marienzyklus als Bildserie 

Der umfangreiche spatbyz. Bildzyklus in Kon- 
stantinopel umfaBt folgende Szenen (Zitate 
aus dem Protevangelium): 

vy Der Hohepriester Zacharias, nachmals Vater 
des Taufers, weist das Opfer Joachims am »groBen 


235 


Marienzyklus 


Tag des Herrn« wegen der Kinderlosigkeit des be- 
tagten Paares zurtick. Joachim begibt sich in die 
Wiiste, um zu beten. 

# Anna wahnt ihren Mann umgekommen: »Kla- 
gen will ich tiber mein Witwenlos, klagen will ich 
iiber meine Kinderlosigkeit.« ‘ 

τς Joachim meditiert inmitten seiner Herden 40 Ta- 
ge und 40 Nachte: »Ich will nicht herabsteigen we- 
der zur Speise noch zum Tranke. « 

7 Anna singt in ihrem Garten unter dem Lorbeer- 
baum mit dem Schwalbennest ein Trauerlied: »We- 
he mir; wem darf ich mich vergleichen, nicht darf 
ich mich vergleichen den Végeln unter den Him- 
mein, denn auch die Végel unter dem Himmel 
pflanzen sich vor Dir, Herr, fort ...« Ein Engel des 
Herrn trat herzu und sprach zu ihr: »Anna, Anna, 
erhért hat der Herr deine Bitte. Du sollst empfan- 
gen und gebdren, und dein Same soll in aller Welt 
genannt werden.« Anna gelobt, ihr Kind Gott dar- 
zubringen. 

% Joachim, dem ebenfalls ein Engel die Geburt 
verhei®t, begibt sich nach Hause. Anna geht ihm 
entgegen. (Ihre zartliche Begegnung an der Haustir 
wird als Zeugung Marias verstanden.) 

w — Geburt Maria. 


AY SAS τὰ 


Die sieben Schritte der Maria. Eine Allegorie des 
Himmels hélt das Kind. Chorakirche, 
Konstantinopel. 


+ Bereits mit sechs Monaten kann das Marienkind 
— eine winzige Erwachsene — sieben Schritte auf sei- 
ne Mutter zugehen (bedeutet: Maria kann die sie- 
ben Planetensphaéren durchmessen. Die das Kind 
haltende Helferin mit Nimbus-Gewandschwung ist 
die Allegorie des Himmels). Anna richtet ftir das 


236 


Kind in ihrem Haus einen heiligen Bezirk ein: »So 
wahr der Herr, mein Gott, lebt, du sollst nicht auf der 
Erde einhergehen, bis ich dich in den Tempel Gottes 
geben werde.« 


dic Oem 


Erster Geburtstag Mariens. 
Chorakirche, Konstantinopel, 1315-1321. 


yz Joachim ladt zum einjaéhrigen Geburtstag Ma- 
riens Hohepriester und Schriftgelehrte zam Mahle 
ein. Sie segnen Maria. 

vv Die Eltern liebkosen die inzwischen zwei Jahre 
alte Maria, beschlieBen, sie erst als dreijahrige in , 
den Tempel zu geben, damit sie nicht an Heimweh 
leide. 

vx Die Dreijahrige wird von den »Téchtern der He- 
brder« mit Fackeln zum Tempel geleitet. 

vr - Tempelgang Maria. Der Hohepriester Zacha- 
rias nimmt Maria entgegen und bringt sie im Tempel 
unter. 

wv Engelspeisung: »Und Maria war im Tempel wie 
eine pickende Taube und bekam ihre Nahrung aus 
Engelshand. « 

vy Unterweisung Marid im Tempel (Mosaik véllig 
zerst6rt). 

vr Zacharias tibergibt sieben unbefleckten Jung- 
frauen Wolle, damit sie den Tempelvorhang weben. 
Maria als die achte (+ Zahl 8) erhalt scharlachrote 
Wolle (— Kreuzigung). 

Die purpurne Wolle symbolisiert Fleisch und Blut 
der Jungfrau, aus der sich das géttliche Kind sein 
»Kleid — namlich seinen menschlichen K6rper -- 
webt«: 

»Wie aus Faden in Meerpurpur getaucht, bildete 
sich das geistige Purpurgewand, das Emmanouil 
Kérper (Fleisch) drinnen in Deinem Schofe ge- 
webt. Darum verehren wir Dich als Gottesmutter in- 
Wahrheit.« Andreas von Kreta, 9. Ode, gesungen in 
den Spatabendgottesdiensten der Fastenzeit 

xx Die Zw6lfjahrige mu8 den Tempel verlassen, ihr 
Menstruationsblut wiirde ihn verunreinigen. Auf 
Geheif§ eines Engels ruft Zacharias alle Witwer des 
Landes zusammen, sammelt ihre Stabe ein, betet 
dariiber und wartet auf ein Zeichen des Herrn. 


Marienzyklus 


Aarons sproBte und das trockene 
’<°Srucht. Sein Symbol fand heute die 
Erklarung. Es ist der jungfrauliche Scho8, der ge- 
bar.« Ephrém dem Syrer zugeschrieben. 
+r Joseph erhalt als letzter seinen Stab zurtick. 
Dem Mosaik nach schlagt er griin aus, wie der Stab 
Aarons (4. Mose 17, 16-25). Nach dem Protevange- 
lium kommt eine —-> Taube (Vogel der Muttergot- 
tes) aus dem Stab heraus und setzt sich auf Josephs 
Haupt. 
+x Joseph weigert sich unter Hinweis auf sein Alter, 
Maria zu sich zu nehmen. Zacharias erklart ihm, es 
sei Gottes Willen, da8 er iiber die Jungfraulichkeit 
‘ Marias wache. 
+r Beim Wasserschépfen am Brunnen (Symbol Ma- 
“'rias, - Lebensspendende Quelle) hért Maria die 
Stimme eines Engels. Dieser »Vorverkiindigung« 
‘folgt die —> Verktindigung Maria durch Gabriel, 
wahrend sie die rote Wolle des Tempelvorhangs 
verspinnt (Festtagsbild im Hauptschiff). 
¥ Joseph verlaBt Maria, um seine Bauten auszu- 
fiihren (er ist lange von zu Hause weg, kommt daher 
als Vater fiir Christus nicht in Frage). 
x Die Sechzehnjahrige, im dritten Monat schwan- 
ger, besucht die ebenfalls schwangere Elisabeth. 
“Das Kind in deren Leib, der spitere Johannes der 
Taufer, hiipft vor Freude und griiBt Maria (felt in 
der Chorakirche). 
vr Bei seiner Rtickkehr macht Joseph Maria Vor- 
wiirfe wegen ihrer Schwangerschaft. Sie beteuert 
ihre Unschuld, er wird unsicher, will sie verlassen. 
vv Ein Engel zu Joseph im Traum: »Hab keine 
Angst wegen dieses Médchens, denn was in ihr ist, 
das ist vom Heiligen Geist.« 
τς Angeklagt von einem Schriftgelehrten, miissen 
sich Maria und Joseph vor dem Hohen Priester ver- 
antworten. Zacharias laBt sie einzeln nacheinander 
vom Fluchwasser trinken und schickt sie in die Ber- 
ge (Gottesurteil). Beide kommen unversehrt zu- 
riick, er nimmt keine Verurteilung vor (fehlt in der 
Chorakirche). . 
ye Maria und Joseph brechen zur Volkszahlung 
nach Bethlehem auf. Jakobus, Sohn Josephs, fiihrt 
Marias Esel. 
ve Maria und Joseph lassen sich von rémischen Be- 
amten in Volkszahlungslisten eintragen. 
τ —>» Geburt Christi. 
vx Herodes empfangt die Weisen aus dem Morgen- 
lande (> Anbetung), bittet sie, ihm Bescheid zu 
geben, sobald sie den »Neugeborenen Kénig der Ju- 
den« gefunden haben. 
ve Herodes befiirchtet einen neuen Thronanwarter, 
berat sich mit Schriftgelehrten. 
τ Erneute Traumwarnung durch einen Engel. Die 
Heilige Familie flieht nach Agypten (oft allegorisch 
als schéne Frau dargestellt). 


tes 


aaa 


i 
ty 


La 
a 


sto. 


Die schwangere Gottesmutter trinkt das 
Tokali Kilise II bei Géreme, Kappadokien, Ende 
10.Jh. 


Die Gétzenbilder auf der Mauer einer Stadt sttirzen 
herab, als sich Christus naéhert. (Motiv aus der Li- 
turgie, im Pseudo-Matthaus, nicht im Protevange- 
lium, enthalten.) 

vr Herodes la8t die Kinder von Bethlehem ermor- 
den (Hinweis auf die Leiden des unschuldigen Chri- 
stus). . 

vr Miitter raufen sich die Haare, stimmen Klage- 
gesiinge an (wie die weinenden Myrrhentragerinnen 
bei der Grablegung: — Passionszyklus). 

»Auf dem Gebirge hat man einen Schrei gehdrt, viel 
Klagens, Weinens und Heulens. Rahel beweint ihre 
Kinder und sie will sich nicht trésten lassen, denn es 
war aus mit ihnen.« Matth. 2, 18 (fehit im Protevan- 
gelium). 

ty Elisabeth flieht vor den Schergen des Herodes 
mit dem neugeborenen Johannes ins Gebirge. Ein 
Berg tut sich als Versteck vor ihr auf. 

xr Der Vater, Zacharias, wird im Allerheiligsten 
des Tempels ermordet. (Zacharias’ Tod bildet den 
Tod Christi vor.) Als sein Nachfolger wird der grei- _ 
se Simeon (—> Darstellung Christi im Tempel) 
gewahlt. Mit dem Zachariasmord schlieBt das Prot- 
evangelium ab (fehlt in der Chorakirche). 

vy Die Heilige Familie kommt aus Agypten_nach 
Nazareth zurtick. 

vx Maria und Joseph besuchen mit dem kleinen 
Jesus das Passahfest in Jerusalem. 


In der Chorakirche schlieBt sich die Versu- 
chung und ein Zyklus der Wundertaten Christi 
an. In jiingerer Zeit wird der Marienzyklus 
(bis zur Verkiindigung) zusammengefaBt mit 


237 


Marina 


der -Ὁ Heimholung Maria (Jeniseos Theotd- 
kou Panagoudos, Thessaloniki, Westempore, 
modern im alten Stil). 


Marina 


H ATIA MAPINA 
Tajia Marina 


Grofmartyrerin (Gedenktag 17. Juli), im We- 
sten als Margaretha von Antiochien bekannt, 
ihrer Schénheit wegen vom Stadtpraéfekten 
Olybrius geliebt. Er drangte sie zum Abfall 
vom Christentum, um sie zu heiraten; weil sie 
standhaft blieb, lieB er sie martern und ent- 
haupten. Der Legende aus dem 7.Jh. zufolge 
suchte sie im Gefangnis ein Drache heim. Sie 
schlug das Kreuz tiber ihn, und er verschied. 
Nach einer anderen Version hatte der Drache 
sie schon verschlungen, da schlug sie in seinem 
Bauch das Kreuz, und er zerbarst. 


Moderne Ikone der Megalomartyrerin Marina. 


Marina hat das Maphorion tiber den Kopf gezogen, 
tragt in der Rechten ein Handkreuz, die Linke hat 
sie betend ‘erhoben (Tokali I, Géreme, Ende 
10. Jh.; Ikone Sinai, 11.Jh.). Seit dem 16.Jh. tragt 
sie ein Prachtgewand, schlagt einen kleinen schwar- 


238 


Ἷ 
zen gefliigelten Teufel mit einem Ηδπὶ 
fiihrt ihn gefesselt davon. 


Die Heilige schiitzt vor Pocken (Athen) und 
vor lastigen Insekten. Am Marinatag segnet 
der Priester die Hauser mit heiligem Wasser, 
um das Ungeziefer abzuhalten. Die Landleute 
suchen ihre Wein- und Obstgarten auf; brin- 
gen die ersten Trauben- oder Feigenopfer in 
der Kirche dar. Mancherorts werden zum er- 
stenmal an diesem Tage Trauben geschnitten 
oder Feigen gepfliickt. 


In Demati, Epirus, wird nach dem Gottesdienst auf 


‘Kosten der Gemeinde ein Ochse geopfert, sein 


Fleisch in 32 Teile geschnitten und an 32 Familien 
(vermutlich mit Griindervorfahren) des Dorfes ver- 
teilt. Marina achtet streng darauf, daB ihr Gedenk- 
tag gefeiert wird. Einen Priester in Arkadien, der 
am 17.Juli Weizen drosch, hat auf der Stelle die 
Erde verschlungen mitsamt seinem Pferd. Der Hei- 
ligen sind Ziige einer Land- und Erdgottheit eigen. 


Markus 


—» Apostel, > Evangelisten, ~ NT 


Matthaus 


— Apostel, > Evangelisten, —- NT 


Melchisedek, Kénig von Salem 


— Abraham 


Michael, der Exzengel 


O APXAITEAOC ΜΙΧΑῊΛ 
O archangelos Michail 


Erzengel (= Engel), Anfiihrer der himmli- 
schen Heerscharen, Gegenspieler des —> Teu- 
fels, Seelengeleiter, Todesengel. 


Festtag und Brauchtum 

Gedenktag des Erzengels und Archistrategen, 
zusammen mit Gabriel und allen »kérperlosen 
Kraften« (> Engel) ist der 8. November (auch 
6. September und 26. Marz). In einigen thraki- 
schen Dérfern darf man am Vorabend seine 
Schuhe nicht drauBen stehen lassen. Michael -- 
wie im Spatjudentum Todesengel, Verkérpe- 


Michael, der Erzengel 


rung des Todes selbst — soll nicht an Leute 
erinnert werden, die er zu holen vergessen hat. 
In Kotyora am Pontus haben die alten Frauen, 
denen auch die Totenklage obliegt (—~ Cha- 
ros), am 8. November ein Fest fiir Gabriel und 
Michael gegeben, damit sie ihnen einen sanf- 
ten Tod bescheren. Michael ist Schutzpatron 
gegen den —> Bésen Blick. 


Re Hee 


Medaillons mit Michael, Gabriel, der Gottesmutter 
und Johannes dem Taufer. Osios, Lukas, nach 1000. 


Bildmotive 


»Lasset uns entreiRen den Geist allem, was zum ver- 
derblichen Wesen zahlt, damit unsere irdischen Lip- 
pen verméchten voller Furcht zu singen, den Lobge- 
sang an die kérperlosen Krafte, die wie Feuer sind, 
wie Flamme, wie Licht.« Aus der Liturgie am Tag 
des heiligen Michael 


Michael, »Wer wie Gott«, galt schon im Spatju- 
dentum als der erste der Erzengel. Erstge- 
schaffener aller Geschépfe (manchmal auch 
als Zweitgeschaffener nach Sathanael > Maria 
zwischen Engeln, > Teufel). Fiir Juden und 
Christen ist er oberster Kriegsherr Gottes, der 
Sathanael in den Abgrund gesttirzt hat. Immer 
wieder ringt er den Widersacher Gottes (— 
Teufel) nieder. 

Drachent6ter: 

Auf vielen Ikonen vom 17. Jh. an sticht Micha- 
el, hoch auf flammenfarbigem PfltigelroB, 
Dreizackenlanze und apokalyptische Posaune 
in der Rechten, Evangeliar und RauchfaB in 
der Linken, den groBen Drachen (= Sathanael 
= Paradiesesschlange) nieder: 


»Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen, 
und der Drache stritt mit seinen Engeln.« Apoka- 
lypse 12, 7-9 


Michael, stehend in Riistung: 

Gewohnlich erscheint er, in ganzer oder hal- 
ber Figur frontal, breit dastehend mit ausge- 
breiteten tiefbraunen Fltigeln; er tragt Krie- 
gertracht oder die Gewandung des Diakons, 
die den Engel symbolisiert; + Anbetung Chri- 
sti, + Kirchengebaude. Die Rechte halt ein 
geziicktes Schwert oder den Stab, den die Si- 
lentarii, Ordnungsbeamte am Kaiserhof, ge- 
tragen haben. Stabe sind Zeichen von Macht 
und magischer Kraft (Zauberstab), als Drei- 
zack betonen sie die Macht der Trinitat. Die 
Linke umfaBt eine Kugel: auf Erzengelelfen- 
beinen des 5. Jh.s, bisweilen sternentibersat, in 
blauer Farbe auf friihen mittelbyz. Fresken 
(Elmali und Carikli Kilise, Géreme) meint sie 
den vergéttlichten Kosmos. Ab mittelbyz. Zeit 
mit der Aufschrift »Jesus Christus Nika« 
(Abendmahlssiegel — Proskomidie, —> Brot, 
- Kosmos) verkérpert sie zugleich die —> eu- 
charistischen Gaben und den Kosmos (Erzen- 
gel als eucharistische Standartentraéger — Bil- 
derfeindliche Ornamente). Gelegentlich wei- 
sen Pfauenfederfliigel Michael als Schutz- 
macht der Eucharistie aus (> Pfau). 

Die Haare des Archistrategen sind oft zusam- 
mengebunden — die Bandenden schweben 
deutlich sichtbar in der Luft --, damit die Oh- 
ren freiliegen, Zeichen geistigen Hérens auf 
das Wort Gottes. Zusammen mit Gabriel, 
flankiert Michael die Panajia (+ Maria zwi- 
schen Engeln). 


Michael in Szenen aus dem AT: 

Michael erscheint in allen Szenen, in denen in 
der Schrift ein einzelner Engel genannt wird, 
vertreibt Adam und Eva aus dem Paradies, | 
hindert Abraham daran, Isaak zu opfern, 
schiitzt die Drei im Feuerofen (~ Daniel), 
holt Habakuk an den Haaren herbei in die L6- 
wengrtube, tritt der Eselin + Bileams in den 
Weg. 


Befreier Konstantinopels: 

Michael bekampft Perser und Awaren, die die 
Stadt belagern (626; -> Akathistos Hymnos; 
—> Maria). 


239 


Mond 


Der Erzengel an der Seelenwaage: 

Als Todesengel und Seelengeleiter wagt er auf 
Darstellungen des > Endgerichtes die Taten 
und Untaten der Verstorbenen ab. Auf spaten 
Ikonen (Rhodos, Symi) steht er auf dem Kér- 
per eines Toten, in der erhobenen Rechten 
eine winzige Seelenfigur. 

Michael ist auch der Drachentéter der — Apo- 
kalypse. 


Basilios I. und Michael: 

Nach dem Bilderstreit hat Bailios I. (867-886) 
in Konstantinopel die nicht mehr erhaltene 
Nea (Neue Kirche) mit zahlreichen Engeldar- 
stellungen (> Engel) errichten lassen, sie Mi- 
chael und Elias geweiht — Siihne fiir seine Be- 
teiligung am Mord an seinem Vorganger und 
Génner namens Michael III. 


Mond 
H CEAHNH/TO EITAPI 


[selini/to fengari 


In den meisten Kulturen weibliches Gestirn, 
wird in Byzanz mit der Gottesmutter identifi- 
ziert wie Christus mit der mannlichen Sonne. 


Der weibliche Charakter des Mondes 

Nach antiker und byz. Auffassung ist »Frau 
Mond« erdnichster der um die Erde kreisen- 
den Planeten. Die Ubereinstimmung des Pha- 
senwechsels mit den Perioden der Frau gehért 
zu den friihest wahrgenommenen Beziehun- 
gen zwischen Mensch und Kosmos. Der Mond 
wird zugeordnet der Frau, dem Gebaren, dem 


Blut, dem Wein und der Eucharistie (—- Ha- - 


se), dem Wasser, der Feuchtigkeit, der linken 
Seite und der Gottesmutter. 


Maria als Mond und Maria tiber dem Mond 


»Furchtbar wird mein Innerstes zerrissen, o Logos, 
da ich Dein ungerechtes Hingeschlachtetwerden 
sehe, sprach weinend die Allreine ... 

Du sinkst unter der Erde, Sonne der Gerechtigkeit, 
Erléser, und der Mond, der Dich geboren hat, ver- 
finstert sich vor Trauer, beraubt Deines Anblickes.« 
Liturgie des groBen Freitags 


Die Madonna tiber der Mondsichel ist fiir die 
rémischen Katholiken Zeichen des Sieges der 
unbefleckten Jungfrau (Immaculata) tiber die 
lasterhaften weiblichen Triebe. Der Mond ver- 


240 


k6rpert die sexuellen Aspekte der Erbstinde. 
Die Orthodoxen haben bei der Gleichsetzung 
heiliger Gestalten mit Gestirnen (~ Apostel) 
Maria dem Mond zugeordnet. Mondhaft vor 
gestirtem dunklem Himmel strahlt sie aus 
Apsiden herab (Nikolaos Orphanos, Thessalo- 
niki, Anfang 14.Jh.). Das Malerhandbuch 
vom Athos nennt den Bildzyklus tiber die 24 
Verse des Akathistos-Hymnus die »24 Hau- 
ser« der »Gottesmutter« — Entsprechungen zu 
den astrologischen Mondhausern. (Mondsta- 
tionen als Sterngruppen, die der Mond im 
Laufe des Jahres scheinbar passiert, wie die 
Sonne die Tierkreiszeichen. ) 


Sonne und Mond iiber der Kreuzigung 


Mond und Sonne tiber der Kreuzigung. Kirche zum 
Taubenschlag. Cavusin nahe Goreme, Kappadokien. 


Sonne und Mond auf rémischen Mtinzen wei- 
sen den Kaiser, auf Kreuzigungszenen Chri- 
stus als Kosmokrator aus. Meist haben die Ge- 
stirne Gesichter, in der Antike Gottheiten, 
gelten die Gestirne seit dem Friihchristentum 
als ddmonische Machte. 


Die Sonne verliert beim Tode Christi nach Lu- 
kas 23, 45 ihren Schein. Auf beide Gestirne 
beziehen sich mehrere Endzeitprophezeiun- 
gen aus dem AT und NT: 

»Sonne und Mond werden sich verfinstern und die 
Sterne werden ihren Schein zuriickhalten.« Joh. 4, 
15 (auch Matth. 27, 29; Mark. 13, 24) 


Das greift die Karfreitagsliturgie auf: 
»Sonne und Mond -- als sie sich verfinsterten, o Hei- 


land, verbildlichten sie treue Diener, die sich in 
schwarze Gewander hiillten.« 


Die Kreuzigung, selbst kosmisches Gesche- 
hen, bildet sich auf der Ebene der Gestirne ab: 
der sterbende Christus als sich verfinsternde 
Sonne, die Trauer der Allheiligen als Verfin- 
sterung des Mondes. 


‘Moses 


O MQYCHC 

O Moisis 

Moses (Mose), der zur Zeit Ramses II. das 
Volk Israel aus der agyptischen Knechtschaft 
ins Land Kanaan fiihrte und am Berg Sinai den 
Bund zwischen Gott und dem »auserwahlten 
Volk« schlieBen half — durch Uberbringung 
der Gesetzestafel —, ist eine der starksten Per- 
sonlichkeiten des AT. 

Er reprasentiert auf Darstellungen der — Ver- 
klarung Christi die Thora (die finf Biicher 
Mose), den Gesetzesteil des AT (nach 3. Mose 
27, 34 gab Jahwe auf dem Sinai Mose das jiidi- 
sche Gesetz). 40 Jahre irrten die Kinder Israel 
in der Wiiste umher — typologisch als menschli- 
che Lebensspanne verstanden, die dem Einzug 
ins »gelobte Land« als dem Paradies voraus- 
geht (+ Zahl 40, Spanne eines Menschenal- 
ters). Moses selbst hat vom Berg Nebo aus 
Kanaan geschaut, ist aber nicht hineingelangt. 
Als Hinzeldarstellung tragt Moses graues oder 
braunes .kurzes Haar, einen kurzen Bart, ist 
manchmal angetan mit Priestergewand und 
Bischofskrone, in der Hand die Gesetzestafel. 
Er kann auch ein Schriftblatt halten: 


»Frohlocket, ihr Himmel tiber ihn und anbeten sol- 
len ihn alle Engel.« , 


Auf Verkldrungsikonen ist er meist jung und 
bartlos dargestellt. 


as 


Moses unter den Propheten in der Kuppel 
der Pammakaristos Kirche. Fetiye Dschami, 
Konstantinopel, 14... 


Verschiedene Szenen seines Lebens werden typolo- 
gisch gedeutet als Hinweise auf 

vr die Taufe (-5 Ciborium) 

vy das Abendmahl: Mose feiert das Passahfest, 
Mannaspeisung in der Wiiste. 

vr die Kreuzigung: Erhéhung der ehernen Schlange. 
vy das Kreuzeszeichen (— Kreuz) 

xy die Gottesmutter (+ Brennender Dornbusch) 

vy die > Geburt Christi: Der kleine Moses — im auf 
dem Nil treibenden Schilfkérbchen — wird von der 
Tochter des Pharao gefunden. 

x die Errettung der Toten aus dem Hades: die Be- 
freiung aus Agypten. 


Einzelne, oft durch Gegeniiberstellungen mit 
Szenen des NT deutlich typologisch interpre- 
tierte Ereignisse um Moses finden sich auf frii- 
hen Sarkophagen (2.-4.Jh.), ein Bilderzyklus 
in Santa Maria Maggiore (Rom, vor 440), ein- 
zelne Wunderszenen an der Holzttir von Santa 
Sabina (ca. 432). Haufiger werden Moses-Sze- 


241 


Mysterien 


nen — das Malerhandbuch Ermenia erwahnt 25 
- wieder in spat- und nachbyz. Zeit. 


Mysterien (sieben Sakramente) 


TA E®TA MYCTHPIA 
Ta efta mistiria 


»Die Geheimnisse«, von priesterlichen Amts- 
tragern gespendete Heilszuwendungen, die 
gottliche Gnade vermitteln. Sie bewirken im 
Voregriff auf den Zustand der Seligkeit im Pa- 
radies die Vereinigung des Glaubigen mit 
Gott, wie auch die mit den anderen Glaubi- 
gen. Entsprechend der Siebenzahl der Sakra- 
mente in der rémisch-katholischen Kirche 
kennt die Orthodoxie sieben Mysterien, au- 
Berdem zusdtzliche sakramentale Heilsgaben 
(Spender und Empfanger der Mysterien — 
Himmlische und kirchliche Hierarchie). 


Die Heilsmittel 


1. Die > Taufe, unwiederholbares Mysterium, 
ist Bad der Neugeburt als Gotteskind durch 
den Heiligen Geist, als dramatisches Bild 
des Sterbens durch Ertrinken und wieder 
Geborenwerden. Sie ist ein Einfiihrungs- 
ritus - Ubergang von Heiden- zum Christen- 
tum (—> Taufe Christi, - Darstellung im Tem- 
pel, — lebensspendende Quelle), ist Tiir in die 
Kirche und ins Gottesreich. 

Die Zeremonie findet friihestens 40 Tage nach 
der Geburt im Vorraum der Kirche oder an 
einem Gewéasser statt. Nach vorbereitenden 
Gebeten entsagen die Taufpaten gen Westen, 
der Richtung der Finsternis gewandt, stellver- 
tretend fiir das Kind dem Satan. Der Taufling 
wird nackt in die Hande des Papas oder Bi- 
schofs gegeben, der es dreimal in geheiligtes 
Wasser untertaucht und dazu spricht: 


»Der Knecht / die Magd Gottes wird getauft im Na- 
men des Vaters (erstes Untertauchen) und des Soh- 
nes (zweites Untertauchen) und des Heiligen Gei- 
stes (drittes Untertauchen).« 

Weihwassergaben gelten als Auffrischung der 
Taufe. 

2. Die Myronsalbung wird ebenfalls nur ein- 
mal, unmittelbar im Anschlu8 an die Taufe 
gespendet. Der Priester salbt mit dem aus 40 
aromatischen H6lzern  bereiteten Myron 


242 


kreuzformig die Stirn, die Augen, die Nasen- 
fliigel, den Mund, die Ohren, die Brust, die 
Hinde und FiiBe des Tauflings, spricht: »Sie- 
gel der Gabe des Heiligen Geistes.« Das dem 
K6rper aufgesalbte Kreuz ist bestatigende Un- 
terschrift (Siegel) Gottes, daB dem Taufling 
die Gabe des Heiligen Geistes verliehen wird. 
Im Anschlu8 daran hiillen die Paten ihr Paten- 
kind in neue weiBe, von ihnen gestiftete 
Kleider. 


ΤΟΦΩΣ OAKO 
ῬΤΟΥ «aay 


Der Glaubige wendet sich an Christus, reprdsentiert 
durch die Christusikone. Andros, Kykladen. 


3. Die Bue umfaBt Beichte und Siindenverge- 
bung. Der Glaubige beichtet seine Stinden 
Christus, der vertreten ist durch eine Christus- 
ikone sowie durch den Priester. Zur Siinden- 
vergebung legt der sein Epitrachelion (> Ge- 
winder) auf das Haupt des Knienden, fleht 
Gott um Barmherzigkeit fiir ihn an. Die an- 
schlieRende Lossprechung gilt fiir alle Verfeh- 
lungen. Die Bue hat eine der Taufe ver- 
gleichbare Wirkung. 

4. Die heilige — Eucharistie als »Heiligstes des 
Heiligen« das Zentrum orthodoxen kultischen 


Mysterien 


Lebens wie Brauchtums. Der Mensch wird 
Teil dessen, was er in sich aufnimmt. (Na&he- 
res: —- Brot, - Abendmahl.) 
5. Die Trauung verbindet die Ehepartner nach 
Matth. 19, 4zu einer Einheit: 


»Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen 
und seiner Frau anhingen, und die zwei werden ein 
Leib sein.« Matth. 19, 4-6 


Die Verbindung zweier Menschen gilt als Vor- 
bild fiir die Kirche -- Gnadeneinheit aller Glau- 
bigen miteinander und mit Christus. Im Verlo- 
bungsritus vor der Trauung legt der Diakon 
den goldenen Ring des Brautigams und den 
silbernen der Braut zur Segnung auf den Al- 
tar. Durch dreimaliges Bekreuzigen mit dem 
entsprechenden Ring segnet der Priester Brau- 
tigam und Braut, steckt ihnen ihre Ringe wie- 
der an: die beiden tauschen sie dann aus. Zur 
Trauung selbst werden die Brautleute mit Ker- 
zen zu einem altarahnlichen, mit Evangelien- 
buch und Kreuz geschmtickten Tisch im vorde- 
ren Kirchenschiff geleitet: Ansprache, Erkla- 
rung der Ehewilligen, Gebete, dann wird tiber 
die zu Vermahlenden je ein kronenférmiger 
Kranz gehalten. Priester: »Es wird vermahlt 
der Magd Gottes Y der Knecht Gottes X im 
Namen des Vaters und des Sohnes und des Hei- 
ligen Geistes.« Und dann dreimal: »Herr, un- 
ser Gott, kréne sie mit Ruhm und Ehre.« Ge- 
bete, der Priester segnet einen Becher Wein, 
aus dem beide dreimal gemeinsam trinken. 
Bevor die Kranze abgenommen werden, um- 
runden die Neugetrauten dreimal den Tisch. 
Rituelle Elemente der Trauungszeremonie 
enthalten verschiedene Formen der Priester- 
weihe. Geistliche diirfen nur vor der Weihe 
heiraten, zum Bischof werden nur Ledige ge- 
weiht (—> Hochzeit zu Kanaa). 


6. Die Priesterweihe vermittelt die Ubertra- 
gung der Geistesgabe der priesterlichen Ge- 
walt, Durch Handauflegen wird sie in ununter- 
brochener Folge von Christus, seine Jiinger 
und die Bischéfe der Vaterzeit auf die jeweils 
amtierenden Bischéfe tibermittelt. Lektoren 
(lesen aus der Schrift und tragen Leuchter), 
Hypodiakone (Unterdiakone), Diakone (un- 
tergeordnet unter einem amtierenden Prie- 
ster), Priester (Geistliche, die selbstandig das 
Abendmahl und die anderen Mysterien mit 
Ausnahme der Priesterweihe spenden k6n- 


nen) werden von einem Bischof geweiht; ange- 
hende Bisch6fe kénnen nur von (mindestens) 
drei praktizierenden Bischéfen geweiht wer- 
den. Allein der Bischof ist im Vollbesitz des 
priesterlichen Amtes, nur er kann die apostoli- 
sche priesterliche Macht weitergeben. Die Ze- 
remonie des Handauflegens wird an Diako- 
nen, Priestern und Bischéfen wahrend der Li- 
turgie im Altarraum vollzogen. Alle Initianten 
erhalten dabei die Insignien ihrer neuen Wiir- 
de (— Gewander). 

7. Die Krankensalbung ist ein geistliches Heil- 
verfahren. In der Antike und im Mittelalter 
wurde -- ΟἹ als 4uBerlich angewandte Medizin 
bentitzt. Als Mysterium hilft die Salbung dem 
Sterbenden zum Leben im Paradies; es heilt 
den Erkrankten und 148t den seelisch Leiden- 
den gesunden. (Die Krankensalbung ist ein 
universelles Heilverfahren — nicht nur »letzte 
Olung«.) Die Zeremonie soll méglichst von 
sieben Priestern siebenmal hintereinander in 
der Kirche, notfalls im Hause des Kranken, 
vollzogen werden. Bereitgestellt werden 
Kreuz, Evangelienbuch, eine Schtissel mit 
Weizenkérnern (Symbol des ewigen Lebens > 
Brot), Ol-GefaB, Ol und Wein, sieben Stab- 
chen umwickelt mit Watte, sieben Kerzen, 
Weihrauch. Nach einleitenden Gebeten gieBt 
der erste Priester Ol und Wein in ein Gefa8 -- 
damit reinigt der barmherzige Samariter die 
Wunden des unter die Wegelagerer Gefalle- 
nen (Luk. 10, 34) — und spricht ein Weihe- 
gebet. Danach Hymnengesang zu Ehren von 
Christus, des Apostels Jakobus (Jak. 5, 14 
wird die Krankensalbung erwiahnt), des Niko- 
laus, des Demetrios, der Arzteheiligen Pante- 
leimonos, —-> Kosmas und Damian, der Got- 
tesmutter und Johannes des Evangelisten. Bei 
der abschlieBenden siebenten Salbung legt der 
Priester das Evangelienbuch, als die starke > 
Hand Gottes, auf das Haupt des Kranken und 
bittet um Stindenvergebung (Olung am »roten 
Donnerstag« —> Passionszyklus). 


Sakramentale Heilsgaben 

Weihehandlungen, denen die Orthodoxen fast 
die gleiche Bedeutung beimessen wie den sie- 
ben Mysterien. Wichtig sind 

vr die Wasserweihe (— Taufe Christi, — Ci- 
borium). 


243 


Mystik 


ve das Antidoron, bei der Zuriistung des 
Abendmahls iibriggebliebenes — Brot, das 
nach Abschlu® der Liturgie verteilt wird (> 
Eucharistie, > Proskomidie). 

+ Ewlojia (Eulogia-Segengaben, — Brot). 


Ubersicht: Die Mysterien als géttliche 


Gegenwelt zum irdischen Dasein 
Mysterien  Lebensbereich Ubergangs- 
_ markierungen 
Taufe Geburt vom Nichtsein 
zum Sein 
Myron- geistige - 
salbung Entwicklung 
(Erziehung) 
BuBe leidvolles - 
Erleben 
Abendmahl Nahrung, aber -- 
auch Liebe 
Hochzeit Gemeinschaft, vom jugendlichen 
Liebe Unverheirateten 
zum Erwachsenen 
Chrisma- Krankheit Von der Krank- 
élung und Tod heit zur Gesund- 
heit, vom Leben 
tiber den Tod zur 
Auferstehung 
Priester- - vom Unein- 
weihe geweihten zum 
Gottgeweihten 
Sechs Mysterien beziehen sich auf die grund- 
legenden Situationen des menschlichen Lebens, 
ersetzen Bediirfnisse und Ausdrucksformen des 
sichtbaren menschlichen Lebens durch Formen 
eines geistigen unsichtbaren Lebens. 
Die vier wichtigsten Ubergangssituationen im 
menschlichen Leben: Eintritt ins Leben, Heirat, 
Weihe und Austritt aus dem Leben sind krisen- 


Einzelnen. Sie werden von Gemeinde und Kir- 


hafte, als gefahrlich empfundene Situationen des 
E mitgetragen. 


Mystik 
O MYCTIKICMOC 
O mystikismés 


Ziel orthodoxen Glaubens — Vereinigung von 
Mensch und Gott (--» Himmlische und kirch- 
liche Hierarchie). Die Verschmelzung wird er- 
reicht 


244 


vx durch Vergéttlichung des Menschen bei 
der Wiederkunft Christi, 

vr rituell in der — Eucharistie. Das Drama 
der Liturgie nimmt symbolhaft die Verschmel- 
zung zwischen Gottheit und Menschheit 
vorweg. 

yz in der mystischen Versenkung, praktiziert 
vom Ménchtum des Ostens. 


Die zwei Hauptstr6mungen der Mystik setzen 
sich unterschiedliche Ziele: 


x Volliges Aufgehen des Menschen in Gott 
bis zum Verlust der eigenen Identitat. Islami- 
sche Str6mungen: Mevlana Djelaleddin Rumi 
(1207-1273), Griinder eines Derwischordens 
in Konya; Hamsa Fansuri, malaiischer Sufi. 

x Theoria, Schau Gottes. Der orthodoxe 
Glaubige will dereinst, andeutungsweise schon 
jetzt, Gott als das unerschaffene Licht vom 
Berge Tabor (-9 Verklaérung) schauen. Got- 
tesschau setzt eigene Vergottung und zugleich 
eigene Identitat gegeniiber Gott voraus. Das 
Bildprogramm der byz. Kirchen will dem 
Glaubigen symbolisch eine »Vorschau« des 
unerschaffenen Lichtes bieten. 


Nikolaus 


O ATIOC NIKOAAOC 
O ajios Nikdlaos 


Bischof von Myra, einer der beliebtesten Hei- 
ligen Griechenlands und RuBlands, Schutzpa- 
tron der Schiffahrt, hat im Osten keinen Bezug 
zum Weihnachtsbrauchtum. 


Leben und Legende des heiligen Nikolaus 

Vor 290 in Lykien in Kleinasien geboren, ver- 
teilte Nikolaus nach dem Tode seiner Eltern 
das ererbte Vermégen an die Armen. Pilgerte 
zu Schiff nach Jerusalem. Als Bischof von My- 
ra (am Phinike K6rfezi im Siidwesten von An- 
talya) in Lykien setzte er sich fiir die Armen 
ein: Den zum Verkauf ins Bordell bestimmten 
Téchtern eines Verarmten warf er drei Sack- 
chen mit Gold als Aussteuer fiir eine Heirat 
ins Schlafzimmer. In der letzten Christenver- 
folgung unter Diokletian und Maximian im 
Gefingnis, rettete er drei zum Tode Verurteil- 
te. Kampfte auf dem Konzil zu Nikaéa 325 ge- 
gen die Arianer (> Basilius), verstarb um 350. 


Nikolaus 


Die byz. Prinzessin Theophano, ab 972 Ge- 
mahlin des deutschen Kaisers Otto II., fithrte 
die Nikolausverehrung in Mitteleuropa ein. 
Sein Grab in Antalya wurde durch Seerduber 
ausgeraubt, die Gebeine gelangten unter du- 
biosen Umstanden 1084 nach Bari, Unterita- 
lien. 


Abbildungen von Nikolaus im Bischofsornat 


Goldmosaik. Osios Lukas bei Stiri in Phokis, 
nach 1000. 


Stillung des Sturmes durch Nikolaos. Ajios Nikolaos Orphanos, Thessaloniki, Anfang 14. Jh, 


Nikolaus trégt Bischofsornat (> Gewander), 
hat einen gepflegten, gerundeten weifen Bart, 
Stirnglatze oder rundum kahlen Kopf. Auffal- 
lig sein mit groBen Kreuzen besetztes Omo- 
phorion. Er erscheint als Einzelfigur in Apsi- 
diolenwélbungen (Athen, Daphni, Ende 
11.Jh.), oft unter den — Kirchenvatern und 
Liturgen in der untersten Zone der Haupt- 
apsiswand, in spatbyz. Zeit oft mit Schrift- 
band: Der Du uns mit diesen gemeinschaft- 
lichen Gaben wohlmeinend beschenkt hast ... 
Beliebtes Motiv: Uberreichung der bischéfli- 
chen Insignien (der Uberlieferung nach im Ge- 
fangnis). Aus den Wolken heraus tiberreicht 
ihm von der einen Seite her Christus das Evan- 
gelienbuch, von der anderen Seite her die All- 
heilige das Omophorion (Nikolaos Orphanos, 
Thessaloniki, Anfang 14.Jh.; Charaki Ajios 
Nikolaos, Rhodos, 17. Jh.). Zahlreiche Szenen 
aus seiner Legende in der Vorhalle von Niko- 
laos Orphanos, Thessaloniki. 


Nikolaus als Schutzpatron der Seeleute 

und der See-Schiffahrt 

Bei der Uberfahrt nach Jerusalem brachte 
Nikolaus den Sturm zum Schweigen, rettete 
so einen iiber Bord gegangenen Seemann. 
(Sturmstillung Christi - Wunder am Meer). 
Der Heilige wird besonders von Fischern und 
Schiffern verehrt. Dem Volksglauben nach 


245 


Nimbus 


trieft sein Bart vor Wasser, seine Kleidung ist 
feucht, standig ist er damit beschaftigt, in See- 
not geratene Schiffe tiber Wasser zu halten. 
Ihm sind Kapellen auf Molen (z.B. in Agina) 
oder an vorspringenden Kaps geweiht (Gegen- 
sttick —> Elias). 

Der Nikolaustag (6. Dezember) markiert den 
Zeitpunkt, an dem die heftigen Winterstiirme 
einsetzen. Kein Schiff sticht ohne Nikolaus- 
ikone in See. Sie soll vor Sturm schiitzen. 

Eine Spende von Kollywa (-> Totenbrauche), 
geweiht am Nikolaustag, und die Worte: »Hei- 
liger Nikolaus, halt ein mit Deinem Sturm!« 
garantieren eine Wiederholung seines Sturm- 
stillungswunders. Giinstiger Wind kommt auf, 
wenn etwas Kollywa gespendet und die Niko- 
lausikone an einem Strick ins Meer gelassen 
wird. 

Die Zueignung der Totenspeise Kollywa kenn- 
zeichnet seine Herrschaft iiber das Meer als 
Totenwelt (-» Taufe Christi). Nikolaus hat Po- 
seidon abgeldst, ist zugleich als Steuermann 
des Lebens Gegenspieler zum Steuermann des 
Todes —» Charon. Neugriech. Abschiedsgru8 
im Hafen: 


»Der heilige Nikolaus setze sich an dein Steuerru- 
der.« In Seenot geloben Kapitane ihm Votivgaben — 
Modelle ihrer Schiffe aus Holz, Silber- oder Gold- 
blech oder Bilder ihrer Errettung. Die gesamte 
Mannschaft geleitet das »Ex voto« barfiiBig in die 
Kirche und hangt es wahrend einer Andacht zu den 
andern Votivgaben, die die Nikolausikone bereits 
tiberdecken. 

Schon Jason hatte seine Argo — Urtyp des griech. 
Schiffes — im Original dem Heiligtum des Poseidon 
auf dem Isthmus von Korinth geopfert. 


In der Antike wurden dem Meeresgott kom- 
plette — auch erbeutete — Schiffe, Schiffsteile 
und Schiffsmodelle geweiht. 


- Nimbus 
O ®QTOCTE®ANOC 
O Photostephanos 


Heiligenschein, vom 7.Jh. an obligatorisches 
Merkmal auszeichnenden Charakters fiir alle 
heiligen Wesenheiten. 


Sonnenhafter Lichtkranz der Herrscher 
Der »Kranz aus Licht« geht auf den Strahlen- 
nimbus zuriick, der spitestens seit 300 die 


246 


Képfe von Lichtgottheiten umgab: Helios 
(Volutenkrater im Landesmuseum Karlsruhe, 
350-300); Mithras (Relief vom Nimrud Dag, 
ca. 50 v.Chr.), Sonnengott von Palmyra (Al- 
tarstein, Rom Kapitolinisches Museum, 1. Jh.). 
Auch in Gestirne verwandelten heroischen 
Gestalten, sogar gewOohnlichen Verstorbenen 
wurde der Strahlennimbus zugestanden. 

Im sog. Haus des Apoll, Pompeji (ca. 65-70 
n.Chr.) sind alle Gestirngétter nimbiert. R6- 
mische Kaiser wurden nach ihrem Tode zu Ge- 
stirmgéttern (+ Himmelfahrt). Zunachst hat- 
ten einige von ihnen auf kleinasiatischen Miin- 
zen einen Nimbus. In der Apsis des Kaiser- 
kultraumes im Ammontempel von Luxor 
(Agypten, um 300 v. Chr.) tragen ihn die Te- 
trarchen Diokletian, Maximinian, Galerius 
und Constantius Clorus, Konstantins Vater 
(— Konstantin). Von Konstantin an, Verehrer 
der Sonne und des Kreuzes, sind fast alle byz. 
Kaiser, armenische, balkanslawische und rus- 
sische Herrscher auf Wandbildern, Goldemail- 
und Elfenbeindarstellungen nimbiert -- auch 
BiiGende (Leon der VI., Portaltympanon Ajia 
Sophia; — Kaiser). 


Einfacher Nimbus auf christlichen 
Darstellungen 

Vom Ende des 2.Jh.s an tragt Christus gele- 
gentlich einen Nimbus (Katakombenmalerei). 
Im 6.Jh. finden sich einige wenige Christus- 
darstellungen ohne Nimbus. Der Schein kann 
allerdings durch architektonische, den Kopf 
umrahmende Details, z.B. Muschelknochen, 
ersetzt sein. In der Regel treten Christus von 
der Friedenszeit (311) an, spater die Engel, 
dann die Gottesmutter, schlieBlich die Apo- 
stel, Heiligen und Propheten mit Nimbus auf. 


Byz. Nimben sind alle flachig und meist goldbelegt, 
perspektivische Nimben, wie im Westen seit Giotto 
bekannt, fehlen. Vereinzelte viereckige Nimben 
(Ajios Dimitrios, Thessaloniki, Mitte 7.Jh.) wurden 
vermutlich noch lebenden Personen zugeteilt. Alle- 
gorische engelhafte Figuren von der postbyz. Zeit 
an haben. einen Acht-Zackenstern-Nimbus (—° 
Ostern). 


Der Kreuznimbus Christi 


Verschmelzung von Kranz und Kreuz 
Christi Heiligenschein (fast ausschlieBlich nur 
seiner; > Engelbesuch — Pfingsten) ist immer 


Noah 


ein Kreuznimbus. In friihchristl. Zeit ver- 
schmolz der Kranz mit Christusmonogramm 
oder Kreuz -- zunachst als Triumphzeichen 
liber seinem Kopf schwebend -- mit seinem 
Heiligenschein. Nimben des 4.Jh.s, auch jiin- 
gere, enthalten das Monogramm (San Loren- 
zo, Milano, 355-397; Auferstandener, Santa 
Sabina, Rom, 432; ravennatische Sarkophage 
des 5. und 6.Jh.s). In justinianischer Zeit 
(6.Jh.) hat sich fiir Christus der Nimbus mit 
dem Gemmenkreuz — als dem wahren, von > 
Konstantin und Helena aufgefundenen — 
» Kreuz (~ Kreuzerhohung) — durchgesetzt. 

Vor und im Bilderstreit kann das Gemmen- 
kreuz Christus selbst vertreten. 


Nimbus mit Fiinf-Punkte-Kreuz 


Christus mit dem Fiinf-J uwelen-Kreuznimbus. Elma- 
li Kilise, GGreme, Kappadokien. 


Ab mittelbyz. Zeit konkurriert das schlichte, 
grafisch umrissene Kreuz im Nimbus mit einer 
Sonderform des Gemmenkreuzes: in jedem 
Kreuzarm fiinf Juwelen als Punkte, als Rhom- 
ben, oder vier Punkte um einen zentralen 
Rhombus oder Kreis. . 

Die Punkte weisen in der fiir Symbole typi- 
schen Mehrdeutigkeit auf Eucharistie und 
Kosmos hin: 


ye fiinf eucharistische Prosphorenbrote ent- 
sprechen den fiinf - Broten der Speisung der 
5000 (> Praskomidie; -> Wunderspeisungen). 


τς fiinf eucharistisch verstandene Wunden 
Christi am Kreuz. 

ἥν fiinf Punkte markieren die Ausdehnung 
der Welt — Osten, Siiden, Westen, Norden und 
die Mitte (-» Kosmos; — Kirchengebaude; 
— Kreuz). 

ἦς Christus umgeben von den vier — Evange- 
listen: seit Irendus (2. Halfte 2.Jh.) kosmolo- 
gisch als die vier Winde, das Evangelium in die 
vier Ecken dér Welt tragend, interpretiert. 


Die fiinf Christus als Abendmahlsgabe (— Bil- 
derfeindliche Ornamente) und Kosmokrator 
kennzeichnenden Punkte sind Nachbildungen 
von Edelsteingruppen auf Staurotheken und 
Evangelien, nach dem Vorbild des Behaltnis- 
ses des wahren Kreuzes. Die Fiinf-Juwelen- 
Symbolik erscheint auch auf der gemmenge- 
schmiickten Fassung des Evangeliars (Daphni, 
Athen, Ende 11.Jh.) in den Handen des Pan- 
tokrators (-9 Mandylion). 


Die géttlichen Buchstaben im Nimbus 

Von spatbyz. Zeit an werden anstelle der 
Gemmen die drei Buchstaben. O QN O On 
(der Seiende) auf die drei sichtbaren Kreuz- 
arme verteilt — die griech. Fassung des Gottes- 
namens Jahwe: Ich bin der ich bin. Gott ist der 
wirklich unverganglich Seiende. Der Mensch 
vermag von sich aus nur begrenzte Zeit zu 
»existieren«. 

Das Kreuz im Nimbus weist auf die mensch- 
liche Natur Christi, die drei Buchstaben auf 
seine géttliche Natur hin. 

(Das griechischsprachige AT gibt die beiden 
Selbstaussagen Jahwes 2. Mose 3, 14 mit »O 
On« wieder.) 


Noah 
O NQE 
ONG6e 


Erzvater des AT, von Gott aufgefordert, die 
Arche zu bauen, wurde mit seiner Familie vor 
der Sintflut gerettet, hat zum Dank einen Al- 
tar gebaut und geopfert. Gott schlo8 mit ihm 
einen Bund (1. Mose 6, 9-9, 29). 


Typologie um die Sintflut und Noahs Opfer 


»Du meine Seele allein hast gedffnet deines Gottes 
Zorneskatarakt, hast tiberflutet alles Fleisch wie ein 


247 


ΟἹ vom Olivenbaum 


Land, die Werke und das Leben und bliebest der 
Heilsarche ferne.« BuSgebet am Mittwoch der 1. Fa- 
stenwoche 


Als typologisches Vorbild fiir Errettung und 
Uberwindung des Todes (= Sintflut) findet 
sich Noah bereits in der Katakombenmalerei, 
auf seiner Arche stehend, mit erhobenen Han- 
den betend oder die Taube aussendend. Der 
Urozean des Chaos (> Wunder am Meer), 
Ort des Todes, umschlieBt und bedroht die be- 
wohnbare Erde. Die Taufe ist Durchgang 
durch den Tod, die Sintflut wird zu ihrem Ty- 
pus (> Ciborium; —> Taufe Christi). 

Das Opfer Noahs, sein Weinanbau gelten als 
Hinweis auf die Eucharistie. 


Szenen mit Noah und seiner Familie 
Ereignisse um Noah werden dargestellt in der 
friih- und mittelbyz. Buchmalerei, in einigen 
in Italien gelegenen mittelbyz. Kirchen (Mo- 
saiken) und in spat- und nachbyz. Freskodar- 
stellungen: 


+r Gott fordert Noah auf, die Arche zu bauen; die- 
ser schaut nach oben, auf einen Lichtstrah! mit der 
Inschrift: »Bau dir eine Arche, viereckig aus Holz. 
Siehe, ich werde eine Flut kommen lassen.« 

vw Noah fertigt mit Hilfe seiner SOhne die Arche 
an. Die Todgeweihten schlemmen und prassen, ver- 
spotten Noah. Tiere zichen paarweise in die Arche 
(—> Typus der Kirche) ein. 

w Auf der ansteigenden Flut schwimmen Leichen. 
Die Arche hat sich auf einer Bergspitze festgefah- 
ren. Noah la&t durch eine Dachluke die Taube aus- 
fliegen — Vorbild, fiir die Geistestaube, die bei der 
— Taufe Christi herabfahrt. 

yr Noah opfert auf einem Berg, die Arche steht auf 
trockenem Land. Die Tiere kommen heraus. Auf 
einem Altar liegen Schafe, Végel und andere reine 
Tiere, Noah und alle um ihn recken die Arme zum 
Himmel — Hinweis auf den Bund des AT zwischen 
Gott und Abraham, die Einsetzung des neuen Bun- 
des zwischen Gott und seiner Gemeinde. 

yw Noah pflanzt den Weinstock — Hinweis auf Chri- 
stus (»Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.« 
Joh. 15, 5), auf den Abendmahlswein. 

vv Wahrend Noah vom Weine berauscht schlum- 
mert, verrutscht sein Gewand. Sein Sohn Ham, 
weist belustigt seine Briider Sem und Japhet auf des 
Vaters BléBe hin. Typos der Verspottung Christi 
(1. Mose 9, 20-27). 


248 


Ol vom Olivenbaum 


TO EAAIOAAAON 
To Eladéladon 


Oliven- und Feigenbaum sind die altesten Kul- 
turbaume Griechenlands und Palastinas. Oli- 
venhaine bestimmen das Landschaftsbild, wir- 
ken sich auf das Mikroklima aus. Der Wohl- 
stand Altkretas beruhte auf Olivenédlexport 
nach Agypten. Ol diente zur Nahrung, Be- 
leuchtung, Salbung und Heilung. 


Die Olive als Baum des Friedens 

Olivenbaume tragen erst nach dem 7. Lebens- 
jahr, Olivenkulturen gedeihen nur in befriede- 
ten Gebieten (Eindringlinge pflegten Quellen 
zu verstopfen und Baume abzuhacken). Des- 
halb wurden Olzweig und Olbaum zum Sym- 
bol des Friedens: Die friedlicbende Athene 
war die Schutzherrin der attischen Olivenkul- 
turen. Fiir die christ]. Griechen ist die Olive 
der Baum der Muttergottes (~ Geburt Chri- 
sti). 

Dem — Noah in der Arche brachte die ausge- 
sandte Taube einen Olivenzweig (1. Mose 8, 
11) als Zeichen, da8 die Sintflutwasser gefal- 
len, und als Friedensangebot Gottes, der mit 
Noah seinen ersten Bund schlieBen wollte. 


Vielseitige Anwendung von Olivendl 

Olivendél war in der Antike hochwertiges Nah- 
rungs- und Wiirzmittel, Brennstoff fiir die 
Lampen, Weichappretur fiir Stoffe, Heilmittel 
und — mit aromatischen Krautern versetzt — 
Balsam fiir die Kérperpflege. In Griechenland 
rieb man sich anlaBlich von Gastmahlern mit 
duftendem ΟἹ] ein. In Paldstina wurden Gaste 
durch eine Olmassage geehrt: 


»Du (Gott) bereitest vor mit einem Tisch im Ange- 
sicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Ol 
und schenkest mir voll ein.« Ps. 23 


Letzter Liebesdienst fiir die Toten war die 
Einbalsamierung mit Myrrhenél. Der Herr- 
scher Israels wurde durch eine Olsalbung, 
nach jiidischem Verstindnis von Jahwe selbst 
vollzogen, zum heiligen K6nig. Christos — »der 
Gesalbte« -- ist die griech. Ubersetzung des 
Hebridischen »Maschiah« (Messias). Auch die 
byz. Kaiser lieBen sich, nachweislich vom 


13.Jh. an, unmittelbar vor der Krénung vom 
Patriarchen salben. 
Die éstlichen Kirchen benutzten ΟἹ als medizi- 
nisches Heilmittel, bei der Krankendlung und 
der Myronsalbung (—> Mysterien). 
Als Heil- und Heilsmittel begehrt ist das Ol in 
den Leuchten vor den Ikonen oder Reliquien 
groBer Heiliger (Olschicht iiber Wasser in 
einem Glasbecher, der Docht schwimmt an 
einem Korkstiickchen befestigt darin). An den 
Namensfesten u.a. der Arzteheiligen (— Pan- 
teleimon, —> Kosmas und Damian) setzen die 
_ Glaubigen alles daran, nach dem Gottesdienst 
. an das Ol heranzukommen. Etwas vom guten 
Ruf des heiligen Lampendls ist auf die Kerzen 
iibergegangen, die aus den Gottesdiensten mit 
nach Hause gebracht und als Heilmittel ver- 
wendet werden. 


Ol und Reliquien 

Besonders beliebt als Heilmittel von altchristl. 
Zeit an bis heute ist Reliquiendl. Splitter von 
Martyrergebeinen, vom Kreuz Christi standen 
nicht unbegrenzt zur Verfiigung; wurden er- 
setzt durch einfacher zu beschaffende Ewlojies 
(Segensmittel) - Erde und Wasser von den hei- 
ligen Statten Palastinas, besonders von 


te Ol, das in den Lampen der Kirchen brann- 
te, die von —> Konstantin und Helena an heils- 
geschichtlichen bedeutungsvollen Orten er- 
richtet worden waren. (Besonders wichtig: Ol, 
auch die Lichtflamme vom Heiligen Grab.) 

vr Ol, das mit dem in der Grabeskirche aufbe- 
wahrten Heiligen Kreuz in Beriihrung gekom- 
men war. 

xx Ol, das aus Heiligengebeinen und Kreuz- 
reliquiaren tropfte: 

»Als heilbringende Quellen verlich uns der Herr 
Christus die Reliquien der Heiligen, die auf mannig- 
fache Weise die Segnungen ausstrémen, ein duften- 
des Ol ergieBen.« Johannes Damaszenus, Glaubens- 
lehre 4, 15 


Die Rolle der Pilgerflaschchen fiir Ol 

fiir die Verbreitung christlicher Kunstmotive 
Vom 6.Jh. bis Anfang 7.Jh. (islamische Er- 
oberung) hat sich in Palastina eine Industrie 
zur Herstellung von Pilgerampullen fiir heili- 
ges Ol herausgebildet: zwischen 4 und 8,5cm 
hohe, flache, feldflaschenférmige Ampullen 


Ol vom Olivenbaum 


LIN, 
nN 


Pilgerfldaschchen fiir Ol aus Palistina, 6. 5h. 


aus Blei-Zinn-Legierung, auch aus Ton, aus 
Silber, seltener aus Gold. Bekannt sind 22 
komplette und 25 fragmentarisch erhaltene 
Blei-Zinn-Ampullen. Sie wurden als Amulette 
(als eine Art von Enkolpion) um den Hals ge- 
tragen, auch vor die Schlafstatt gehangt und 
dem Besitzer schlieBlich ins Grab mitgegeben. 
Der Inhalt ist, nach einer haufigen Umschrift 
auf der Frontseite, »Ol vom Holze des Lebens 
von den heiligen Stétten Christix. Die Ver- 
wendung als Grabbeigabe erklart sich aus dem 
apokryphen Nikodemusevangelium (5./6.Jh.), 
Kap. 19: Der sterbende Adam hat seinen Sohn 
Seth ausgesandt, am Tor des Paradieses von 
den Engeln lebensrettendes Ol vom Baum der 
Barmherzigkeit zu erbitten. Seth wurde auf 
das Kommen Christi vertréstet. Das Heilsdl 
flieBt aus dem Kreuz als dem neuen — Le- 
bensbaum. 

Eine weitere tibliche Umschrift »Ewlojia (Se- 
gensgabe) des Herrn von den heiligen Statten« 
erinnert an das Ewlojia-Brot. Die — Brote, 
auch Prosphoren (> Proskomidie) erhalten ei- 
nen Stempelaufdruck, beide Seiten der Flasch- 
chen wurden mit symbolischen Bildktirzeln 
und Inschriften tiberpragt. 


249 


Oranten 


Die Ampullen waren — neben Pilgermedaillons 
(Amuletten), Miinzen, ténernen Ollampchen 
- die wichtigsten, nach einem Vervielfa- 
chungsverfahren hergestellten Bildtrager. Ihre 
Motive: Die auf eine Kurzform reduzierten 
Kirchen iiber den heiligen Statten und dessen 
bedeutendster Bildschmuck (— Altar; — 
Kreuz). 

Mit den zuriickkehrenden Pilgern verbreiteten 
sich die Ampullen tiber die gesamte christl. 
Welt, beeinfluBten ihre Motive die religidse 
Ikonographie. 


Auf den Darstellungen des Heiligen Grabes und der 
Geburtskirche, auf den Ampullen selbst wie auf 
Buch- und Wandmalereien, erscheinen tiberbetont 
gro8 Ollampen und das Heilige Kreuz selbst -- die 
wichtigsten Quellen fiir das Heils6l in den Flasch- 
chen. 


Oranten 
OI ITPOCEYXONTEC 


I proséwchontes 


Darstellungen von Betenden mit erhobenen 
Handen und nach vorne gewandten Handfla- 
chen, frontal von vorne gesehen. Gebetsgestus 
der Gottesmutter. 


Die Gebetshaltung mit erhobenen Handen 

In der schon im NT und vorher bezeugten 
eindrucksvollen Gebetshaltung 6Offnet sich 
der Mensch fiir die herabstrémende Gnade 
Gottes. 

Die Geste wird auf friihchristl. Sepulkralbil- 
dern von den Seelen Verstorbener vollzogen, 
kommt auch noch auf friihbyzant. Mosaiken 
vor (Sant’Apollinare in Classe, Ravenna, Ap- 
sis 6. Jh.). Bis in spatbyz. Zeit wendet — Ma- 
ria sie als Repradsentantin der betenden Kirche 
an (Sophien-Kathedrale, Kiew, 11.Jh.), in 
Szenen der —> Himmelfahrt und von — Pfing- 
sten. Der Gestus, in friihchristl. Zeit unter 
Glaubigen verbreitet, erméglicht tiberzeugend 
die Darstellung eines aus tiefer Not zum Him- 
mel schreienden Menschen -- — Noah in der 
Arche, — Daniel in der Léwengrube. Das 
Ausgreifen des Oranten zum Himmel will den 
Tod tiberwinden: Klagefrauen strecken auf 
Bildern (— Passionszyklus) ihre Arme eksta- 
tisch hoch, sehen Orantinnen gleich. 


250 


Die Kirchenvater begriffen die Haltung als 
Nachahmung der Haltung Christi am Kreuz: 


»Wir aber heben nicht nur unsre Hande hoch, son- 
dern breiten sie auch aus, indem wir so die Leiden 
unseres Herrn nachbilden und beten, bekennen wir 
Christus.« Tertullian . 


Apollinaris Orantenhaltung (Ravenna, Sant’ 
Apollinare in Classe) vollzieht ganz deutlich 
die Geste des Gekreuzigtwerdens, abgestimmt 
auf das Kreuz, das tiber ihm erscheint. Wie bei 
der Kiewer Muttergottes sind die Hande ge- 
spreizt, zeigen die zehn Finger — den Zahlen- 
wert fiir das hebraische Joch (= Hand) und 
des griech. Jota - Anfangsbuchstaben des Na- 
mens Jesu (—> Zahl 10). 

Apollinaris vollzieht m.E. die eucharistische 
Gebetsgeste des Priesters. 


Eucharistische Orantenhaltung und. 
Bedeutung des Aufrechtstehens 

»Ich wiinsche nun, da die Manner allerorts beten, 
indem sie heilige Hande hochhalten, ohne Zorn und 
Zweifel.« 1. Tim 2, 8 

Der Priester volizieht in der Liturgie haufig den 
Orantengestus. Den —» eucharistischen Charakter 
verdeutlicht er, indem er unmittelbar vor dem gro- 
Ben Einzug den Diakon auffordert, den heiligen 
Diskos mit dem Abendmahlsbrot zu ergreifen: »He- 
bet eure Hande auf zum Heiligtum und lobet den 
Herrn« Ps. 134 (133). Die Glaubigen werden zu Be- 
ginn der Abendmahlsliturgie aufgefordert: »Lasset 
uns aufrecht stehn!« »Lasset uns schén stehn!« 


es 


Heilige in Orantenhaltung. Eustatioskirche, Géreme, 
Kappadokien. . 


1 
Ornamente . 


In der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten, an allen 
Sonntagen als den Gedenktagen der Auferstehung, 
beugt kein orthodoxer Christ die Knie. 

Das Aufrechtstehen symbolisiert die Auferstehung. 
Die Orantenhaltung, auch im Judentum des AT und 
im griechischen Altertum durchaus tiblich, hat sich 
als Prototyp der aufrechten Haltung im frithen Chri- 
stentum gegeniiber der Proskynese, dem Sichnie~- 
derwerfen vor dem Herrscher, durchgesetzt. 


Sich niederzuwerfen wie im alten Orient oder 

im Islam (= Unterwerfung), dokumentiert 

den Rechtszustand der Knechtschaft, aufrecht 
zu stehen vor Gott den der Gotteskindschaft. 


Ornamente 


TA KOCMHMATA 
Ta kosmimata 


Die Architektur der Antike betont den plasti- 
schen Eigenwert jeder Einzelheit. Architek- 
turdetails, Oberflachenbearbeitungen (Kanne- 
luren der Saulen) zielen darauf ab, durch das 
Spiel von Licht und Schatten die Kérperlich- 
keit der Bauelemente, ihre jeweilige tragende 
oder haltende Funktion (Tektonik) zu unter- 
streichen. 

Die byz. Ornamentik — aus verschiedenfarbi- 
gen Steinlagen und Flachreliefs im AuSenbau, 
aus Fresko, Mosaik, aus Naturmaserungen 
und poliertem Stein im Inneren — verschleiert 
Harten und Kanten an den Nahtstellen zwi- 
schen den Bauteilen selbst da, wo sie architek- 
tonische Formen gliedert. In justinianischer 
Zeit (6. Jh.) fiillen Ornamente die Wande und 
Gewolbe von Kirchen. Heilsgeschichtliche 
Geschehnisse und Personen sind darin hinein- 
verwoben. Die Erdenschwere der tragenden 
Teile wird durch das dariibergebreitete Dekor- 
gespinst verhiillt und aufgehoben. Die frith- 
ikonoklastischen, teppichartigen Gewdlbe- 
Uberkleidungen lassen den schwer lastenden 
Fels der Hohlenkirchen leicht und luftig er- 
scheinen. In mittel- und spatbyz. Zeit tiber- 
kleiden breite, spater schmalere Ornament- 
bordiiren die Nahtstellen zwischen den Archi- 

_ tekturdetails und rahmen die Bildfelder. 

Die musivischen oder gemalten Ornamente 
erinnern an kostbare Stoffdecken, an Gewdn- 
der’ an Stolen, an Wandteppiche, an Vorhan- 
ge und Bahnen von Prunkzelten. Es sind Ge- 


Flechtbandornament aus der Klosterkirche zu Osios 
Lukas bei Stiri in Phokis. 


webe, die aus Griinden vereinfachter Herstel- 
lung meist ein- oder zweiachsig symmetrisch 
angelegt sind. 

Diese musivischen und gemalten Stoffe lassen 
sich als bildliche Ergénzung des Altarvor- 
hangs, aus dem spater die Bilderwand wurde 
(—> Ikonostase) und als Stoffverkleidung der 
unteren Apsiswande verstehen. Gemalte Imi- 
tationen frei fallender Vorhange sind haufig. 
Die Band- und Flechtornamente betonen das 
Element der Bindung und Verbindung der Or- 
namentfiguren untereinander. Darin spiegelt 
sich das Bediirfnis nach Eingebundensein in 
die vergdttlichte Umwelt, was auf mystische 


is 
Flechtbandmuster aus Tokali I, Géreme, 
Ende 10. Sh. 


251 


Ostern/Auferstehung 


Weise in der — Eucharistie vollzogen wird. In 
Kappadokien werden ganze Ornamentfelder 
aus eucharistischen Zeichen aufgebaut. Die 
Vorliebe fiir Schlaufen, auch fiir Knotenmu- 
ster, erinnert an den Bindezauber: Liebeszau- 
ber, Abwehr von Daémonen (-> Eleutherios). 


Ostern /Auferstehung 


TO TIACXA/H ANACTACIC 
To Pascha/I Andstasis 


Feier der Auferstehung, nach Gregor von Na- 
zianz »Fest der Feste«. Wie Christus als der 
Dreizehnte tiber den zwélf Aposteln steht (> 
Zahl 13), so Ostern tiber den zw6lf Hochfesten 
(Dodekaorthon -> Festtagskalender). 


Datum des Osterfestes 

Am Ostertermin hingt der gesamte beweg- 
liche Festtagsteil des Kirchenjahres — 48 Tage 
vor und 50 Tage nach Ostern —, der sich mit 
ihm um insgesamt 28 Tage (einen Mond- 
zyklus) vom Friihjahrsbeginn an, hin und her 
verschiebt. Seit dem Konzil von Nikda 325 fei- 
ern alle gréBeren christl. Kirchen Ostern am 
1.Sonntag, der dem 1.Friihlingsvollmond 
(nach dem 21. Marz) folgt. 


Der orthodoxe Ostertermin fallt selten mit dem 
westlichen zusammen, liegt meist ein bis zwei (bis zu 
sechs) Wochen spater, weil nicht nach dem im We- 
sten im 16.Jh. eingeftthrten gregorianischen Kalen- 
der, sondern nach Julius Caesars julianischem be- 
rechnet. Da der in 400 Jahren drei Schalttage mehr 
hat, verschiebt sich der kalendarische Frithlingsbe- 
ginn immer mehr in den Sommer hinein (Differenz 
z.Z. 13 Tage). 

In den Ostmittelmeerlandern wurde Ostern ur- 
spriinglich an einem festen Termin gefeiert. Im Sin- 
ne der friihchristl. Gleichsetzung heilsgeschicht- 
licher und astraler Vorgéinge (+ Apostel; - Mond) 
hatte der bewegliche Termin den Vorzug, das Fest 
zugleich ans Sonnenjahr (julianisch 365,25 Tage, 
gregorianisch 365,2425) und ans Mondjahr (354 
Niachte) anzubinden. 


Osterliturgie und Osterbrauche 

Bezeichnenderweise wurde friiher die Aufer- 
stehung zur Zeit des Sonnenaufganges gefei- 
ert. Heute beginnt der Ostergottesdienst am 
Samstagabend, die Ausrufung der Auferste- 
hung erfolgt um Mitternacht griech. Zeit. Die 


252 


Glaubigen sind in neuen Kleidern, zumindest 
mit neuen Schuhen, in die reich mit Lorbeer 
und Myrthe geschmiickte Kirche gekommen, 
weiRe Kerzen in Handen. Vor Mitternacht 
herrscht verhaltene Trauer: Die Schéne Pforte 
ist verschlossen, der Chorgesang klingt dumpf, 
das Licht ist gedampft. Vor dem entscheiden- 
den Augenblick erlischt es véllig. Der Chorge- 
sang schlagt in Tonhéhe und Rhythmik um, 
Erregung packt die Menge — Stimmengewirr. 
Der Priester tritt, in Vertretung des Aufer- 
standenen, durch die Schéne Pforte, eine 
brennende Kerze in der Hand: 


»Eilet herzu, nehmet das Licht vom Licht, fiir das es 
keinen Abend gibt, und ehret Christus, der aufer- 
standen von den Toten!« 


Die zundchst Stehenden entziinden ihre Ker- 
zen an der des Priesters, reichen die Flamme 
weiter. Eine anschwellende Flut von Lichtern 
breitet sich aus vom Osten bis in den 4uersten 
Westen der Kirche, und bis hin zu denen, die 
drauBen stehen vor der tiberfiillten Kirche. 

In die hell erleuchtete Kirche hinein ruft der 
Priester Christds anésti, die Glaubigen fallen in 
den Hymnus ein: 


Χριστὸς ἀνέστη ἐκ νεχρῶν, 

ϑανάτω ϑάνατον πατήσας, 

καὶ τοῖς ἐντοῖς μνήμασι ξωὴν χαρισάμενος. 
»Christ ist erstanden von den Toten, 


den Tod mit dem Tode zertretend 
und denen in den Grabern das Leben schenkend.« 


Das Lied wirkt wie ein Signal: Der Priester 
fiihrt eine Prozession von Lichter- und Fah- 
nentragern nach drauBen, die Menschen fallen 
einander um den Hals, kiissen sich auf beide 
Wangen: Christés anésti — alithés anesti (er ist 
wahrhaftig auferstanden). Aller Groll, der sich 
ein Jahr lang aufgestaut hat, ist vergeben. Man 
schlagt die mitgebrachten roten Eier aneinan- 
der und it sie — froh, daB das strenge Fasten 
zu Ende ist. Wahrenddessen singt der Chor 
lobpreisende Hymnen, immer wieder das 
Triumphlied. Die Glaubigen singen mit, 
schwingen im Rhythmus ihre Kerzen, Béller- 
schiisse tiberténen das Gelaut der Glocken 
und das Heulen der Schiffssirenen. Die Aufer- 
stehungsikone liegt auf einer Festtribiine vor 
der Kirche oder vor der Bilderwand. Die Men- 
schen stehen Schlange, um sie mit Kiissen (-Ὁ 


Ostern/Auferstehung 


KuB8) zu tiberdecken. Vor Abschlu8 des Got- 
tesdienstes wird sie um die Kirche herumgetra- 
gen. Die meisten eilen nach Hause, um nach 
dér langen Fastenzeit gut zu essen: meist eine 
bekémmliche Ostersuppe aus Lamminnereien, 
die Majeritsa. 


᾿ ὶ 
Frauen bringen -- in diesem Falle in der Woche vor 
Ostern — die Ikone der Panajia von Skiadi, die einen 
Tag lang in der Kirche von Embonas verehrt worden 
war, nach Ajios Isidoros, Rhodos. 


Den ganzen Weg tiber wird darauf geachtet, daB die 
Kerzenflamme nicht erlischt, man will die Lichter 
vor der Hausikone neu entztinden. Vielerorts wird 
auch das Herdfeuer am grofen Freitag geléscht und 
am Osterlicht neu entztindet. Die Pilger, die Ostern 
im Heiligen Land verbracht haben, bringen von der 
Leuchte am Heiligen Grab das Osterlicht mit (> 
Ol). Wenn sie kurz nach Ostern in Pirdus ankom- 
men, warten dort Papades und Glaubige, um etwas 
vom Licht von den heiligen Statten zu tibernehmen 
fiir die Léuchte in der Kirche oder vor der Haus- 
ikone. 


Die Osterfeiern halten mit gutem Essen — das 
Osterlamm gehért dazu -- Wein und Ouzo, 
griech. Musik und Reigentaénzen die ganze 
Osterwoche an. 

Fiir die Toten, die mit Christus auferstanden 
sind — bis Pfingsten haben ihre Seelen Urlaub 


aus der Totenwelt — entflammen die Frauen 
am Sonntagabend Ollampchen auf den Gra- 
bern; sie opfern Weihrauch, legen mancher- 
orts rote Eier, Brot und Kase (die sich spater 
die Kinder und die Armen nehmen diirfen) auf 
den Grabern nieder. 


Awghouli—Osterbrot aus Archangelos, Rhodos. 


Jeder Ort hat eigene Osterbraéuche: In Chora auf 
Folegandros finden die Passions- und Ostergottes- 
dienste in der Ortskirche statt. Am friihen Oster- 
morgen folgt eine kurze Andacht in der Kimesiskir- 
che am Berghang oberhalb des Ortes. Zwei Bur- 
schen bringen die wundertatige Ikone der Panajia 
Odigitria herab auf die Platia. Alle Dorfbewohner 
kiissen die Ikone und gehen dann einzeln gebtickt 
unter ihr hindurch. Es formt sich eine Prozession 
mit einem Weihrauchfaftrager, der Ikone, dem Pa- 
pas, der wie Christus beim — Einzug in Jerusalem 
auf einem Esel reitet, psalmodierenden Frauen, 
schlieBlich der gesamten Dorfbevélkerung. Die Iko- 
ne wird in jede Kirche und in jedes einzelne Haus 
des Dorfes getragen, der Priester spricht seinen Se- 
gen. Jede Familie hat einen geschmiickten Tisch mit 
SiiBigkeiten, Ostereiern, Wein, Bier und Raki 
(Schnaps) aufgebaut. Keiner der Begleiter darf wei- 
terzichen, ohne gegessen und getrunken zu haben. 
Am Ostermontag zieht die Prozession zum Nach- 
bardorf, auch dort besucht die Ikone jedes Haus. 
Am Osterdienstag werden einige Landsitze und der 
kleine Fischerort Karawi Stasis besucht, die Ikone 
auf jedes einzelne Schiff gebracht. Mit einem Boot 
fahrt sie zu den Fischgriinden, die gesegnet werden. 
Bei ihrer Riickkehr in das Lokal des Fischerortes 
erklingt Musik, es wird getanzt. Am Spatnachmittag 
kehrt sie in ihre Kirche zuriick. Der ganze Mikro- 
kosmos der winzigen Insel bis hin zu den Abgriin- 
den im Meere ist mit dem Segen vom Himmel 
durchtrankt. 


253 


Ostern/Auferstehung 


Osterliche Umginge der Marienikone gibt es 
auch andernorts, z.B. auf Kalymnos, in Ele- 
ousa und Kattawia auf Rhodos. 


Die drei dsterlichen Motive im Hauptschiff 
und in der Festbildreihe der Bilderwand 


Anastasis — Christi Auffahrt aus der Unterwelt, 
Osios Lukas, nach 1000. 


1. Christi Auffahrt aus der Unterwelt ist das 
weitaus wichtigste byz. Ostermotiv, setzt die 
Worte der Liturgie in Farben und Formen um. 
Es zeigt nicht die Auferstehung aus dem Grab, 
sondern das Eindringen Christi in die Unter- 
welt und den Beginn seiner Auffahrt nach 
oben. Er hat den Herrn des Todes besiegt, 
Pforten und Fesseln gesprengt, die verstorbe- 
nen Urvater befreit: ᾿ 


»Und der Tod ist vergangen und Adam frohlockt, o 
Gebieter, und Eva, jetzt von den Fesseln befreit, 
freut sich und ruft: Du bist es Christus, der allen die 
Auferstehung schenkt.« Kontakion der Auferste- 
hung, Sonntagsliturgie 

»Du stiegst bis in die tiefste Erde hinab und zer- 
brachst die ewigen Riegel, die die Gequalten fest- 
halten, o Christus, und nach drei Tagen, wie Jonas 
aus dem Ungeheuer, stiegst Du heraus aus dem 
Grabe.« 6. Ode der Osternachiliturgie 

»Christus stieg allein hinab zum Kampf gegen den 
Hades, und er kam wieder herauf nach oben und 
nahm mit sich eine Fiille an Siegesbeute.« Oster- 
liturgie 

Die westliche Bezeichnung des Motivs Héllen- 
fahrt Christi oder Christus in der Vorhdlle ist 
unzutreffend. Gemeint ist nicht der Ort der 
Verdammten, sondern der Hades als »Warte- 
saal der Verstorbenen«. Die dlteste, nicht voll 


254 


entwickelte Fassung (Ciboriensdule, San Mar- 
co, Venedig) wird dem 4. oder 5.Jh. zuge- 
schrieben. Ausgereift ist die Darstellung auf 
einem Kreuzreliquiar des 7. Jh.s (Metropolitan 
Museum, New York): Christus halt in der 
Rechten den Kreuzesstab als Siegespanier. Oft 
rammt er ihn dem Herrscher des Totenreiches, 
der sich unter seinen FiiRen befindet, in den 
Leib. Die andere Hand reicht er dem weifsbar- 
tigen Urvater Adam, um ihn aus der Hades- 
tiefe oder einem Sarkophag emporzuziehen 
(Daphni, Athen, Ende 11.Jh.). Auf manchen 
Darstellungen rei8t Christus Adam zu sich em- 
por (Osios, Lukas, Anfang 11.Jh.), ein Zipfel 
von Christi Obergewand flattert wie ein Fliigel 
in der Luft. Die Urmutter Eva, stets in einem 
roten (Erdverbundenheit, Stinde, -> Farbe) 
Obergewand, erhebt sich, streckt Christus ihre 
verhiillten +> Hinde entgegen. Spater (Chora- 
kirche, Konstantinopel, 1315-1321) ergreift 
Christus schwungvoll mit der Rechten die 
Rechte Adams, mit der Linken die Rechte 
Evas (links ist noch heute in den Kirchen die 
Frauenseite). 

Unter den auferweckten Urvatern, die im AT 
auf Christi Auferstehung hingewiesen haben, 
finden sich auf friihen figurendrmeren Bildern 
— David und — Salomon im kéniglichen Or- 
nat, spater kommt Johannes der Taufer dazu. 
Von mittelbyz. Zeit an erscheint meist rechts 
eine Gruppe von Propheten (mit - Moses und 
—> Jesaia). In spatbyz. Zeit werden ihnen hau- 
fig Reprasentanten des NT, z.B. sechs Apo- 
stel ohne Heiligenschein — die Apostel lebten 
noch, als sich die Auferstehung ereignete — ge- 
geniibergestellt (Chorakirche, Konstantino- 
pel). Auf friihen mittelbyz. Fresken erheben 
sich am unteren Bildrand viele winzig kleine 
Tote aus Grabern (Héhlenkirchen in Kappa- 
dokien). Auf Fresken und Ikonen ist Christus 
ab 10./11.Jh. von einer ovalen, kreis- oder 
mandelférmigen Mandorla umgeben, sie kann 
lichthaltig hell sein, auch rot gesdumt und mit 
Lichtstrahlen durchkreuzt (Andreaskreuz; 
Barbara Kilise, So’anli, Anfang 11.Jh.). 
Spitere Mandorlen bestehen aus drei oder 
mehreren konzentrischen hellen und mit Ster- 
nen gefiillten Schalen: 


»Als Du hinabstiegst zum Tode, Du, das unsterbli- 
che Leben, erhelltest Du den Hades mit dem Blitz 
Deiner Gottheit.« Liturgie des grofen Freitag 


Ostern/Auferstehung 


Christus steht als Sieger auf dem Kérper oder 
Hals einer halbnackten Figur mit weiBen Haa- 
ren und Bart (> Fu8). Letzterer, haufig gefes- 
selt, ist der Herr der Unterwelt, von Beischrif- 
ten bezeichnet als Satan (— Teufel) oder Ha- 
des; er halt sich, wie geblendet von der Licht- 
mandorla, die Augen zu. Die Pforten der Un- 
terwelt sind aufgesprengt: geborsten sind Ei- 
senketten und Schlésser, zwei Torfliigel aus 
den Angeln gehoben und kreuzférmig tiber- 
einandergelegt. (In Mani, Stidpeloponnes, 
werden bei Bestattungen zwei Tragstangen fir 
den Sarkophag iiber Kreuz in die Erde ge- 
steckt, wie die aufgesprengten Tiirfltigel des 
Hades.) Die Unterwelt erscheint oft von Fel- 
sen eingefaft, wie ein Grab. Ab spatbyz. Zeit 
ist die gesamte Szene eingebettet in eine Hoh- 
le innerhalb einer Berglandschaft (Chorakir- 
che, griechische und russische Ikonen): die 
weihnachtliche Geburtshéhle nimmt symbo- 
lisch Christi Abstieg in die Totenwelt vorweg. 


Das bis ins 15.Jh. hindurch »engelfrei« gebliebene 
Anastasismotiv — niemand hat die Auferstehung ge- 
sehen, auch nicht die Engel — kann sich in postbyz. 
Zeit der Tendenz, biblische Hauptereignisse mit 
Engeln anzureichern, nicht entziehen: Engel fesseln 
den Satan, flankieren die Kreuz- und Marterwerk- 
zeuge, halten die Mandorla. Kleine Engelchen hel- 
fen den Verstorbenen aus den Grabern. Als ihre 
Gegenspieler bevélkern winzige verschreckte Teu- 
felchen die Unterwelt. Uber der Erde mit ihrer Ha- 
deshohle stehen engelahnliche gefliigelte Wesen mit 
achtzackigem —> Nimbus — gekennzeichnet als Alle- 
gorien der »Unzerstérbarkeit«, des »Sieges«, des 
»Jubels«, der »Freude« — alles Ausdriicke aus der 
Osterliturgie (Meteora, Warlaam, Mitte 16.Jh.). 
Die Allegorien befacheln das Auferstehungsereignis 
mit Rhipidien (Ehrenfacher, -- Pfau), wie der Dia- 
kon zu Beginn der Anaphora, dem Héhepunkt der 
—» Eucharistie, die heiligen Gaben befachelt. Die 
Anaphora bedeutet symbolisch die Auferstehung: 
wie Christus Adam und Eva aus der Totenwelt her- 
aufzieht, so zieht er die Glaubigen in diesen feier- 
lichen Ritus zu sich empor zum himmlischen Altar 
Gottes. 


Im NT wird die Auffahrt aus dem Hades ange- 
deutet: 


»,,.. ist er (Christus) hingegangen und hat gepredigt 
den Seelen in Gewahrsam«, J. Petr. 3, 19. 

»Ich (Christus) war tot und siehe ich lebe von Ewig- 
keit zu Ewigkeit und habe den Schliissel des Hades 
und des Todes«, Apokalypse 1, 18. 


Quelle des Bildmotives ist das apokryphe Ni- 
kodemusevangelium. Die kurz vor Christi Tod 
in den Hades gelangten und dort von ihm auf- 
erweckten Sdhne des Sehers Simon (—> Dar- 
stellung Christi) berichten: Plétzlich erschien 
ein starkes Licht, Abraham und Jesaia sagten, 
da8 dies das von ihnen prophezeite Licht wa- 
re. Johannes der Taufer teilte mit, daB er an- 
laBlich der Taufe im Jordan beauftragt worden 
sei, die Toten zu ermahnen, vor der Herab- 
kunft Christi ihre Sitinden zu bereuen. Adam 
berichtete, da8 Engel seinem Sohn Seth die 
Erlésung der Menschen vom Tode verheifien. 
Der Satan wandte sich an den Hades: 


»Du Allesfresser und Unersattlicher, hére meine 
Worte!« (20, 1) 


Christus hat durch seine Totenerweckungen 
dem Hades Opfer entzogen, deshalb habe er, 
der Satan, fiir Christi Kreuzestod gesorgt. Ka- 
me er jetzt herab, solle ihn der Hades fesseln. 
Doch der Hades: 


»Deswegen beschwore ich Dich bei Deinem und 
meinem Wohlergehen. Bring ihn nur nicht hierher. 
Denn ich glaube, daB er nur deswegen hier er- 
scheint, um alle Toten auferstehen zu lassen.« 
(20, 3) 


Plodtzlich eine Donnerstimme: 


»Hebt hoch Eure Tore, Ihr Herrscher, und erhebt 
Euch, ewige Tore:« (21, 2) 


Hades schickt den Satan Christus entgegen. 
Doch David und Jesaia fordern unter Hinweis 
auf ihre Prophezeiungen, die Tore der Unter- 
welt aufzutun: 


»Da erténte wieder die Stimme und sprach: Hebt 
hoch die Tore ... und alsbald wurden die ehernen 
Tore zerbrochen und die eisernen Ringe zerschmet- 
tert. Die gefesselt waren, wurden ihrer Fesseln ledig 
... Und es zog ein der Konig der Herrlichkeit in 
Menschengestalt und alle Finsternis erstrahlte im 
Licht.« (21, 3) 

»Daraufhin βία der Kénig der Herrlichkeit den 
Satan, den Obersatrapen, beim Schopf und tibergab 
ihn den Engeln und sprach: Fesselt dem mit Eisen 
die Hande und Fie, den Hals und den Mund.« 
(22, 2) 


Und Hades ergriff den Satan: 


»Beelzebub, Erbe des Feuers und der Pein, ... war- 
um ausgerechnet muBtest Du es so einrichten, daB 
der Konig der Herrlichkeit gekreuzigt wird und uns 


255 


Ostern/Auferstehung 


(der Macht) entkleidet hat? ... Kein einziger Toter 
ist uns geblieben, sondern alles, was Du durch das 
Holz der Erkenntnis (den Paradiesesbaum) gewon- 
nen hast, das hast Du alles durch das Holz des Kreu- 
zes verloren.« Wahrend aber der Hades so zu Satan 
sprach, streckte der Kénig der Herrlichkeit seine 
Rechte aus und erweckte Adam, den Ahnherrn. 
Dann wandte er sich zu den tibrigen und sprach: 
»Her zu mir alle, die ihr durch das Holz, von dem 
dieser gekostet, zu Tode gekommen seid. Denn sie- 
he, ich will euch durch das Holz des Kreuzes wieder- 
auferstehen lassen.« (23-24, 1) 


Christus zieht alle mit sich empor ins Paradies, 
wo der zu seiner Rechten gekreuzigte Scha- 
cher auf sie wartet. Die Auferweckten werden 
der Obhut des Erzengels Michael anvertraut. 


Vielerorts wird nach der Auferstehungsfeier (an- 
derswo nach der Epitaphiosprozession) das Eindrin- 
gen Christi in den Hades vom Priester als Christus 
und vom Kirchendiener als Teufel nachgespielt. Der 
Papas mit der Kerze in der Hand ruft von auBen vor 
der verschlossenen Kirchentiir: 

»Hebt hoch die Tore Ihr Herrscher, seid aufgetan 
Ihr ewigen Tore ... Der Kénig der Ehre wird einzie- 
hen.« Der Kirchendiener: »Wer ist der Kénig der 
Ehre?« Papas: »Der Herr der Herrscher — es ist der 
K6nig der Ehre.« 

Dann tritt der Papas mit seinem Fu kraftvoll gegen 
das Kirchentor, daB die Tiirfliigel aufspringen — wo- 
bei schon mal Glasscheiben zu Bruche gehen. 


2. Die Frauen am leeren Grab, ein etwas weni- 
ger hdufig dargestelltes Motiv, ersetzt oder er- 
ganzt die Anastasis: 


»Die, welche vorauseilen mit Maria der Morgen- 
dimmerung, finden den Stein vom Grabe wegge- 
τοῦ und héren den Engel: Den, der im unsichtba- 
ren Licht ist, was sucht ihr ihn wie einen Menschen 
unter den Toten? Schaut die Begrabnisbinden! 
Lauft und verkiindigt der Welt, daB der Herr sich 
erhob, totend den Tod!« Osterliturgie, 4. Ton 


Die verschiedenen Evangelien (Mark. 16, 1-8; 
Matth. 28, 1-8; Luk. 23, 255-24, 6; Joh. 22, 
1-18) sprechen bald von zwei, bald von mehre- 
ren Frauen, bald nur von Maria Magdalena am 
leeren Grab, nennen etwa einen oder zwei En- 
gel. Entsprechend unterschiedlich wird die 
Szene dargestellt, bis zu sieben Myrrhentrage- 
rinnen treten auf: Maria Magdalena, Salome, 
Johanna, die Lazarusschwestern Maria und 
Martha, Maria Kleopha, Susanna. 

Zwei Frauen, symmetrisch das leere Grab 
flankierend, kiinden auf Sarkophagreliefs des 


256 


Die Myrrhentrégerinnen am leeren Grab. 
Ajia Anastasia, Jennadi, Rhodos, um 1700, westlich 
beeinfluBt. 


4. Jh.s von der Hoffnung, der Bestattete werde 
auferstehen. 

Die mittelbyz. Darstellungen folgen gern dem 
Markusevangelium, weil dieses zu Beginn der 
Osterliturgie verlesen wird: Von links her blik- 
ken die beiden salbentragenden Marien er- 
staunt auf das offene Grab mit den abgestreif- 
ten, aber nicht aufgewickelten Totenbinden. 
Rechts auf einem Stein sitzt ein Engel, deutet 
auf die Binden und verkiindet die Auferste- 
hung. Seine Rolle iibernimmt in der Liturgie 
der Diakon, wenn er vom Ambo aus (Symbol 
des Steines der Verkiindigung) einen Ab- 
schnitt aus einem Evangelium verliest. 

Seitlich hinter dem Grab kauern zwei oder 
drei winzige schlaftrunkene Wachter. Auf 
spat- bis nachbyz. Ikonen und Fresken umge- 
ben drei oder mehr Frauen, mitunter zwei En- 
gel, einen Sarg vor einer Grabhéhle in einer 
Gebirgslandschaft. (Rhodos, Moni Thari, 
1620; serbische Wandmalereien des 13. u. 
14. Jh.s, russische Ikonen). Die Dreizahl der 
Marien spielt auf die drei Magier an (— Ge- 
burt Christi, - Proskomidie). 


Panteleimon 


»Kommt, eilt, wie die Magier beten wir an und brin- 
gen Myrrhe dar zum Geschenk, dem, der nicht 
mehr in Windeln, sondern ins Grabtuch gewickelt 
ist.« Osterliturgie 

Die Auferstehung geschah am Tag nach dem Sab- 
bat, dem 7.Tag der Woche. Die ersten Christen 
nannten den Auferstehungstag den 8. Tag. (Sonntag 
= griechisch Kyriaki, der Herrentag; im Russischen 
Woskressenie, die Auferstehung.) In 7 Tagen wurde 
die Welt erschaffen. Erst die Erganzung der Schép- 
fung durch die Auferstehung am 8.Tag macht sie 
vollkommen (-9 Zahl 8). 


Auferstehung Christi, westlicher Stil. Ajia Anastasia, 
Jennadi, Rhodos, um 1700. 


3. Christus, der mit der Kreuzesfahne — auf 
neueren griech. [konen in den Landesfarben 
WeiB und Blau — in der Hand aus dem von 
schlafenden oder geblendeten Wachtern behiti- 
teten Grabsarkophag emporschwebt, ersetzt 
gelegentlich die Hadesfahrt-Darstellung -- 
(Rhodos Jennadi, Ajia Anastasia, um 1700). 
Im Westen wird die von den Evangelien nicht 
geschilderte Szene vom 10.Jh. an dargestellt. 
Als die westliche Malerei einen bestimmenden 
Einflu8 auf die christl.. Kunst Griechenlands 
und Ruflands gewann (ab 17.Jh.), erschien 
das Motiv in der Ikonenmalerei. 


Der Westen, seit der Renaissance auf die Wiederga- 
be historischer Fakten fixiert, will die Auferstehung 


an ihrem historischen Ort und zu ihrer historischen 
Zeit darstellen, wie sie ein Augenzeuge hatte gese- 
hen haben miissen. 

Der 6stlichen Kirche geht es dagegen um die symbo- 
lische Darstellung der Auferstehung Christi als Zei- 
chen fiir die Vergéttlichung des Kosmos. Mit Chri- 
stus durchdringt das Géttliche die gesamte Welt bis 
hinab ins Chaos der Unterwelt. 


Hinweise auf die Auferstehung im AT und NT 


Die auf die Anastasis bezogenen, in der Litur- 
gie erwahnten Geschehnisse des AT, finden 
sich vereinzelt als Wandmalereien -- meist in 
der Nahe des Anastasisbildes: 

τ — Jonas im Walfisch, 

τς Jiinglinge im Feuerofen (> Daniel), 

¢ Josua bringt die Sonne zum Stehen. 


Nahe der Anastasisdarstellung werden oft 
auch die Propheten — Jesaias, -> Hesekiel 
und — Habakuk, die die Auferstehung vor- 
aussagten, dargestellt. 

Die Geburt Christi aus Maria, der Jungfrau, 
gilt als »Vorausbild« der Auferstehung: 

»Die VerschluBsiegel unverletzt lassend, Christus, 
erhobst Du Dich aus dem Grab, der Du das SchloB 
der Jungfraulichkeit nicht verletztest bei Deiner Ge- 
burt und der Du uns die Tore des Paradieses auf- 
tatest.« Osterliturgie, 6. Ode. 


Wie das Weihnachtsereignis Christi Tod und 
Auferstehung enthalt, so Tod und Auferste- 
hung auch Weihnachten. 


Panteleimon 
O ATIOC MANTEAEHMQN 


O ajios Panteletmon 


GroBmartyrer aus Nikomedia (heute Ismit, 
knapp 100 km éstlich von Konstantinopel). 
Leibarzt des Kaisers Maximian, von Kollegen 
wegen seines Christentums angeklagt, am 
27.7.304 grausam gemartert und enthauptet; 
der 27. Juli ist sein Gedenktag. 


»Und da er ihn sah, tat er ihm leid, und er ging zu 
ihm hin, verband ihm seine Wunden und gofs darein 
Olund Wein.« Luk. 10, 34 

»Ist jemand krank, der rufe zu sich die altesten der 
Gemeinde, lasse sie beten fiir ihn und ihn salben mit 
Olim Namen des Herrn.« Brief des Jakobus 5, 14 


257 


Pantokrator 


Der heilige Arzt Panteleimon. Osios Lukas, nach 
1000. 


Panteleimon erscheint auf seinen zahlreichen 
Ikonen und an Kirchenwaénden (Osios Lukas, 
Anfang 11.Jh.) als junger, bartloser Mann mit 
krausem Haar, vornehm gekleidet, in der Lin- 
ken eine Biichse oder ein Kastchen mit Medi- 
zin, in der Rechten einen langen L6ffel, ahn- 
lich dem, mit dem das Abendmahl verteilt 
wird (— Altar). Der Volksmund sagt tiber den 
Schutzpatron der Invaliden: »Alle Blinden und 
Lahmen gehen zum Heiligen Panteleimon.« Im 
Westen einer der 14 Nothelfer, zahlt er im 
Osten zu den Anajiri (den »Geldverdchtern«), 
steht auf Ikonen zwischen — Kosmas und Da- 
mian. 

Alle drei werden anlaflich der Olweihe (> 
Mysterien) um Fiirbitte fiir die Glaubigen ge- 
beten. 

Im Kloster Panachrontou auf Andros postie- 
ren die Ménche am Namenstag des Pantelei- 
mon einen Wachter neben den vor der Scha- 
delreliquie brennenden Ollampen. Die Glau- 
bigen sind darauf aus, nach der Andacht das 
Ol als Heilmittel zu entnehmen (— Paraskewi, 
26. August). 


Pantokrator 


O ΠΑΝΤΟΚΡΆΤΩΡ 
O Pantokrator 


Christus als Allherrscher, wichtigster Typ der 
Christusikonen, dargestellt in der Hauptkup- 
pel und als GroBikone (alternativ zu Christus 
als Erzpriester) auf der > Ikonostase. 


Das Pantokratorbild in der Architektur 

der Kreuzkuppelkirche 

842 Ende des Bilderstreits; 881 wird in Kon- 
stantinopel die von Basilius I. gestiftete Nea — 
die neue Kirche — eingeweiht. Ihre Hauptkup- 
pel beherrscht der »Allherrscher« Christus -- 
ein gewaltiges Brustbild-Medaillon in Gold- 
mosaik. In der Ajia Sophia wurde zw6lf Jahre 
vorher (oder 110 Jahre spater?) das seit 562° 
die Kuppel zierende Gemmenkreuz durch ei- 
nen Pantokrator mit einem Bildrund-Durch- 
messer von 11,60 m und einer Kopflinge von 
6,44m ersetzt. Ein neues theologisches Pro- 
gramm: Die Nea sollte Modellbild des durch 
die Menschwerdung Christi verklérten Kos- 
mos sein. Gott wurde durch ihn abbildbar, da- 
durch ist der Mensch vergéttlicht worden. 

Von nun an beherrscht der Allherrscher alle 
Hauptkuppein, beeinflu8t die architektoni- 
sche Konstruktion der Kirchen. 


Ab 1000 n. Chr. werden vor allem in Griechenland 
neben den schon tiblichen kleinen Kreuzkuppelkir- 
chen im Vierstiitzensystem (Kuppeldurchmesser bis 
zu 4m) Achtstiitzensysteme errichtet, mit weitem 
Kuppelraum, tiber vier Ecktrompen. 


(Osios Lukas, um 1000; Chios, Nea Moni, 
1. Halfte 11.Jh., Nachfolgertypen auf Chios; 
Panajia Nikodemou, Athen, 1044; Daphni, 
Ende 11.Jh.; Ajia Sophia, Monemwasia, 
12.Jh.; Mistra, Ajii Theodori, 13. Jh.) 


Das von armenisch beeinfluBten, inzwischen unter- 
gegangenen Bauten der Hauptstadt beeinfluBte Sy- 
stem gestattet es, den Kuppeldurchmesser mit dem 
Pantokrator bei gleichen Abmessungen des Haupt- 
raumes aufs 2/4fache zu vergr6Rern. 


Beispiel Kuppelpantokrator in Daphni bei 
Athen 

Die Abmessungen des Kuppelpantokrators 
entsprechen denen des Pantokrators in der 
Ajia Sophia. Mit seinen gigantischen Ausma- 


Pantokrator 


Ben mu er in der winzigen Klosterkirche we- 
sentlich eindrucksvoller wirken als sein Vor- 
bild, das sich in der tiberwdltigenden Weite 
des Kirchenraumes verlor. 


Kuppelpantokrator in der Klosterkirche von Daphni 
bei Athen, Ende 11. Jh. 


Das Pantokratorbild wird in mehrfacher Hin- 
sicht als héchstrangig herausgehoben; es 


vv ist die am héchsten angeodnete Ikone, 

x nimmt das Kuppelrund als die architektonisch 
bedeutendste Stelle im -—>Kirchengebaude ein 
(Kuppel = Himmel), 

yr tibertrifft im Abbildungsma8stab alle anderen 
Motive bei weitem, 

vr ist durch den Fensterkranz im Tambour weitaus 
am hellsten beleuchtet, 

x wirkt dadurch am farbigsten, 

yr ist als einzige herausgehoben durch eine mehr- 
fach konzentrische Kreisumgrenzung -- Regenbo- 
gen, gegebenenfalls Kreise von Engeln, Fenster- 
Prophetenkranz im Tambour, und kreisférmig um- 
laufendes Gesims unterhalb des Tambours, 

vx ist kiinstlerisch besonders sorgfaltig durchge- 
staltet. 


Kuppelpantokrator und Apsis-Panajia 
Zweitwichtigste Stelle — architektonisch und 
vom Motiv her — ist die Apsisw6lbung mit der 
Panajia (-95 Maria zwischen Engeln). Beide 
Blickpunkte stehen in einer Spannung zuein- 
ander: Der Pantokrator markiert das Blickziel 
der Vertikalen (g6ttlich-himmlischen Rich- 
tung), die Allheilige das Blickziel der Horizon- 
talen (menschlich-erdgebundenen) Richtung. 
Die Kirche reprasentiert die Durchdringung 
des G6éttlichen und Menschlichen, des Him- 
mels und der Erde. Die Gottesmutter, Identi- 
fikationsfigur fiir die Menschen, ist innen nahe 
und bereits vom Eingang her zu sehen. Der 
Pantokrator ist dagegen nur vom Naos aus 
sichtbar. 

Als Vorbereitung auf das, was den Hintreten- 
den im Inneren erwartet, wird er zusatzlich in 
der Liinette tiber der Eingangspforte zum 
Naos dargestellt (Osios Lukas, Anfang 11. Jh.; 
Chorakirche, Konstantinopel, 1315-1321). 

In Ausnahmefillen besetzt er die Apsiswél- 
bung (Elmali Kilise, Géreme, 12.Jh.), vor al- 
lem in den nichtiiberkuppelten Kirchen Sizi- 
liens (Cephalou, Mitte 12.Jh.; Monreale; En- 
de 12.Jh.) in postbyz. Tonnenkirchen auf 
Rhodos, ist das Motiv ausgebaut zur —> Deisis. 


Darstellungstypus Pantokrator 


»Welcher ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, 
der Erstgeborene vor allen, die geschaffen wurden. 
Denn durch ihn, Christus, ist alles geschaffen, was 
im Himmel und auf Erden ist.« Kol. 1, 16 


Die Liturgie bezeichnet ausschlieBlich Gott- 
vater als Pantokrator. In Abbildungen tritt an 
die Stelle des nicht darstellbaren Gottes Chri- 
stus als Ebenbild und Ikone Gottes; das gilt 
auch fiir Gotteserscheinungen im AT, z. B. die 
Schépfungsszenen in Monreale). Die auBeren 
Merkmale basieren auf der nicht mit Handen 
gemachten Christusikone (~ Mandylion, > 
Ikonenwunder): frontal ausgerichtetes Ge- 
sicht, dunkelbraunes langes, mittelgescheitel- 
tes Haar mit Stirnlocke, halbverdeckte Ohr- 
lappchen, gespaltener oder in einer Spitze aus- 
laufender (Rumanien!) Bart, schén geschwun- 
gene zusammengewachsene Brauen, Kreuz- 
nimbus (—> Nimbus). Im 12. und 13. Jh. (Kon- 
stantinopel, Balkan, Kappadokien) schwim- 
men die kleinen, mitunter stechenden Pupillen 


259 


Paraskewi 


frei im Wei der Augen — Andeutung eines 
besonderen BewuB8tseinszustandes (mystische 
Versenkung). 


Christus -- das Licht, 
die eucharistische Gabe 


Evangelienbuch des Pantokrators in Daphni. 


Die vom Gemmenkreuz-Nimbus her bekannte 
Symbolik wiederholt sich auf dem Deckel des 
geschlossenen Evangelienbuches in der Lin- 
ken (Christus als das Brot des Lebens zwi- 
schen den restlichen vier Prosphoren: —> Brot, 
—> Proskomidie). 

Der bevorzugte Text des geéffneten Buches: 


»Ich bin das Licht des Kosmos. Wer mir nachfolgt, 
wird nicht im Finstern wandeln, sondern das Licht 
des Lebens haben.« Joh. 8, 12 (Osios Lukas, Ce- 
phalou) 


Der Textanfang »Ich bin« wird in spatbyz. Zeit 
als O ON (»der Seiende«, Selbstaussage Got- 
tes) in den — Nimbus tibernommen. 

Der Pantokrator hat Sonnencharakter. Gott 
ist Licht (+ Himmlische und kirchliche Hier- 


260 


archie; —> Kreuz). Die Muslims tiberdeckten 
den Pantokrator in der Ajia Sophia mit dem 
Lichtvers (Sure 24, Vers 35) des Koran: 


»Gott ist das Licht der Himmel und der Erde. Sein 
Licht gleicht einer Nische mit einer Lampe. Die 
Lampe ist in einem Glas. Das Glas ist gleichsam ein 
glitzernder Stern — angeziindet von einem gesegne- 
ten Baum, einem Olbaum, weder vom Osten noch 
vom Westen, dessen Ol beinahe leuchtet, auch un- 
bertihrt von Feuer. Licht tiber Licht.« 


Die unter der Kuppel hangenden Lampen bil- 
den die arabischen Schriftzeichen des Verses 
nach. 

Weitere mégliche Texte in Darstellungen des 
Buches: Joh. 6, 51; 10, 9; 10, 30 und 14, 9-in 
Kappadokien haufig Joh. 20, 19: »Friede sei 
mit Euch.« 

Es ist zugleich Evangeliar des Priesters und 
Buch des wiederkehrenden Weltenrichters (> 
Himmelfahrt Christi; —> Endgericht). Die 
Rechte des mit einem goldschraffierten Chiton 
und blauen Himation (+ Gewander) beklei- 
deten Pantokrators formt die Christusgeste (> 
Hinde). 


Pantokrator-Ikonen 

Christus ist halbfigurig oder sitzt in ganzer Fi- 
gur liber einem purpurfarbenen ovalen Kissen 
auf einem Thron (-> Leerer Thron), die FiiBe 
auf einem Schemel aufgestiitzt. 

Ab spatbyz. Zeit ist er oft von Achtzacken- 
nimbus (> Zahl 8, — Brennender Dorn- 
busch), angefiillt mit Engeln oder Cherubim, 
auch mit Evangelistensymbolen, umgeben. 
Maria und der Taufer, kleinfigurig in den obe- 
ren Ecken, kénnen (Rumianien!) das Motiv 
zur — Deisis erweitern. 


Paraskewi 


H ATIA TIAPACKEYH 
lajia Paraskewi 


Die Heilige wurde an einem Freitag im 2. oder. 
3.Jh. in Ikonium (heute Konya) geboren; sie 
erhielt den Namen des Leidenstages Christi 
(= Vorbereitung), slavisch Piatniza. Nach dem 
Tod ihrer Eltern verteilte sie ihr Erbvermé- 
gen, zog nach Rom, verktindigte das Evange- 
lium, wurde gemartert und enthauptet. Am 
26. Juli, einen Tag vor Panteleimon, sammeln 


Passions- und Nachosterzyklus 


sich Volksmassen vor ihren tiber das Land ver- 
streuten Kapellen; oft mit angebauter Kiiche: 
Nach dem Gottesdienst wird ein gemeinsames 
Mahl eingenommen. 


oe 
Tamata (Votivgaben aus Silberblech) werden vor den 
Ikonen der Gottesmutter und bestimmter Heiliger 


aufgehdngt. Der Paraskewi werden vor allem Augen- 
Tamata als Weihegaben dargebracht. 


Augenvotivgabe, an Paraskewi-Ikone gehdngt. 


In Griechenland tragt Paraskewi gewohnlich 
Nonnenkleidung, in der Rechten das Holz- 
kreuz der Martyrerin, in der Linken ein Ta- 
blett mit Augen. Wie Panteleimon heilt sie 
Augenkrankheiten, die als Folge der Stindhaf- 
tigkeit gelten (-» Wunderheilungen Christi). 
Ihre Ikonen sind stets tiberhduft mit Tamata 
(Silberblechen) mit eingepragten Augenre- 
liefs, gespendet von Heilungssuchenden. Die 
russische Piatniza (28.Oktober) ist dagegen 
Schutzheilige der Frauenarbeit und des Markt- 
handels (Freitag war Markttag), tragt auf alte- 
ren Ikonen iiber einem blauen Kleid den roten 
Mantel des Martyriums und das weie Kopf- 
tuch der Jungfraulichkeit, wird auch von En- 
geln gekrént mit dem Siegeskranz der Marty- 
rerin, der zugleich Brautkrone der Braut Chri- 
sti ist. Kann ein Spruchband mit dem Glau- 
bensbekenntnis halten. 


Passions- und Nachosterzyklus: 


Lazarustag bis Pfingsten 
TA ATIA ΠΑΘΗ TOY XPICTOY 
Ta ajfa pathi ἰού Christoa 


Rund um das Osterfest haufen sich Gedenk- 
tage, deren Anldsse auf Fresken und Ikonen 
dargestellt werden. Die »grofe Woche« ent- 
spricht der Karwoche im Westen. 


Liturgie und Brauchtum in der 

groBen Woche 

Taglich finden mindestens zwei Gottesdienste 
statt. Ehemalige Morgengottesdienste haben 
sich auf den Abend des Vortages und Abend- 
gottesdienste auf den Morgen vorverlagert: 
Heute werden die heilsgeschichtlichen Ereig- 
nisse des nachsten Tages in der Liturgie schon 
am Vorabend aufgegriffen. 


vr Die groBe Woche beginnt mit dem groBen 
Fasten und der groBen Stille (> Kreuzigung) 
am Abend des Palmsonntags (> Einzug in 
Jerusalem, —> Lazarus). Der Papas tragt den 
»Brautigam«, eine Christusikone, in das Schiff 
und legt sie vor der Bilderwand aus. 

vx Am grofen Montag und an den beiden fol- 
genden Tagen wird die —> Liturgie der (am 
Palmsonntag) vorgeweihten Gaben gefeiert. 
Der Ernst der Stunde 148t eine komplette eu- 
charistische Feier, die bereits symbolisch die 


261 


Passions- und Nachosterzyklus 


Auferstehung beinhaltet, nicht zu. Die Kir- 
chenbesucher kiissen erst die ausgelegte Chri- 
stusikone, dann die Ikone Christi rechts am 
Templon, dann die seiner Mutter und der tibri- 
gen Heiligen. 

Die Madchen nehmen am Montag ihre Webe- 
reien vom Webstuhl, die Frauen beginnen die 
Hauser zu renovieren, zu weiBen und fiir 
Ostern auf Hochglanz herzurichten. 


+ »Herr, die ich vielen Siinden verfallen bin, ich 
fiihlte Deine Gottlichkeit und tibernahm die Pflicht 
einer Myrontragerin, die wehklagend Dir wohlrie- 
chende Salben vor Deiner Grablegung tiberbringt. 
Weh mir, sagte ich, daB Nacht um mich ist, die Lei- 
denschaft der Ziigellosigkeit, eine dunkle als auch 
mondlose Liebe zur Stinde ... Abkiissen werde ich 
Deine unbefleckten FiiBe, abtrocknen werde ich sie 
aber mit meines Hauptes Locken.« Troparion der 
Kassiani 


zr Im Abendgottesdienst des grofen Diens- 
tags kommt die Siinderin Maria Magdalena in 
einem 20miniitigen Hymnus, gedichtet von der 
Nonne Kassiani (geb. um 810) zu Wort. Auch 
Prostituierte besuchen diesen Gottesdienst, 
manch eine hat sich schon inmitten der Men- 
schenmenge zu FiiBen des jetzt vor der Bilder- 
wand aufgepflanzten Kreuzes geworfen und es 
mit bitteren Tranen benetzt, wie Maria Mag- 
dalena die FiiBe Christi. 

τ Am Mittwoch findet nach der Liturgie der 
vorgeweihten Gaben die Chrysamélung statt 
(+ Ol, — Mysterien). Die Papades machen 
auch Hausbesuche, um das Sakrament zu 
spenden. An Seeleute, Gastarbeiter, Reisende 
werden Wattebauschchen mit heiligem Ol -- 
Liebespfand und Medizin — verschickt. (Am 
folgenden Tag wird in Patriarchatskirchen und 
einigen Metropolitankirchen die Weihe des 
neuen Chrysaméles vollzogen.) Die Feier des 
mystischen Abendmahles steht bevor, die Iko- 
ne des Dornengekrénten wird im Abendgot- 
tesdienst gegen die Abendmahlsikone ausge- 
tauscht. Mancherorts bringen die Glaubigen 
Mehl und Eier in die Kirche, damit sie dort 
geweiht werden. 

τς Der Donnerstag (FuBwaschung, --Ὁ Fu8) ist 
»der rote«: Zu den Ostervorbereitungen ge- 
hért das Rotfarben der Eier. Das erstgefarbte 
Ki der Allheiligen schiitzt Kinder vor dem — 
Bosen Blick. Wahrend der Morgenliturgie, die 
des letzten Abendmahles gedenkt, nehmen 


262 


ungewohnlich viele Kinder und Erwachsene 
am eucharistischen Mahl teil. 

Im Zentrum des Abendgottesdienstes steht 
bereits die Kreuzigung: 

In zw6lf Abschnitte, die zw6lf Stationen, auf- 
geteilt, werden alle Passionsschilderungen, aus 
den vier Evangelien verlesen. Die Kirche ist 
mit schwarzen, scharlachfarbenen und weiBen 
Tiichern geschmiickt, die Papades tragen 
schwarze Gewéander und silberne Kreuze. 
Nach der fiinften Lesung stellt der Priester ein 
Kreuz in die Mitte der Kirche tiber einem er- 
héhten Platz auf — Golgatha. 


Vor 1000 wurden fast nur die — Kreuzigung, spater 
in den tiefer gelegenen Wandzonen der Kirchen 
oder in einer Unterkirche (Osios Lukas, Anfang 
11.Jh.) auch andere Passionsereignisse dargestellt — 
sichtbarer Ausdruck der Erniedrigung, die Christus 
auf sich genommen. Alle Passionsdarstellungen ge- 
ben den Inhalt der zwGlf Lesungen und der beglei- 
tenden Hymnen wieder. 


Von der Mittagszeit an sammeln sich Frauen 
und Madchen in der Kirche, um das Epita- 
phion zu schmiicken, werden selbst zu Trau- 
ernden, die den Tod Christi beweinen, halten 
Nachtwache und singen Trauergesinge flr 
Christus — so wie sie auch Mirologia (Totenlie- 
der) fiir ihre Angehdrigen singen. 

vr Der grofe Freitag ist der Tag der Grable- 
gung Christi und seines Vordringens in den 
Hades, symbolisiert durch den Epitaphios- 
Umzug (> Kreuzigung). 

vr Die Morgenliturgie des grofen Samstags 
vermittelt eine Vorahnung der Osterfreude. 
der Papas agiert betont laut und umtriebig, um 
die Damonen und Teufel, die Christus am 
Auferstehen hindern, zu vertreiben. Die Ju- 
gend unterstiitzt ihn: In der Kirche klappern 
Blechdosen, knallen Knallerbsen, drauBen 
klingen die Glocken, die die Woche hindurch 
geschwiegen haben, dréhnen Béllerschiisse. 
Altes Geschirr wird aus den Fenstern gewor- 
fen, scheppert auf die DorfstraBen. Nach der 
Liturgie zieht der Papas von Haus zu Haus, 
um die Osterlammer zu segnen. Nach dem 
Vorbild der Kinder Israel, die Tiirpfosten und 
-sturz mit dem Blut des Passahlammes bemal- 
ten (2. Mose 12), zeichnet man Vielerorts drei 
Kreuze mit Lammblut in die Wand. Die Leute 
besuchen den Friedhof, entziinden Lichter an 
den Grabern ihrer Angehérigen, bringen ih- 


Passions- und Nachosterzyklus 


nen Kollywa und Eulogia-Brot (-» Totenbrau- 
che, — Brot). Etwa eine Stunde vor Mitter- 
nacht beginnt der in die Auferstehungsfeier 
einmiindende Gottesdienst (— Ostern). 


Darstellungen des Passionszyklus 


vr Auferstehung des — Lazarus. 

xr —> Einzug in Jerusalem. 

xe Judas laBt sich (Marth. 26, 14-16) mit Geld 
bestechen: 

»Ein Haus und in ihm sitzen Hannas und Kaiphas 
auf Thronen und die Schriftgelehrten und Pharisder 
-um sie herum. Vor ihnen eine Kiste, und einer zahlt 
‘Goldstiicke daraus. Judas ist vor der Kiste und halt 
seine Hande nach den Geldstiicken ausgestreckt, 
und Hannas zeigt sie inm.« Malerhandbuch (Er- 
‘menia) 


Seltene Darstellung, erst ab spatbyz. Zeit tib- 
lich. 

ve — FuBwaschung. 

vv Das mystische Abendmahl (— Eucharistie, 
—> Mysterien). 

¥ Christus bittet auf den Knien (Gebet im 
Garten Gethsemane nach Matth. 26, 36-44). 
Seine Lieblingsjiinger Petrus, Jakobus und Jo- 
hannes schlafen. Er betet dreimal: 


»Mein Vater, ist’s méglich, so gehe dieser Kelch 
an mir vorbei ...« 


Ein Engel vor ihm reicht ihm im Flug einen 
Kelch zu, nach dem AT ein Symbol des Zornes 
Gottes (Jes. 51, 17). Seit postbyz. Zeit unter 
abendlandischem Einflu8 dargestellt. 

yr Judas verrit Christus (Matth. 26, 47-56; 
Joh. 18, 2-11): 

Inmitten seiner Jtinger Christus, die Rechte 
segnend erhoben (Christusgeste > Hande), in 
der Linken die Schriftrolle. Hinter ihnen eine 
Wand von Lanzenspitzen. Judas, manchmal 
bartiger Finsterling, manchmal bartloser sché- 
ner Jiingling, schiebt sich ‘von hinten heran, 
greift nach Christus, um ihn zu kiissen: 


»Welchen ich kiissen werde, der ist’s, den 
greifet.« 

Im Vordergrund schneidet Petrus mit einem 
Kurzschwert dem Malchus, Knecht des Hohen 
Priesters, ein Ohr ab. Christus wird es wieder 
anheften. Links neben Christus oft eine reich- 
gekleidete Gestalt mit Dolch — wohl der Hohe- 
priester (Carikli und Karanlik Kilise, Gére- 


Fidastult Fresko Ajia Anastasia, Jennadi, Rhodos, 
westlich beeinfluBt. 


me). Judas, auf Christus zuschreitend, um ihn 
zu kiissen, kommt schon auf frithen Sarkopha- 
gen (um 400) vor, in Verbindung mit der Ge- 
fangennahme auf friihbyz. Mosaiken (Raven- 
na, Sant’Apollinare Nuovo, Anfang 6. Jh.). 


Gefangenfithrung Christi. Elmali Kilise, 
Kappadokien. 


yw Gefangenfihrung: 

Christus, in Wei® gekleidet, wird »wie ein 
(weiBes Oster)lamm zur Schlachtbank« gefiihrt, 
einen Strick um den Hals, gehalten von einem 


263 


Passions- und Nachosterzyklus 


Kriegsknecht, halt die Schriftrolle und voll- 
zieht die Christusgeste (Elmali Kilise, Gé- 
reme, 12.?Jh.). 


Shay rit 


* SH 


Der Hohepriester Kaiphas zerreiBt sein Gewand, 
Ausschnitt aus einem Fresko. Ajios Nikolaos Orpha- 
nos, Thessaloniki, Anfang 14. dh. 


x Christus verantwortet sich vor Hannas und 
Kaiphas: 

Kaiphas steht hinter einem Tisch, zieht mit 
beiden Handen seine Kleider auseinander, 
daf die Brust freiliegt, blickt auf den seitlich — 
meist von links her —- von Wachtern hereinge- 
fiihrten Christus. Architekturdetails im Hin- 
tergrund deuten Innenraum an. Hannas, auch 
ein graubartiger Alter, steht oder sitzt, blickt 
auf Christus, zeigt mit der Hand auf Kaiphas: 


»Ich beschwére Dich bei dem lebendigen Gott, daB 
Du uns sagst, ob Du bist Christus, der Sohn Gottes. 
Jesus sprach zu ihm: Du sagst es ... Da zerri® der 
Hohepriester seine Kleider und sprach: Er hat Gott 
geldstert, was bediirfen wir weiterer Zeugnisse ...« 


Das KleiderzerreiBen zeigt als Zerkratzen der 
4uBeren Haut ein sich Verletztfiihlen vor Zorn 
oder Trauer an. Klagende zerkratzen sich und 
raufen die Kleider (> Totenbraéuche) — haufi- 


264 


ges Motiv auf spatbyz. Fresken (Kirchen in 
Serbien, Kastoria, Thessaloniki Nikolaos Or- 
phanos). 
τς Dreimalige Verleugnung Christi nach der 
Ermenia: 


»Unter dem Palast des Hannas, wo Christus gerich- 
tet wird, steht Petrus in einer Ecke, vor ihm ein 
Madchen, welches die Hande gegen ihn ausstreckt. 
Man sieht Feuer, zwei Soldaten warmen sich und 
fragen den Petrus. Petrus erscheint ein anderes Mal 
an der Tiir des Palastes und halt voller Furcht seine 
Hande ausgestreckt, und ein Madchen zeigt ihm 
Christus. Uber ihm an einem Fenster kraht ein 
Hahn. Petrus weint.« 


In der Liturgie des groBen Donnerstags identi- 
fiziert sich der Glaubige mit Petrus: 


»Zum dritten Mal — verleugnend, erinnerte Petrus 
sofort Dein Wort. Doch er brachte Dir dar Tranen 
der Reue. O Gott, erbarme Dich meiner und rette 
mich.« 


vx Christus vor dem jugendlichen Pilatus in 
rémischer Ristung, mit Purpurumhang, auf 
einem thronartigen Sessel: 

Christus gefesselt, von Soldaten festgehalten; 
Schriftgelehrte und Phariséer deuten auf ihn. 
Architektonische Details — das Gerichtsgebau- 
de. Spatbyz., haufiger in nachbyz. Zeit. 

vw Tod des Judas: 


»Als Judas, der ihn verraten hatte, sah, daB er zu 
Tode verdammt war, empfand er Reue und brachte 
die 30 Silberstiicke wieder zuriick zu den Hohen- 
priestern und Altesten. Er sprach: Ich habe Unrecht 
getan, da8 ich unschuldig Blut verraten habe. Sie 
sprachen: Was geht das uns an. Sieh zu, wie Du 
damit fertig wirst. Und er warf die Silberlinge in den 
Tempel, machte sich davon und erhangte sich.« 
Matth. 27, 3-8 


Der Disput des Judas und sein Freitod werden 
ab spatbyz. Zeit als separate Szenen nebenein- 
andergestellt. Der sich Erhaéngende, seit dem 
4.Jh. der (Naheres —>) Kreuzigung als Kon- 
trast gegeniibergestellt, wird am grofen Frei- 
tag in Form einer Strohpuppe von Jugend- 
lichen verbrannt. 

yw Christus vor Herodes: 


»Ein Palast und Herodes, ein Greis mit rundem 
Bart, sitzt auf einem Thron, in kéniglichen Gewan- 
dern, hinter ihm Soldaten, vor ihm Christus, und 
zwei Soldaten ziehen ihm ein weifes Kleid an. Hin- 
ter ihm eine Menge Juden.« Malerhandbuch Er- 
menia 


Passions- und Nachosterzyklus 


Ab spatbyz. Zeit in ausfiihrlichen Passions- 
zyklen. 

xe Handwasche des Pilatus: 

»Ich bin unschuldig am Blut dieses Gerechten, sehet 
Ihr zu!« Matth. 27, 24 

Pilatus in rémischer Rtistung auf einem Hok- 
ker, taucht seine Hande in eine Schiissel, in 
die ein Diener Wasser schiittet. Sein Gesicht 
ist abgewandt von Jesus. Der steht gefesselt 
zwischen rémischen Soldaten. Haufiges Motiv 
an Kirchenwanden ab 14. Jh. 


Verspottung Christi. Nachbyz. Fresko im naiven Stil 
der Mani. Johannes-Prodromos-Kirche, Areopolis, 
Innere Mani, Peloponnes. 


τ Die Verspottung: 

Christus steht frontal in der Mitte, barfu oder 
mit Sandalen, in langem 4rmellosem Purpur- 
gewand (Collobium -» Gewander), blickt 
schicksalsergeben nach vorn, die Rechte erho- 
ben oder vor das Herz gehalten, in der Linken 
ein tiberlanges Schilfrohr — Persiflage auf den 
Herrscherstab. Die Dornenkrone, verkiirzt zu 
einem von vorne gesehenen Strich, ist auf sein 
vom Kreuznimbus hinterfangenes Haupt ge- 
driickt. Die Volksmenge macht einen HGllen- 
larm mit Pauken, Zimbeln und Blasinstrumen- 
ten (Form eines Elefantenzahnes). 


Ein Signalhorn, das Schofar, wurde im alten Israel 
zur Proklamation des Kénigs benutzt. Mitunter 
knien rémische Wachter mit héhnischem Ausdruck 
hinter Schildern nieder, Halbstarke fiihren Spottan- 


ze auf. Die ironische K6nigsproklamation Christi ist 
ein Gegenbild zu seinem Vortriumph (—> Einzugs in 
Jerusalem) und zum Triumph bei — Himmelfahrt 
und Wiederkunft. 


Haufig dargestellt auf spatbyz. Zyklen (Niko- 
laos Orphanos, Thessaloniki, Anfang 14. Jh.; 
Staro Nagaro¢ino, Makedonien, 1317-1318). 
Das westliche Motiv des »Schmerzerismannes« 
wird im Osten ab 17.Jh. tibernommen (haufig 
in der Prothesisnische). 

yw Die Kreuztragung: 

Im Westen beliebtes, mit den Veronikaszenen 
verbundenes Motiv (— Mandylion) -- kommt 
gelegentlich in postbyz. Zyklen vor, wird im 
Malerhandbuch Ermenia erwahnt. Friih- 
christ]. Sarkophage geben die Kreuztragung 
als Triumphzug wieder (Vatikan, ex Lat. 171, 
2. Hilfte 4.Jh.): Der Gefangengefiihrte tragt 
erhobenen Hauptes das Siegeskreuz, Vorbild 
fiir die Kreuzeslanze der Auffahrt Christi (> 
Ostern). Dariiber schwebt ein Kranz. 


Christus besteigt freiwillig das Kreuz. Ajios Nikolaos 
Orphanos, Thessaloniki, Anfang 14. Sh. 


vr Kreuzbesteigung: 

Alle Evangelisten beschraénken sich in ihrem 
Kreuzigungsbericht auf die diirren Worte »Sie 
kreuzigten ihn«. DaB® die Hande festgenagelt 
wurden, geht aus einer Bemerkung des -- 
Thomas, Joh. 20, 25, hervor. Die Ermenia be- 
schreibt die Kreuzigung historisierend: 


»... ein auf dem Boden liegendes Kreuz und auf 
ihm Christus ausgestreckt ...« 


Die Darstellungen — ab 14. Jh. — stiitzen sich 
jedoch auf die theologischen Aussagen der Li- 
turgie: , ἢ 


»Herr, als Du das Kreuz bestiegest, wurde die 
Schépfung von Furcht und Schrecken befallen. « 


265 


Passions- und Nachosterzyklus 


Christus steigt von sich aus wachen Blickes auf 
Leiterstufen zum bereits errichteten Kreuz 
empor. Ein Knecht auf einer Stehleiter hangt 
sich tiber den rechten Kreuzbalken und packt 
seinen rechten Arm ~ stiitzt Christus eher, als 
daf er ihn festhalt. 

Ein zweiter packt den rechten Arm und hilt in 
der Linken Hammer und Nagel. Die Freiwil- 
ligkeit der Kreuzbesteigung wird betont wie in 
der Liturgie (Donnerstag): 


»... Du wolltest leiden und errettetest uns als Men- 
schenfreund.« 


»Das All litt mit dem Schépfer des Alls, als Du. 


freiwillig fiir uns duldetest ...« 


vr — Kreuzigung. 
% Joseph von Arimathia bittet sich Christi 
Leichnam aus: 


»Ein Palast und in ihm sitzt Pilatus auf einem Thron 
und hinter ihm steht ein Soldat, der das Schwert in 
der Scheide halt. Vor Pilatus halt Joseph, ein ge- 
biickter Greis, seine Hande gegen ihn ausgestreckt. 
Und der Hauptmann zwischen Joseph und Pilatus 
spricht zu Pilatus. Malerhandbuch (Ermenia) 


ἢ 28 


oir = 


Grablegung aus 


266 


der Unterkirche von Osios Lukas, Anfang 11. Jh. 


yw Kreuzabnahme: 

Joseph von Arimathia steht auf einer Leiter 
(oder vor einem niedrigen Kreuz), halt den 
leblos heruntergleitenden, bizarr geknickten 
K6rper Christi mit beiden Handen, reicht ihn 
der Gottesmutter. Sie umfaBt den K6rper lie- 
bevoll, kii®t die rechte Wange. Ein Helfer 
macht sich mit einer Zange an den noch festge- 
nagelten FiiRen zu schaffen. Der Jtinger Jo- 
hannes birgt sein Gesicht in der Rechten oder 
ergreift eine Hand Christi, streift mit seiner 
Wange dartiber. (Ausdruckstarke Wiedergabe 


_innerseelischer Vorginge -- besonders auf 


Fresken im slawischen Balkan.) (Nerezi bei 
Skopje, Makedonien, 1164; Aquilea, Anfang 
13.Jh.; Mistra, Periwleptos, um 1350.) Die 
Gottesmutter kann auch den Leichnam in ih- 
ren Armen halten; eine Myrrhentragerin lieb- 
kost die Rechte des Toten — Zwischenlésung 
zwischen Kreuzabnahme und Beweinung (Mi- 
leSewa, Serbien, etwa um 1235). 

Die Uberginge zwischen dem Motiv der Be- 
weinung (Wandmalerei seit 11.Jh.) und dem 
der Grablegung (seit 9. Jh.) sind flieBend. 


Patriarchen und Patriarchate 


yr Beweinung: 

Christus liegt auf einem Stein, deutlich als 
Abendmahlsaltar (+ Proskomidie) zu erken- 
nen. Im Hintergrund zumeist das Kreuz. Ma- 
ria hinter dem Altar pre&t ihr Gesicht an das 
Gesicht des Toten. Der ergraute Joseph von 
Arimathia kii8t ihm die Fie, Johannes lieb- 
kost seine linke Hand. Auf eine Leiter am 
Kreuz sttitzt sich der dunkelbirtige Nikode- 
mus. Zu den Seiten zwei klagende Frauen mit 
zerrauften Kleidern, manchmal sogar bar- 
hauptig mit wirrem Haar (Elassona). Maria 
Magdalena reckt beide Hinde zum Himmel 
(— Oranten). Uber der Szene schweben wei- 
nende Engel, ihre Hande mit Tiichern ver- 
hiillt. Die Beweinung ist auf die liturgisch 
wichtigen Epitaphiostticher aufgestickt. 

vw Grablegung: 

Felsengelande mit Grab. Joseph halt den in 
Totenbinden eingewickelten Leichnam am 
Kopfende, Nikodemus an den FiiBen. Maria 
steht bei ihnen. 

Interessant die Kombination von Beweinung 
und Grablegung, zusammengefaBt mit der En- 
gelverktindigung, in der Unterkirche von 
Osios Lukas: Christus liegt auf einem erhdéh- 
ten Altar, durch eine Tiir in der Vorderwand 
als Grab gekennzeichnet. Ein Andreaskreuz 
mit vier Punkten darauf weist auf die Vorbe- 
reitung der + Eucharistie hin (> Proskomi- 
die, > Brot). 

Das-Fresko betont die liturgisch-sakramentale 
Bedeutung des Geschehens: 

Die Grablegung ist aufgestickt auf jedes Anti- 
minsion — als Unterlage unentbehrlich fiir die 
eucharistischen Gaben (—> Altar). 


Darstellungen fiir die Nachosterzeit 


τς Aufstieg Christi aus dem Hades: Eréffnet 
den Zyklus des ésterlichen Triumphes Christi. 
ye Die Myrrhentragerinnen am leeren Grab 
(—> Ostern). 

ve Christus erscheint den Myrrhentragerin- 
nen: Christus mit segnenden Handen in der 
Bildmitte, Nagelwunden sind zu sehen. Zwei 
Frauen fallen anbetend zu Boden, links Maria 
Magdalena umfangt mit verhiillten - Handen 
seinen rechten FuB, rechts eine andere Myr- 
rhentragerin. Beliebtes spatbyz. Motiv (Niko- 


laos Orphanos, Thessaloniki, Anfang 14. Jh.; 
Kirchen in Kastoria). 

vw Petrus und Johannes am Grabe: Petrus 
biickt sich, beriihrt die Schwei8tticher. Johan- 
nes schaut von aufen ins Grab. Neben ihm 
weinend Maria Magdalena. 

yx Christus vor Maria Magdalena: Beim Grab 
mit zwei wei®gekleideten Engeln erscheint 
Christus der Maria Magdalena, sie will seine 
Fii®e beriihren (Anspielung auf die Salbung). 
Beischrift: »Maria, rtihre mich nicht an. « 

yr Erscheinung in Emmaus: Christus sitzt zwi- 
schen Lukas und Kleophas am Tisch, halt ein 
Brot, segnet es. Die beiden erkennen ihn. 

vw Der essende Auferstandene: Christus zeigt 
den Jiingern, daB er als leiblich Auferstande- 
ner essen kann. Petrus reicht ihm eine Schiis- 
sel mit Fisch und eine Honigscheibe. Christus 
segnet die Speisen mit der Rechten und nimmt 
mit der Linken davon. 

vy Der ungléubige > Thomas. 

yr Am Meer von Tiberias: Christus steht am 
Ufer (~ Meereswunder). Auf Wasserwellen 
schwimmen Schiffe. - Apostel zichen Netze 
voller Fische ein. Petrus schwimmt im Meer 
auf Christus zu. Dahinter Grillgerate mit glii- 
hender Holzkohle unter einem Rost mit — Fi- 
schen (Tokali II, Goreme, Ende 10. Jh.). 

ye Drei Fragen an Petrus: Am Seeufer ein 
Schiff, davor die ausgestiegenen Apostel. 
Christus schaut auf Petrus. Beischrift: »Simon, 
Jonas Sohn, liebst du mich? « 

yw Auf einem Berg in Galiléa: Christus steht 
segnend in der Bildmitte auf einem — Berg- 
gipfel (Matth. 28, 16), rechts ein schlanker 
Baum, zu beiden Seiten verneigen sich sechs 
symmetrisch angeordnete Jtinger, sie strecken 
ihm ihre Hinde entgegen. Die Szene wird vor- 
zugsweise, mit der Himmelfahrtsdarstellung 
kombiniert, in der Gew6élbezone wiedergege- 
ben (Cavusin Kilise, 2. Halfte 6.Jh.). 

ye — Himmelfahrt. 

vy — Pfingsten. 


Patriarchen und Patriarchate 


OI IIATPIAPXEC KAI TA ITATPIAPXIA 
I patridrches ke ta Patriarchia 


Die geistlichen Leiter der selbstandigen ortho- 
doxen Kirchen. 


267 


Pelikan 


Die vier alten und die drei jiimgeren 
Patriarchate 

325 legte das erste Gkumenische Konzil zu Ni- 
kaa drei Metropolien— Rom, Alexandrien und 
Antiochien — fest. 381 nannte das Konzil von 
Konstantinopel Rom, Konstantinopel, Alex- 
andrien und Jerusalem. Vom 5. bis 6.Jh. an 
wurden die Amtsinhaber als Patriarchen be- 
zeichnet, abgeleitet von den Erzvatern des AT 
— Abraham, Isaak, Jakob und dessen 12 S6h- 
nen. 1235 schuf eine Synode das bulgarische 
Patriarchat, 1375 entstand das serbische, nach 
dem Fall Konstantinopels wurde 1589 unter 
Zustimmung des 6kumenischen Patriarchen 
das Moskauer Patriarchat eingerichtet. 


Die einzelnen Patriarchate 

Rom: Der Papst hatte einen Ehrenvorrang un- 
ter den Patriarchen, schied durch die Kirchen- 
spaltung von 1054 aus der Reihe der autoke- 
phalen (selbsténdigen) orthodoxen Kirchen 
aus. 

Konstantinopel: Das Patriarchat verblieb nach 
der osmanischen Eroberung in der Stadt. Sei- 
ne Jurisdiktion erstreckt sich heute tiber die 
Griechen in Konstantinopel, deren Zahl in 
den letzten Jahren stark abgesunken ist, tiber 
die Inseln des Marmarameeres, iiber Kreta, 
den Dodekans und den Heiligen Berg Athos. 
Der 6kumenische Patriarch hat einen Ehren- 
vorrang unter den Patriarchen, residiert unter 
bescheidenen Verhdltnissen im Stadtteil Pha- 
nari. Die Patriarchatskirche ist eine schlichte 
Basilika des 17. Jh.s. 

Alexandrien: Urspriinglich Sitz einer bedeu- 
tenden theologischen Schule (~ Kirchenva- 
ter). Der »Papst und Patriarch« verlor um 848 
an Gewicht: Der gré8te Teil der christlichen 
Agypter nahm das monophysitische Bekennt- 
nis an. 638 wurde das Land arabisch. Das kop- 
tische Patriarchat, das neben dem orthodoxen 
besteht, betreute auch die nubische und die 
athiopische Kirche (bis 1959). 

Antiochien (Antakia): Die Stadt mit der ersten 
heidenchristlichen Gemeinde (Apg. 11, 26), 
fiel 541 an die Perser, 634 an die Araber, 969 
zurtick an die Byzantiner, 1098 an die Fran- 
ken, die im 12.Jh. die byz. Oberhoheit aner- 
kannten, 1268 wieder an die Araber, 1516 ans 
Osmanische Reich. Der Sitz des Patriarchates 
ist z.Z., wie der des westsyrisch-jakobitischen 


268 


Patriarchen von Antiochien, Damaskus. Im 4. 
und 5.Jh. hatte die antiochenische Schule gro- 
Be Theologen (> Kirchenvater) hervorge- 
bracht. 

Die antiochenisch-malerische Tradition hat auf die 
kappadokische Kunst, auf Klosterkirchen in Grie- 
chenland (Osios Lukas) eingewirkt: Flachig ange- 
legte Figuren mit grafischer UmriBzeichnung vor 
einfarbigem Untergrund, Neigung zur Abstraktion 
und zur Vereinfachung des Themas, dynamisch-ex- 
pressive Bewegungen. Der naive Stil steht im Ge- 
gensatz zu klassischen Tendenzen in der Kunst der 
Hauptstadt. 


Jerusalem: Die Stadt wurde 614 Beute der Per- 
ser, 628 von den Byzantinern zurtickerobert, 
637 arabisch und 1076 seldschukisch. Die 
Kreuzritter setzten (1099-1187) eirien ré- 
misch-katholischen Patriarchen ein. Die Stat- 
ten des heilsgeschichtlichen Geschehens haben 
auch nach der islamischen Machttibernahme 
eine starke Anziehungskraft auf Pilger aus- 
getibt. 

Moskau: EinfluBreichstes unter den jiingeren 
Patriarchaten. Seit 1448 wahlte die russische 
Kirche ihren Metropoliten selbst (Autokepho- 
lie). Nachdem Konstantinopel, als das zweite 
Rom, 1453 in die Hand der Unglaubigen gefal- 
len, verstand sich Moskau als Erbe von Byzanz 
und als »drittes Rom«. Iwan III. heiratete 
1472 die Nichte des letzten byz. Kaisers. 1589 
wurde die Metropolie von Moskau Patriar- 
chat. Die Idee vom »dritten Rom« hat auf die 
russische Geistigkeit und Politik entscheidend 
eingewirkt. 

In Ruménien wurde 1925 ein Patriarchat aus- 
gerufen. 

Andere autokephale Gemeinschaften ohne 
Patriarchatsrang: Griech. Kirche (geleitet von 
einer Bischofssynode), Kirche Zyperns, Sinai- 
Kloster, Kirchen Georgiens, Albaniens, Po- 
lens, Finnlands, Estlands, Lettlands, der 
Tschechoslowakei, Chinas und Ugandas. 


Pelikan 


TO ΠΈΛΕΚΑΝ 
To pelekan 


»Wie der Pelikan hast Du Deine zerstochene Seite, 
Logos, Deine sterbenden Kinder wiederbelebend, 
als lebensspendende Quellen traufeln lassen.« Epi- 
taphiosliturgie vom Abend des grofen Freitag 


Peter und Paul 


Der Physiologos (ca. 200 n. Chr.) erlautert: 

»... Sie (die Paradiesesschlange = der Teufel) blast 
den Pelikanjungen (Menschen) ihr Gift zu, und sie 
sterben sofort ... Mit seinen Fliigeln schlagt er (Pe- 
likan = Christus) seine Seiten, und das Blut flieBt 
heraus und ... tropft ... auf seine Kinder, und sie 
werden zum Leben erweckt.« 


Der Pelikan kommt in gemalten Tierfriesen, 
als Architekturrelief, als Hochrelief im vergol- 
detem Holz von Bilderwanden vor. 


Perle 
O MAPIAPITHC/TO MAPTAPITAPI 
O Margaritis/To Margaritari 


Im NT Gleichnis des Himmelreiches: 
Matth. 7, 6; 13, 45 (Naheres — Drache). 


Peter und Paul 


O IIETPOC KAI O MAYAOC 
O Pétros ke o Pawlos 


Die zwei herausragendsten Apostel reprasen- 
tieren als Vertreter der judenchristl. und der 
heidenchristl. Gemeinden die Gesamtheit der 
Kirche. 


Petrus im Neuen Testament und in der 

friihen Uberlieferung 

‘Simon Petrus (= Fels, aramaisch kepha), Fi- 
scher aus Bethsaida, schloB sich, mit seinem 
- Bruder Andreas Jesus an (-9 Berufung). Der 
heilt die Schwiegermutter des Petrus. Im NT 
ist Petrus der am haufigsten —- 70mal — erwahn- 
te Jiinger. Christus vor seiner ersten Leidens- 
anktindigung: 

»Ich will dir des Himmelreiches Schliissel tiberge- 
ben. Alles, was du auf Erden bindest, soll auch im 
Himmel gebunden sein, was du auf Erden ldsest, 
soll auch im Himmel gelést sein.« Matth. 16, 17-19 


Petrus verleugnet Christus nach dessen Gefan- 
gennahmie dreimal (> Passionszyklus). 

Der Uberlieferung nach missionierte Petrus in 
Rom, erlitt unter Nero zwischen 64 und 67 den 
Tod — gem48 Christi Prophezeiung am Kreuz: 
»Wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hande aus- 
strecken, und ein anderer wird dich giirten und fith- 
ren, wohin du nicht willst.« Joh. 21, 18 (> Oranten- 
gestus als Kreuzigungshaltung) 


Die apokryphen Petrusakten schildern seine 
Kreuzigung mit dem Kopf nach unten, er er- 
lautert sie selbst den Umstehenden als kompli- 
ziertes Sinnbild. Der erste der beiden Petrus- 
briefe im NT gilt als authentisch. 


Paulus im Neuen Testament und in der 

friihen Uberlieferung 

Teppichweber aus Tarsos (Siidostkiiste Klein- 
asiens) verfolgte, als Saulus, die Christen. 
Durch eine Christusvision bei Damaskus be- 
kehrt, widmete er sich als erster der systemati- 
schen Missionierung der Nichtjuden, griindete 
auf drei Mittelmeerreisen (48-60) zahlreiche 
Ortsgemeinden. Spater zu den zw6lf Aposteln 
-- anstelle des abgefallenen Judas — gerechnet, 
setzt sich Paulus gegentiber der Jerusalemer 
Urgemeinde (Jakobus und Petrus), vehement 
dafiir ein, daB die Christen aus der Heiden- 
schaft nicht mehr die jiidischen Gesetze tiber- 
nehmen miissen (R6m. 3, 28). In Jerusalem 
gefangengesetzt, wird er als r6mischer Btirger 
nach Rom verbracht, nach den. apokryphen 
Paulusakten auf den persénlichen Befehl Ne- 
ros hin enthauptet (64 oder 66/67). 


14 Sendschreiben des Paulus, zum Teil in Rom ver- 
faBt, bilden den dltesten Teil des NT. Paulus meint 
mit Evangelium die miindliche, vor allem von ihm 
selbst vermittelte Heilsbotschaft (Gal. 1, δ). Die 
Theologie des Diasporajuden hat griechisch gefarb- 
te kosmologische Ziige, seine Frémmigkeit wird aus 
ekstatischen Visionen und mystischer Schau ge- 
speist — Ziige dieser Religiositat wirken in der ortho- 
doxen Tradition fort. 


Am 30. Juni wird aller > Apostel gedacht, am 
Vortag allein Peters und Pauls. In Athen zele- 
briert der Erzbischof den Abendgottesdienst 
auf dem Areopag, wo Paulus am Altar des un- 
bekannten Gottes den Athenern sagte: »Nun 
verktindige ich euch den, dem ihr unwissend 
Gottesdienst darbringt.« Apg. 17, 23 


Darstellungen der Apostelfiirsten 

»Ich sah eine groBe Zahl Bildnisse des Heilands, wie 
auch des Petrus und des Paulus, die sich bis in unse- 
re Zeit erhalten haben.« Der Bildergegner Eusebios 
von Caesarea, 265-340, Geschichte der Kirche VH, 
18 


Als einzige Apostel werden beide physiogno- 
misch deutlich charakterisiert, Petrus mit run- 
dem Kopf, grauem Kraushaar und krausem 


269 


Peter und Paul 


nih 
ae 


Die Apostelfiirsten Petros und Pawlos, Osios Lukas bei 


Bart, Paulus mit langlichem Gesicht, schwar- 
zem, spitzem, aber vollem Bart, mit Halbglat- 
ze und Stirnlocke — schon eine Medaille aus 
dem 2. oder 3.Jh. (im Vatikan) zeigt diese 
Merkmale. Es ist nicht auszuschlieBen, da8 in 
Rom schon zu Lebzeiten Portrats von ihnen 
entstanden sind. 

Verbreitete friihchristl. und friihbyz. Motive: 


zw Ubergabe des Gesetzes (traditio legis). 
Christus als eschatologischer Weltenherrscher 
auf dem Paradiesesberg — mit vier Quellen — 
stehend, tiberreicht Petrus rechts die Rolle des 
Gesetzes des Moses, links Paulus. 

(Friheste Darstellung, vermutlich nach dem 
Vorbild der Apsis von Alt-Sankt-Peter: Santa 
Costanza, Rom, Mitte 4.Jh.; Sarkophage 
Rom, Ravenna, 4. bis Ende 5.Jh.). Selten: 
Paulus links erhalt die Rolle, Petrus rechts 
tragt ein Kreuz (Sarkophag, Sant’Apollinare 
in Classe, Ravenna, Mitte 5. Jh.). 

Der Apostel, der die Rolle mit verhiillten 
Handen empfangt, wird -- in Anlehnung an 
den rémischen Kaiserkult — Beauftragter Chri- 


270 


sti. Die Traditio an Petrus dokumentiert den 
Anspruch des rémischen Metropoliten, die an 
Paulus im byz. Ravenna, die Gegenpropagan- 
da aus Konstantinopel. 

vx In Lammergestalt flankieren die Apostel- 
fiirsten das eschatologische Lamm auf dem Pa- 
radiesberg (symbolische Variante zur traditio 
legis: Sarkophag, Galla Placidia, Ravenna, 
5. Jh.). 


yr Die Schliisseltibergabe an Petrus. 


- Christus thront auf der Weltenkugel, tibergibt 


Petrus zur Linken den Schliissel: 

»Und ich werde dir die Schliissel des Himmel- 
reiches geben ...« Matth. 16, 19 (Mosaik, 
Rom, Santa Costanza, Mitte 4. Jh.) 

yy Petrus (rechts) und Paulus (links) treten 
auf Apostelanbetungen — entweder Christi 
selbst, seines Kreuzes oder des leeren Thrones 
—als Anfiihrer der Apostel auf, sind Reprasen- 
tanten der judenchristl. und der heidenchristl. 
Kirche (im Apsismosaik, Santa Pudentiana, 
Rom, Ende 4.Jh., bekrént die Allegorie der 
Judenkirche Petrus, die der Heidenkirche 


Pfau 


Paulus; Baptisterium der Orthodoxen, Raven- 
na, Mitte 5.Jh.; der Arianer Ende 5. Jh.). 
Petrus und Paulus reprdsentieren als Kurzfor- 
mel die zw6lf Apostel bzw. die Gesamtkirche 
(Santa Sabina, Rom, Anfang 5. Jh.). 

Aus der Apostelanbetung wird in mittelbyz. 
Zeit dann die Apostelkommunion (> Eucha- 
ristie). Auf byz. Einzeldarstellungen tragt 
Paulus ein Biindel mit seinen Briefen, Petrus 
eine Schriftrolle oder ein Schriftband (» Petrus, 
Apostel Jesu  Christix), niemals einen 
Schlussel. 

Spat- und postbyz.: Begegnung von Petrus und 
Paulus: Sie umarmen und kissen sich. Am 
Schlu8 dreier seiner Briefe schreibt Paulus: 
»sGriiBet euch untereinander mit dem heiligen 
—> Kuple 

Petrus ist in vielen Szenen aus dem Leben 
Jesu (> Verklaérung, Berufung) erkennbar her- 
ausgehoben, in der --ὁ Heimholung Maria 
schwingt er das WeihrauchfaB. 


Pfau 


O TAQC 
O taés 


Prunkvogel, der Hera/Juno heilig, heimisch in 


Indien, gelangt im 5.Jh. tiber das Heraheilig- 


tum auf Samos nach Athen. Als vielschichtiger 
symbolischer Bedeutungstrager reprasentiert 
er in christlicher Zeit ewiges Leben, den Him- 
mel und die Cherubim der —» Eucharistie. 


Seelenvogel und Vogel des ewigen Lebens 
Seelen gewéhnlicher Verstorbener sind vogel- 
ahnlich (~ Taube), die der r6émischen Herr- 
scher Gdttervégel. Bei der feierlichen Ein- 
Ascherung reprasentierten der —> Adler des Ju- 
piter die Seele des Kaisers, der Pfau der Juno, 
die der Augusta. Friihchristl. ornamentale 
Pfauen, oft in Verbindung mit Palmen oder 
Weinranken, symbolisieren die Seelen der 
zum ewigen Leben Aufgefahrenen und das 
ewige Leben selbst (Sarkophage, 5./6.Jh.; 
Mosaiken, Baptisterium der Orthodoxen, Mit- 
te 5.Jh., San Vitale, Ravenna, Mitte 6. Jh.). 


Pfauenaugen als Sterne des Himmels 

An diese Bedeutung lagert sich die Symbolik 
»himmlische Herrlichkeit« an -- angeregt von 
der altorientalischen Gleichsetzung des augen- 


geschmiickten Pfauenfederrades mit dem ster- 
nenitibersdten Himmelsgewélbe. Der tausend- 
augige indische Himmelsgott Indra sitzt auf 
dem Pfauenthron, Vorbild fiir den Sitz der 
Mogulherrscher (1739 nach Persien gelangt). 
Die Tetramorphen und Rader der — Hese- 
kielvision (Hes. 8, 1 ff.) im AT sind tiberspren- 
kelt mit Sternenaugen. Christus auf einem gen 
Himmel schwebenden Thron tragt einen 
Uberwurfmantel mit Augenornamentik (Fa- 
ras, Nubien, Mitte 12.Jh., Nationalmuseum 
Warschau). In der Apsis einer kappadoki- 
schen Ho6hlenkirche (Uziimlii Kilise, Kizil 
Cukur, 8.Jh. oder friiher) thront + Maria zwi- 
schen Engeln unterm Sternenkreuz vor Pfau- 
enfeder-Hintergrund in der Bedeutung Ster- 
nenhimmel (> Mond). 


BE Ete BATS ae a eae TE an 
Pfauenaugen in einem Federornament umgeben ein 
Astralkreuz in der Kuppel und die Gottesmutter zwi- 
schen Engeln in der Apsiswélbung der Uziimlit Kilise 
in Kizil Cukur bei Géreme (vor- oder friihikonokla- 
stisch). Die Pfauenfedern vertreten den Himmel, ihre 


Augen die Sterne. 


Pfauenfederfacher als Symbole der Cherubim 
Pfauenfederfacher waren in Griechenland tib- 
lich und im kaiserzeitlichen Rom und spielten 
wohl eine wichtige Rolle auch im byz. Hof- 
zeremoniell. Liturgisch als Ehrenfacher ver- 
wendet, hat man sie ab friihchristlicher Zeit 
m.E. als Cherubim aufgefaBt (> Engel; > 
Liturgie) bzw. als deren Fliigel. Vom 6.Jh. an 
kamen zundchst im Ostmittelmeerraum mit 
Cheruben geschmiickte Edelmétallfacher auf, 
Vorlaufer der bis heute tiblichen Rhipidien 
(— Altar). 


271 


Pfingsten 


Bereits Ende des 4. Jh.s haben nachweislich Diako- 
ne, dienende Engel symbolisierend, die heiligen Ga- 
ben mit Pfauenfederfachern bewedelt. Pseudodio- 
nys (~> Himmlische und kirchliche Hierarchie) setzt 
Ende des 5.Jh.s die zwei im Kult verwendeten Rhi- 
pidien den zwei mal sechs Fliigeln der Cherubim 
gleich. 


Die Pfauenfederfacher wurden, wie heute die 
Rhipidien, bei der —-> Proskomidie und der 
Ubertragung der -> eucharistischen Gaben 
vom Riisttisch zum Altar verwendet. Der beim 
»groBen Einzug« gesungene Cherubimhymnus 
besagt, da8 die Prozessionsteilnehmer selbst 
auf geheimnisvolle Weise die Cherubim ver- 
k6rpern. 


Ἢ creat Caen 
i ἐστον eda cee saa ay μιν 

Pfau mit Weintrauben, eucharistisches Symbol. 

Friihbyzantinisches Relief, Argos, Museum. 


Die Pfauenpaare in Verbindung mit Weinran- 
ken ab 4./5.Jh. auf Sarkophagen (in Santa 
Costanza, Rom, 4.Jh. und Sant’Apollinare in 
Classe, Ravenna, 5.Jh.), Marmorschranken 


272 


(mit Weingefé8 in Sant’Apollinare Nuovo, 
6. Jh.) und Mosaiken (Baptisterium der Ortho- 
doxen, Mitte 5.Jh.) symbolisieren die zwei li- 
turgischen Facher, die im eucharistischen Got- 
tesdienst zu sternaugentibersdten Cherubim 
vor dem tiberhimmlischen Thron Gottes wer- 
den. (Zwei Cherubim flankierten die > Bun- 
deslade als Thron Gottes im Tempel zu Jeru- 
salem). 

Cherubimdarstellungen treten spater auf, ver- 
drangen zwischen dem 6. und 8. Jh. ihre Sym- 
bole (+ Lamm und — Schatten). Erzengelflii- 
gel aus eucharistischen Pfauenfedern kommen 
in Nubien zwischen dem Anfang des 8. und 
Ende des 10.Jh.s in Faras vor, in Griechen- 
land im 14./15.Jh. (Archangelos Ajiou Joan- 
nou, Rhodos). 


Pfingsten 


H TENTEKOCTH 
I Pentekosti 


Letztes Fest des beweglichen Teiles des Kir- 
chenjahres, Feier der AusgieBung des Heiligen 
Geistes. 


Festtage und Brauchtum 

Der »50. Tag nach Ostern« schlieBt mit einem 
zweitaégigen Hochfest (> Festtagskalender) 
die nachésterliche Zeit der Freude ab. Laut 
Apg. 2, 1 hat sich die AusgieBung des Heiligen 
Geistes in Jerusalem am jtidischen Pfingstfest, 
einem alten Erntedankfest, ereignet. Die Kir- 
che der Apostel feierte Himmelfahrt und Aus- 
gieBung zu Ostern. Im 3. Jh. entstand ein selb- 
standiges Fest, von dem sich im 4.Jh. die > 
Himmelfahrt Christi abspaltete. Kirchen und 
Hauser werden mit Bliiten, Zweigen und 
Kranzen geschmiickt, die Glaubigen kommen 
mit StrauBen zum Gottesdienst. 

Der 1. Festtag ist der Sonntag des Kniens: Zwi- 
schen Ostern und Pfingsten knien die Grie- 
chen im Gottesdienst nicht nieder; sie stehen 
zur Erinnerung an die Auferstehung »aufrecht 
da« (-» Oranten). Am Ende der Freudenzeit 
wird bei drei Gebeten gekniet, eines davon ei- 
ne Fiirbitte fiir die Toten: Die Seelen, von 
Christus an Ostern aus der Totenwelt befreit, 
mtissen am Psychosawato (Samstag vor Pfing- 
sten) zurtickkehren (— Totenbrauche). 


Pfingsten 


Der Sonntag der Dreieinigkeit und der 
Engelbesuch in Mamre 


Hain Mamre, Typus der Heiligen Dreifaltigkeit. 
Carikli Kilise, Géreme, mittelbyzantinisch. 


»Wie es einem Menschen zu schauen mdglich ist, 
schautest du, seliger Abraham, die Heilige Drei- 
faltigkeit und hast sie bewirtet wie einen engen 
Freund.« Liturgie von Sonntag der Patriarchen 


Am Pfingstsonntag wird eine auf die Dreiei- 
nigkeit hinweisende Ikone zur Verehrung aus- 
gestellt. Die im J. Mose 18 geschilderte Bewir- 
tung der drei Manner unter Steineichen (Hain 
Mamre) durch Abraham -- auch vom AT als 
Gotteserscheinung verstanden — gilt dls ver- 
hiilite Selbstdarstellung der Dreieinigkeit. 
Knappe Fassung: Drei Engel um einen Tisch 
herumsitzend unter einem Baum (- Him- 
melsleiter; -- Lebensbaum). Links Gott Va- 
ter, in der Mitte Christus, rechts der Heilige 
Geist. Das Aufgetischte, darunter ein Kalbs- 
kopf, ist typologisches Vorbild der —-> Euchari- 
stie. Daher findet sich das Motiv haufig im Al- 
tarraum, in oder vor der Prothesis-Nische (> 
Proskomidie). Auf detailreich ausgebauten 
Darstellungen bringen Abraham und Sara 
Speisen dar oder knien anbetend nieder. Mit- 
unter fiihrt ein Knecht ein Kalbchen zur 
Schlachtbank (1. Mose 18, 7). 


Ein Mosaik um 400 (Santa Maria Maggiore, Rom) 
zeigt tibereinander die BegriiRung der drei Manner 
und ihre Bewirtung: Die drei jugendlichen, lockigen 
und hellgewandeten Gestalten mit Nimbus, noch 
ohne Fliigel, sind gleich gro8, Ausdruck der Gleich- 
rangigkeit der g6ttlichen Erscheinungen. In der An- 
kunftsszene steht der Mittlere in einer Mandorla — 
wohl Hinweis auf Christi» Verklarung. Im unteren 


Bildteil erhebt Abraham seine Rechte zu Sara mit 
der christologischen Zwei-Naturen-Geste (—> Hian- 
de). Sara links im Bilde vor der Tiir einer Hiitte 
backt drei Brote. ; 

Ein vor 550 entstandenes Mosaik (linke Presbyte- 
rienliinette, San Vitale, Ravenna) faBt die im Hause 
lauschende Sara, die Bewirtung der drei Manner 
und die Opferung Isaaks zusammen (Betonung des 
— eucharistischen Moments). Auffallig der groB- 
wiichsige Baum, auf dem Tisch die drei kreuzge- 
kerbten — Brote (panis quadratus —> Brot). 


Die ab mittelbyz. Zeit stets gefliigelten Engel 
tragen mitunter einen Kreuznimbus (Carikli 
Kilise, Géreme, 12.Jh.?, Ikonen-—> Nimbus). 
Auf der bekannten Ikone von Adrei Rublow 
(1422, Tretjakow Galerie Moskau) — in RuB- 
land wie in Griechenland haufig nachempfun- 
den — schlieBen sich die drei Engel zu einer 
Kreiskomposition zusammen. Veranschauli- 
chung der Vollkommenheit und Einheit der 
gottlichen Personen. 

Postbyz. Ikonen zeigen das in der Orthodoxie 
eigentlich verp6nte westliche Trinitatsschema — 
Gottvater als Greis, Jesuskind und Taube. 


Montag des Heiligen Geistes, 
Bild der AusgieBung 


aN 


AusgieBung des Heiligen Geistes im Apsisgew6lbe 
von Osios Lukas, nach 1000. 


»Und an Pfingsten waren sie alle beisammen. Da 
begann es zu brausen vom Himmel als ware es ein 
gewaltiger Wind und erfiillte das Haus ... Und es 
erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer, 
und es setzte sich auf jeden von ihnen. Sie aber 


273 


Propheten 


wurden voll des Heiligen Geistes und fingen an zu 
sprechen mit anderen Zungen.« Apg. 2, 1-4 


Die Ikone mit der Darstellung des eigentlichen 
Pfingstgeschehens wird am Pfingstmontag aus- 
gelegt. Von mittelbyz. Zeit an findet sich die 
AusgieBung an Tonnenwélbungen oder in Ne- 
benkuppeln: Vom Himmelskreis, der auch 
den — leeren Thron mit der Taube des Heili- 
gen Geists enthalten kann, gehen zwdlf Strah- 
len aus. Zwélf Feuerzungen tropfen auf die 
um das Kuppelrund herum verteilten Apostel 
herab. 

Auf Ikonen, Miniaturen und ebenen Wandfla- 
chen umsitzen die Zwdlf eine dunkle Nische 
mit einer gekrénten kénglich gekleideten Fi- 
gur, der Allegorie des - Kosmos). Sie halt in 
einem Tuch zwolf Schriftrollen — die Verkiin- 
digungen der Apostel : »Gehet hin in alle Welt 
und lehret alle Volker ...« Matth. 28, 19 
Architektonische Details im Hintergrund deu- 
ten einen Innenraum an. Unter den Jiingern 
haufig die Muttergottes in Orantenhaltung, 
auf einem Bild des 6. Jh.s (Rabula Kodex) zwi- 
schen den stehenden Jiingern, mit Feuerzun- 
gen tiberflammt, unter einer herabstoBenden 
Taube: Stellvertretend fiir den aufgefahrenen 
Christus -- auf vielen Ikonen bleibt der oberste 
Platz zwischen den Jtingern fiir ihn frei -- 
kommt der verheiBene Geist herab. (Auf anti- 
ken und frithchristl. Grabstatten gab es einen 
leeren Platz — fiir die Seele des Toten bei der 
Totenbewirtung.) 

Pfingsten wird in der Liturgie als Gegenereig- 
nis zur Sprachverwirrung (> Turmbau zu Ba- 
bel) gefeiert: 

»Als er herabfuhr und die Sprachen verwizrrte, 
trennte der Héchste die Vélker voneinander. Als er 
die Feuerzungen verteilte, berief er alle zur Einheit, 
und einstimmig verherrlichen wir den Allheiligen 
Geist.« Aus der Pfingstliturgie 


Propheten 

OI TIPO®HTEC 

I prophites 

Ekstatische Visionire des AT schauen oder 
héren Gott, der tiber sie, dem Volk Israel, sei- 
nen Willen — in der jeweils aktuellen politi- 
schen Situation — kundtut. Sie erleben Visio- 
nen zukiinftiger apokalyptischer Ereignisse, 


274 


verheifen den Jahweanhangern eine paradie- 
sische Endzeit. Mit Vehemenz bekampfen sie 
Fremdkulte (Baal, Ashera), trésten die nach 
Babylon in die Gefangenschaft weggefiihrte 
Gemeinde. 

Zu den Gesetzesbtichern des AT stehen die 
prophetischen (— Verklarung Christi; -> Elias) 
im Spannungsverhdltnis von visionarer Gottes- 
erfahrung zu Gesetzestreue, von Emotionali- 
tat zu Begrifflichkeit. 


Die Propheten als Hinweisende 

auf Heilsereignisse 

Die orthodoxe Frémmigkeit und Kunst wertet 
die Propheten als Hinweisende auf die Heils- 
geschichte des NT: 

yw Ihre Worte werden auf Christus oder die 
Gottesmutter bezogen: Jes. 7, 24 


»Siehe, eine Jungfrau wird empfangen und einen 
Sohn gebaren, und sie werden seinen Namen Jesus 
nennen.« 


Mit diesem Text auf einem Schriftblatt wird -- 
Jesaia der + Geburt Christi zugeordnet. 


¥ Thre Taten gelten als typologische Prafigu- 
rationen, so die Auffahrt des —> Elias fiir die 
—> Himmelfahrt Christi. 

¥ Die Propheten selbst sind Prototypen fiir 
-ῦ Johannes den Taufer (Elias) oder fiir > 
Christus. 


Der Hinweischarakter der Propheten auf Chri- 
stus (= Messias bzw. Maschiach = der von den 
Propheten geweissagte endzeitliche »Gesalbte 
Gottes«) kommt zum Ausdruck in der Anord- 
nung von — je nach Anzahl der Fenster oder 
Rippen — 12 oder 16 Propheten im Kuppeltam- 
bour der Hauptkuppel oder einer Nebenkup- 
pel tiber der Vorhalle, gruppiert um den > 
Pantokrator. Ab mittelbyz. Zeit verdrangen 
sie die urspriinglich dort angeordneten Apo- 
stel, in spatbyz. Zeit schiebt sich zwischen sie 
und Christus ein Kreis mit Engeln. 


Die Kennzeichnung der Propheten 
Die vier groBen Schriftpropheten: 


vx —> Jesaia (Isaias: sehr betagt, langer Bart; 
Schriftblatt. Jes. 1, 2: »Hére es Himmel und 
vernimm es Erde, daB der Herr gesprochen hat: 
Ich habe Kinder ...« 9.Mai. 


Propheten 


Propheten um Christus Pantokrator. Pamimakaristos Kirche, Konstantinopel, Anfang 14. Sh. 


- 


vr Jeremias (Ieremias), Greis, kurzer diinner 
Bart. Jer. 1, 5: »Ehe ich Dich bildete im Mut- 
terleibe, habe ich Dich gekannt...« 1. Mai. 

ve — Hesekiel (Jezekiil). Sehr alt, spitzer 
Bart. Hes. 34, 10: »So spricht der Herr... Ich 
will meine Schafe fordern ...« 23. Juli. 

vy - Daniel (Daniil). Jung, bartlos. Dan. 2, 
44; »Es wird der Kénig des Himmels ein K6- 
nigreich aufrichten, das in Ewigkeit nicht zer- 
st6rt werden wird.« 17. Dezember. 


Die zwélf kleinen Schriftpropheten: 


yx Hosea (Osie), Greis, runder Bart. Hos. 6, 
6: »Ich will Barmherzigkeit und nicht Opfer, 
und Gotteserkenntnis δία! Brandopfer, spricht 
der Herr.« 17. Oktober. 

¥ Joel (Joil), schwarzer, gespaltener Bart. 
Joel 3, 16: »Aus Sion wird es schreien und ru- 
fen aus Jerusalem.« 19.Oktober. Erscheint oft 
neben Pfingstbildern wegen Joel 3, 1: »Und 
danach will ich meinen Geist ausgieBen tiber 
alles Fleisch ...« 


vr Amos (Amos). Greis, grauer Bart: Amos 
5, 18: »Wehe denen, die nach dem Tage des 
Herrn verlangen, er wird kommen. « 15. Juni. 

ze Obadja (Abdias). Sehr alt, graubartig. Ob. 
1, 78: »An jenem Tag, spricht der Herr, werde 
ich die Weisen vertilgen ...« 19. November. 

ye — Jonas (Jonas). Greis, kahlképfig. Jon. 
2, 3: »Ich habe in der Triibsal zum Herrn geru- 
fen und er hat mich erhért.« 21.September. 

yx Micha (Michdas). Sehr alt, spitzer Bart. 
Micha, 4, 6: »An jenem Tag, spricht der Herr, 
werde ich versammeln die Gebrechlichen und 
VerstoBenen...« 14. August. 

yr Nahum (Naum). Kurzbartiger Greis. Nah. 
1, 6: »Wer wird vor dem Angesicht des Herrn 
bestehen, wer wird ihm entgegenstehen?« 
1. Dezember. 

vy Habakuk (Amwakum). Jung, bartlos. 
Hab. 3, 2: »Herr ich habe auf Deine Stimime 
gehdért und fiirchtete mich. Ich bedachte Dein 
Werk und ich stand.« 2.Dezember (> Da- 
niel). 


275 


i 
| 
5 
| 


Proskomidie 


»Deine géttliche EntéuSerung auf dem Kreuze vor- 
ausschauend rief Habakuk ekstatisch aus: Du hast 
der Herrscher Macht gebrochen, Giitiger, da Du zu 
denen im Hades als Allmachtiger sprachst.« Liturgie 
grofer Freitag 

we Zephania (Sophonias). WeifShaariger Greis. 
Zeph. 2: »Das spricht der Herr: Siehe, ich wer- 
de mein Volk erretten aus dem Lande.« 3. De- 
zember. 

yw Baruch (Baruh) (Buch von Protestanten 
als apokryph betrachtet!) Greis mit rundem 
Bart. Bar. 2, 16: »Herr, schaue aus Deinem 
heiligen Hause auf uns und wende Deine Ohren 
zuuns, und erhére uns. « 

ye Sacharia (Zacharias). Dargestellt wird der 
Hohepriester Zacharias, Vater —> Johannes 
des Taufers, im Priestergewand, mit einer ro- 
ten Kugel auf der Kopfbedeckung (— Marien- 
zyklus). Geriet durch Verwechslung mit den 
gleichnamigen Propheten des AT in diese 
Gruppe. Der Prophet gilt als Vorverktinder 
der Geburt Christi: »Gelobt sei der Herr der 
Gott Israels, weil er uns heimgesucht hat und 
sein Volk Israel erlést.« 5. September. 

ve Maleachi (Malachias). Graues Haar, grau- 
er runder Bart. Mal. 1, 11: »Vom Aufgang der 
Sonne bis zu ihrem Niedergang wird mein Na- 
me grop sein.« 3. Januar. 


Der Prophet Haggai (Agios) — im Westen ei- 
ner der Zwd6lf anstelle von Baruch — fehlt in 
der byz. Kunst. Keine Schriften hinterlieBen 
— Elias und Elisas. Zu den Propheten zahlen 
—> Moses, die Prophetenfiirsten > David und 
—> Salomo sowie —> Gideon. Propheten nicht- 
jtidischer Herkunft sind — Bileam und die Si- 
bylle (— griech. Weise). 


Proskomidie 


(Zuriistung des Abendmahls) 
H ITPOCKOMIAH 
I Proskomidi 


Zuriistung des Mysteriums des _heiligen 
Abendmahls, ein eigener priesterlicher Got- 
tesdienstteil, geht der zweiteiligen — Liturgie 
voraus (—> Eucharistie). Die Gaben werden in 
der Prothesis, der nérdlichen Apsidiole oder 
in einer Nische links in der Hauptapsis von 
Priester und Diakon rituell vorbereitet, damit 
sie vor der Austeilung in feierlicher Prozession 


276 


(groRer Einzug) zum Altar verbracht werden 
k6énnen. 

Der Priester wird im Gottesdienst zur Ikone 
Christi, Christus handelt durch ihn. Christus 
ist zugleich der opfernde Erzpriester und das 
geopferte Lamm. 

Fir die Glaubigen bleibt die ΡΝ im 
Verborgenen. Vor Beginn geben sie am Ker- 
zenstand Zettel ab, mit Namen Lebender und 
Verstorbener, derer gedacht werden soll. 


Opferhandlung: Symbolisierung der Heils- 
geschichte und der Verg6ttlichung des Kosmos 


Die Proskomidie ist 


vx Opferhandlung: sie stellt symbolisch die 
Schlachtung des — Lammes dar, das geichzeitig 
Gott dargebracht wird und von Gott kommt, Gott 
Ist. 

yx aktuelle Neubelebung des Heilsgeschehens, 
Christi Geburt und seine Passion umfassend. Beides 
wird in den anschlieBenden zwei Teilen der Liturgie 
aufgegriffen, das Erscheinen Christi im »kleinen 
Einzug«, sein Opfertod im »groBen«. 

yw Vereinigung des gesamten Kosmos — der Men- 
schen miteinander und mit Gott in der Gestalt des 
als kosmisches Modell hergerichteten > Brotes und 
Weines: Vorgriff auf die kiinftige Vergédttlichung 
des Menschen (> Mystik). 


Die fiinf quadratischen Kreise stellen die fiinf 
Prosphoren dar, die im Verlaufe der Proskomidie 
zur Vorbereitung der eucharistischen Gaben benutzt 
werden. Ikonoklastischer ΚιρΡεΙ δε κοντα in einer 
Héhlenkirche bei Géreme. 


Proskomidie 


Ubersicht I: Vorbereitung — BegriiSung der Ikonen und Anlegen der Gewander 


Vorgang . 


Bemerkungen 


Priester und Diakon kommen am Sonntag um 
9 Uhr in die Kirche (—> Liturgie) 


Sie machen 3 Verbeugungen vor der schénen. 
Pforte nach Osten zu. Priester: Lobpreis Gottes 
(Segen) 


Diakon: Bitte um den Heiligen Geist. Dreifaches 
Kyrie Eleison 


Diakon: Vater unser 

Priester: Lobpreisung (Doxologie). Bitte an Gott 
um Vergebung, an die Gottesmutter, das Tor der 
Barmherzigkeit zu 6ffnen 


Priester und Diakon schreiten zu Christi Bild an 
der Bilderwand rechts von der schénen Pforte, 
verneigen sich tief, ktissen es 


Der Priester: » Vor Deinem allerreinsten Bilde fal- 
len wir nieder, o Giitiger, bittend um die Verge- 
bung unserer Siinden, Christus, Gott. Denn frei- 
willig wolltest Du im Fleische das Kreuz besteigen, 
um die, die Du erschaffen hast, zu erlésen aus der 
Knechtschaft des Widersachers ...« 


Sie verneigen sich vor dem Bild der Gottesmutter, 
ktissen es 


Der Priester: »Die Du Quelle des Erbarmeiis bist, 
Gottesgebarerin, wiirdige uns Deines Mitleides ...« 


Beide verbeugen sich vor der schénen Pforte. 

Der Priester: »O Herr, sende Deine Hand herab 
aus Deiner heiligen Wohnung und starke mich, 
da8 ich ohne gerichtet zu werden vor Deinem 
furchtbaren Throne stehe und das unblutige Opfer 
darbringe.« 


Beide verneigen sich, um. Vergebung bittend, nach 
beiden Seiten gegeneinander, zur Gemeinde und 
zum Altarraum, und beten: »Ich will eingehen in 
Dein Haus und mich niederwerfen vor Deinem 
heiligen Tempel in Furcht vor Dir.« Ps. 5, 8-13 


Das Anlegen der liturgischen Gewander: Priester 
und Diakon betreten durch die nérdliche Tir den 
Altarraum, verneigen sich dreimal vor dem heili- 
gen Altar, kiissen das Evangeliar, den Altar 
selbst, legen der Reihe nach die liturgischen Ge- 
wander an 


Priester und Diakon waschen sich die Hande: 
»Ich will waschen unter den Unschuldigen meine 
Hande und umschreiten Deinen Altar ...« 

Ps, 26 (25), 6-12 


9 Uhr, die Zeit, in der der Heilige Geist zu Pfingsten 
auf die Jiinger herabkam 


Priester und Diakon sind noch in Alltagskleidung. 
Der Priester hat das Epitrachilion (+~ Gewander) 
umgelegt 

Bitte um Reinigung, Vergebung der Siinden, damit 
Priester und Diakon vor Gott treten kénnen 


Priester und Diakon miissen vom Abend des Vortra- 
ges an bis zum AbschluB8 der Liturgie ntichtern 
bleiben 


Bild und Wort sind gleichrangige Verkiindigungs- 
mittel. Was dem Bild an Verehrung zuteil wird, geht 
liber auf das Abgebildete — auf Christus und die Got- 
tesmutter. Die Einbeziehung der Bilder in den vor- 
bereitenden Abschnitt des Gottesdienstes driickt aus 


ve die Wichtigkeit.der Bilder fiir den orthodoxen 
Ritus, 

vy die an erster Stelle christologische und an zweiter 
mariologische Ausrichtung des Gottesdienstes 
wie der Bildprogramme der Kirchen (—> Bild) 


Darstellung der Freiwilligkeit der Kreuzbesteigung 
(—> Passionszyklus) ; 


Abbildung Marias als > lebensspendende Quelle 


Der Altar wird wahrend des Gottesdienstes zum 
tiberhimmlischen Altar und Thron Gottes. Der Prie- 
ster, zu ihm emporgehoben, volizieht, umgeben von 
Engeln, seinen Dienst. Er mtiBte vor der Herrlich- 
keit Gottes vergehen, wenn dieser selbst ihn nicht 
starkte und schiitzte 


Die Verneigungei von Priester und Diakon in alle 
Richtungen der Windrose unterstreichen den pan- 
kosmischen Hintergrund des Ritus. Der Einzelne, 
die gesamte Menschheit und Gott sollen zu einer 
groBen Gemeinschaft werden 


Jedes > Gewand hat eine spezielle symbolische 
Bedeutung. Beim Anlegen wird jeweils ein Zitat aus 
dem AT (Psalmen) gebetet 


Kultische Reinigung der Hande, bevor das Heiligste 
des Heiligen, der Leib Christi, angefaBt wird 


277 


Proskomidie 


Ubersicht II (Fortsetzung): Proskomidie — Darbringung und Zuriistung der Eucharistie 


Handlung 


Vor dem Tisch der Zuriistung in der Prothesis 
machen Priester und Diakon drei Verneigungen 


Priester: »Du hast uns erlést ... durch Dein kost- 
bares Blut: An das Kreuz genagelt und mit einem 
Speer durchstochen, hast Du Unsterblichkeit fiir 
die Menschen hervorquellen lassen ...« 


Der Priester nimmt die erste der fiinf Prosphoren 
mit der Linken, die heilige Lanze in die Rechte. 
Mit ihr schlagt er das Kreuz dreimal tiber der Pro- 
sphora: »Zum Gedachtnis fiir unsern Herrn und 
Gott und Heiland Jesus Christus.« St6®t dann die 
Lanze von oben in die rechte Seite des Siegels 
(rechts vom Siegel aus gesehen): »Wie ein Lamm 
wurde er zur Schlachtbank gefiihrt.« Jes. 53,7 


Der Priester st68t die Lanze in die linke Seite 
(vom Lamm aus gesehen): » Und wie ein unschul- 
diges Lamm verstummt vor seinem Scherer, so tat 
es seinen Mund nicht auf.« Jes. 53,7. 

St6Bt sie in den oberen Teil: »In seiner Erniedri- 
gung war sein Gericht aufgehoben.« Jes. 53,8. 
St68t sie dann in den unteren Teil des Siegels: 
»Wer kénnte von seiner Herkunft wissen?« 

Jes. 53,8. 

Der Diakon halt sein Orarion in der Hand, sagt 
bei jedem Schnitt: »Lasset uns beten.« 


Diakon: »Hebe auf (heraus), Herr!« Der Priester 
st68t die Lanze von unten in die linke Seite der 
Prosphora und hebt das Lamm heraus: »Denn sein 
Leben wird von der Erde hinweggenommen.« 

Jes. 52, 8. Er legt das Lamm mit dem Siegel nach 
unten auf den Diskos 


Diakon: »Schlachte, Herr!« Der Priester schneidet 
das Lamm von unten her kreuzweise, entsprechend 
der Kreuzteilung des Siegels, ohne die Kruste zu 
verletzen: »Geschlachtet wird das Lamm Gottes, 
das da tragt die Stinde der Welt.« Joh. 1,29. Er 
wendet das Lamm um. Das Siegel zeigt nach oben 


Diakon: »Durchbohre, Herr!« Der Priester st6Bt 
die Lanze in die rechte Seite des Siegels (vom 
Lamm aus gesehen): »Einer von den Kriegern 6ff- 
nete seine Seite mit einer Lanze, und sofort kam 
Blut und Wasser heraus ...« Joh. 19, 34~—35 

Der Diakon bringt Wein, vermengt mit etwas 
Wasser: »Segne die heilige Vereinigung, Herr!« 
Dann gibt der Diakon die Mischung in den Kelch 


278 


Bemerkungen 


Beginn der eigentlichen Zuriistung von Brot und 
Wein 


»Hervorquellen lassen« — Herkunft des Abend- 
mahisweines, wird durch das Sterben Christi zum 
Lebenselixier 


Prosphoren sind ungesduerte Weizenbrote, gebak- 
ken von der Frau des Priesters, ihm selbst oder von 
unbescholtenen jungen Madchen. Die beiden Teile, 
der untere grdfere und der obere kleine mit dem 
Siegel (dem Stempelabdruck) symbolisieren die zwei 
Naturen Christi, die géttliche und die menschliche. 
Fir die Proskomidie und damit fiirs Abendmahl 
werden fiinf Prosphoren benétigt: Christus speiste 
die 5000 mit fiinf Broten (— Speisewunder), fiinf 


 Hauptpunkte hat das > Kreuz sowie der gesamte 


Kosmos (> Zahl 5) 


Nur das Lamm der ersten Prosphora wird in den 
Leib Christi verwandelt. Den vier anderen Prospho- 
ren werden Partikel, die Teile der Menschheit ver- 
k6érpern, entnommen. Die Prosphorenreste — es 
bleibt eine Menge iibrig — bleiben ungeweiht und 
werden als »Antidoron« nach dem eucharistischen 
Gottesdienst an die Glaubigen verteilt, auch an die, 
die das Abendmahl nicht empfangen haben (— Brot). 
Die Partikel der ersten Prosphore werden spiater in 
den Wein gegeben und mit einem Léffel an die Teil- 
nehmer der Eucharistie verteilt 


Das Herausheben symbolisiert die Geburt Christi 
aus der Jungfrau, die Ankunft des géttlichen Logos 
in der Welt. Die zu opfernden Prosphorenpartikel- 
chen werden auf dem Diskos (> Altar) angeordnet. 
Er reprasentiert gleichzeitig die Weihnachtskrippe 
und das Grab Christi (> Geburt Christi) 


Praktisch gesehen, erméglicht das Vorschneiden 
spater beim Abendmahl die Zerteilung des Lammes 
in vier Stiicke, symbolisch weist es auf das Schlach- 
ten des Lammes Christi hin. Die vier Schnitte ent- 
sprechen den vier Wunden Christi un Handen und 
FiBen 


Sympbolisch wird Christus die fiinfte Wunde, der 
Lanzenstich in die Seite, unmittelbar nach seinem 
Ableben beigefiigt. Auf den meisten Darstellungen 
der —> Kreuzigung quillt ein roter und ein weifer 
Strahl -- Blut und Wasser — aus Christi Seitenwunde 


Proskomidie 


Ubersicht II (Fortsetzung): Proskomidie — Darbringung und Zuriistung der Eucharistie 


Handlung 


Bemerkungen 


Der Priester entnimmt der zweiten Prosphora ein 
Dreieck: »Zu Ehren und zum Gedachtnis unserer 
hochverehrten und ruhmreichen Herrin, der Got- 
tesgebdrerin und Immerjungfrau Maria; durch 
ihre Fiirbitte, o Herr, nimm dieses Opfer auf Dei- 
nem heiligen Altar an.« Legt das Teilchen auf die 
vom Lamm aus rechte Seite des Diskos. Aus der 
dritten Prosphora holt er neun Partikel fir die 
»neun Ordnungen, die die Briicke darstellen zwi- 

| schen Himmel und Erdex«, legt sie gegentiber. Aus 
der vierten Prosphora werden kleine Kriimelchen 
fiir die lebende Priesterschaft und alle Lebendigen 
geholt. Die fiinfte Prosphora liefert Gedenkparti- 
kel fiir die Stifter der Kirche, fiir alle Verstorbe- 
nen: »Und (gedenke, Herr) aller unserer Vater 
und Briider, die in Hoffnung der Auferstehung, 
des ewigen Lebens und der Gemeinschaft mit Dir 
entschlafen sind ...« Der Priester entnimmt noch 
einmal der vierten Prosphora ein Stiickchen: 
»Gedenke, Herr, auch meiner Unwiirdigkeit und 
vergib mir alle meine vorsatzlichen und unvorgatz- 
lichen Stinden.« 


Mit einem Schwammstiick (— Altar) schiebt der 
Priester die Brotteilchen unterhalb des Lammes 
zusammen 


Beraucherung und Verhiillung: Der Diakon be- 
reitet das WeihrauchfaB vor: »Segne, Herr, den 
Weihrauch! Lat uns beten zum Herrn!« Priester: 
»Weihrauch bringen wir Dir dar, Christus, unser 
Gott, zum Dufte geistigen Wohlgeruchs, nimm ihn 
an auf Deinem iiberhimmlischen Altar und sende 
dafiir herab die Gnade Deines allheiligen Geistes.« 
Diakon: »Lasset uns beten zum Herrn!« 


Der Priester berauchert den Asteriskos, stellt ihn 
tiber das Brot und den Diskos: »Und der Stern 
stand tiber dem Ort, da das Kind war. »Matth. 2,9. 
Diakon: »LaBt uns beten zum Herrn.« 

Der Priester berduchert das erste Velum, bedeckt 
damit den Diskos: »... umkleidet hat sich der 
Herr mit Macht und umgiirtet, denn festgegriindet 
hat er die Welt, sie wird nicht wanken. Bereitet ist 
Dein Thron von Anbeginn, von Ewigkeit her bist 
Du...« Ps. 93 (92) 

Diakon: »Laft uns beten zum Herrn.« 

Der Priester berauchert das zweite Velum, be- 
deckt den Kelch: »Es bedecken die Himmel Deine 
Tugend, Christus ...« nach Hab. 3,3. Aufgefor- 
dert vom Diakon berduchert der Priester den Aer, 
bedeckt damit Diskos und Kelch: »Bedecke uns 
mit dem Schutz Deiner Fligel ...« Ps. 17 (16), 86 


Das »Lamm« ist, da es ein Kreuz tragt, und wie das 
Kirchengebaude auf die vier Himmelsrichtungen 
ausgerichtet wird, gleichzeitig das kreuzférmige Ge- 
riist, das das Weltenall, bestehend aus der sicht- 
baren und unsichtbaren Welt, symbolisiert durch 
das Rund des Diskos (Erdkreis), tragt und halt. Das 
Diskosrund mit dem Siegelkreuz ist ein Kosmo- 
gramm: es faBt alles Existierende zusammen — ange- 
fangen vom Himmelsherrscher Christus Gott, tiber 
die Gottesgebarerin als die Tir, die Gott den Zutritt 
zur Welt und den Menschen den Zutritt zum Him- 
mel erméglicht, tiber den Hierarchien der neun Ord- 
nungen, der unsichtbaren und sichtbaren Krifte, die 
abgestuft zwischen Gott und den Einzelnen einge- 
schaltet sind, bis herab zu jedem einzelnen Men- 
schen, bis hinab in die Totenwelt. Das mikrokosmi- 
sche Modell aus Brot als dem Leib Christi greift dem 
endgiiltigen Zustand der Gliickseligkeit vor, da alle 
Menschen eins sein werden, untereinander und mit 
Gott 


Die »Mousa« ist der Essigschwamm, mit dem Chri- 
stus am Kreuz getrankt wurde 


Weihrauch ist ein Gebet aus duftendem Harz. Die 
Bitte fiir den Weihrauch, den Heiligen Geist herab- 
zusenden, erklart sich aus der symbolischen Deu- 
tung: Das Weihrauchfa8 ist die Menschheit Christi, 
das Feuer die Gottheit, der duftende Rauch ent- 
spricht dem dem Kommen des Heiligen Geistes vor- 
ausgehenden Wohlgeruch (Liturgiekommentar des 
Patriarchen Germanos, Anfang 8. Jh.) 


Der Asteriskos (das Sternchen, — Altar) hat dafiir zu 
sorgen, dafs bei der Abdeckung des Diskos die Parti- 
kelchen nicht durcheinandergeraten. Symbolisch be- 
deutet er den Stern von Bethlehem iiber dem Kind 
in der Krippe (= Siegel; = Lamm), der Diskos re- 
prasentiert die Krippe. Die Vela, die verschiedenen 
Tiicher, mit denen die Gaben abgedeckt werden, 
sind gleichzeitig die Windeln des Christuskindes und 
die Leichentitcher Christi. In Weihnachten ist schon 
die Passion (—> Geburt Christi) und in der Passion 

ist Weihnachten enthalten. Das grofe Veluwm heiBt 
Aer —»Atmosphiare«, »Luft« 


279 


Proskomidie 


co 


Ubersicht II (Fortsetzung): Proskomidie -- Darbringung und Zuriistung der Eucharistie 


Handlung 


Bemerkungen 


Beraucherung des Riisttisches und Verneigungen 
davor. Priesterliches Gebet der Darbringung: 
»Gott, unser Gott, der Du das himmlische Brot, 
die Nahrung der ganzen Welt, unserm Herrn und 
Gott Jesus Christus als Heiland, Erléser und 
Wohltater, der uns segnet und heilig macht, ge- 
sandt hast, segne selbst diese Darbringung und 
nimm sie an auf Deinem tiberhimmlischen Altar.« 


Weitere Segensformein. Der Diakon tibernimmt 
das WeihrauchfaB und berduchert betend und 
psalmodierend den Riisttisch, den Altar, die ge- 
samte Kirche, nochmals den Altar und den Prie- 
ster. Beide stellen sich vor den Altar, bitten um 
Reinigung. Der Priester kii®t das Evangeliar auf 
dem Altar; der Diakon den Altar. Der Diakon 
neigt sich vor dem Priester, halt das Orarion mit 
drei Fingern in die Hohe: »Es ist Zeit, dem Herrn 
zu dienen! Segne, Gebieter!« Der Priester bekreu- 
zigt den Diakon und betet fiir ihn 


Der Diakon verlé8t den Altarraum und stellt sich 
vor die verschlossene schéne Pforte: »Herr, offne 
meine Lippen und meinen Mund, damit wir Dei- 
nen Ruhm verkiindigen!« Die —> Liturgie der 
Katechumenen beginnt 


Stempel fiir die Prosphora, das eucharistische Brot. 
Auf dem senkrechten Kreuzesarm dreimal tiberein- 
ander die Abktirzung: »Jesus Christus siege«. 
Links die Buchstabenkombination MA (Maria), 
rechts neun Dreiecke, die die jeweils neun Ordnun- 
gen der —» himmlischen und kirchlichen Hierarchie 
symbolisieren. 


280 


In den Lobgesangen und in dem Darbringungsgebet 
fallt das Wort »Erde« und »Welt«, bezogen auf den 
Diskos und das Brot, auf. Es unterstreicht den kos- 
mologischen Charakter dieser Kulthandlung. Die 
orthodoxe Kirche riickt, im Gegensatz zur prote- 
stantischen, nicht die individuelle Erlésung des Ein- 
zelnen in den Vordergrund, sondern die Vergétt- 
lichung des gesamten Kosmos. Der Adressat des 
Opfers der Proskomidie ist der tiberhimmlische Al- 
tar, vor den der Priester zu treten hat. Das Gesche- 
hen vollzieht sich eigentlich in der unsichtbaren 
Welt der kérperlosen Machte -- deshalb wird der 
Ritus im Adyton, dem fiir den normalen Sterblichen 
unzuganglichen Bereich der Kirche, vollzogen 


Der Diakon mu8 das Adyton durch die nérdliche 
Tir verlassen. Die schéne Pforte bleibt bis zum 
H6hepunkt in der Liturgie der Katechumenen, dem 
kleinen Einzug, geschlossen 


Das Siegel (das Stempelmittelstiick) der ersten 
Prosphora wird als Amnos, Christus als das Lamm 
Gottes, vom Priester mit vier Schnitten herausgelést 
und geopfert. 


Regenbogen 


Ubersicht II (Fortsetzung): Proskomidie — Darbringung und Zuriistung der Eucharistie 


Handlung 


Bemerkungen 


st 
<= 


Diskos als Kosmos mit allen Gliedern der unsicht- 

baren und der sichtbaren Welt in der Gestalt von 

Prosphorensttickchen: - 

1. Der Leib Christi. 

2. Die Gottesmutter: Dreieckspartikel (Dreieck 
war im hellenistischen Griechentum Symbol des 
Weiblichen). 


Auf die Proskomidie hinweisende 
Darstellungen und Symbole 


zr Die neun Ordnungen (> Himmlische und 
kirchliche Hierarchie) sind im bildlichen Ge- 
samtprogramm der Kirche ab spatbyz. Zeit ge- 
genwirtig. 

vr Das Sphrajisma -- das Siegel, das der Prie- 
ster als Lamm aus der Prosphora heraustrennt 
— mit dem Kreuz und der Inschrift »Jesus Chri- 
stus siege« ist als Heilszeichen an Brunnen, an 
Kreuzmotiven zur Daimonenabwehr in Kl6- 
stern, tiber den Tiiren von Hausern und von 
Mithlen angebracht. Erzengel halten eine Kos- 
moskugel mit diesem Zeichen in der Hand. 

wx Kreuzsymbole mit fiinf Punkten oder ein 
Kreuz mit vier Punkten zwischen den Armen 
sind als Kosmogramme wie als vereinfachte 
Prosphorenstempel — die Schrift ist durch 


Punkte ersetzt — zu verstehen (— Brot, —: 


Kreuz, + Nimbus). 
vr Abbildungen von Altartiichern mit Broten 
finden sich in den Prothesisnischen mittelbyz. 


3. Die neun Ordnungen der himmlischen und der 
kirchlichen Hierarchie: 

a) Michael, Gabriel und alle himmlischen unkér- 
perlichen Machte. 

δ) Johannes der Téufer, die Propheten Mose, 
Aaron, David, Jesaia, die Jiinglinge im Feuer- 
ofen und alle anderen Propheten. 

c) Petrus, Paulus und die anderen Apostel. 

d) die Kirchenvater, darunter die Liturgen Basi- 
lius, Gregor von Nazianz, Johannes Chrysosto- 
mos, Athanasios, Kyrill und Nikolaos. 

6) Erzmdartyrer Stephanus und alle Martyrer und 
Martyrerinnen. 

f) Antonius und alle Ménche und Nonnen. 

g) die Wohltater Kosmas und Damian und alle 
Uneigenniitzigen. 

h) Joachim und Anna (Grofeltern Christi), die 
Namensheiligen der Kirche und die Tages- 
heiligen. 

i) der Patriarch. 

4, Die Priesterschaft, das Land und sein Volk. 

Alle Lebenden, derer zu gedenken ist. 

5. Stifter der Kirche, Bischof, der den Zelebrie- 
renden geweiht hat, alle Verstorbenen, derer zu 
gedenken ist. 


Hohlenkirchen Kappadokiens (--» Mandylion). 


Ein drastisches spatbyz. Bild in einer serbischen 
Prothesisnische zeigt ein Christuskind, bedeckt 
mit einem Velum, in einem Diskos als Krippe 


liegend, befiachelt von zwei rhipidientragenden 
Engein (Serbien, Studeniza, 1313-1314). 


Regenbogen 
H IPIC/TO AOZAPI 


Tiris/to doxari 


Nimbus mit mehrfarbigem Rand umgibt Chri- 


stus als Halbfigur (= Pantokrator) oder in 
ganzer Figur (> Endgericht, — Himmel- 
fahrt). Haufig ist in den Kreis ein weiteres Re- 
genbogensegment als Sitz fiir den Allherrscher 
gestellt. Uber die géttlichen Personen vorbe- 
haltene Lichterscheinung sagt Jahwe: 

»Meinen Bogen habe ich gesetzt in die Wolken, der 
soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und 
der Erde.« 1. Mose 9, 13 


281 


Reiterheilige 


Den Regenbogennimbus erwahnt --Ὁ Hesekiel 
in seiner Gottesvision, der Apokalyptiker Jo- 
hannes greift das Bild auf: 


»... und der darauf sa8, war anzusehen wie der 
Edelstein Jaspis und Sardonyx; und ein Regenbogen 
war um den Stuhl herum ...« Offbg. 4, 3 


Christus Pantokrator im Regenbogennimbus. Kreuz- 
kuppelkirche von Daphni bei Athen, Ende 11.Jh.? 


Die byz. Regenbogennimben verweisen auf 
den neuen Bund des NT zwischen Gott und 
den Menschen, der durch Christus begriindet 
wurde. Seine drei Farben sind Hinweis auf die 
Trinitat. 

Die Gesamtheit aller Farben im Regenbogen unter- 
streicht, wie die Form des Kreises, die géttliche 
Vollkommenheit. Eine Parallele aus Asien dazu: In 
Bali wird Siwa, dem héchsten Gott zwischen den 
vier verschiedenfarbigen Richtungsgottheiten, die 
Fiinffarbigkeit (Pancawarna) des Regenbogens zu- 
geordnet. 


Reiterheilige 


-Ὁ Demetrios, - Georg 


Salomon 
O COAOMQN 
O Solomén 


K6nig Israels (970-931), Prophetenfiirst wie 
sein Vater -- David; beide herrschten nach 
dem AT mythische 40 Jahre (—> Zahl 40). Sa- 


282 


lomon festigte seine Herrschaft in blutigen 
Auseinandersetzungen um die Nachfolge, si- 
cherte sich gegeniiber Agypten durch Heirat 
einer Pharaonentochter ab, errichtete den er- 
sten Tempel zu Jerusalem. Beriihmt fiir seine 
Weisheit: er gilt als Autor der Bticher »Sprii- 
che«, »Prediger« und »Hohes Lied« (im he- 
brdischen AT), der »Weisheit Salomonis« (im 
griech. AT) und der apokryphen Psalmen Sa- 
lomonis (2. bis 1. vorchristliches Jh.). 

Braut und Brautigam in der ausdrucksvollen 
Liebeslyrik des »Hohen Liedes« gelten den 
Christen als Typus Christi und Marias bzw. der 
Kirche. Nach dem AT verfiigte Salomon iiber 
700 Frauen und 300 Matressen. 


18 
Der Prophetenfiirst Salomon. Elmali Kilise, 
Géreme, Kappadokien, 12. Jh.? 


Die sphinxhafte K6nigin von Saba, wohl die 
Herrscherin eines siidarabischen Stammes im — 
heutigen Jemen, hatte von der Weisheit Salo- 
mons gehért, besuchte Salomon, um ihm Rat- 
sel aufzugeben. Sie brachte ihm Spezereien, 
Gold und Edelsteine (1. K6n. 10, 2; 2. Chron. 
9, 1), gilt als Typus der Weisen aus dem Mor- 
genland. 


Schatten 


Im Spatjudentum und nach dem Koran glaubte man 
sie von einem bésen Geist besessen, mit dem Salo- 
mon, Herr der Geister, kampfte (die Kénigin mit 
damonischem Klumpfu8: Fu8bodenmosaik im Dom 
za Otranto, Apulien, 1163/65). Nach athiopischer 
Uberlieferung hatte sie von Salomon einen Sohn, 
Menelek, Griinder der athiopischen Kaiserdynastie. 


Salomon ist Prototyp der géttlichen Weisheit 
(— Sophia), auch Typus Christi. Jung und 
bartlos im K6nigsornat dargestellt, oft mit Da- 
vid, auch mit Textband: »Die Weisheit hat sich 
ihr Haus gebaut.« Spriiche 9, 2 


’ Vereinzelte Szenen: 


* ¥¢ Als Kind wird er vor seinem auf einem 
Thron sitzenden Vater David von einem Prie- 
. ster mit Olhorn gesalbt — Hinweis auf Christus 
: als den »Gesalbten Goites«. 
- ας Ein Buch in der Hand, la8t er den > Tem- 
pel bauen, Typus der Gottesmutter. 
Jiidischen Traditionen folgend, wird der weise 
»Suleiman« im Koran erwahnt als groBer Zau- 
berer, der Herr der Geister und des Windes, 
als Magier, der die Sprache der Végel versteht 
(27. Sure 16ff.; 34. Sure 10ff.). 


Schatten 


H CKIA 
Iskia 


Bezeichnung des Typus des verschwommenen 
mehrdeutigen Vorbildes im AT fiir neutesta- 
mentliche Heilspersonen und Heilsereignisse. 


Schattenlosigkeit der byzantinischen Kunst 
Auf friihchristl. und byz. Bildern kommen 
leichte Schattierungen, nie aber ein Schatten- 
wurf vor. Die heiligen, bereits vergéttlichten 
Wesenheiten strahlen selbst Licht aus (Chri- 
stus der —> Verklaérung) oder widerstrahlen das 
gottliche Licht (+ Himmlische und kirchliche 
Hierarchie). Bése Machte werfen keine Schat- 
ten, sind selbst welche, erscheinen als gefalle- 
ne Engel (—> Teufel) lichtlos und schwarz. 


Gegensatzliche Bewertung von Schatten 

im Neuen Testament 

Im AT und NT wird der Schatten sowohl nega- 
tiv wie positiv gewertet: »Schatten des Todes« 
ist gottferne Finsternis (Matth. 4, 16 wird Jes. 
9, 1 zitiert), der Schatten des Himmelsbaumes 


(Mark. 4, 32) wohltuender Schutz vor der ste- 
chenden Sonne — nach dem Vorbild der schat- 
tenspendenden Baume (— Lebensbaum) im 
AT (Jon. 4, 6). Der Schatten des unsichtbaren 
Gottes wird wirksam als Schutz oder géttliche 
Kraft (Psalm 17, 8; 91, 1; Matth. 17, 5). Die 
Kraft Gottes, die die Gottesmutter tiberschat- 
tet, bewirkt die Zeugung des Gottessohnes 
(Luk. 1, 35). Im NT ist unmiBverstandlich die 
typologische Deutung von Erscheinungen aus 
dem AT als verhiillter Hinweis auf Heilsgiiter, 
die erst durch das Auftreten Christi deutlich 
sichtbar werden, angelegt: 

»Das Gesetz namlich hat einen Schatten der kiinfti- 
gen guten Dinge, nicht aber das wirkliche Bild der 
Dinge selbst ...« Hebr. 10, I (auch 8, 5; Kol. 2, 17) 


Schatten als Metapher des Vorlaufigen 
Schatten wird als unvolilkommenes Abbild 
eines Urbildes verstanden. Platons Héhlen- 
gleichnis zufolge reichen die menschlichen Sin- 
ne lediglich dazu aus, auf einer Héhlenriick- 
wand die Schatten wahrzunehmen, die die im 
HGhleneingang erscheinenden eigentlichen 
Dinge, die Ideen, werfen. Die Kirchenvater 
verstehen unter Schatten verhiillte Andeutun- 
gen im AT. Das Verhdltnis des Schattens zu 
dem, was er andeutet, entspricht dem eines 
Symbols zum Symbolisierten. 


»Der Gottesvorvater David tanzte vor der schatten- 
férmigen Bundeslade, doch das heilige Volk Goites, 
das Herauskommen der Symbole schauend, wir 
freuen uns voller Gottesbegeisterung, weil Christus 
als Allmachtiger auferstanden ist.« Osterliturgie 


Die Bundeslade wird, weil sie in Form der 
Thoratafeln das Allerheiligste enthalt, als an- 
deutendes Bild der Gottesmutter mit Gott in 
sich verstanden. Das Wort »schattenférmig« ist 
durch »typologisch« zu ersetzen. > Ephraim 
der Syrer verwendet die Bezeichnung Typus 
fiir bildhaft-symbolische Hinweise aus dem AT 
wie auch aus der Natur (Biene Typos der Kir- 
che). Vor 200 hat der Physiologus (Alexan- 
drien?) in einer naturkundlichen Abhandlung 
Tieren, Pflanzen und Steinen (z. B. —> Pelikan; 
-Ξ Hirsch) christologischen Hinweischarakter 
zugesprochen. Doch werden auch episodische 
Randereignisse des NT als Bilder zentraler 
Glaubensinhalte und Mysterien verstanden. 


283 


Schatten 


Ubersicht: Die verschiedenen Arten bildlicher Entsprechungen 


Bezeichnung 


Typos (Pra- 
figuration, 
Schatten) 


Prafiguration 
im NT 


Rituell- 
symbolische 
Entsprechung 
(Kultsymbol) 


Symbol 


Symbolzahl, 
Symbol- 
buchstabe 


284 


Entsprechung 


I Ereignis oder Person des 
AT ist noch andeutendes, 
unklares Vorausbild fiir ein 
Heilsereignis oder eine 
Heilsgestalt des NT 


II Objekt aus dem AT 
(manchmal aus dem NT) ist 
Abbild eines himmlischen 
Urbildes 


ΠῚ Ereignisse der Naturge- 
schichte — auch legendarer 
Art —dienen als Prafigura- 
tion fiir heilsgeschichtlich 
wichtige Tatbestande 


Bestimmte Episoden der 
Evangelienberichte werden 
als mehr oder weniger ver- 
hiillte Hinweise auf zen- 
trale Mysterien des Kultes 
aufgefaBt 


Liturgische Handlungen, 
auch der Kircheninnen- 
raum und seine Ausstat- 
tung, verlebendigen und 
vergegenwartigen Ereignis- 
se der Heilsgeschichte 


Sichtbares Kurzzeichen, 
das fiir eine weit dariiber 
hinausgehende unsichtbare 
Wirklichkeit steht 


Eine -- Zahl oder ein 
Buchstabe (> ABC) wird 
als eine Art von symboli- 
scher Abkiirzung dessen, 
was sie bezeichnet, ver- 
standen 


Beispiel 


Bemerkungen 


— Jonas im Walfisch ist 
Typus von Tod und Aufer- 
stehung Christi, die Sintflut 
(— Noah) der der Taufe 


Der Tempel des alten Bun- 
des ist - wie das —> Kirchen- 
gebaude— ein Abbild des 
himmlischen Urbildes 
(Hebr. 9, 24) 


Der — Pelikan, der sich die 
Seite aufrei®t, um seine 
Kinder zu trainken, weist 
auf Christus hin 


Die Hochzeit zu Kanaa mit 
dem Weinwunder weist hin 
auf das historische Abend- 
mahl wie auf die —-> Eucha- 
ristie. Die Geburtskrippe 
aus Stein ist Andeutung auf 
Christi Grab 


Der kleine Einzug in der 
~> Liturgie der Katechume- 
nen aktualisiert das Herab- 
kommen des Logos Gottes 
als Jesus von Nazareth in 
die Welt. Der Altar wird 
wahrend der Liturgie zum 
tiberhimmlischen Altar, 
wie ihn Jesaja geschaut 


Das Lamm verk6rpert 
Christus, mehrere Lammer 
die Apostel. Das + Kreuz 
steht fiir die gesamte Er- 
ldésungslehre, den erlésten 
Kosmos 


Die — Zahl 10 mit dem 
Buchstabenwert J ist ein 


' Kurzzeichen fiir Jesus 


Typologische Deutungen 
von Ereignissen aus dem AT 
im Hinblick auf die Taten 
Christi kommen bereits im 
NT vor — vor allem bei Mat- 
thaus. Ephraim der Syrer 
spricht von Typus oder Sym- 
bol, die griech. Liturgen von 
Schatten. Die Variante der 
naturgeschichtlichen Typo- 
logie spielt eine groRe Rolle 


Die — Mysterien im allge- 
meinen und die Eucharistie 
im besonderen sind das Zen- 
trum des Glaubenslebens. 
Viele Ereignisse des NT 
werden als eine Art von 
Typos der Mysterien ver- 
standen 


Das Drama der Liturgie im 
herausgehobenen Raum der 
Kirche la8t den Glaubigen 
vergangene Heilsereignisse 
und zukiinftige Heilserwar- 
tungen in der Gegenwart des 
Kultes erleben 


Nach 700 werden offiziell 
heilsgeschichtliche Gestal- 
ten (theoretisch) nicht mehr 
symbolisch, nur noch direkt 
dargestellt (— Lamm, 

—> Taube) 


Zahlen- und Buchstaben- 
deutungen waren in der An- 
tike und im Mittelalter 
beliebt. Ephraim der Syrer 
beniitzt fiir symbolisch inter- 
pretierte Zahlen den Aus- 
druck »Typos« 


Schlange 


Ubersicht: Die verschiedenen Arten bildlicher Entsprechungen 


Bezeichnung Entsprechung 


Beispiel 


Bemerkungen 


Astrono- Objekte und Vorgénge am _ Die Sonne ist ein Symbol Astronomische Symbolik 

mische Ent- Himmel werden mit Ereig- Christi, die zw6lfSternbil- _spielt in der frithchristl. Zeit 

sprechungen _ nissen und Gestalten aus der symbolisieren die zw6lf eine wichtige Rolle, durch- 
dem NT gleichgesetzt — Apostel,derMonddie —zieht aber auch die ostkirch- 

Gottesmutter liche Liturgie 

Vorzeichen Bestimmte Ereignisse Ein Adler, der Herrscher Die Byzantiner wuBten sich 

im taglichen weisen auf wichtige unter den Végeln, hatden _eingebettet in ein festgeleg- 

Leben Geschehnisse der Zukunft kleinen Wasili beschattet, tes Schicksal, dessen groBe 


hin 
- lios I. 


Antithetische Das bése Tun eines oder 


ein Hinweis auf seine spa- 
tere Kaiserwtirde als Basi- 


Judas 1a8t sich vom Glanz 


Ereignisse — gute wie bose — 
sich durch Vorzeichen an- 
kiindigten 


Die orthodoxe Liturgie ist 


Gegenbilder mehrerer Menschen wird des Goldes blenden, fiir die weitgehend auf Antithesen 
dem Heilshandeln Gottes | Glaubigenjedocherstrahlt aufgebaut— was ihren poeti- 
im bildhaften Vergleich Christus als der fiir die Welt schen Reiz ausmacht 
gegentibergestellt Leidende 
Personi- ᾿ Lander oder Stadte werden Frithchristl. und spater: Die Personifikationen sind 
fikation als Frauengestalten, Meere Der Jordan erscheint als ein schwacher Abglanz der 
| oder Fliisse als Manner dar- FluBgott. Mittelbyz.: Agyp- antiken Vorstellung, da8 
i gestellt ten, Jerusalem werdenals — Stadte, Lander und Land- 
Frauengestalten personifi- schaften g6ttl. Wesen seien, 
ziert! und damit menschengestal- 
tig wie die antiken Gétter 
Allegorische Abstrakte Begriffe werden δε der Friihzeit werden Die Allegorese von abstrak- 
Personi- als Personen dargestellt Synagoge und Ekklesia als ten Begriffen ist im Gegen- 
fikation Frauengestalten abgebil- satz zum Westen im byz. 
det. In nachbyz. Zeit er- Raum nicht sehr verbreitet 
scheinen in der Liturgie 
genannte Gemilitsregungen 
-(Freude, Jubel) als engel- 
abnliche Gestalten 
(— Ostern) 
Schiff Schlange 
TO KAPABI/H NAYC O OGIC/TO ΦΙΔῚ 
To kardwi/inaws O Ofis/to fidi 


Seit friihchristl. Zeit Symbol der Kirche, als 
der Arche, die die Glaubigen rettet. 
Ursachen dafiir sind m. E.: 


x Die Lautahnlichkeit zwischen »naos« (zen- 
traler Tempelraum) und »naws« (Schiff). 

vr Die Vorstellung des von Christus gesteuer- 
ten Schiffes zum Leben, als Gegenbild zum 
von —> Charon gesteuerten Totenschiff. 
Segelschiffe sind wegen ihrer kreuzférmigen 
Takelung im Regelfall Hinweise auf die Kirche. 


Die Reaktion des Menschen auf das Erschei- 
nen von Schlangen ist ahnlich der auf Gotter- 
erscheinungen — er zittert vor Furcht (tre- 
mendum), er wird fasziniert (fascinosum). 


Die Schlange, abstoBend wie sexuell anzie- 
hend, wird ihrer Form wegen als Penissymbol 
gesehen, reprasentiert zugleich verftihrerische 
Weiblichkeit (falsche Schlange) -- weswegen 
modische Accessoires mit hohem feminin-ero- 
tischem Symbolwert — Schuhe, Girtel, Hand- 


285 


Schlange 


tasche — gerne aus Schlangen- oder Krokodil- 
haut (—> Drache) gefertigt werden. AT und NT 
bewerten die Schlange teils negativ, teils po- 
Sitiv. 


Ursachen fiir die zwiespaltigen Empfindungen 
gegeniiber der Schlange 


yr Erscheinung und kriechende Fortbewe- 
gung. Die Musterzeichnung auf dem Riicken 
irritiert beim Schlingeln das Auge durch ein 
moiréeartiges Flimmern — beunruhigend und 
erregend. 

w Herkunft auf Erdentiefe oder Wasser — 
Aufenthaltsorte der Totenseelen. Schlangen — 
auch andere Reptilien — werden in vielen Kul- 
turen als Ahnen verehrt. 

w Hautung — gedeutet als VerjiingungsprozeB 
bzw. Wiedergeburt. Die Schlange besitzt das 
ewige Leben, hat es dem Menschen entwen- 
det: Im Paradies bringt sie -- Adam und Eva 
mit List darum, im Gilgamesch-Epos stiehlt sie 
dem Heros Utnapischtim das miihsam errun- 
gene Kraut des Lebens. Nach einem Mythen- 
motiv (verbreitet in Afrika —z.B. Kongo, Sier- 
ra Leone -- und in Ozeanien), hat sie die vom 
héchsten Wesen dem Menschen zugedachte 
Verjiingungs-Wechselhaute entwendet. 

w Giftigkeit vieler Arten: Sie bringt Tod und 
~ was umbringt, kann auch retten -- zugleich 
Leben. In Spirituosen eingelegte Schlangen 
dienen in Ostasien als Heilmittel. Asklepios 
(Askulap) erscheint als Schlange, der dem As- 
kulapstab Aahnelnde Schlangenstab Moses’ 
heilt die von Schlangen Gebissenen (4. Mose 
21). 

vy Fahigkeit, mit ihrem Kérper die ideale 
Form des Kreises zu bilden. Als Verkérperung 
von Urozean und Chaos umringelt eine riesige 
Schlange den Weltkreis (— Drachen). 

τς Hinabwiirgen der Beute, ohne sie zu zer- 
kleinern. Macht sie zur Reprisentantin des 
Urozeans (Schlange im Jordan in > Taufe 
Christi), dessen Flut (Sintflut!) den Kosmos zu 
verschlingen droht. 


Die Sicht der Schlange im Alten 
und Neuen Testament 


Positive Wertung im AT: 
Aaron beeindruckt den Pharao mit seinem 
Stab, den er in eine zischende Schlange ver- 


286 


wandelt, beschwéri damit die verschiedenen 
Plagen auf Agypten herab. 

Jahwe sendet zur Strafe gegen die murrenden 
Kinder Israels in der Wiiste feurige Schlangen 
aus (4. Mose 21). —> Moses richtet eine Stan- 
darte aus einer ehernen Schlange an einem 
Stab auf (bereits im NT Joh. 3, 14 als Typus 
des Gekreuzigten verstanden). Wer von den 
tédlich Gebissenen darauf blickte, blieb am 
Leben (— Drache). Eine eherne Schlange 
wurde im salomonischen Tempel aufbewahrt, 
bis sie K6énig Hiskia (719-691) entfernte 
(2. K6n. 18, 4) -- Restspuren eines friihisraeliti- 
schen Schlangenkultes: Die feurigen Schlan- 
gen Seraphim (von Saraf = brennen) heiBen 
genauso wie die himmlischen Fliigelwesen (— 
Jesaias; Jes. 6, 2) um den Thron Gottes. 


Negative Wertung: 

Die Paradiesesschlange 1. Mose 3 ist das abso- 
lut widerg6ttliche Prinzip, wird in der apokry- 
phen Schrift »Leben Adams und Evas« (1.Jh. 
v. Chr.) als Satan bezeichnet. 


In einer voralttestamentlichen Phase der jiidischen 
Religion war das negative Prinzip des Chaos und der 
Totenwelt, reprasentiert durch Schlange/Drachen, 
mit dem géttlichen guten Prinzip vereint. Spater fiel 
die Satansschlange aus dem géttlichen All heraus, 
wurde dadurch zu dem Bésen (der Mythos vom En- 
gelssturz —> Teufel). 


Im NT erwahnt Jesus selbst die Schlange sie- 
benmal, zweimal im positiven Sinne. In der 
Apokalypse ist Schlange Beiname des Satans- 
drachen. 


Identitaét von Schlange und Drache 

in der byzantinischen Kunst 

Die byz. Kunst kennt die eherne Schlange (> 
Moses) und die Schlange des Paradieses (nach 
spatjtidischer Tradition eine Frauengestalt na- 
mens Lilith (= Damonenfrau), in der westli- 
chen Kunst wird die Schlange oft mit Frauen- 
kopf wiedergegeben). Ansonsten wird kein 
Unterschied zwischen Schlange und —» Drache 
gemacht (+ Apokalypse, --- Demetrios, -- 
Georg, — Teufel). Haufig werden Schlangen 
als Verk6rperung von Hdlle und Tod auf post- 
byz. Reliefs in der Mani dargestellt. 

Die Tiirken bezeichnen christliche Héhlenkir- 
chen, in denen ein Reiterheiliger einen Dra- 


Simson 


Fes 
itt 
* 

es 


Postbyzantinische Reliefs mit Schlangen aus der inneren Mani. 


Oben: Stindenfall: Adam und Eva vor dem Baum der Erkenntnis mit der Schlange, dariiber Gott. Dargestellt 
ist also sowohl das gute wie das bése Prinzip, zwischen denen der Mensch sich zu entscheiden hat. Nordportal 


der Hauptkirche von Chimara. 


Unten: Linke Seite eines axialsymmetrischen Reliefs, symbolisiert den Himmel (Engel mit Krone) und die 
Holle (zweikdpfige Schlangen). Stidportal der gleichen Kirche. 


Rae OT: 
eet eee 


a 


chen tétet (G6reme) oder groBe Wiirmer Un- 
gliickliche zerfressen (fhlara), als Yilanli Kilise 
(= Kirche mit den Schlangen). 


Seraphim 
TA CEPA®EIM 
Ta Seraphim 


Sechsfliigelwesen um den Thron Gottes, be- 
kannt aus der Berufungsvision des Jes. (6, 
1-8). In bildlichen Darstellungen nicht immer 


pase, 
ΤΡ ER ES 


von — Cherubim zu unterscheiden (— Engel; 
— Himmlische und kirchliche Hierarchie; 
—» Jesaias; —> Schlange). 


Simson 


O CAMYQN 
O Samps6n 


Der »alttestamentliche Herakles« (Richt. 13-1 6), 
mythischer Sonnenheros (sein Name wird von 
Schemesch = Sonne abgeleitet), regte Darstel- 


287 


Sonne 


lungen des Heros an, der mit bloBen Handen 
einen —> Lowen erwiirgt: Simson ist Typus 
Christi, der den Lowen als Repradsentanten des 
Teufels oder der Holle tiberwindet: 


. Und Euer Widersacher, der Teufel, gehet um- 
her wie ein briillender Léwe und suchet, welchen er 
verschlinge.« 1. Petr. 5, ὃ 


Die Léwentéterszene wird auf die Hadesfahrt 
Christi (> Ostern) bezogen. 

Weitaus seltener wird dargestellt die Verkiin- 
digung der Geburt des Simson an Manue und 
seine Frau -- Typus der —> Verktindigung Ma- 
rid: vor den beiden knienden Alten steigt der 
Erzengel Michael in der Flamme eines Brand- 
opfers zum Himmel empor. 


Sonne 


Christus als Sonne — Kreuz; > Kreuzigung; 
— Elias; >» Hase;—> Pantokrator; > Apostel. 


Sophia 

H CO®JA 

1 Sophia 

Ikone mit vier Frauengestalten: die gekrénte 
Mutter Sophia (Weisheit), ihre Téchter Glaube 
(Pistis), Liebe (Agapi), Hoffnung (Elpis). 

Die nach 1. Kor. 13, 13 geformten Allegorien 


werden im Mittelalter als unter Hadrian hinge- 


richtete Martyrerinnen — Gedenktag 17.De- 
zember — angesehen (Minologion Wassilios 
II., Ende 10. Jh.). Nachbyz. Ikonen (Thessalo- 
niki, Ajios Dimitrios) und Wandmalereien 
(Athos). Mit Maria als Thron der Weisheit 
(— Maria) und mit den als Ajia Sophia be- 
zeichneten Kirchen hat die Uberlieferung 
nichts zu tun. 


Standarte 


— Bilderfeindliche Ormamente; — Heim- 
holung Maria; > Ikonenwunder. 


Stern 


O ACTHP/TO ACTPON 
O astir/to dstron 


Im AT personenhafte Machte im Dienst Got- 
tes, genieBen keine Verehrung. Im spaten Ju- 


288 


den- und friihen Christentum wurden Sterne 
vielfach mit —> Engeln gleichgesetzt. Personi- 
fizierte Gestirne, Darstellungen orientalischer 
oder rémischer Herrscher zugeordnet, unter- 
streichen deren Anspruch als Herren des Uni- 
versums. Das friihe Christentum setzt seine 
Heilsgestalten und -ereignisse mit Gestirnen 
und astralen Vorgingen gleich (— Apostel; 
—> Mond). Der Orientierungswechsel weg von 
einem Lokalheiligtum (Tempel in Jerusalem) 
zu den Gestirnen (Christus = Sonne, Engel = 
Sterne) kennzeichnet den Ubergang von einer 
Stammes-/National- zur Universalreligion. 


Bedeutung der Sterne im Neuen Testament 


ve Geburt Christi ist Aufgang des im AT ver- 
kiindeten Sternes vom Bethlehem. 

ye Mit Christi Tod erlischt die Sonne (> 
Kreuzigung). 

¥ Die sieben christl. Gemeinden der Apoka- 
lypse Johanni sind zugleich die sieben Sterne 
in der Hand des Engels, sie entsprechen dem 
aus sieben Planetenspharen gebildeten Makro- 
kosmos. 

τ Paulus bezeichnet die als dimonische Krafte 
personifizierten Planetenstationen — Throne, 
Herrschaften, Fiirstentitimer, Machte (Kor. 1, 
16) — als Schépfungen Gottes (> Himmlische 
und kirchliche Hierarchie). 


Die Symbolik des Sterns von Bethlehem 


Achtstrahliger Sm Chor akir che 
Konstantinopel, 1315-1321. 


Stifter 


»Der lichte Stern erstrahlte plétzlich — gegen seine 
Natur kleiner als die Sonne — und gréBer als die 
Sonne. Er war kleiner als sie — an sichtbarem Licht — 
und gréfer als sie — in seiner unsichtbaren Macht, 
dessentwegen, was er symbolisiert.« Ephrdm der 
Syrer »De Naviate« VI, 7 


Sechs- und achtstrahlige Sterne auf der > An- 
betung der Magier, der - Geburt und — Tau- 
fe Christi, als dekorative Formen auf Wanden 
und in Gewdélben, verkérpern Christus selbst 
(—> Bileam). 

vr Sechsstrahliger Stern: entspricht der ver- 
’ breitetsten Form des vom Sonnenzeichen ab- 
geleiteten Monogramms Christi (~ Kreuz). 
Auf einem rémischen Katakombenfresko der 
Anbetung ist der Stern als Christusmono- 
gramm ausgebildet. 

Ephram der Syrer spricht von sechs Richtun- 
gen der Welt, d.h. vier Himmelsrichtungen so- 
wie oben und unten. Das legt eine kosmogra- 
phische Nebenbedeutung des Sechs-Zacken- 
Sternes nahe. 

vy Achtstrahliger Stern: entspricht dem acht- 
strahligen Christusmonogramm (= Chi+ Rho 
+ Kreuz) und dem achtstrahligen Sonnen- 
kreuz. Symbolik der + Zahl 8: Zahl der Voll- 
kommenheit in Form des achten Himmels 
liber dem Planetensystem, auch des achten Ta- 
ges, an dem die Sieben-Tage-Sch6pfung voll- 
endet war. 

Die Achtheit ist Symbol der Taufe -- mit ihr wird 
Vollkommenheit erreicht. Deshalb erscheint das 
Achtgestirn bei der Taufe Christi, sind Taufbecken 
in friihchristl. Baptisterien achteckig. J. Petr. 3, 
20-21 bringt die acht in der Arche Noah tiberleben- 
den Menschen in Zusammenhang mit den durch die 
Taufe geretteten Gldubigen (Achtstern als Kosmo- 
gramm: vier Haupt- und vier Nebenhimmelsrichtun- 
gen; achtblattriger Lotos Agyptens und Asiens; — 
Zahl 8). 


Lichtkreuz vor Sternen — 

Panajia vor Sternen 

In den Kuppeln friihchristl. und frihbyz. 
Grabbatiten (Galla Placidia, Ravenna, Mitte 
5.Jh.), Baptisterien (Albenga, 5.Jh.), den Ap- 
siswolbungen von Basiliken (Sant’Apollinare 
in Classe, Ravenna, Mitte 6.Jh.) steht ein 
leuchtendes Kreuz oder Christusmonogramm 
vor dem gestirnten Himmel. Die Sterne kenn- 
zeichnen Kuppel bzw. Apsiswolbung als Sym- 
bol des Himmels, unterstreichen die tiberra- 


gende Bedeutung des sonnenhaften Zeichens 
Christi (+ Nimbus als kleiner Himmel). 

Ein Sternenhimmel hinter der spatbyz. Got- 
tesmutter stellt sie als Verkérperung des > 
Monds heraus (Fiinf-Punkte-Kreuzessterne 
auf dem Maphorion der Gottesmutter — 
Maria). 


Stifter 


O JAPYTHC 
O Idritis 


Auftrag- und Geldgeber fiir den Bau einer 
Kirche, eines Klosters, einer Ikone, auch fir 
Ausstattungsdetails. 


Planung, Auftragsvergabe und Finanzierung 
von Kirchenbauten 

Lebende Personen der Zeitgeschichte werden 
nur dargestellt als Stifter, als Kaiser bzw. 
Herrscher in ihrer Funktion als Uberbringer 
einer Stiftung. Bis gegen 1000 kommen auf 
Stifterbildern ausschlieBlich Kaiser und Kaise- 
rinnen vor. Spater erscheinen (posthume) 
Darstellungen médnchischer Klostergriinder 
(Osios Lukas, um 1000), ab Mitte des 13. Jh.s 
auch die fremder Potentaten (slavischer Bal- 
kan), unabhdngiger Provinzherrscher, reich 
gewordener Staatsbeamter — sogar christl. 
Wiirdentrager in seldschukischen, spater in os- 
manischen Diensten. Die friih- und mittelbyz. 
Zeit kennt vier Auftraggebergruppen: 


vy Die Kaiser -- besonders —> Konstantin und 
Helena, sowie Justinian I. — schufen aus eige- 
nen Mitteln die gréBten und bedeutendsten 
Kirchen, gaben selbst die Richtlinien fir die 
Bauausftihrungen. _ 

yc Bischéfe regten im regionalen Bereich Kir- 
chenbauten an, entschieden tiber Konzeption 
und Detailplanung. Der Kaiser war mit betei- 
ligt (Planungsentwiirfe, Geldzuwendungen, 
Privilegien; die die Bautatigkeit meist erst er- 
moglichten). 

yx Private Spender — hohe Staatsbeamte und 
Verwandte des Kaisers — errichteten kleinere 
Anlagen -- familieneigene Kléster mit zugeh6- 
riger Kirche. Die Kloster nahmen, mit kaiser- 
licher Gunst, Sozialaufgaben wahr. 

ve Monche, die sich in die Einsamkeit zurtick- 
zogen, griindeten Ménchsgemeinschaften, er- 


289 


Tanz 


richteten einfache Wohngebdude und Kir- 
chen. Ein kaiserlicher Erla8 war erforderlich, 
um die Anlage zum Kloster zu erheben und 
um Spenden sammeln zu kénnen. 

Architekten spielten nur bis in die justiniani- 
sche Zeit hinein eine »namhafte« Rolle -- An- 
thenios von Tralles und Isidor von Milet —z.B. 
als Erbauer der Ajia Sophia. Spater tibernah- 
men die Bischéfe die Bauplanung. Ausfihren- 
de waren Lohnarbeiter, Fronarbeiter oder — 
vor allem in der Frihzeit — freiwillig unentgelt- 
lich mitarbeitende Glaubige. 

Der Ausfithrung nach zu urteilen, wurden die 
zwischen dem 7. und 12. Jh. gegriindeten Héh- 
lenkirchen in Kappadokien von den Ménchen 
und Einsiedlern selbst ausgemalt. Kurz vor der 
lateinischen Eroberung Konstantinopels und 
dann ab 1204 gelang es einigen Provinzen, 
Selbstandigkeit zu gewinnen. Die Provinzherr- 
scher liefien sich gerne als Stifter verewigen. 
Die Bedeutung reich gewordener Staatsbeam- 
te, auf die sich der Kaiser nach der Wiederer- 
oberung der Stadt sttiitzen muBte, ist an deren 
Stiftungen abzulesen. ᾿ 

Im heutigen Griechenland stiftet die Landbe- 
vélkerung einzelne Ikonen oder bescheidene, 
tibers Land verstreute Kapellen und Kirchen 
oder deren Ausstattung. 


Stiftungen als Tribut fiir Christus 

»Der Stifter, der Logothet, der Theodoros, der 
Metochitis« — Beischrift in der Portalliinette 
der Chorakirche — fallt durch seinen orientali- 
schen schattenspendenden Turban (Skiadion) 
und tippige Kleidung auf. Auf den Knien lie- 
gend reicht Theodoros dem thronenden Chri- 
stus ein Modell seiner Kirche — Huldigung und 
Tributleistung zugleich. Der Logothet (Schatz- 
kanzler) hatte ein Klésterchen ausbauen, die 


Kirche nach eigenen Vorstellungen mit Gold- - 


mosaik ausschmiicken, eine Nebenkirche (Par- 
ekklision) als Grabstatte fiir sich und seine An- 
gehdérigen errichten lassen. 


Grabkapellen fiir Stifter 

Bestattungen in einer eigens fiir diesen Zweck 
gestifteten Nebenkapelle gehen auf — Kon- 
stantin zurtick, der seinen eigenen Grabbau 
architektonisch mit der Apostelkirche verbin- 
den lieB. In spatbyz. Zeit war die Sitte, einen 


290 


der Chorakirche, Konstantinopel, 1315-1321. 


Kapellenanbau zu stiften, in »besseren Krei- 
sen« gang und gabe. 


Das Chora-Parekklision setzt die Hoffnung auf ein 
gnadiges Schicksal nach dem Tode in ein grandioses 
Bildprogramm um: Das Endgericht, das die Raum- 
decke dominiert, verliert seinen Schrecken durch 
die vorbildhafte Auferstehung Christi, der die To- 
ten des AT zu sich hochzieht, wie er den verstorbe- 
nen Stifter zam Lichte emporreifen wird. 


Tanz 


O XOPOC 
O chorés 


Wichtiger Bestandteil des eng mit der —> Litur- 
gie verbundenen Volksbrauchtumes. 

Das NT erwahnt Reigentinze und Musik bei 
Hochzeitsfeiern, das AT kennt den Tanz vor 
oder um das Allerheiligste -- wie den sprich- 
wortlichen Tanz der von Jahwe abgefallenen 
Kinder Israels um das goldene Kalb. -> David 
tanzt (2. Sam. 6, 14) vor der Bundeslade mit 
den beiden, inzwischen neu gefertigten Geset- 
zestafeln einher, sieht dies als Tanz vor Gott 
an. Die apokryphen Johannesakten (ca. Mitte 


Taube/Taubenhaus 


2.Jh.) berichten (94-96) von einem Reigen- 
tanz Christi und seiner Jiinger am Vorabend 
seiner Kreuzigung: 


»Er (Christus) hie® uns eine Runde bilden, wobei 
wir einander an den Handen faftten, er selbst aber in 
der Mitte stand und sagte: Antwortet mir immer mit 
Amen! So begann er denn, einen Hymnus anzustim- 
men und zu sagen: Ehre sei Dir, Vater! Und wir 
drehten uns im Kreise und antworteten ihm mit 
Amen. Ehre sei Dir, Logos! Ehre sei Dir, Gnade! 
Amen! Ehre sei Dir, Geist! Ehre sei Dir, Heiliger! 
Ehre sei Deiner Herrlichkeit! Amen! Wir loben Dich, 
Vater, und wir danken Dir, Licht, in dem keinerlei 
Finsternis wohnt. Amen! ... Die heilge Achtzahl 
stimmt, mit uns Psalmen an. Amen! Die zwdlfte 
Zahl tanzt obenan im Reigen. Amen! Ihnen allen 
abet ist verg6nnt, im Reigen obenan zu tanzen...« 


Der Tanz der Apostel-Sterne um die Christus- 
Sonne 148t an die sternbildhaft um das gétt- 
liche Licht kreisenden Apostel in den ravenna- 
tischen Baptisterien (5.Jh.) denken, auch an 
den im 13.Jh. entstandenen Orden der tanzen- 
den Mevlevi-Derwische (in Kappadokien, 
dem Entstehungsgebiet der Johannesakten). 
Nach dem Protevangelium (7, 3) tanzte die 
kleine Maria beim Tempelgang: »Und er setz- 
te es auf die dritte Stufe des Altars, und Gott, 
der Herr, legte Anmut auf das Kind, und es 
tanzte mit seinen FiiBen ...« 


Ὁ, IS κι Mew 
Frauen umtanzen einen im Freien aufgestellten 


Altartisch mit Ewlojia-Brot. Kirche der Panajia 
Tsambika, Rhodos. 


Auf einer Darstellung von Christi Taufe im 
Jordan im Protaton (Karies, Athos, um 1300) 
tanzen drei Manner auf einer Briicke einen 
Reigentanz, in der Klosterkirche von Lesnowo 
(Serbien), 941-949, zehn junge Manner in ei- 


ner auf dem Balkan noch heute — z.B. bei der 
griechischen Sousta — iiblichen Tanzhaltung: 
Die Arme werden unter den Armen der Ne- 
benmanner durchgefiihrt und der jeweils tiber- 
nachste an die Hand genommen. Das Bild illu- 
striert Psalm 150, dessen Text auch in die 
SchluRgesinge der Auferstehungsliturgie ein- 
gearbeitet ist: 

»Tanze jetzt und jubiliere, Zion, Du Reine, Gottes- 
gebirerin, freue Dich tiber die Auferstehung Deines 
Kindes ... Preist ihn mit dem Klang der Posaune, 
preist ihn mit Psalmengeséngen und Zither ... 
Preist ihn mit Pauken und Reigentanz, preist ihn mit 
Saitenspielen ... Ergétze Dich, tanze und juble, Je- 
rusalem, da Du den Konig Christus aus dem Grab- 
mal hervorgehen siehst ...« 


In seiner zu Ostern verlesenen katachetischen 
Rede ermuntert Johannes Chrysostomos zum 
Tanz: 

»Reiche und Arme, tanzt miteinander! 

Enthaltsame und Leichtfertige, ehret gleicherweise 
den Tag. Die Ihr gefastet habt und die Thr nicht 
gefastet habt, jubelt heute zusammen.« 


An allen Freudenfesten des Kirchenjahres, vor 
allem bei den Panijires σὰ Ehren des Namens- 
patrones einer Kirche, werden im Anschlu8 an 
den Gottesdienst vor der Kirche griech. Rei- 
gentanze getanzt. 


Taube /Taubenhaus 
H TIEPICTEPA/O ITEPICTEPEQN 


I peristera/o peristereén 


Haustier, zur Gewinnung hochwertigen Dun- 
ges und als Nahrungsmittel, als Brieftaube zur 
Nachrichteniibermittlung verwendet. Als Sym- 
bol Seelenvogel, Verkérperung von Schén- 
heit, Liebe und Friedfertigkeit. Ostmediterra- 
ne Taubenhauser sind mit bedeutungsvollen 
Zeichen geschmiickt. 


»Meine Taube in den Felsenkliiften, in den Steinrit- 
zen, zeige mir Deine Gestalt, la8 mich héren Deine 
Stimme; denn Deine Stimme ist sii, und Deine Ge- 
stalt ist lieblich.« Hohelied Salomonis 


Bedeutung und Symbolik der Taube 

»Sie kleidet sich in ihr Gewand, hiillt sich in ihre 
Tracht und wird so wie ein Taubchen, wie die Sonne 
strahlt ihr Angesicht, an Schénheit gleicht dem 
Mond sie.« Tanzlied von den jonischen Insein 


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Taube/Taubenhaus 


Die Taube ist Vogel der Liebe (zugeordnet der 
Ischtar, der Aphrodite, spaiter der Gottesrnut- 
ter. Sie ist auch Seelenvogel: taubengleich ent- 
weicht die Seele des Sterbenden ins Jenseits 
(—> Adler, — Pfau). 

Zwei besonders wichtige Funktionen: Sie ist 
nachrichtentibermittelnde Botin. Die Agypter 
und Phénizier, spater die Griechen und R6- 
mer nahmen Tauben auf Schiffen mit; aus ei- 
nem Luftlinienabstand bis zu 1000 km finden 
die Végel zu ihrem Schlag zurtick. 


x Garantin der Fruchtbarkeit wegen ihrer 
Verbindung zur Liebe und zur Liebesgdttin, 
aber auch, weil Taubenmist als Dtinger un- 
tibertrefflich ist. 


Noah schickte nacheinander einen Raben und drei 
Tauben aus, um sich tiber das Absinken der Sintflut 
zu informieren. Die zweite Taube mit dem > Ol- 
zweig ist Urahn aller Friedenstauben. Nach dem 
Friedensbund mit Gott, der das bauerliche Jahr mit 
Sommer-, Wintersaat und Ernte garantierte, wurde 
Noah zum Prototyp des Landwirtes und Weinbau- 
ern. (In den Mythen iiber den Ursprung des Reisan- 
baues in Bali bringen die Tauben als Gétterbotin- 
nen den Reis zu den Menschen.) 


Nach mosaischem Gesetz ist die Taube als Re- 
prasentantin der Unschuld Opfertier nach ei- 
ner Geburt - im Zusammenhang mit der 
menschlichen Fruchtbarkeit (~ Darstellung 
im Tempel, — Beschneidung, — Marienzy- 
klus). 


Die Taube des Heiligen Geistes 

Die Geisttaube der > Taufe Christi im Jordan 
steht in der Tradition des Botenvogels — ver- 
mittelt zwischen Himmel und Erde, vertritt als 
weiblicher Vogel — alle vier Evangelien wahlen 
die weibliche Form — den Geist, weil der in der 
aramdischen Muttersprache Jesu weiblich ist. 


Frithchristliche und byzantinische 
Taubendarstellungen 

Noah mit der Taube ist vom 1.Jh. an Typus 
der Taufe Christi, eines jeden Tauflings. Auf 
sie weisen auch ornamentale WassergefaiBe 
mit Taubenpaar hin (Santa Costanza, Rom, 
4.Jh.; Galla Placidia, Ravenna, Mitte 5.Jh.). 
In der frithen Sepulkralkunst verkérpern auf 
Schiffen sitzende Botentauben zugleich die 


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Taubenpaar flankiert Trauben und Wasserstrom — 
Hinweise auf Abendmahl und Taufe. Kamperkapi- 
tell aus dem 13. Jh. in der Ipopanti-Kirche, “ 
Nomitsi, duBere Mani, Peloponnes. 


Seelenvégel der Verstorbenen ~ zurtickstre- 
bend vom tobenden Meer der Welt in die 
himmlische Friedensheimat. Als weife Tau- 
ben erscheinen die zwélf Apostel oder Neuge- 
taufte. In der byz. Kunst ist die Taube, oft mit 
Heiligenschein, Symbol des Heiligen Geistes, 
dargestellt bei der —> Verkiindigung Maria 
(der Geist, der Maria iiberschattet, zeugt Chri- 
stus), bei der > Taufe Christi, an > Pfingsten, 
auf dem — leeren Thron. 


Ubereinstimmende Symbolik 
der Taubenhausornamente auf den Kykladen 
und in Kappadokien 


a \cfiaeths sat ἈΠ ον f ae 


Typisches kykladisches Taubenhaus mit Lebensbaum 
und achtstrahligem Sonnensymbol auf Andros. 


Die Einfiihrung von Taubenhausern auf den 
Kykladeninseln Andros, Tinos, Siphnos und 
Milos wird von der Lokaltradition den Ve- 


Tabbe /Taubenhaus 


nezianern (17.Jh.) zugeschrieben. Dagegen 
spricht: 


x Die norditalienischen Taubenhauser wei- 
sen keinerlei Ahnlichkeit mit den Kykladen- 
Taubenhausern auf. 

vr Ein Marchen aus Andros bringt die Tau- 
benzucht mit Zypern, der Insel der Aphrodite, 
in Verbindung und mit der Fruchtbarkeit der 
Felder (sie bringen den Getreideanbau). 

vr Die bevorzugten Symbole, achtstrahliger 
Sonnenstern (—> Stern) und Lebensbaum 
schmiicken als Steingefiige die Taubenhauser 
“der Kykladen, als Malerei die Héhlen-Tau- 
‘benhduser Kappadokiens. Die islamische Be- 
vélkerung benutzt alte, zugemauerte Wohn- 
héhlen und christl. Héhlenkirchen als Tauben- 
hduser. Den Muslims gilt die Taube als heili- 
ger Vogel, sie hat Mohammed wéhrend seiner 
Flucht (Hedschra) beschiitzt. 

Die Symbole sind Teil einer gemeinsamen ost- 
mediterranen Tradition. 


Rotfarbige Zeichnung vor einem Taubenhaus in 
einem Tal bei Géreme, Kappadokien. 


Taubenhaus — Aphroditeheiligtum — 

Arche Noah 

Die kykladischen Taubenhduser weisen Ge- 
meinsamkeiten auf mit dem tiber einem Phal- 
lusstein errichteten -- von Miinzbildern her be- 


kannten — Hauptschrein der Apltrodite in Pa- 
phos auf Zypern: i 


vr Schrein wie Taubenhauser sind, bei qua- 
dratischem Grundri8, turmartig kastenférmig 
angelegt. 

xv Die vier Ecken der Flachbedachungen tra- 
gen hémerartige Aufsatze -- vergleichbar den 
vier Hérner semitischer Altare, u.a. des Al- 
tars im Tempel zu Jerusalem. (Unbestritten 
weisen die semitische Ischtar und die Schaum- 
geborene tibereinstimmende Ziige auf.) 

vr Die Miinzbilder zeige